Leitsatz (amtlich)
Zum Tatbestandsmerkmal des „wichtigen Grundes”.
Normenkette
HGB § 133 Abs. 1, § 140 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 30. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 26. Februar 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin zu 1 ist die einzige persönlich haftende Gesellschafterin der M. GmbH & Cie., welche im wesentlichen Textilprodukte herstellt und vertreibt und Eigentümerin des betriebsnotwendigen Vermögens ist. Die Klägerin zu 2 ist die einzige Komplementärin der M. GmbH & Co. KG, die Eigentümerin des nicht betriebsnotwendigen Vermögens ist und es verwaltet. Die Kläger zu 3 und 4 sind Kommanditisten dieser Gesellschaften.
Die Kläger betreiben den Ausschluß des Beklagten zu 1, der zu den jeweils 96 verwandtschaftlich verbundenen Kommanditisten der zwei Gesellschaften gehört, aus den beiden Gesellschaften. Der Beklagte zu 2 ist sein Bruder, der Beklagte zu 3 sein Vater. Die Beklagten zu 4 bis 7 sind weitere Kommanditisten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht antragsgemäß den Beklagten zu 1 aus den Kommanditgesellschaften ausgeschlossen und die Beklagten zu 2 bis 7 verurteilt, diesem Ausschluß zuzustimmen. Mit der Revision verfolgen die Beklagten das Ziel, das Urteil des Landgerichts wiederherzustellen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß sich nicht alle Gesellschafter der beiden Kommanditgesellschaften an dem Rechtsstreit beteiligen müssen.
1. Eine Auflösungsklage (§§ 161 Abs. 2, 133 HGB) ist gegen die Mitgesellschafter zu richten, wobei grundsätzlich alle Mitgesellschafter verklagt werden müssen, soweit sie nicht ebenfalls aktiv die klageweise Auflösung der Gesellschaft betreiben (vgl. BGHZ 30, 195, 197). Dies bezieht sich jedoch nicht auf Gesellschafter, die bereits außergerichtlich und bindend erklären, sie seien mit der Auflösung der Gesellschaft einverstanden (vgl. Sen.Urt. v. 13. Januar 1958 – II ZR 136/56, WM 1958, 216, 217). Entsprechendes gilt nach der Rechtsprechung des Senats für die Ausschließungsklage nach § 140 HGB (vgl. Sen.Urt. v. 13. Januar 1958 – II ZR 136/56 aaO; nur scheinbar einschränkend BGHZ 68, 81, 83). Diese Rechtsprechung wird in der Literatur teilweise gebilligt (vgl. nur Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl. § 140 Rdn. 12 m.w.N.), teilweise stößt sie auf Kritik (vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. § 50 III 1c, S. 1514 m.w.N.). Dieser Kritik ist nicht zu folgen. Soweit sie auf die Senatsentscheidung vom 28. April 1975 (BGHZ 64, 253) verweist, ist dem entgegenzuhalten, daß dort die Ausschließungs- mit der Zustimmungsklage verbunden war. Dem Wortlaut des § 140 HGB („für die übrigen Gesellschafter”) kann keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden. Die Ausschließungsklage nach § 140 HGB und die Auflösungsklage nach § 133 HGB sind gleichermaßen Gestaltungsklagen, so daß sich auch bei der Auflösungsklage jeder Gesellschafter am Prozeß beteiligen müßte, also weder eine gewillkürte Prozeßstandschaft auf der Klägerseite noch eine Unterwerfung einer Nicht-Prozeßpartei unter die Gestaltungswirkung in Betracht käme. Wenn bei der Auflösungsklage die Möglichkeit der außergerichtlichen Unterwerfung „im Interesse der Prozeßökonomie als Ergebnis einer Rechtsfortbildung anerkannt” wird (Schlegelberger/K. Schmidt, HGB, 5. Aufl. § 133 Rdn. 46), so spricht nichts dagegen, dem Gedanken der Prozeßökonomie auch im Rahmen des § 140 HGB den Vorrang einzuräumen, zumal § 140 Abs. 1 HGB zwar von einem Recht der „übrigen Gesellschafter” spricht, aber nicht ausdrücklich vorschreibt, wie die gemeinsame Wahrnehmung dieses Rechts sicherzustellen ist.
2. Im vorliegenden Rechtsstreit liegen die Voraussetzungen, unter denen sich nicht alle Gesellschafter an dem Prozeß beteiligen müssen, vor.
Die nicht beteiligten Gesellschafter haben schriftlich der Ausschließungsklage zugestimmt und erklärt, daß die rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über den Ausschluß des Beklagten zu 1 für sie „rechtsverbindliche und verpflichtende Wirkung” habe. Dies genügt den an eine solche außergerichtliche Zustimmungserklärung zu stellenden Anforderungen. Gegen die Beklagten zu 2 bis 7, die eine solche Erklärung nicht abgegeben haben, ist folgerichtig Klage erhoben worden.
II. Die Zulässigkeit der Klage scheitert nicht an § 19 des Gesellschaftsvertrages.
Diese Bestimmung läßt zwar ein gerichtliches Feststellungsurteil für den Ausschluß eines Gesellschafters genügen. Hierdurch wird die Ausschließungsklage aber nicht notwendigerweise unzulässig. § 140 HGB ist im Gegensatz zu § 133 Abs. 1 HGB (vgl. § 133 Abs. 3 HGB) allerdings weitgehend dispositiver Natur (vgl. BGHZ 31, 295, 300; 68, 212, 214; 81, 263, 265 f.; 107, 351, 356). Deshalb wäre der Ersatz einer Ausschließungsklage durch eine entsprechende Feststellungsklage rechtlich durchaus möglich. Dies ist mit § 19 des Gesellschaftsvertrages jedoch nicht gewollt. Der Hinweis auf § 133 HGB bezieht sich ersichtlich auf den Tatbestand des „wichtigen Grundes”. Da es zulässig ist, die Möglichkeit einer Ausschlußklage neben der gesellschaftsvertraglich vorgesehenen Feststellungsklage offenzuhalten, müßte sich ihre Ablehnung deutlich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Das ist hier nicht der Fall. Dementsprechend hat das Berufungsgericht eine solche Ablehnung nicht festgestellt.
III. Die Revision rügt mit Erfolg, daß das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des „wichtigen Grundes”, der hier im Sinne des § 133 Abs. 1 HGB zu verstehen ist (§ 19 des Gesellschaftsvertrages), verkannt hat (vgl. dazu Sen.Urt. v. 9. November 1992 11 ZR 234/91, WM 1992, 2142, 2143 = NJW 1993, 463, 464 – betr. § 626 Abs. 1 BGB).
1. Der „wichtige Grund” im Sinne des § 133 Abs. 1 HGB kann auf zurückliegende Vorgänge gestützt werden. Die Fortsetzung der Gesellschaft ist aber nur dann unzumutbar, wenn für die Zukunft ein sinnvolles Zusammenwirken der Gesellschafter nicht zu erwarten ist. Diese Feststellung ist aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände zu treffen, die bei Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung vorliegen (vgl. RGZ 51, 89, 91; Schlegelberger/K. Schmidt aaO § 133 Rdn. 8 m.w.N.).
2. Die von dem Berufungsgericht herangezogenen Verhaltensweisen des Beklagten zu 1 rechtfertigen die Annahme eines solchen „wichtigen Grundes” nicht.
a) Den Schwerpunkt der Auseinandersetzung bildet die Gründung der Firma MC. M. Textil GmbH & Co. Veredelungswerke KG durch die M. GmbH & Cie. KG und die Firma D. Textilwerke GmbH im Jahre 1972. Der Beklagte zu 1 ist der Meinung, die damaligen Organe der M. & Cie. hätten bei der Vertragsgestaltung zum Nachteil ihrer eigenen Firma mit D. zusammengewirkt, jedenfalls sei die Fusion eine geschäftliche Fehlentscheidung gewesen. Er hat die Vermutung geäußert, die Erträge bei der MC. KG und der von D. eingebrachten P. GmbH seien zum Nachteil der M. & Cie. und damit zum Schaden von deren Gesellschaftern gesteuert worden (Schreiben vom 11. Juni 1993). Seiner Ansicht nach läßt sich die Fusion von 1972 rückgängig machen, wenn den damaligen Vertragsbeteiligten ein sittenwidriges Zusammenwirken zum Nachteil der M. & Cie. nach gewiesen werden könne. Außerdem hat er die Befürchtung geäußert, durch den beabsichtigten Verkauf der MC.-Beteiligung sollten die damaligen Vorgänge einer weiteren Aufklärung entzogen werden, da Auskunftsansprüche nach dem Vollzug der Übernahme behindert werden könnten (Schreiben vom 23. März 1994).
Diese Vermutungen des Beklagten zu 1 entbehren nicht jeder tatsächlichen Grundlage. Wie das Berufungsgericht in dem auf Erteilung einer Auskunft gerichteten Verfahren des Beklagten zu 1 gegen die M. & Cie. ausgeführt hat, hat die MC. aufgrund des Organschaftsvertrages mit der P. Textil GmbH von 1972 bis 1987 57 Mio. DM Verlust übernommen. Die P. GmbH arbeitete erst wieder mit Gewinn, nachdem im Jahr 1988 die Firma N. von der MC. 50 Prozent P.-Anteile gekauft hatte. Dies bezeichnete das Berufungsgericht im Vorprozeß als auffällig und nicht ohne weiteres mit der allgemeinen Entwicklung in der Textilindustrie erklärbar (Urt. v. 10. März 1993 – 30 U 689/92).
b) Das Berufungsgericht sieht offenbar ein unzumutbares Verhalten des Beklagten zu 1 darin, daß er seine Vorwürfe nicht fallen ließ, nachdem er die Auskünfte von der M. & Cie. erhalten hatte. Dem kann nicht gefolgt werden.
In dem Rechtsstreit des früheren Komplementärs der M. & Cie. KG, W. M., gegen den Beklagten zu 1 und seinen Bruder hat das Berufungsgericht angenommen, der vom Beklagten zu 1 geäußerte Verdacht sei eine durch Tatsachen hinreichend gestützte Meinungsäußerung (Urt. v. 24. Juli 1995 – 30 U 117/95). Dieses Urteil ist ergangen, nachdem der Beklagte zu 1 die Auskünfte erhalten hatte, zu deren Erteilung die M. & Cie. verurteilt worden war. Dem Berufungsgericht lagen alle Schreiben des Beklagten zu 1 vor, die auch im vorliegenden Prozeß daraufhin zu überprüfen sind, ob sie einen wichtigen Kündigungsgrund abgeben. Das Berufungsgericht hat damals nicht angenommen, daß der Verdacht des Beklagten zu 1 durch die Auskünfte derart widerlegt sei, daß er nunmehr wider besseres Wissen handele.
Unzutreffend ist insbesondere, der Beklagte zu 1 könne nicht angeben, welche Unterlagen er noch benötige, um gegen die jetzigen und damaligen Verantwortlichen vorzugehen. Der Beklagte zu 1 hat mit Schreiben vom 4. Juli 1994 im einzelnen bezeichnete weitere Gutachten, Berichte und Aufstellungen von der M.-Gruppe erbeten, die ihm aber nicht zugänglich gemacht worden sind. Die Kläger haben dieses Schreiben als Anlage K 12 vorgelegt; das Berufungsgericht hat sich damit jedoch nicht auseinandergesetzt.
c) Der Beklagte zu 1 beschäftigte sich weiter kritisch mit dem Verkauf der „M.-Villa” an W. M. Nach seiner Auffassung war der Kaufpreis unverhältnismäßig niedrig; er sieht darin eine einseitige Begünstigung des Erwerbers durch den Geschäftsführer K.. Diese Kritik erkennt das Berufungsgericht grundsätzlich als sachlich an. Es lastet ihm jedoch an, daß er dem Geschäftsführer und Mitgesellschafter K. vorwirft, einzelne Gesellschafter auf Kosten der Gesellschaft zu bevorzugen. Auch hier handelt es sich indes um eine Meinungsäußerung des Beklagten zu 1, die durch Tatsachen gestützt wird.
Daß der Beklagte zu 1 seinerseits Interesse gezeigt hat, im Fall seines Ausscheidens aus den Gesellschaften das Haus P.straße 52 zu erwerben, in dem er und sein Vater wohnen, macht seine Kritik am Verkauf der M.-Villa nicht unzulässig. Dieses Interesse hat der Beklagte zu 1 lediglich im Vorfeld einer möglichen Abfindungsregelung bekundet.
3. Die Revision rügt weiterhin zutreffend, daß die Interessenabwägung des Berufungsgerichts auch deshalb fehlerhaft ist, weil es nicht geprüft hat, ob die den Ausschluß des Beklagten zu 1 betreibenden Gesellschafter ihrerseits ein Fehlverhalten gezeigt haben, das die vom Berufungsgericht als Ausschlußgrund gewerteten Äußerungen des Beklagten zu 1 jedenfalls in milderem Licht erscheinen läßt (vgl. Sen.Urt. v. 22. Januar 1990 – II ZR 21/89, WM 1990, 677; v. 13. Februar 1995 – II ZR 225/93, WM 1995, 752, 754). Auf ein solches Verhalten der Mitgesellschafter weist die Revision zu Recht hin:
a) Der Beklagte zu 1 mußte sein Auskunftsrecht als Kommanditist gegenüber der M. & Cie. im Klagewege durchsetzen. Die Geschäftsführer und persönlich haftenden Gesellschafter dieser Gesellschaften haben die geschuldeten Auskünfte verweigert. Sie haben damit ihre Gesellschafterpflichten gegenüber dem Beklagten zu 1 verletzt. Die Weigerung, Auskünfte zu erteilen, mußte bei dem Beklagten im übrigen ein entsprechendes Mißtrauen erwecken.
b) Daß die Auseinandersetzung mit dem Beklagten zu 1 auch von Seiten der den Ausschluß betreibenden Gesellschafter von persönlichen Aversionen geprägt ist, belegt etwa das Schreiben der M. KG und M. & Cie. vom 25. Oktober 1993, in dem es heißt, der Beklagte zu 1 „belästige” seine Mitgesellschafter, seine Vorwürfe seien „durch Besserwisserei” und „Erfahrungsarmut” gekennzeichnet. Die Unterlagen der M. & Cie. habe er „ungerechtfertigt erlangt”. Damit ist die Ebene sachlicher Auseinandersetzung eindeutig verlassen.
4. Das Berufungsgericht verkennt schließlich, daß persönliche Spannungen und gesellschaftsbezogene Verwürfnisse den Ausschluß eines Kommanditisten aus der Gesellschaft nur in besonders schwerwiegenden Fällen rechtfertigen. Das Zerwürfnis muß – über den Streit mit dem auszuschließenden Gesellschafter hinaus – schädliche Auswirkungen auf die Gesellschaft haben; es kann den Verbleib in der Gesellschaft nur in besonders schwerwiegenden Fällen für die anderen Gesellschafter unzumutbar machen (Sen.Urt. v. 12. Dezember 1994 – II ZR 206/93, WM 1995, 250 f.). Derartige schädliche Wirkungen des Zerwürfnisses stellt das Berufungsgericht nicht fest. Dabei ist auch noch zu berücksichtigen, daß der Beklagte zu 1 nur mit einem verschwindend geringen Anteil an den Gesellschaften beteiligt ist.
5. Endlich hat das Berufungsgericht – was die Revision allerdings nicht rügt – sich nicht mit dem Problem beschäftigt, daß es sich um Familiengesellschaften handelt. Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Fehlverhalten bei verwandtschaftlichen Bindungen einerseits als besonders verwerflich erscheinen, andererseits können diese Bindungen aber auch die Pflicht begründen, über gewisse gesellschaftswidrige Verhaltensweisen hinwegzusehen und gegen sie mit weniger einschneidenden Maßnahmen vorzugehen (vgl. BGHZ 51, 204, 206).
IV. Um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, sich mit diesen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, und um den Parteien die Möglichkeit zu eröffnen, hierzu eventuell ergänzend Stellung zu nehmen, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Röhricht, Dr. Hesselberger, Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Kraemer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.09.1997 durch Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
NJW 1998, 146 |
ZIP 1997, 1919 |
ZNotP 1999, 32 |