Leitsatz (amtlich)
Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht des Betreibers eines Sägewerks.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.03.2002) |
LG Fulda |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main in Kassel v. 26.3.2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte ist Inhaber eines Sägewerkes und Holz verarbeitenden Betriebes. Der Kläger, ein selbständiger Fliesenlegermeister, brachte im Januar 1998 Baumstämme in den Betrieb des Beklagten, um daraus Schalbretter und Kanthölzer herstellen zu lassen. Am 26.1.1998 wollte der Kläger das geschnittene Holz abholen.
Dazu begab er sich auf das nicht eingezäunte Betriebsgelände des Beklagten und betrat dort einen nach zwei Seiten offenen, frei zugänglichen Schuppen, in dem ein Sägegatter (Vertikalgatter) in Betrieb war. Als der Kläger den Schneidearbeiten zusah, wurde er von einem aus dem Sägegatter herausgeschleuderten Kantholz am Kopf getroffen und schwer verletzt.
Der Kläger begehrt Schadensersatz, Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für alle materiellen und immateriellen Zukunftsschäden. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG die Zahlungsansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und der Feststellungsklage stattgegeben; wegen des Betragsverfahrens hat es den Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der vom OLG zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält für nicht bewiesen, dass der Beklagte das Vertikalgatter in mangelhaftem Zustand betrieben habe und lässt offen, ob die Säge fehlerhaft bedient worden sei. Es meint, der Beklagte habe seine Verkehrssicherungspflicht verletzt und dadurch die Schädigung des Klägers herbeigeführt. Allerdings handele es sich beim Sägen an einem Vertikalgatter nach Angaben des Sachverständigen nicht um einen besonders gefährlichen Vorgang. Holz reagiere aber bei der Bearbeitung unterschiedlich. Auf Grund von Verwachsungen und sonstigen Besonderheiten im Innern des Stammes könne es beim Sägen reißen oder absplittern. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass sich durch die senkrechte Bewegung des Sägeblattes vor allem kurze Kanthölzer verkeilten und dadurch aus der Maschine herausgeschleudert würden. Dies sei für den Gatterführer auch bei aufmerksamer Beobachtung des Schneidevorgangs nicht vorhersehbar. Wegen dieser Gefahren hätte der Beklagte nach Auffassung des Berufungsgerichts betriebsfremden Personen den Zutritt zu dem Schuppen durch Anbringung von Warn- und Verbotsschildern verbieten müssen. Dafür, dass der Kläger ein entsprechendes Verbot beachtet hätte, spreche eine tatsächliche Vermutung. Ein Mitverschulden treffe ihn nicht. Als Betriebsfremder habe er nicht mit abfliegenden Spänen oder weggeschleuderten Kanthölzern rechnen müssen.
II.
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht überspannt die dem Beklagten als Betreiber der Säge obliegenden Verkehrssicherungspflichten.
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, Urt. v. 19.12.1989 - VI ZR 182/89, MDR 1990, 611 = VersR 1990, 498 [499]; v. 4.12.2001 - VI ZR 447/00, BGHReport 2002, 321 = MDR 2002, 453 = VersR 2002, 247 [248]; jeweils m. w. N.; vgl. auch Urt. v. 17.12.1992 - III ZR 99/90, MDR 1993, 424 = VersR 1993, 586 [587] m. w. N.; v. 25.2.1993 - III ZR 9/92, BGHZ 121, 368 [375] = MDR 1994, 206; Urt. v. 13.6.1996 - III ZR 40/95, MDR 1996, 1016 = VersR 1997, 109 [111]). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst danach diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Voraussetzung ist daher, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (BGH, Urt. v. 4.12.2001 - VI ZR 447/00, BGHReport 2002, 321 = MDR 2002, 453 = VersR 2002, 247 [248] m. w. N.).
2. Das Berufungsgericht hält eine solche Gefahr hier deswegen für gegeben, weil nach Angaben des Sachverständigen bei dem Betrieb der Säge die Möglichkeit besteht, dass Teile des zu verarbeitenden Holzes absplittern oder Kanthölzer sich verkeilen und aus dem Gatter herausgeschleudert werden. Dieser vom Sachverständigen als möglich angesehene Geschehensablauf mag eine Erklärung für den Hergang des Unfalls v. 26.1.1998 sein. Eine solche nachträgliche Betrachtungsweise eines nach Kenntnis des Sachverständigen bislang einmaligen Vorgangs erlaubt für sich allein jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass der Beklagte betriebsfremden Personen den Zutritt zu der Anlage hätte verbieten müssen. Das Berufungsgericht verkennt, dass nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre unrealistisch (BGH, Urt. v. 15.4.1975 - VI ZR 19/74, VersR 1975, 812). So ist eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar (BGH, Urt. v. 21.4.1964 - VI ZR 39/63, VersR 1964, 746). Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (BGH, Urt. v. 15.4.1975 - VI ZR 19/74, VersR 1975, 812 m. w. N.; v. 10.10.1978 - VI ZR 98/77, VI ZR 99/77, VersR 1978, 1163 [1165]; v. 5.5.1987 - VI ZR 181/86, MDR 1988, 41 = VersR 1987, 1014 [1015]).
Deshalb muss nicht für alle nur denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen geboten, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden (vgl. BGH, Urt. v. 10.10.1978 - VI ZR 98/77, VI ZR 99/77, VersR 1978, 1163 [1165]; BGHZ 14, 83 [85]; Urt. v. 13.11.1970 - 1 StR 412/70, NJW 1971, 1093 [1094] m. w. N.). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB), deren Verletzung zur deliktischen Haftung führt (§ 823 Abs. 1 BGB), ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich erachtet (BGH, Urt. v. 16.2.1972 - VI ZR 111/70, VersR 1972, 559 [560] m. w. N.). Daher reicht es anerkanntermaßen aus, dann, wenn die Gefahren bei der Ausübung eines Berufes oder eines Gewerbes auftreten, diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger dieser Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren, und die diesem den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH, Urt. v. 12.2.1963 - VI ZR 145/62, VersR 1963, 532; v. 19.5.1967 - VI ZR 162/65, VersR 1967, 801, jeweils m. w. N.).
Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten und eine Gefährdung von anderen - wenn auch nicht völlig ausgeschlossen - nur unter besonders eigenartigen und entfernt liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte den Schaden selbst tragen, auch wenn dies im Einzelfall hart sein mag. Er hat ein "Unglück" erlitten und kann dem Schädiger kein "Unrecht" vorhalten (BGH, Urt. v. 15.4.1975 - VI ZR 19/74, VersR 1975, 812).
3. Nach diesen Grundsätzen vermögen die bisher getroffenen Feststellungen eine Haftung des Beklagten gem. § 823 BGB nicht zu begründen.
a) Das Berufungsgericht stellt - sachverständig beraten - fest, dass die Anbringung eines Zutrittsverbotsschildes nach den maßgeblichen Unfallverhütungsvorschriften (UVV) für Maschinen und Anlagen zur Be- und Verarbeitung von Holz und ähnlichen Stoffen nicht erforderlich war. Damit ist allerdings die Frage noch nicht geklärt, ob der Beklagte dennoch gehalten gewesen wäre, insbesondere betriebsfremden Personen den Zutritt zu dem Maschinenraum zu verwehren. Insoweit geht das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend davon aus, dass an die Sorgfaltspflicht des Unternehmers zum Schutz betriebsfremder Personen im Einzelfall durchaus höhere Anforderungen zu stellen sein können als gegenüber seinen Betriebsangehörigen, zu deren Schutz die UVV in erster Linie bestimmt sind (vgl. BGH, Urt. v. 15.4.1975 - VI ZR 19/74, VersR 1975, 812 f. m. w. N.). Gesetzliche oder andere Anordnungen, einschlägige Unfallverhütungsvorschriften und DIN-Normen enthalten im Allgemeinen nämlich keine abschließenden Verhaltensanforderungen (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.1985 - VI ZR 162/83, MDR 1986, 133 = VersR 1985, 781; v. 12.11.1996 - VI ZR 270/95, VersR 1997, 249 [250]; v. 26.5.1998 - VI ZR 183/97, MDR 1998, 1102 = VersR 1998, 1029 [1030]; v. 4.5.1999 - VI ZR 379/98, MDR 1999, 996 = VersR 1999, 1033 [1034]; v. 13.3.2001 - VI ZR 142/00, BGHReport 2001, 496 = MDR 2001, 808 = VersR 2001, 1040 jeweils m. w. N.). Solche Bestimmungen können jedoch regelmäßig zur Feststellung von Inhalt und Umfang bestehender Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden (BGH, Urt. v. 9.7.1985 - VI ZR 118/84, MDR 1986, 305 = VersR 1985, 1147 f.; v. 13.3.2001 - VI ZR 142/00, BGHReport 2001, 496 = MDR 2001, 808 = VersR 2001, 1040, jeweils m. w. N.). Namentlich die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaft stellen den von der zuständigen Stelle kraft öffentlicher Gewalt festgelegten Niederschlag der in einem Gewerbe gemachten Berufserfahrungen dar und sind von dem Unternehmer zu beachten (vgl. BGH, Urt. v. 11.2.1953 - VI ZR 58/52, VersR 1953, 196; v. 9.7.1985 - VI ZR 118/84, MDR 1986, 305 = VersR 1985, 1147 f., jeweils m. w. N.). Gebietet die Verkehrssicherungspflicht den Schutz vor anderen Gefahren als denen, die zu verhüten die Unfallverhütungsvorschrift dient, so kann sich der Verkehrssicherungspflichtige nicht darauf berufen, in Ansehung dieser Gefahren seiner Verkehrssicherungspflicht dadurch genügt zu haben, dass er die Unfallverhütungsvorschrift eingehalten hat. Vielmehr hat er die insoweit zur Schadensabwehr erforderlichen Maßnahmen eigenverantwortlich zu treffen. Dient hingegen die Unfallverhütungsvorschrift gerade der Vermeidung der Gefahren, die sich später in einem Unfall verwirklicht haben, so kann dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er keine weiter gehenden Schutzmaßnahmen ergriffen hat, als in der einschlägigen Unfallverhütungsvorschrift gefordert (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.1985 - VI ZR 162/83, MDR 1986, 133 = VersR 1985, 781; v. 12.11.1996 - VI ZR 270/95, v. 12.11.1996 - VI ZR 270/95, VersR 1997, 249 [250], jeweils m. w. N.).
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sahen die seinerzeit maßgebenden UVV keine spezifischen Schutzmaßnahmen gegen ein Herausschleudern von Kanthölzern vor, sondern verlangten nur, beim Sägen von kurzen Stämmen an einem Vertikalgatter solche Vorrichtungen bereitzuhalten und zu benutzen, die das Hochschlagen der Stämme verhindern. Dass der Beklagte am Unfalltag gegen diese Vorschrift verstoßen hätte, ist nicht festgestellt. Deshalb ist im Revisionsrechtszug zu seinen Gunsten zu unterstellen, dass die Säge vorschriftsmäßig und fehlerfrei bedient wurde. Weiter gehende Sicherungsvorkehrungen waren nach den UVV nicht zu treffen. Hat der Beklagte aber die Vorschriften beachtet, welche der Abwendung der (bekannten) Gefahr des Hochschlagens der Stämme dienten, hat er denjenigen Sicherheitsgrad geschaffen, den ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betreffenden Berufsgruppe für ausreichend halten durfte, um andere Personen vor Schaden zu schützen. Da die von dem Hochschlagen der Stämme ausgehende Gefährdung für alle sich in der Nähe der Säge aufhaltenden Personen und damit für Betriebsangehörige wie für Betriebsfremde in gleichem Maße galt, bestanden gegenüber Letzteren auch keine zusätzlichen Sorgfaltspflichten. Für ein Zutrittsverbot gegenüber betriebsfremden Personen wegen der Möglichkeit des Herausschleuderns von Kanthölzern hätte nur dann Veranlassung bestanden, wenn es sich dabei um eine nach sachverständigem Urteil nahe liegende Gefahr gehandelt hätte.
Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der Fall. Hat sich der Unfall vorliegend trotz Einhaltung der aus damaliger Sicht gebotenen Sicherheitsvorkehrungen ereignet, hat er die Erkenntnis gebracht, dass diese Maßnahmen nicht ausreichend waren. In diesem Fall mag sich eine bis dahin zwar denkbare, aber für das sachverständige Urteil seinerzeit allenfalls als bloß theoretisch anzusehende Möglichkeit des Herausschleuderns von Holzteilen in der Praxis realisiert haben. Das reicht jedoch zur Begründung einer Haftung aus einem solchen Unfall nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht aus (vgl. BGH, Urt. v. 15.4.1975 - VI ZR 19/74, VersR 1975, 812 f. m. w. N.; Urt. v. 10.10.1978 - VI ZR 98/77, VI ZR 99/77, VersR 1978, 1163 [1165]; v. 5.5.1987 - VI ZR 181/86, MDR 1988, 41 = VersR 1987, 1014 [1015]). Nach alledem musste der Beklagte den Zutritt zu der Anlage jedenfalls seinen Kunden nicht verwehren. Eine andere Frage mag es sein, ob er den Sägeschuppen allen Außenstehenden und somit z. B. auch Kindern zugänglich machen durfte. Einer Vertiefung dieser Frage bedarf es hier aber deshalb nicht, weil es sich insoweit um ein besonderes Risiko handeln würde, das sich im Streitfall nicht verwirklicht hat und das deshalb hier außer Betracht bleiben kann (vgl. BGH, Urt. v. 25.4.1978 - VI ZR 194/76, VersR 1978, 739 [740]; Lepa, Der Schaden im Haftpflichtprozess, 1992, S. 17).
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um zu klären, ob die Schädigung des Klägers durch eine fehlerhafte Bedienung des Vertikalgatters verursacht worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 969396 |
BGHR 2003, 1200 |
NJW-RR 2003, 1459 |
MDR 2003, 1352 |
NZV 2004, 79 |
VersR 2003, 1319 |
ZfS 2003, 583 |
IVH 2003, 226 |