Verfahrensgang
LG Lübeck |
Schleswig-Holsteinisches OLG |
Tatbestand
Der Kläger verlangt von dem beklagten Rechtsanwalt Ersatz des Schadens, der ihm dadurch entstanden ist und noch entsteht, daß er als Vater einer am 7. Mai 1986 von der inzwischen geschiedenen Ehefrau des Klägers geborenen Tochter gilt und Unterhalt zu zahlen hat.
Der Beklagte war von dem Kläger beauftragt, ihn in dem Ehescheidungsverfahren zu vertreten und die Ehelichkeit des Kindes anzufechten. Am 5. November 1987 reichte er die Anfechtungsklage beim - unzuständigen - Amtsgericht Ahrensburg ein. Als gesetzliche Vertreterin des Kindes gab er die Mutter an. Auf Antrag gab das Amtsgericht Ahrensburg die Sache am 16. Februar 1988 an das Amtsgericht Lübeck ab. Der Gerichtskostenvorschuß wurde spätestens am 15. März 1988 eingezahlt. Am 12. April 1988 ordnete das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Lübeck zur Vertretung des Kindes im Ehelichkeitsanfechtungsverfahren die Ergänzungspflegschaft an und bestellte das örtliche Jugendamt zum Ergänzungspfleger. Die entsprechende Mitteilung ging am 9. Mai 1988 beim Prozeßgericht ein. Am selben Tage verfügte es die Zustellung der Anfechtungsklage, die am 13. Mai 1988 erfolgte. Durch rechtskräftiges Urteil vom 8. September 1988 wies das Amtsgericht die Klage ab, weil die Anfechtungsfrist zwei Jahre nach der Geburt des Kindes abgelaufen sei. Nach dem im vorliegenden Verfahren vom Landgericht eingeholten Gutachten ist der Kläger als Vater des Kindes auszuschließen.
Das Landgericht hat der Schadensersatzklage teilweise, das Oberlandesgericht hat ihr in vollem Umfange stattgegeben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe die Versäumung der Anfechtungsfrist des § 1594 Abs. 1 BGB zu vertreten. Er habe es unterlassen, den Kläger über die Frist zu belehren. Der Kläger sei deshalb nicht in der Lage gewesen, zweckdienliche Informationen zu erteilen. Darüber hinaus habe der Beklagte durch eine Reihe weiterer Fehlleistungen - z.B. Einreichung der Anfechtungsklage beim unzuständigen Gericht, verspätete Stellung des Abgabeantrags, verspäteter Antrag (beim unzuständigen Prozeßgericht) auf Anordnung einer Ergänzungspflegschaft - zur nicht fristgemäßen Klagezustellung beigetragen.
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Lübeck, dem sich die Vorinstanzen ohne eigene Überprüfung angeschlossen haben, hat der Beklagte die Anfechtungsklage für den Kläger rechtzeitig erhoben.
1. Der Ablauf der Anfechtungsfrist war gemäß § 1594 Abs. 3 in Verbindung mit § 203 Abs. 2 BGB gehemmt, solange das Amtsgericht Lübeck durch unrichtige Sachbehandlung die Bestellung eines Pflegers für das beklagte Kind verzögerte.
Mit Schriftsatz vom 17. März 1988, eingegangen am 18. März 1988, hatte der nunmehrige Beklagte bei dem Amtsgericht beantragt, für das seinerzeit verklagte Kind eine "Prozeßpflegschaft" zu veranlassen. Nach Meinung des Berufungsgerichts bezog sich der Antrag auf die Bestellung eines Ergänzungspflegers und war demgemäß beim unzuständigen Gericht, nämlich beim Prozeßgericht statt beim Vormundschaftsgericht, gestellt. Diese Ansicht ist unzutreffend. Da der Schriftsatz vom 17. März 1988 eine Prozeßerklärung enthielt, kann der Senat sie eigenständig prüfen und auslegen (vgl. BGHZ 4, 328, 334; 22, 267, 269; BGH, Urt. v. 12. November 1992 - IX ZR 237/91, WM 1993, 265, 269 = ZIP 1993, 271). Danach ist davon auszugehen, daß ein Antrag gemäß § 57 Abs. 1 ZPO gestellt war. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Antrags, in dem ausdrücklich von einer "Prozeßpflegschaft" die Rede war, der Vorgeschichte - das Amtsgericht hatte dem Kläger zuvor aufgegeben, einen "Prozeßpfleger" bestellen zu lassen - sowie aus dem Umstand, daß der Antrag an das Prozeßgericht adressiert war, das nur eine Prozeßpflegschaft, aber keine Ergänzungspflegschaft anordnen konnte. Ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift gegeben waren, ist gleichgültig. Waren sie gegeben, hätte das Amtsgericht den Antrag als solchen gemäß § 57 Abs. 1 ZPO behandeln und einen Prozeßpfleger bestellen müssen. Dann hätte die Klageschrift noch vor Fristablauf zugestellt werden können. Waren die Voraussetzungen nicht gegeben, hat das Amtsgericht den Beklagten auf eine "falsche Fährte" gelockt. Die dadurch eingetretene Verzögerung ist als höhere Gewalt im Sinne von § 203 BGB zu werten (vgl. OLG Köln DAVorm 1976, 348, 350; OLG Hamm FamRZ 1977, 551, 552; MünchKomm/Mutschler, BGB 3. Aufl. § 1594 Rdnr. 10; Palandt/Diederichsen, BGB 53. Aufl. § 1594 Rdnr. 1).
2. Ohne die Hemmung ihres Ablaufs wäre die Frist gemäß § 270 Abs. 3 ZPO gewahrt gewesen.
Diese Bestimmung ist auf die Ehelichkeitsanfechtung anwendbar (MünchKomm/Mutschler, § 1599 BGB Rdnr. 2). Zwar scheidet § 270 Abs. 3 ZPO von vornherein aus, wenn auch eine vor Fristablauf erfolgte Zustellung der Klage den Lauf der Frist nicht unterbrochen hätte (BGHZ 90, 249, 254; 103, 20, 26). Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Klage oder die Zustellung (vorbehaltlich einer Heilung gemäß § 295 ZPO) unwirksam gewesen wäre. Im vorliegenden Fall hätte die Klage indessen schon seit dem 12. April 1988 wirksam an das zum Ergänzungspfleger bestellte Jugendamt gemäß § 171 Abs. 1 ZPO zugestellt werden können. Dies ist zunächst unterblieben, weil das Vormundschaftsgericht das Prozeßgericht nicht über die erfolgte Pflegerbestellung unterrichtet hat. Daß der Nachrichtenfluß zwischen den verschiedenen Abteilungen des Amtsgerichts Lübeck zu wünschen übrig ließ, durfte dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen.
Nach § 270 Abs. 3 ZPO tritt die Wirkung der Klagezustellung, sofern sie demnächst erfolgt, bereits mit der Einreichung der Klage ein. Die Zustellung ist nicht mehr "demnächst" erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozeßbevollmächtigter durch nachlässiges Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen hat (BGH, Urt. v. 8. Juni 1988 - IVb ZR 92/87, BGHR ZPO § 270 Abs. 3 "demnächst 2"; Beschl. v. 2. November 1989 - III ZR 181/88, BGHR ZPO § 270 Abs. 3 "demnächst 4"; Urt. v. 22. Juni 1993 - VI ZR 190/92, BGHR ZPO § 270 Abs. 3 "demnächst 8"). Die Verzögerung der Zustellung ist vom Tage des Fristablaufs und nicht vom Zeitpunkt einer früheren Klageeinreichung an zu messen, weil die Partei die Frist bis zum letzten Tage ausnützen darf (BGHZ 69, 361, 363; 103, 20, 29; BGH, Urt. v. 25. November 1985 - II ZR 236/84, NJW 1986, 1347, 1348). Im vorliegenden Fall wurde die lange vor dem vom Berufungsgericht angenommenen Fristende eingereichte Klage sechs Tage danach zugestellt. Verzögerungen von weniger als 14 Tagen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geringfügig und, selbst wenn sie auf einem nachlässigen Verhalten des Klägers beruhen, unschädlich (BGH, Urt. v. 1. Oktober 1986 - IVa ZR 108/85, NJW 1987, 255, 257 r. Sp., insoweit in BGHZ 98, 295 ff n. abgedr.; v. 8. Juni 1988 - IVb ZR 92/87, aaO.; v. 15. Januar 1992 - IV ZR 13/91, VersR 1992, 433, 434; v. 29. Juni 1993 - X ZR 6/93, NJW 1993, 2811, 2812; v. 1. Dezember 1993 - XII ZR 177/92, WM 1994, 439, 441; v. 26. Mai 1994 - IX ZR 57/93, NJW-RR 1994, 1210, 1211).
III. Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann keine abschließende Entscheidung treffen. Denn es kommen andere Pflichtverletzungen des Beklagten in Betracht.
1. Der Bundesgerichtshof hat schon wiederholt entschieden, daß es zu den Pflichten eines zum Prozeßbevollmächtigten bestellten Rechtsanwalts gehört, Fehlern des Gerichts entgegenzuwirken (Urt. v. 5. November 1987 - IX ZR 86/86, NJW 1988, 486, 487; v. 24. März 1988 - IX ZR 114/87, NJW 1988, 3013, 3016; v. 28. Juni 1990 - IX ZR 209/89, WM 1990, 1917, 1919).
Diese Pflicht könnte der Beklagte vernachlässigt haben, falls das Amtsgericht Lübeck vor seiner Entscheidung zu erkennen gegeben haben sollte, daß es die Anfechtungsklage für verspätet ansehe (vgl. Sitzungsniederschrift v. 8. September 1988, BA 44), und der nunmehrige Beklagte es daraufhin unterlassen haben sollte, auf die oben unter II erörterten Gesichtspunkte hinzuweisen. Das ist bisher in den Tatsacheninstanzen nicht erörtert worden; den Parteien muß deshalb Gelegenheit gegeben werden, dazu noch vorzutragen.
2. Der Kläger hat behauptet, er habe dem Beklagten das Mandat zum Jahresende 1988 entzogen, nachdem der Beklagte es trotz entsprechender Zusage und ungeachtet mehrerer Mahnungen des Klägers versäumt habe, Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil einzulegen. Diese - erhebliche - Behauptung hat der Beklagte substantiiert bestritten. Insofern sind weitere Feststellungen zu treffen.
3. Für den Fall, daß das Berufungsgericht auf der Grundlage einer dieser Pflichtverletzungen erneut zu einer Verurteilung des Beklagten gelangen sollte, wird zu beachten sein, daß der Klageantrag hinsichtlich der Zinsen unschlüssig, zumindest mißverständlich formuliert ist. Verlangt werden kann allenfalls die Verzinsung des sich monatlich steigernden Betrages. Beantragt (und zugesprochen) waren die Zinsen aus neunundzwanzig allmählich steigenden Beträgen mit unterschiedlichem Verzinsungsbeginn. Es sollte deshalb klargestellt werden, daß die Verzinsung eines jeden der genannten Beträge - bis auf den höchsten - jeweils nur für einen Monat verlangt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 2993309 |
NJW 1995, 1419 |
BRAK-Mitt 1995, 175 |
FamRZ 1995, 1484 |
DAVorm 1995, 777 |
EzFamR BGB § 1594 Nr. 4 |