Leitsatz (amtlich)
›Zur Beruhensprüfung bei Verletzung des § 60 Nr. 2 StPO"
Tatbestand
Die vom Angeklagten K erhobene Rüge der Verletzung des § 60 Nr. 2 StPO ist zulässig (BGHSt 20, 98, 99), jedoch unbegründet.
Der Vorsitzende hat die Zeugen Hä, Wa, Ma S, Se und L vereidigt. Die Zeugen hatten Aussagen gemacht, die der Darstellung der Nebenklägerin hinsichtlich ihrer sonstigen sexuellen Kontakte widersprachen. Das Landgericht hat die Nebenklägerin trotzdem für glaubwürdig erachtet, weil sich die Zeugenbekundungen "in zahlreichen bedeutsamen Einzelheiten so grundlegend" widersprachen, daß ihnen nach seiner Auffassung kein Glauben geschenkt werden konnte. In den Urteilsgründen werden diese Widersprüche u. a. an Hand der Schilderungen der Zeugen L, Ma, Hä und Se im einzelnen erläutert. Die Würdigung der Aussagen läßt erkennen, daß das Tatgericht von vorsätzlichen Falschaussagen und der Absicht der Zeugen ausgegangen ist, die Angeklagten der Bestrafung zu entziehen. Hinsichtlich des Zeugen Se wird sogar ausdrücklich die Beteiligung an einem "Aussagekomplott" gegen die Nebenklägerin festgestellt.
Da die genannten Zeugen ihre die Nebenklägerin belastenden Aussagen bereits vor ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung im wesentlichen bei ihrer vorbereitenden polizeilichen Vernehmung gemacht hatten, läßt sich aus der Sicht des Tatgerichts der Verdacht einer versuchten Strafvereitelung zu Gunsten der Angeklagten vor der Hauptverhandlung nicht ausräumen. Der Ansicht, die polizeiliche Vernehmung am Vormittag des Hauptverhandlungstages bilde mit der Vernehmung durch die Strafkammer am Nachmittag eine untrennbare Einheit, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Vereidigung der Zeugen verstößt damit gegen § 60 Nr. 2 StPO.
Auf diesem Verstoß beruht das angefochtene Urteil jedoch nicht. Die Strafkammer ist den Darstellungen der Zeugen nicht gefolgt, "obwohl" sie "ihre Aussagen beschworen haben". Die fehlerhafte Vereidigung hat also zu keinem anderen Ergebnis geführt; das Tatgericht hätte den Zeugen auch nicht geglaubt, wenn sie ordnungsgemäß uneidlich vernommen worden wären.
Das verkennt auch die Revision nicht. Sie ist jedoch der Auffassung, die Strafkammer habe mit der Vereidigung einen "Rechtsschein" geschaffen, von dem sie ohne ausdrücklichen Hinweis nicht habe abweichen dürfen; sie sei verpflichtet gewesen, den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zu einer Reaktion auf die Tatsache zu geben, daß sie von einem Verhalten der Zeugen ausging, welches einer Vereidigung entgegengestanden hätte.
Es erscheint zweifelhaft, ob dieser Ansicht - die sich allerdings auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofes berufen könnte (vgl. Urt. vom 16. Januar 1980 - 2 StR 687/79, wohl auch Beschl. vom 8. Mai 1981 - 3 StR 163/81; ferner BGH NJW 1982, 1601, 1602 m.w.N.) - zu folgen ist. Nach Auffassung des Senats läßt sich eine solche umfassende Hinweispflicht auf Ergebnisse der Beweiswürdigung aus dem Gesetz nicht herleiten. Zwar verlangt die einhellige Rechtsprechung (vgl. RGSt 72, 219; BGHSt 4, 130; BGH NJW 1982, 1601, 1602 m.w.N.) einen Hinweis, wenn das Gericht eine beschworene Aussage als uneidliche werten will, um einen Verstoß gegen § 60 Nr. 2 StPO zu heilen. Wird dieser Hinweis nicht gegeben, so ist die Folge allein das Fortbestehen des Verstoßes. Die Frage, ob die Entscheidung in der Sache auf diesem Verstoß beruht, ist von der Möglichkeit seiner Heilung klar zu trennen. Es wäre verfehlt, die Heilung zur Pflicht zu machen und in ihrer Verletzung einen selbständigen Verfahrensverstoß zu sehen. Das Urteil kann nur auf dem Gesetzesverstoß (der Vereidigung des Zeugen entgegen § 60 Nr. 2 StPO) beruhen, nicht auf der unterbliebenen Heilung (dem Fehlen des zu diesem Zweck erforderlichen Hinweises).
Letztlich bedarf diese Frage aber keiner abschließenden Entscheidung. Denn auch unter Zugrundelegung der von der Revision vertretenen Grundauffassung bedurfte es im vorliegenden Fall eines derartigen Hinweises nicht, weil nach dem Verlauf der Hauptverhandlung die Angeklagten trotz der Vereidigung der genannten Zeugen nicht darauf vertrauen konnten, daß die Strafkammer die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin durch die Aussagen als erschüttert ansehen werde (vgl. BGH, Urt. vom 30. April 1975 - 3 StR 396/74 - bei Dallinger MDR 1975, 725; ferner BGH NJW 1982, 1601, 1602 m.w.N.).
Die genannten Zeugen hatten mit dem Tatgeschehen nichts zu tun. Einzige Tatzeugin war die Nebenklägerin. Ihre Darstellung des Geschehens wollten die Angeklagten durch den Beweis der von ihr in Abrede gestellten Bereitschaft zu Gruppensex und Geschlechtsverkehr gegen Entgelt erschüttern. Die Aussagen der zu Unrecht vereidigten Zeugen standen nicht nur im krassen Gegensatz zu denen der Nebenklägerin in diesem Punkt, sie widersprachen sich auch untereinander "in zahlreichen bedeutsamen Einzelheiten grundlegend" und waren teilweise auch mit der Darstellung der Angeklagten unvereinbar. Diese Widersprüche waren nach der Schilderung des Aussageverhaltens der zum Bekanntenkreis der Angeklagten gehörenden Zeugen so offensichtlich, daß sie den Angeklagten und der Verteidigung nicht verborgen geblieben sein konnten und ein etwaiges Vertrauen, nunmehr die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin endgültig erschüttert zu haben und auf weitere Beweisanträge verzichten zu können, jeder Grundlage entbehrte. Hinzu kommt, daß die Strafkammer nach der fehlerhaften Vereidigung der Zeugen die Nebenklägerin abschließend vernahm und sodann die Angeklagten gemäß § 265 StPO darauf hinwies, es könnte "in Tateinheit oder Tatmehrheit mit den bereits angeklagten Taten auch noch ein Vergehen der Förderung der Prostitution und/oder ein Verbrechen der sexuellen Nötigung vorliegen", und sodann während der Schlußvorträge nochmals Hinweise nach § 265 StPO dahin erfolgten, "daß ein Verbrechen der sexuellen Nötigung auch darin begründet sein könnte, in den verschiedenen Versuchen der beiden Angeklagten zum Mundverkehr zu kommen", und ferner "auch ein Vergehen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit oder Tatmehrheit zu den übrigen bereits angeklagten Delikten vorliegen" könnte, "dadurch, daß sie die Nebenklägerin geohrfeigt haben".
Fundstellen
Haufe-Index 2992815 |
NJW 1986, 266 |
DRsp IV(448)145c |
NStZ 1986, 130 |
EzSt StPO § 60 Nr. 3 |
MDR 1986, 158 |
NStE StPO § 60 Nr. 2 |
VRS 70, 215 |
StV 1986, 89 |