Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 26.04.2002) |
Tenor
1. Auf die Revisionen des Angeklagten S. und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 26. April 2002, auch soweit es den Angeklagten B. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben,
- soweit die Angeklagten im Fall II. 3. der Urteilsgründe verurteilt worden sind,
- in den gesamten Strafaussprüchen, mit Ausnahme der gegen den Angeklagten S. in den Fällen II. 1. und II. 2. der Urteilsgründe verhängten Einzelfreiheitsstrafen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Tatbestand
Das Landgericht – Schwurgericht – hat die Angeklagten S. und B. wegen Raubes mit Todesfolge und gefährlicher Körperverletzung, den Angeklagten S. darüber hinaus wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung verurteilt. Gegen den Angeklagten B. hat es eine Jugendstrafe von sechs Jahren und gegen den Angeklagten S. eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verhängt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren zuungunsten der Angeklagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revisionen, mit denen sie im wesentlichen beanstandet, daß das Landgericht im Fall II. 3. der Urteilsgründe einen Tötungsvorsatz der Angeklagten nur unzureichend geprüft habe. Der Angeklagte S. rügt allgemein die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet das Verfahren. Die Verfahrensrüge ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 8. November 2002 zutreffend ausgeführt hat, nicht zulässig erhoben im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die fehlerhafte Annahme der Zuständigkeit des Schwurgerichts ist von keinem der Beschwerdeführer gerügt. Die auf die Sachrüge gestützten Rechtsmittel haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts im Fall II. 3. der Urteilsgründe boten die leicht alkoholisierten Angeklagten nachts dem erkennbar stark angetrunkenen, ihnen unbekannten späteren Tatopfer … P. an, es nach Hause zu bringen. Nachdem der Angeklagte S. … P. in einem Park zu Boden gestoßen hatte, schlugen und traten beide Angeklagte aufgrund eines spontanen gemeinsamen Entschlusses mit beschuhten Füßen auf das wehrlose Opfer ein. Der Geschädigte wurde mit einer „Vielzahl von Schlägen und Tritten …, die von ganz erheblicher Massivität waren”, am Kopf, am Oberkörper und am Gesäß getroffen. Nachdem die Angeklagten ihre Mißhandlungen beendet hatten, kam der Angeklagte B. „auf den Gedanken, die fortdauernde Gewalt sowie die Hilflosigkeit” des Tatopfers auszunutzen; mit Billigung des Angeklagten S. durchsuchte er den Geschädigten und entnahm dessen Taschen unter anderem einen Wohnungsschlüssel und Zigaretten, die beide später untereinander aufteilten. Den Wohnungsschlüssel behielten beide Angeklagte, um später aus der Wohnung des Opfers mitnehmenswerte Gegenstände zu entwenden. Nachdem sich die Angeklagten daraufhin „eine kurze Wegstrecke” entfernt hatten, wurde ihnen bewußt, daß sie die Wohnungsadresse des Tatopfers nicht kannten. Der Angeklagte B. kehrte zu dem Geschädigten, den er wegen der Adresse befragen wollte, zurück und schlug ihm zwei Mal mit der flachen Hand ins Gesicht; der Geschädigte nannte daraufhin dem Angeklagten B. seine Anschrift. Aus der Wohnung des Geschädigten nahmen die Angeklagten später einige Gegenstände an sich.
Das Tatopfer verstarb kurze Zeit später an den Folgen der Mißhandlungen. Angesichts der Vielzahl massiver Schläge und Tritte ließen die Angeklagten zwar „in grober Weise jedwede Sorgfalt” dem Tatopfer gegenüber außer Betracht; daß die Angeklagten dessen Tod zumindest billigend in Kauf genommen hätten, konnte nach der Überzeugung des Landgerichts jedoch nicht festgestellt werden.
Entscheidungsgründe
II.
Der Schuldspruch im Fall II. 3. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung in zweifacher Hinsicht nicht stand.
1. Mit Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihren – insoweit vom Generalbundesanwalt vertretenen – Revisionen das Fehlen einer Begründung für die Verneinung eines – wenn auch nur bedingten – Tötungsvorsatzes der Angeklagten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt der Täter bedingt vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (vgl. BGHSt 36, 1, 9; BGHR StGB § 212 Abs. 1, Vorsatz, bedingter 38, 39; BGH NStZ-RR 2000, 165 f., jeweils m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt ein entsprechend bedingter Tötungsvorsatz nahe (BGHR § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 33, 38, 51; BGH NJW 1999, 2533, 2534; BGH NStZ-RR 2000, 165 f.). Angesichts der hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten bedarf die Billigung des Todeserfolgs allerdings der sorgfältigen Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 38; BGH NStZ-RR 2000, 165 f.). Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes einen Umstand von erheblichem Gewicht dar (vgl. auch BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, 38, 39). Ferner sind die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in die gebotene Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände mit einzubeziehen (BGHSt 36, 1, 10; vgl. auch BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 39, 41; BGH NJW 1999, 2533, 2534 f.).
Die Prüfung der subjektiven Tatseite eines Tötungsdelikts anhand der dargestellten Kriterien hat das Landgericht nicht einmal ansatzweise vorgenommen. Angesichts der getroffenen Feststellungen, insbesondere der nachgewiesenen massiven Tritte gegen den Kopf des am Boden liegenden, erkennbar stark betrunkenen Opfers, reichte es nicht aus, einen bedingten Tötungsvorsatz pauschal abzulehnen. Der neue Tatrichter wird die Frage eines – bedingten – Tötungsvorsatzes unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles erneut zu prüfen haben und gegebenenfalls das Vorliegen der Mordmerkmale „heimtückisch”, „aus Habgier” und „aus niedrigen Beweggründen” (vgl. BGH NStZ 2002, 84, 85) in Betracht ziehen müssen.
2. Das Urteil weist überdies einen Rechtsfehler zuungunsten der Angeklagten S. und B. auf, der – gemäß § 301 StPO – auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie auf die Revision des Angeklagten S. – bezüglich des Angeklagten B. i.V.m. § 357 StPO – die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 3. der Urteilsgründe nach sich zieht. In dem angefochtenen Urteil ist die erforderliche finale Verknüpfung zwischen der Gewaltanwendung und der Wegnahmehandlung nicht hinreichend belegt.
Der Tatbestand des Raubes erfordert, daß die Gewalt als Mittel eingesetzt wird, um die Wegnahme der Sache zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 4, 210, 211; 20, 32, 33; BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 7 = StV 1995, 416 m.w.N.). Folgt die Wegnahme der Gewalt nur zeitlich nach, ohne daß eine finale Verknüpfung besteht, scheidet ein Schuldspruch wegen Raubes (mit Todesfolge) aus (BGHSt 32, 88, 92; 41, 123, 124; BGH NStZ 1982, 380; BGH StV 1983, 460; 1995, 416, jeweils m.w.N.).
Nach den Feststellungen faßten die Angeklagten den Entschluß, dem Geschädigten seine Habseligkeiten wegzunehmen, als sie mit den Schlägen und Tritten aufgehört hatten. Daß das Opfer bei der Wegnahme Widerstand leistete (vgl. zu dieser Fallkonstellation BGHSt 16, 341), ist nicht festgestellt. Ob die zuvor verübte Gewalt als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung fortwirkte (vgl. dazu BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt, fortwirkende 1; BGH NStZ 1982, 380 f.), etwa weil das Opfer zum Zeitpunkt, in dem die Täter den Wegnahmeentschluß faßten, noch derart eingeschüchtert war, daß es sich der Wegnahmehandlung nicht zu widersetzen wagte, und die Täter diese Situation erkannten und bewußt zum Zwecke der Wegnahme ausnutzten (vgl. BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt, fortwirkende 1; BGH NStZ 1982, 380 f. m.w.N.) oder ob die Gewalt zum Zeitpunkt der Wegnahmehandlung nur noch in der Weise fortwirkte, daß sich das Opfer im Zustand der allgemeinen Einschüchterung (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1968, 17 f.; BGH NStZ 1982, 380) oder aber der Bewußtlosigkeit (BGH DRiZ 1972, 30) befand, läßt sich den Urteilsgründen ebenfalls nicht entnehmen.
Sofern der neue Tatrichter unter Berücksichtigung des gesamten Tatablaufs erneut zu der Feststellung gelangt, daß der Wegnahmevorsatz von den Angeklagten erst nach Beendigung der Tätlichkeiten gefaßt wurde, wird er den oben genannten Zusammenhang zwischen Gewalt und Wegnahme näher zu bezeichnen haben. Für eine Verurteilung wegen Raubes mit Todesfolge müßte zudem der Tod des Opfers durch den Raub herbeigeführt worden sein (vgl. BGH NJW 1998, 3361, 3362; 1999, 1039, 1040).
III.
Als Folge der Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 3. der Urteilsgründe können die Jugendstrafe und die gegen den Angeklagten S. für diese Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe sowie die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand haben. Die – nicht zu beanstandenden – Einzelfreiheitsstrafen in den Fällen II. 1. und II. 2. der Urteilsgründe werden durch die Rechtsfehler nicht berührt.
IV.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung ist gemäß §§ 41 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, 103 Abs. 2 Satz 1 JGG eine Jugendkammer des Landgerichts zuständig, an die der Senat die Sache entsprechend § 355 StPO zurückverweist (vgl. BGHSt 42, 39, 42; Kuckein in KK 4. Aufl. § 355 Rdn. 4).
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2565510 |
NStZ 2003, 431 |
StraFo 2003, 178 |