Verfahrensgang
LG Augsburg (Urteil vom 04.11.2002) |
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 4. November 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
1. Die Schwurgerichtskammer hat festgestellt:
Der Angeklagte und … J. gerieten beim Zechen am Ufer des Lech in Streit. Zunächst warf J. den Angeklagten zu Boden, dann wälzten sich beide auf dem Boden und schlugen aufeinander ein. Letztlich war der Angeklagte überlegen. Er stand auf und versetzte dem knienden J. einen heftigen Faustschlag in das Gesicht, der eine blutende Verletzung im Mundbereich hervorrief. Der Angeklagte ließ von J. ab, als eine Spaziergängerin dazwischen trat und erklärte, sie habe die Polizei gerufen. Der Angeklagte und J. zechten dann weiter. Als die Polizei kam, gab sich der Angeklagte als J. aus, während J. die Personalien des Angeklagten angab. J. erklärte, er habe sich auf die Lippe gebissen, eine ärztliche Versorgung wünsche er nicht. Einige Zeit später entfernte sich J.: der Angeklagte suchte in den nächsten Stunden mehrfach vergeblich nach ihm. Am nächsten Morgen wurde J. tot in einer nahegelegenen Böschung aufgefunden. Todesursache war eine zentrale Lähmung bei Blutung unter die harte Hirnhaut nach stumpfem Schädeltrauma infolge des heftigen Schlags in das Gesicht.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Für ein vorsätzliches Tötungsdelikt fehlten, nicht zuletzt wegen des Vor- und Nachtatgeschehens, hinreichende Anhaltspunkte. Körperverletzung mit Todesfolge scheitere daran, daß sich der Angeklagte „über das Fortbestehen der Notwehrlage irrte und dieser Notwehrexzeß gemäß § 16 StGB eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung entfallen läßt”. Allerdings hätte der Angeklagte voraussehen können, daß ein heftiger Faustschlag gegen den Kopf letztlich den Tod herbeiführen kann.
3. Staatsanwaltschaft und Nebenklage machen mit ihren auf die Sachrüge gestützten Rechtsmitteln mit Recht geltend, Körperverletzung mit Todesfolge sei nicht rechtsfehlerfrei verneint.
a) Es ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, ob und gegebenenfalls worüber sich der Angeklagte geirrt hat. Der Angeklagte hat den letztlich tödlichen Schlag ins Gesicht J. s bestritten. Daß er etwa außerhalb der Hauptverhandlung anderes erklärt habe, ergeben die Urteilsgründe nicht. Die Annahme, er habe geglaubt, er dürfe schlagen, kann sich daher weder unmittelbar noch auch nur mittelbar auf Angaben des Angeklagten stützen. Unter diesen Umständen ist eine Feststellung darüber, was der Angeklagte geglaubt oder nicht geglaubt hat, wie jede Feststellung zu einer sogenannten inneren Tatsache nur durch Rückschlüsse möglich (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02; NJW 1991, 2094 m.N.). Worauf sich die Annahme stützen könnte, daß der Angeklagte an eine fortbestehende Notwehrlage geglaubt habe, ist jedoch weder ausdrücklich dargelegt noch aus einer Gesamtschau der Urteilsgründe erkennbar. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.w.N.).
b) Unabhängig davon sind die Erwägungen der Strafkammer aber auch auf der Grundlage ihrer Feststellungen nicht rechtsfehlerfrei:
Sie geht – ohne die Frage des Fortbestehens der Notwehrlage hinreichend zu beantworten – davon aus, daß der Angeklagte sich „intensiver als erforderlich verteidigte”, obwohl er „erkannte”, daß J. zum Zeitpunkt des Schlages „positions- und alkoholbedingt nicht mehr abwehrfähig” war.
Wenn aber J. nicht mehr abwehrfähig war, liegt nahe, daß er auch nicht mehr angriffsfähig war und daß dies der Angeklagte ebenso erkannte wie die fehlende Abwehrfähigkeit; jedenfalls wäre dies zu erörtern gewesen. Wenn der Angeklagte erkannte, daß von J. keine Gefahr mehr drohte, kann sich die Frage nach seinen Vorstellungen zur Intensität der Abwehr gegen den von J. drohenden Angriff nicht stellen. Wenn überhaupt, sprechen die bisherigen Feststellungen allenfalls dafür, daß der Angeklagte glaubte, auch gegenüber einem bereits abgeschlossenen Angriff noch Notwehrbefugnisse zu haben. Ein solcher, auch als „Erlaubnisirrtum” oder „indirekter Verbotsirrtum” bezeichneter Irrtum wäre – nicht wie die Schwurgerichtskammer meint, gemäß § 16 StGB, sondern – gemäß § 17 StGB zu behandeln (vgl. Erb in MünchKomm StGB § 32 Rdn. 221; generell zur Irrtumsproblematik bei Notwehr ders. aaO Rdn. 219 ff. m.w.N.).
4. Die Sache bedarf nach alledem neuer Verhandlung und Entscheidung. Im Hinblick auf eine mögliche Verzahnung zwischen den Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, insbesondere zum Fortbestehen der Notwehrlage und den Feststellungen zu den Vorstellungen des Angeklagten hebt der Senat die Feststellungen insgesamt auf.
Er bemerkt jedoch, daß die Erwägungen, mit denen die Schwurgerichtskammer die Vorhersehbarkeit der Todesfolge bejaht, für sich genommen rechtlicher Überprüfung standhalten würden. Der von der Schwurgerichtskammer allerdings nicht ausdrücklich erörterte Umstand, daß J. die Möglichkeit ärztlicher Hilfe ablehnte, ändert daran nichts (vgl. BGHR StGB § 226 (aF) Todesfolge 8; Beschluß vom 26. Februar 2003 – 5 StR 27/03).
Unterschriften
Nack, Wahl, Boetticher, Kolz, Hebenstreit
Fundstellen
Haufe-Index 2558500 |
NStZ 2003, 596 |