Leitsatz (amtlich)
Zum notwendigen Inhalt eines Berufungsurteils.
Normenkette
ZPO § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 17.06.2020; Aktenzeichen 7 S 404/19) |
AG Leipzig (Urteil vom 06.09.2019; Aktenzeichen 117 C 4982/18) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten zu 2) und 3) wird das Urteil der 7. Zivilkammer des LG Leipzig vom 17.6.2020 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
Rz. 2
Der Kläger befuhr am 21.5.2018 mit seinem - bei der Drittwiderbeklagten haftpflichtversicherten - Pkw die linke Spur einer zweispurigen Straße in Leipzig. Die Beklagte zu 3) fuhr mit einem Pkw, dessen Halter der Beklagte zu 2) ist, und der zum damaligen Zeitpunkt bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversichert war, auf der rechten Spur derselben Straße in dieselbe Richtung. Es kam zur Kollision beider Fahrzeuge, die beide beschädigt wurden.
Rz. 3
Mit der Klage verlangt der Kläger von den Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner Ersatz seiner Reparatur- und Sachverständigenkosten sowie eine Unkostenpauschale, insgesamt 2.420,05 EUR, und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 334,75 EUR, jeweils zzgl. Zinsen. Der Beklagte zu 2) begehrt mit der Widerklage und Drittwiderklage vom Kläger und dem drittwiderbeklagten Versicherer als Gesamtschuldner Ersatz von Reparaturkosten i.H.v. 3.221,39 EUR netto, Ersatz einer Wertminderung von 300 EUR, eine Auslagenpauschale von 25 EUR, Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 413,64 EUR, jeweils zzgl. Zinsen, und die Feststellung, dass der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zum Ersatz weiterer Schäden aus dem Unfallereignis verpflichtet sind.
Rz. 4
Das AG hat unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagten zu 1) bis 3) gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 1.210,03 EUR sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 201,75 EUR, jeweils zzgl. Zinsen, zu zahlen. Auf die Widerklage und Drittwiderklage des Beklagten zu 2) hat das AG den Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 2) einen Betrag von 1.773,20 EUR sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten von 255,85 EUR, jeweils zzgl. Zinsen, zu zahlen und festgestellt, dass der Kläger und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner verpflichtet sind, 50 % aller weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 21.5.2018 zu zahlen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Im Übrigen hat es die Widerklage abgewiesen.
Rz. 5
Das LG hat die Berufung der Beklagten zu 2) und 3) zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten zu 2) und 3) ihre Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Rz. 7
Die erstinstanzliche Entscheidung sei zwar unrichtig, da nach der Überzeugung des Berufungsgerichts feststehe, dass der Kläger sein Fahrzeug auf die rechte Fahrspur in das Fahrzeug der Beklagten zu 2) und 3) gelenkt habe. Aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des AG, das dem Kläger einen hälftigen Erstattungsanspruch zuerkannt habe, sei das Berufungsgericht aber daran gehindert, das amtsgerichtliche Urteil aufzuheben. Das AG sei im Rahmen der rechtskräftigen Entscheidung über die Klage davon ausgegangen, dass der Verkehrsunfall von beiden Fahrzeugen anteilig verursacht worden sei. Damit habe es das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses nach § 17 Abs. 3 StVG auf Seiten der Beklagten zu 2) und 3) verneint. An diese Feststellungen sei das Berufungsgericht gebunden. Nur wenn der Unfall für die Beklagten zu 2) und 3) unabwendbar gewesen wäre, stünde den Beklagten zu 2) und 3) ein voller Erstattungsanspruch gegen den Kläger und die Drittwiderbeklagte zu.
II.
Rz. 8
Die zulässige Revision der Beklagten zu 2) und 3) ist begründet.
Rz. 9
1. Entgegen der Ansicht der Revisionsbeklagten ist sowohl die Revision des Beklagten zu 2) als auch die der Beklagten zu 3) zulässig.
Rz. 10
Selbst wenn mit der Berufung nur die Teilabweisung der Widerklage durch das AG angegriffen worden ist und an diesem Prozessrechtsverhältnis die Beklagte zu 3) in erster Instanz gar nicht beteiligt war, da Widerklage und Drittwiderklage nur der Beklagte zu 2) erhoben hat, steht es der Beklagten zu 3) als durch das Berufungsurteil beschwerter Partei zu, Rechtsmittel gegen dieses Urteil einzulegen (vgl. BGH, Urt. v. 21.7.2017 - V ZR 72/16, NZM 2017, 853 Rz. 11 m.w.N.; BGH, Beschl. v. 28.3.1995 - X ARZ 255/95 NJW-RR 1995, 764, 765, juris Rz. 5). Die Beklagten zu 2) und 3) sind im Berufungsurteil als Berufungskläger genannt. Das Berufungsgericht hat die "Berufung der Beklagten zu 2 und 3" zurückgewiesen und beiden die Kosten der Berufung auferlegt. Auch die Zulassung der Revision erstreckt sich auf beide Beklagte.
Rz. 11
2. Die Revision der Beklagten zu 2) und 3) ist schon deshalb begründet, weil das Berufungsurteil nicht den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO genügt und daher aufzuheben ist.
Rz. 12
a) Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO enthält das Berufungsurteil anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. Die Berufungsanträge müssen im Berufungsurteil zumindest sinngemäß wiedergegeben werden. Ohne die Wiedergabe der Anträge leidet das Berufungsurteil regelmäßig an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führt (vgl. BGH, Urt. v. 21.2.2017 - VI ZR 22/16 NJW 2017, 3449 Rz. 6; v. 30.5.2017 - VI ZR 501/16 VersR 2017, 1014 Rz. 7 m.w.N.). Die ausdrückliche Wiedergabe der Anträge ist jedoch entbehrlich, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Gründe das Begehren des Berufungsführers noch mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt (vgl. Senat, Urt. v. 10.2.2004 - VI ZR 94/03, BGHZ 158, 60, 62 f. juris Rz. 9; BGH, Urt. v. 17.12.2013 - II ZR 21/12ZIP 2014, 216 Rz. 18 m.w.N.). Bei teilweiser Anfechtung muss der Umfang des in die Berufung gelangten Streitgegenstands deutlich werden (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99, 101, juris Rz. 5; BGH, Urt. v. 25.5.2011 - IV ZR 59/09 NJW 2011, 2054 Rz. 10; Heßler in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 540 Rz. 8).
Rz. 13
b) Die Berufungsanträge der Parteien sind im Berufungsurteil weder ausdrücklich noch sinngemäß wiedergegeben. Das Begehren der Beklagten zu 2) und 3) lässt sich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Gründe erschließen.
Rz. 14
Im Rubrum des Berufungsurteils sind die Beklagten zu 2) und 3) als Berufungskläger genannt, allerdings ist nur der Beklagte zu 2) als Widerkläger angegeben. Aus den Gründen des Berufungsurteils ergibt sich, dass die Entscheidung des AG rechtskräftig ist, soweit dem Kläger ein hälftiger Erstattungsanspruch gegen die Beklagten zuerkannt wurde. Damit bleibt unklar, wogegen sich die Berufung der Beklagten zu 3) richten soll.
Rz. 15
Aus dem im Berufungsurteil genannten Umstand, dass die Entscheidung des AG über die Klage rechtskräftig ist, folgt zwar, dass die Berufung des Beklagten zu 2) nur den mit der Widerklage und Drittwiderklage verfolgten Antrag zum Gegenstand haben kann, den das AG zur Hälfte abgewiesen hat. Dem Berufungsurteil lässt sich aber weder sinngemäß noch aus dem Gesamtzusammenhang entnehmen, welche Ansprüche der Beklagte zu 2) im Einzelnen noch weiterverfolgt, also welche Haupt- und Nebenforderungen in welcher Höhe Gegenstand der Berufung sind, ebenfalls nicht, in welchem Umfang er den in erster Instanz gestellten und vom AG mit einer Quote von 50 % zuerkannten Feststellungsantrag weiterverfolgt.
Rz. 16
3. Aus diesen Gründen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (vgl. Senat, Urt. v. 10.2.2004 - VI ZR 94/03, BGHZ 158, 60, 63 juris Rz. 10; BGH, Urt. v. 19.7.2017 - VIII ZR 3/17, NZM 2017, 732 Rz. 9).
III.
Rz. 17
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, durch die teilweise stattgebende Entscheidung über die Klage daran gehindert zu sein, der Widerklage weitergehend als das AG stattzugeben, nicht zutrifft. In prozessualer Hinsicht hat das Berufungsgericht insoweit bereits die objektiven Grenzen der Rechtskraft verkannt, die zwar das Bestehen/Nichtbestehen des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs erfasst, sich aber nicht auf die Beurteilung von Vorfragen wie hier auf die Frage nach der Unabwendbarkeit des Unfalls für die Beklagten zu 2) und 3) i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG oder die dem Zahlungsausspruch zugrunde liegende Haftungsquote erstreckt (vgl. BGH, Urt. v. 25.2.1985 - VIII ZR 116/84, BGHZ 94, 29, 32 f.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 6. Aufl., § 322 Rz. 100).
Rz. 18
Unzutreffend sind die Ausführungen zur Haftungsverteilung aber auch in materiell-rechtlicher Hinsicht. Die konkrete Haftungsverteilung für den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch hängt nach § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. In erster Linie ist dabei nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist dabei nur ein Faktor der Abwägung (BGH, Urt. v. 13.12.2005 - VI ZR 68/04 VersR 2006, 369, juris Rz. 16 m.w.N.).
Rz. 19
Die Ansicht des Berufungsgerichts, dem Beklagten zu 2) könne nur dann ein Schadensersatzanspruch gegen den Kläger und die Drittwiderbeklagte in voller Höhe zustehen, wenn der Unfall für ihn selbst unabwendbar i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG gewesen sei, ist rechtsfehlerhaft. Eine alleinige Haftung des Halters des anderen am Unfall beteiligten Fahrzeugs ist auch in den Fällen anerkannt, in denen die schwere Schuld der Gegenseite die eigene geringe Schuld oder die allein auf Seiten des Anspruchsstellers zu berücksichtigende Betriebsgefahr ganz zurücktreten lässt (vgl. BGH, Urt. v. 17.9.1965 - VI ZR 7/64, VersR 1965, 1075; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 17 StVG Rz. 4 m.w.N.). Falls das Berufungsgericht abweichend von der Bewertung des AG zu der Überzeugung käme, dass der Kläger den Unfall verschuldet habe, während auf Seiten des Beklagten zu 2) nur die Betriebsgefahr zu berücksichtigen wäre, käme im Übrigen eine Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG in Betracht, die der Berufung des Beklagten zu 2), soweit mit ihr mehr als der vom AG zuerkannte hälftige Schadensersatz verlangt wird, zumindest ggf. teilweise zum Erfolg verhelfen könnte.
Fundstellen
NJW-RR 2021, 933 |
JZ 2021, 512 |
MDR 2021, 1212 |
VRS 2021, 242 |
VersR 2021, 1260 |
ErbR 2021, 910 |
SVR 2021, 4 |
r+s 2021, 472 |