Leitsatz (amtlich)
Durch § 1664 Abs. 1 BGB wird ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 Satz 1 BGB ausgeschlossen.
Normenkette
BGB § 833 S. 1, § 1664 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Coburg (Urteil vom 07.02.2020; Aktenzeichen 32 S 61/19) |
AG Coburg (Entscheidung vom 12.06.2019; Aktenzeichen 17 C 1316/18) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Coburg vom 7.2.2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz und Feststellung in Anspruch.
Rz. 2
Das Sorgerecht für die Klägerin steht ihren getrenntlebenden Eltern gemeinsam zu. Die Klägerin lebt mit ihrer Mutter in einem gemeinsamen Haushalt. Der Vater der Klägerin ging mit ihr und seinem angeleinten Hund spazieren. Als der Hund unvermittelt die Laufrichtung änderte, stolperte die zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alte Klägerin über die sich plötzlich straffende Hundeleine und stürzte auf ihr Gesicht. Der Vater der Klägerin unterhielt eine Tierhalterhaftpflichtversicherung bei der Beklagten. Die Mutter und der Vater der Klägerin unterzeichneten eine Vereinbarung, wonach der Vater der Klägerin sämtliche Ansprüche, die ihm gegen die Beklagte aus dem Versicherungsverhältnis aufgrund des Schadensereignisses zustehen, an die Klägerin abtritt.
Rz. 3
Das AG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das LG hat die Berufung der Klägerin mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unbegründet abgewiesen wird. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
A.
Rz. 4
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage zwar zulässig. Jedoch gehe die Abtretung ins Leere, da der Vater der Klägerin wegen des Schadensereignisses keine Ansprüche gegen die Beklagte habe. Es bestehe kein Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen ihren Vater aus § 833 Satz 1 BGB, da dessen Haftung gem. § 1664 Abs. 1 BGB auf die Verletzung eigenüblicher Sorgfalt beschränkt sei. Der Unfall der Klägerin stehe in einem inneren Zusammenhang mit der elterlichen Sorge, da er sich bei einem gemeinsamen Spaziergang ereignet habe. Ein Fehlverhalten des Vaters der Klägerin werde nicht behauptet und sei auch nicht ersichtlich. Vielmehr beruhe der Sturz der Klägerin allein auf der Realisierung der spezifischen Tiergefahr, nämlich der unvorhersehbaren, plötzlichen Änderung der Laufrichtung des Hundes.
B.
Rz. 5
Die Revision ist nicht begründet. Der von der Klägerin gegen die Beklagte geltend gemachte Anspruch besteht jedenfalls deshalb nicht, weil die nach den Feststellungen allein in Betracht kommende Gefährdungshaftung des Vaters der Klägerin aus § 833 Satz 1 BGB gem. § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist.
Rz. 6
I. Es sind keine Umstände festgestellt und die Revision hat kein Vorbringen als übergangen gerügt, auf deren Grundlage eine Verschuldenshaftung des Vaters der Klägerin (§ 823 BGB) in Betracht kommt.
Rz. 7
II. Ein Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB ist gem. § 1664 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.
Rz. 8
1. Nach § 1664 Abs. 1 BGB haben die Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge dem Kind gegenüber nur für die Sorgfalt einzustehen, die sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen. Diese Privilegierung der Eltern beruht auf der familienrechtlichen Verbundenheit mit dem geschädigten Kind, welche der Ausübung der Personensorge ein besonderes Gepräge verleiht (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.1995 - VI ZR 358/94 NJW 1996, 53, juris Rz. 10; v. 1.3.1988 - VI ZR 190/87, BGHZ 103, 338, juris Rz. 18). Die Haftungsbeschränkung regelt, in welchem Umfang die Eltern bei Ausübung der elterlichen Sorge gegenüber dem Kind haften (vgl. Huber in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 1664 Rz. 1). Daher gilt sie auch für deliktische Verhaltenspflichten zum Schutz der Gesundheit eines Kindes jedenfalls dann, wenn diese Schutzpflichten ganz in der Sorge für die Person des Kindes aufgehen, da ein Ausschluss des § 1664 Abs. 1 BGB in diesen Fällen mit Wortlaut und Sinn der Vorschrift nicht vereinbar wäre (vgl. BGH, Urt. v. 1.3.1988 - VI ZR 190/87, BGHZ 103, 338, juris Rz. 20; BGH, Urt. v. 27.10.1988 - III ZR 8/88, juris Rz. 14; Huber in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 1664 Rz. 9; Diederichsen, VersR Jubiläumsausgabe 1983, 141, 144 f.). Darüber hinaus wird durch § 1664 Abs. 1 BGB ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 833 Satz 1 BGB ausgeschlossen (vgl. Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 7. Aufl., § 58 Rz. 67; a.A. Heilmann in Staudinger [2016], § 1664 Rz. 37; Hilbig-Lugani, in: Soergel 13. Aufl., § 1664 Rz. 25). Dies entspricht den Wirkungen einer gesetzlichen Beschränkung der Vertragshaftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung durchschlägt mit der Folge, dass wegen desselben Verhaltens nach Deliktsrecht keine strengere Haftung stattfindet und nicht nur eine Haftung für leichte Fahrlässigkeit entfällt, sondern auch die Gefährdungshaftung nach § 833 Satz 1 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 9.6.1992 - VI ZR 49/91 NJW 1992, 2474, juris Rz. 18; v. 13.11.1973 - VI ZR 152/72, NJW 1974, 234, juris Rz. 12). Entsprechendes wird für § 1359 BGB angenommen (so KG MDR 2002, 35 f.; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht 7. Aufl., § 22 Rz. 5; Sprau, in: Palandt, BGB, 80. Aufl., § 833 Rz. 12; von Pückler, in: Palandt, 80. Aufl., § 1359 Rz. 2; Roth in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 1359 BGB Rz. 20; a.A. Erbarth, in: BeckOGK [1.9.2020], BGB § 1359 Rz. 64 f.; Luckey, Jura 2002, 477, 479/481; s. weiter Kunschert, NJW 2003, 950).
Rz. 9
Abweichendes ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht, wenn der Regelungszweck des § 1664 Abs. 1 BGB - wie die Revision meint - allein darin bestünde, das innerfamiliäre Leben möglichst wenig zu stören (vgl. zum Regelungszweck Heilmann in Staudinger [2016], § 1664 Rz. 5; Huber in MünchKomm/BGB, 8. Aufl., § 1664 Rz. 2; Diederichsen, VersR Jubiläumsausgabe 1983, 141, 142). Der Hinweis der Revision, dass die Eltern der Klägerin getrennt leben, führt nicht weiter, da es sich auch unter diesen Umständen um familiären Umgang zwischen der Klägerin und ihrem Vater handelte. Weiter ist entgegen der Ansicht der Revision unerheblich, ob ein innerfamiliärer Konflikt nicht besteht und dass Gegenstand des Rechtsstreits eine - in der Familie einvernehmliche - Auseinandersetzung mit einem Versicherungsunternehmen ist. Denn aus dem von der Revision unterstellten Regelungszweck könnte angesichts des Regelungsmechanismus des § 1664 Abs. 1 BGB jedenfalls nicht geschlossen werden, dass das Bestehen (dh die Entstehung und möglicherweise das spätere Entfallen) eines Anspruchs von den späteren, sich möglicherweise ändernden (Be-gleit-)Umständen seiner Geltendmachung abhängt. Im Übrigen kann das innerfamiliäre Leben auch dadurch gestört werden, dass es im Rahmen einer - in der Familie einvernehmlichen - Auseinandersetzung mit einem Dritten thematisiert wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn - was hier offenbleiben kann - für den Vater der Klägerin Haftpflichtversicherungsschutz bestünde (s. weiter BGH, Urt. v. 12.12.1991 - III ZR 10/91 NJW 1992, 1227, juris Rz. 16; v. 10.7.1974 - IV ZR 212/72, BGHZ 63, 51, juris Rz. 13 zur Bedeutung des Schutzes durch eine Haftpflichtversicherung).
Rz. 10
Entgegen der Auffassung der Revision kann offenbleiben, ob der Sorgfaltsmaßstab des § 1664 Abs. 1 BGB bei der Hundehaltung keine Anwendung findet, weil die dafür geltenden Regelungen keinen Raum für einen individuellen Sorgfaltsmaßstab lassen, wie es angenommen worden ist bei Schadensfällen im Straßenverkehr nach Verstoß gegen Verkehrsvorschriften für § 1359 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.2009 - VI ZR 79/08 NJW 2009, 1875 Rz. 11; BGH, Urt. v. 12.12.1991 - III ZR 10/91 NJW 1992, 1227, juris Rz. 16; v. 27.1.1977 - III ZR 173/74, BGHZ 68, 217, juris Rz. 19; v. 10.7.1974 - IV ZR 212/72, BGHZ 63, 51, juris Rz. 9 f.; v. 18.6.1973 - III ZR 207/71, BGHZ 61, 101, juris Rz. 12; v. 11.3.1970 - IV ZR 772/68, BGHZ 53, 352, juris Rz. 23) und § 708 BGB (vgl. Senat, BGH vom 24.3.2009 - VI ZR 79/08 NJW 2009, 1875 Rz. 11; v. 20.12.1966 - VI ZR 53/65, BGHZ 46, 313, juris Rz. 12; BGH, Urt. v. 27.1.1977 - III ZR 173/74, BGHZ 68, 217, juris Rz. 19; v. 11.3.1970 - IV ZR 772/68, BGHZ 53, 352, juris Rz. 23; offen zur Sportfliegerei BGH, Urt. v. 25.5.1971 - VI ZR 248/69, JZ 1972, 88, juris Rz. 14 ff.) sowie das Betreiben von Wasserski unter Verstoß gegen einen Ministerialerlass für § 1359 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.2009 - VI ZR 79/08 NJW 2009, 1875 Rz. 12, mAnm Figgener, NZV 2009, 382 und Lemcke, RuS 2009, 257). Denn ein Anspruch aus § 833 Satz 1 BGB besteht unabhängig von einer Sorgfaltspflichtverletzung.
Rz. 11
2. Als der Vater der Klägerin mit ihr einen Spaziergang machte und sie über die Hundeleine stolperte, übte dieser die elterliche Sorge über sie aus (§§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB).
Fundstellen
Haufe-Index 14310699 |
NJW 2021, 778 |
FuR 2021, 501 |
DAR 2021, 303 |
JZ 2021, 180 |
JuS 2021, 461 |
MDR 2021, 296 |
VersR 2021, 391 |
VuR 2021, 239 |
FamRB 2021, 284 |
RÜ 2021, 162 |
SVR 2021, 310 |
Jura 2021, 858 |
NZFam 2021, 266 |