Leitsatz (amtlich)
Weist das Verhalten eines der sexuellen Nötigung angeklagten Täters darauf hin, daß dieser an einer Störung des sexuellen Trieb-und Gefühlslebens leidet, die den Charakter einer schweren seelischen Abartigkeit besitzt, muß ein psychiatrischer Sachverständiger zur Frage erheblich verminderter Schuldfähigkeit zugezogen werden.
Verfahrensgang
LG Regensburg (Entscheidung vom 26.07.1988) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 26. Juli 1988 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten der sexuellen Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Diebstahl, der Nötigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und vorsätzlicher Körperverletzung, des Diebstahls und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung für schuldig befunden und ihn deshalb zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
Im Mai und Juli 1986 drang der Angeklagte des Nachts jeweils durch ein Erdgeschoßfenster in die Wohnung alleinstehender Frauen ein, überraschte diese im Schlaf und hielt ihnen Hals oder Mund zu und manipulierte, um sich sexuell zu erregen, an deren Scheide und After. Dabei äußerte er dem Sinne nach: "Seien Sie ruhig, es passiert Ihnen nichts." Aus Angst vor Gewalttätigkeiten ließen die Tatopfer die sexuellen Handlungen über sich ergehen. Im Juni 1987 drang der Angeklagte durch ein Küchenfenster in die Erdgeschoßwohnung der Zeugin B. ein. Im Schlafzimmer der Zeugin, die aufgewacht war, kam es zu einem heftigen Kampf, bei dem diese dem Angeklagten die Maske vom Gesicht riß. Der Angeklagte flüchtete schließlich. Im November 1987 stieg der Angeklagte in das Einfamilienhaus der Frau V. ein und entwendete dort eine Geldbörse, ein Luftgewehr und einen Wohnungsschlüssel. Mit dem Schlüssel drang er vier Tage später nochmals in das Haus ein, um Wertsachen zu stehlen. Dabei wurde er von den anwesenden Polizeibeamten festgenommen.
Die Revision des Angeklagten ist, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet, offensichtlich unbegründet.
Hinsichtlich des Strafausspruchs hat sie dagegen mit der Aufklärungsrüge Erfolg. Die Revision beanstandet mit Recht, daß die Strafkammer zur Frage erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten keinen psychiatrischen Sachverständigen zugezogen hat.
Das Verhalten des Angeklagten in den Fällen 1 und 2, aber auch im Falle der Verurteilung wegen Nötigung, in dem ein sexueller Hintergrund nicht ausgeschlossen ist, weist Auffälligkeiten auf, die auf eine neurotisch geprägte Sexualanomalie hindeuten. In allen Fällen hatte der Angeklagte sein Gesicht mit einer Maske oder einem Tuch verdeckt (UA Seite 11). In die gleiche Richtigung weist die Verurteilung 1975 wegen fortgesetzten Exhibitionismus u.a.. Auch die sexuelle Nötigung, die 1980 zur Verurteilung führte, enthält deutliche Parallelen zu den hier zu beurteilenden Taten: In jenem Fall riß der Angeklagte abends auf der Straße eine 25jährige Frau zu Boden, drückte ihr mit einer Hand den Mund zu und betastete über der Hose deren Geschlechtsteil, wobei er mehrfach äußerte: "Ganz ruhig."
Allen diesen Vorkommnissen ist gemeinsam, daß der Angeklagte bei der Befriedigung seiner sexuellen Wünsche keine irgendwie geartete Beziehung zu den Tatopfern hergestellt hat. Er selbst blieb anonym und fand sein Genügen an sexuellen Ersatzhandlungen. Zur Vollziehung des Geschlechtsverkehrs ist es in keinem Fall gekommen.
Auch im Fall 4 ist in Betracht zu ziehen, daß der Angeklagte aus sexuellen Beweggründen in das Haus der Zeugin V. eingestiegen sein konnte. Ferner schlich er schon am 8. August 1986 des Nachts vor den Häusern der Zeuginnen B. und K. herum, die er zuvor am 23. Mai und 6. Juli 1986 überfallen hatte (UA Seite 11 f., 14).
Bei dieser Sachlage drängte sich die Möglichkeit auf, daß der Angeklagte an einer Störung des sexuellen Trieb- und Gefühlslebens leidet, die den Charakter einer schweren seelischen Abartigkeit besitzt, und seine strafrechtliche Verantwortlichkeit deshalb erheblich eingeschränkt ist (§ 21 StGB). Dabei spielt auch die zunehmende Häufung der Vorfälle eine Rolle, die als wesentliches Indiz für eine sich progressiv entwickelnde Triebanomalie angesehen wird (vgl. BGH NJW 1982, 2009; Schorsch in: Venzlaff, Psychiatrische Begutachtung 1986 S. 288 f. und 309 f.; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 23. Aufl. § 20 Rdn. 23; Lange in LK § 21 Rdn. 48; Rudolphi SK § 20 StGB Rdn. 27; Blau JR 1983, 69, 71). Der Frage erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten mußte daher das Landgericht durch Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen nachgehen.
In der neuen Verhandlung wird die Strafkammer, falls sie die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht, auch die Notwendigkeit einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB prüfen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 3018871 |
NJW 1989, 2958 |
NJW 1989, 2958-2959 (Volltext mit red. LS) |