Leitsatz (amtlich)
Durch den formularmäßigen Ausschluß der Einrede der Aufrechenbarkeit wird der Bürge unangemessen benachteiligt, wenn der Ausschluß auch für den Fall gilt, daß die Gegenforderung des Hauptschuldners unbestritten oder rechtskräftig festgestellt ist; gegebenenfalls ist der Ausschluß insgesamt unwirksam, selbst wenn im konkreten Fall die Gegenforderung weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt ist.
Hat nur der Gläubiger, nicht aber der – rechtskräftig verurteilte – Hauptschuldner die Aufrechnungsbefugnis, kann dem Bürgen gleichwohl die Einrede der Aufrechenbarkeit zustehen.
Zur Haftung einer Sparkasse wegen einer unzutreffenden Bonitätsauskunft.
Normenkette
BGB §§ 765, 770 Abs. 2; AGBG § 9; ZPO § 767 Abs. 2; AGB-Sparkassen Nr. 3 Abs. 1; BGB § 305 a.F., § 311 Abs. 1 i.d.F. vom 1.1.2002
Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Urteil vom 14.12.1999) |
LG Saarbrücken |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken vom 14. Dezember 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Beklagte zu 2 war Geschäftsführer der W. GmbH (im folgenden: Hauptschuldnerin), die einen Holzhandel betrieb. Das Stammkapital der Hauptschuldnerin belief sich auf 50.000 DM. Davon hielten der Beklagte zu 2 einen Anteil in Höhe von 26.000 DM und die Beklagte zu 1, seine Ehefrau, einen Anteil von 12.000 DM.
Am 21. August 1990 übernahmen die Beklagten eine selbstschuldnerische Bürgschaft „zur Sicherung aller bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen der Sparkasse” gegen die Hauptschuldnerin „aus ihrer Geschäftsverbindung (insbesondere aus laufender Rechnung, Krediten und Darlehen jeder Art und Wechseln) sowie aus Wechseln, die von Dritten hereingegeben werden, Bürgschaften, Abtretungen oder gesetzlichem Forderungsübergang”. Unter Nr. 2 der Bürgschaftserklärung verzichteten die Bürgen unter anderem auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 BGB. Auf die sonstigen Einreden nach § 768 BGB wurde verzichtet, „soweit sie nicht unbestritten oder nicht rechtskräftig festgestellt sind”. Unter der Nr. 9 wies die Sparkasse darauf hin, ergänzend seien ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestandteil der Bürgschaft.
Im Spätjahr 1990 stand die Hauptschuldnerin in Verkaufsverhandlungen über einen größeren Posten Kiefern-Blockware an den Holzhändler K. in Ki.. Der Beklagte zu 2 als Geschäftsführer der Hauptschuldnerin bat die Klägerin um eine Bonitätsauskunft über K.. Die Klägerin erkundigte sich ihrerseits bei der Hausbank K. 's, der Sparkasse L.. Deren Auskunft ging am 26. November 1990 bei der Klägerin ein. Die Hauptschuldnerin stellte K. unter dem 6. November 1990 und 19. Dezember 1990 Holzlieferungen im Werte von 29.334,48 DM und 51.703,62 DM in Rechnung. Die Bezahlung erfolgte durch die Hingabe von Wechseln, welche die Klägerin ankaufte. Da die Wechsel von K. nicht eingelöst wurden, wurden die Wechselsummen dem Konto der Hauptschuldnerin bei der Klägerin belastet. K. meldete im Januar 1991 Konkurs an. Anschließend wurde der Konkurs über das Vermögen der Hauptschuldnerin beantragt, aber mangels Masse nicht eröffnet. Das Konto der Hauptschuldnerin bei der Klägerin wies am 27. März 1992 einen Sollstand in Höhe von 85.584,99 DM auf. Über diese Summe erstritt die Klägerin gegen die Hauptschuldnerin ein rechtskräftiges Urteil.
Nunmehr nimmt sie in dieser Höhe die Beklagten aus deren Bürgschaften in Anspruch. Dagegen verteidigen sich diese unter anderem mit einem Schadensersatzanspruch der Hauptschuldnerin wegen Erteilung einer unrichtigen Bonitätsauskunft über K.. Die Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Globalbürgschaft sei in bezug auf beide Beklagte wirksam. Beide hätten in der Gesellschaft der Hauptschuldnerin ausreichende Einflußmöglichkeiten gehabt, um eine Ausdehnung der in Anspruch genommenen Kredite und somit auch der Bürgenhaftung zu verhindern. Die Bürgschaft der Beklagten zu 1 erscheine nicht deshalb als sittenwidrig, weil die Bürgin seinerzeit wirtschaftlich nicht in der Lage gewesen sei, die übernommene Verpflichtung zu erfüllen. Die Beklagten könnten auch nicht einwenden, daß sich die Klägerin gegenüber der Hauptschuldnerin schadensersatzpflichtig gemacht habe. Auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Abs. 2 BGB hätten sie wirksam verzichtet. Im übrigen lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß die Klägerin der Hauptschuldnerin für deren geschäftliche Dispositionen bedeutsame Informationen über K. vorenthalten habe. Die von der Sparkasse L. erhaltene Auskunft habe nicht den Schluß auf wirtschaftliche Schwierigkeiten K. 's zugelassen.
II.
Diese Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand.
1. Die Beklagte zu 1 haftet als Bürgin von vornherein nur in Höhe des sogenannten Anlaßkredits.
a) Allerdings hat das Berufungsgericht die von der Revision „vorsorglich” zur Nachprüfung gestellte Frage, ob die Verbürgung durch die Beklagte zu 1 wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) nichtig ist, mit Recht verneint. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kommt eine Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn kumulativ folgende Merkmale gegeben sind: Der Bürge wird finanziell kraß überfordert, der Vertrag erweist sich auch aus der Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als wirtschaftlich sinnlos und der Bürge handelt aus emotionaler Verbundenheit zum Hauptschuldner (BGHZ 136, 347, 351 f; 137, 329, 333 f; BGH, Urt. v. 27. Januar 2000 – IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 411). An dem zuletzt genannten Merkmal fehlt es regelmäßig, wenn das zu sichernde Darlehen einer GmbH gewährt wird, an welcher der Bürge als Gesellschafter beteiligt ist (BGHZ 137, 329, 336; BGH, Urt. v. 18. September 2001 – IX ZR 183/00, WM 2001, 2156, 2157; v. 15. Januar 2002 – XI ZR 98/01, NJW 2002, 956; v. 28. Mai 2002 – XI ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1648). Die Frage, ob dies auch dann gilt, wenn der Bürge nur einen geringen Geschäftsanteil besitzt und die übrigen Anteile einer Person gehören, der er emotional eng verbunden ist, stellt sich hier nicht. Denn mit 24 % war der Anteil der Beklagten zu 1 im Sinne dieser Rechtsprechung nicht „gering”. Im übrigen kann für den maßgeblichen Zeitpunkt der Verbürgung (vgl. BGH, Urt. v. 27. Januar 2000 – IX ZR 198/98, aaO) auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Beklagte zu 1 kraß überfordert wurde. Sie hat lediglich vorgetragen, sie sei Hausfrau und „nahezu vermögenslos” gewesen. Das hat die Klägerin bestritten. Nähere Ausführungen hierzu hat die Beklagte zu 1 nicht gemacht.
b) Der Revision ist jedoch zuzustimmen, daß – bezogen auf die Person der Beklagten zu 1 – die formularmäßig weite Zweckerklärung unwirksam ist. Sie verstößt gegen das aus § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB folgende Verbot der Fremddisposition und schränkt damit die Rechte der Bürgin in einer den Vertragszweck gefährdenden Weise ein (§ 9 Abs. 1 und 2 Nr. 2 AGBG; vgl. BGHZ 130, 19, 32; 132, 6, 8 f; 142, 213, 216).
Zwar ist eine derartige Globalbürgschaft in den Fällen wirksam, in denen sich Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter einer GmbH für die Verbindlichkeiten „ihrer” Gesellschaft verbürgen (BGHZ 143, 95, 100 f). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts zählt die Beklagte zu 1 als Minderheitsgesellschafterin aber nicht zu diesem Personenkreis (vgl. BGHZ 142, 213, 216). Daß die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung der Bestimmung der Gesellschafter unterliegen (§ 46 Nr. 6 GmbHG), ist unerheblich. Denn diese Bestimmung erfolgt, wie sich aus § 47 GmbHG ergibt, durch Mehrheitsentscheidung in der Gesellschafterversammlung. In dieser hatte die Beklagte zu 1 als Minderheitsgesellschafterin keinen bestimmenden Einfluß. Einen solchen verschaffte ihr auch nicht die in § 5 des Gesellschaftsvertrages geregelte Verpflichtung der Geschäftsführung, die Weisungen der Gesellschafter zu befolgen. Denn solche Weisungen setzten ebenfalls einen Gesellschafterbeschluß voraus. Zwar hatte jeder Gesellschafter auch für sich allein das Recht, unverzüglich Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft und Einsicht in die Bücher und Schriften zu verlangen (§ 51a Abs. 1 GmbHG). Von praktischem Nutzen ist dieses Recht aber nur dann, wenn der Gesellschafter rechtzeitig von der Absicht erfährt, den durch die Gesellschafterbürgschaft besicherten Kredit auszuweiten. Daran wird es oft fehlen. Falls die Beklagte zu 1 – wie die Klägerin vorgetragen hat – in dem Geschäft der Hauptschuldnerin als Angestellte beschäftigt war und über das Geschäftskonto verfügen konnte, hatte sie deswegen noch keine Einflußmöglichkeiten, die denen eines Allein- oder Mehrheitsgesellschafters oder eines Geschäftsführers gleichkamen (vgl. BGH, Urt. v. 16. Januar 2001 – XI ZR 84/00, NJW 2001, 1416).
Bei Unwirksamkeit der formularmäßig weiten Zweckerklärung haftet der Bürge nur für die Hauptverbindlichkeiten, die den Anlaß zur Übernahme der Bürgschaft bildeten (BGHZ 137, 153, 156 f; 143, 95, 97). Dazu ist in den Tatsacheninstanzen nichts festgestellt worden.
2. Der Beklagte zu 2 haftet als Mehrheitsgesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der Hauptschuldnerin aus der Bürgschaft vollen Umfangs, weil ihm gegenüber die formularmäßig weite Zweckerklärung wirksam ist (BGHZ 142, 213, 215 f; 143, 95, 100 f).
Der Ansicht der Revision, die Bürgschaftserklärung des Beklagten zu 2 sei nach § 139 BGB unwirksam, weil sie zusammen mit der entsprechenden Erklärung der Beklagten zu 1 in einer Urkunde abgegeben worden sei, ist nicht zu folgen. Zum einen ist die Bürgschaft der Beklagten zu 1 – wie oben ausgeführt – nicht unwirksam, sondern lediglich in ihrem Sicherungsumfang begrenzt. Zum andern ist nicht anzunehmen, daß sich der Beklagte zu 2 nicht ohne seine Ehefrau, die Beklagte zu 1, verbürgt hätte. Nach der maschinenschriftlich ausgefüllten Bürgschaftserklärung verbürgten sich „Ehel. W. Z. und/oder R. geb. L. „. Die Worte „und/oder” sprechen dafür, daß die Verbürgung des einen Ehegatten unabhängig von der Verbürgung des anderen Bestand haben soll.
3. Eine Verpflichtung beider Beklagter kann entfallen, falls sie zu Recht die Einrede der Aufrechenbarkeit (§ 770 Abs. 2 BGB) erheben. Nach derzeitiger Sach- und Rechtslage erscheint dies nicht als ausgeschlossen.
a) Das Berufungsgericht hat gemeint, die Beklagten hätten in Nr. 2 der Bürgschaftserklärung auf die Einrede der Aufrechenbarkeit wirksam verzichtet. Dem folgt der Senat nicht.
Nach § 770 Abs. 2 BGB hat der Bürge ein Leistungsverweigerungsrecht, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung des Hauptschuldners befriedigen kann. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat es bisher zugelassen, daß diese Befugnis auch durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgeschlossen wird (BGHZ 95, 350, 359 ff; BGH, Urt. v. 7. November 1985 – IX ZR 40/85, WM 1986, 95, 97; einschränkend Urt. v. 24. November 1980 – VIII ZR 317/79, NJW 1981, 761, 762). Demgegenüber vertritt das Schrifttum zunehmend die Auffassung, der formularmäßige Ausschluß benachteilige einen Bürgen unangemessen, wenn die Gegenforderung des Hauptschuldners unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sei (Reinicke/Tiedtke, Kreditsicherung 4. Aufl. Rn. 394; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz 9. Aufl. Anh. §§ 9-11 Rn. 262; MünchKomm-BGB/Habersack, 3. Aufl. § 770 Rn. 3; Palandt/Heinrichs, BGB 61. Aufl. § 9 AGBG Rn. 73 – vgl. ferner 62. Aufl. § 307 Rn. 94 –; Graf Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts 1994 Rn. 226; Fischer WM 1998, 1705, 1712; Fischer/Ganter/Kirchhof, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof 2000 S. 33, 46).
Nach nochmaliger Überprüfung schließt sich der Senat der zuletzt angeführten Meinung an. Der formularmäßige Ausschluß der Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Abs. 2 BGB verstößt gegen § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBG. Er benachteiligt den Bürgen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist mit wesentlichen Grundgedanken der §§ 765 ff. BGB nicht zu vereinbaren. Die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Abs. 2 BGB ist eine Ausprägung des Subsidiaritätsgrundsatzes (vgl. BGHZ 95, 350, 361). Der meist uneigennützig handelnde Bürge soll grundsätzlich erst dann in Anspruch genommen werden können, wenn sich der Gläubiger nicht durch Inanspruchnahme des Hauptschuldners, etwa durch Aufrechnung, befriedigen kann.
Der formularmäßige Ausschluß der Einrede des Bürgen gemäß § 770 Abs. 2 BGB ist vergleichbar der – durch § 11 Nr. 3 AGBG (§ 309 Nr. 3 BGB n.F.) verbotenen – Bestimmung, die dem Vertragspartner des Verwenders die Befugnis nimmt, mit einer unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderung aufzurechnen. Das Klauselverbot in § 11 Nr. 3 AGBG (§ 309 Nr. 3 BGB n.F.) wurzelt in dem Grundverständnis von Treu und Glauben (Hensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen, § 11 Nr. 3 AGBG Rn. 3). Dem entsprechend läßt der formularmäßige generelle Ausschluß der vergleichbaren Einrede des Bürgen gemäß § 770 Abs. 2 BGB eine angemessene Berücksichtigung seiner Interessen vermissen. Diese Bestimmung mutet es eher dem Gläubiger zu, sich durch Aufrechnung mit der verbürgten Forderung von der eigenen Schuld zu befreien, als dem Bürgen, durch Leistung auf die verbürgte Forderung des Gläubigers dem Hauptschuldner dessen Forderung zu erhalten. Das gesetzlich geschützte Interesse des Bürgen, den Gläubiger auf die Aufrechnungsmöglichkeit verweisen zu können, wird nicht durch dessen Interesse aufgewogen, sich die Gegenforderung des Hauptschuldners als anderweitige Sicherheit dienen zu lassen. Allerdings räumt das Gesetz in § 770 Abs. 2 BGB dem Bürgen nur eine schwache Rechtsposition ein. Sein Recht endet, wenn und soweit der Gläubiger die Gegenforderung erfüllt oder der Hauptschuldner auf sie verzichtet oder mit ihr gegen eine andere Forderung des Gläubigers aufrechnet. Das rechtfertigt es aber nicht, die Stellung des Bürgen noch weiter zu schwächen.
Zwar ist im vorliegenden Fall die Gegenforderung der Hauptschuldnerin weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt. Dies ist jedoch unerheblich, weil die Verzichtsklausel insgesamt unwirksam ist, wenn sie nicht von vornherein eine Ausnahme für die beiden genannten Fälle vorsieht. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion läßt es nicht zu, die Klausel teilweise aufrechtzuerhalten (Reinicke/Tiedtke, aaO; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, aaO; MünchKomm-BGB/Habersack, aaO).
Unerheblich ist ferner, daß gemäß Buchstabe A Nr. I.1 Abs. 7 der AGB-Sparkassen (Fassung Januar 1986; dem entspricht Nr. 11 Abs. 1 der Fassung Januar 1993) der Kunde unbestrittene und rechtskräftige Forderungen gegen solche der Sparkasse aufrechnen darf. Es ist schon zweifelhaft, ob sich danach auch ein Bürge auf eine Aufrechnungsmöglichkeit des Gläubigers berufen darf. Auf die zitierte Bestimmung kann sich die Klägerin jedenfalls deswegen nicht stützen, weil die AGB-Sparkassen nur „ergänzend” Bestandteil der Bürgschaft sind (Nr. 9 der Bürgschaftserklärung). Die in ihrer Tragweite unklare Bestimmung in Buchstabe A Nr. I.1 Abs. 7 der AGB-Sparkassen kann die eindeutige Regelung in Nr. 2 der Bürgschaftserklärung nicht verdrängen. Zumindest fehlt es angesichts zweier widersprüchlicher Regelungen an der notwendigen Transparenz.
b) Aus Gründen entgegenstehender Rechtskraft sind die Beklagten nicht gehindert, die Einrede der Aufrechenbarkeit zu erheben. Einer Aufrechnung seitens der – rechtskräftig verurteilten – Hauptschuldnerin steht zwar § 767 Abs. 2 ZPO entgegen. Das gegen die Hauptschuldnerin ergangene Urteil wirkt jedoch nicht gegenüber den Bürgen (BGHZ 107, 92, 96). Im übrigen ist der Hauptschuldnerin die von ihr geltend gemachte Gegenforderung nicht aberkannt worden. Vielmehr ist die Aufrechnung im Vorprozeß an dem AGB-mäßig vereinbarten Aufrechnungsverbot gescheitert.
c) Daß die Hauptschuldnerin selbst nicht mehr aufrechnen kann, hindert die Beklagten als Bürgen nicht, sich auf die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 Abs. 2 BGB zu berufen.
Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bisher offen gelassen (BGHZ 24, 97, 99). Sie wird im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Falls die Beklagten wegen der Gegenforderung der Hauptschuldnerin nur ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 273 BGB geltend machen könnten, würde dies gemäß § 274 BGB nur zu einer Verurteilung Zug um Zug führen (BGH, Urt. v. 11. März 1965 – VII ZR 102/63, WM 1965, 578, 579; Staudinger/Horn, BGB 13. Bearb. § 768 Rn. 10; MünchKomm-BGB/Habersack, § 768 Rn. 6). Die zulässigerweise erhobene Einrede der Aufrechenbarkeit bewirkt demgegenüber, daß die Klage des Gläubigers – soweit die Forderungen sich decken – als derzeit unbegründet abzuweisen ist (BGHZ 38, 122, 129; Staudinger/Horn, § 770 BGB Rn. 12; MünchKomm-BGB/Habersack, § 770 Rn. 11).
Für die Ansicht, daß der Bürge sich auf eine Aufrechenbarkeit dann nicht berufen könne, wenn nur der Gläubiger, nicht aber – wegen § 767 Abs. 2 ZPO – der Schuldner, zur Aufrechnung befugt sei, könnte zwar der akzessorische Charakter der Bürgschaft sprechen. Grundsätzlich soll der Bürge so haften, wie der Hauptschuldner haftet. Indes ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 770 Abs. 2 BGB „… solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung … befriedigen kann”), daß die Einrede der Aufrechenbarkeit dem Bürgen unabhängig davon zusteht, ob der Hauptschuldner aufrechnen kann. Zudem greift auch in dieser Hinsicht ebenfalls der Gedanke der Subsidiarität ein. Da der Bürge, der seine Verpflichtung in der Regel aus altruistischen Gründen übernommen hat, möglichst geschont werden soll, ist ihm die Einrede der Aufrechenbarkeit auch dann zu gewähren, wenn nur der Gläubiger sich durch Aufrechnung befriedigen kann, nicht aber der Hauptschuldner (Staudinger/Horn, § 770 BGB Rn. 8; BGB-RGRK/Mormann, 12. Aufl. § 770 Rn. 4; Münch-Komm/Habersack, § 770 Rn. 8; Erman/Seiler, BGB 10. Aufl. § 770 Rn. 6; Reinicke/Tiedtke, aaO Rn. 254; Graf Lambsdorff/Skora, aaO Rn. 266).
d) Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten für eine aufrechenbare Forderung der Hauptschuldnerin gegen die Klägerin nicht hinreichend vorgetragen, wird von der Revision mit Erfolg angegriffen.
aa) Nach dem Vorbringen der Beklagten hat der Beklagte zu 2 als Geschäftsführer der – erst im Januar 1990 gegründeten – Hauptschuldnerin vor der Durchführung des Geschäfts mit K. die Klägerin um Erteilung einer Auskunft über dessen Bonität gebeten. Auf Anfrage der Klägerin teilte die Sparkasse L. als Hausbank K. 's (Korrespondenzbank) der Klägerin unter dem 23. November 1990 mit, daß es sich bei der Holzhandlung K. um eine nicht im Handelsregister eingetragene Einzelfirma handele. Weiter hieß es in dem Schreiben wie folgt:
„Die Firma wurde im März 1983 gegründet. Wir haben Kredite und Darlehen auf gedeckter Basis gewährt. Es werden Überziehungen beansprucht. Es werden rege Umsätze getätigt. Unseres Wissens ist Grundbesitz vorhanden. Belastungen lassen sich durch Einsichtnahme in das Grundbuch feststellen. Zur Zeit wird eine Betriebsverlagerung nach Frankreich/Elsaß vorgenommen. Die Hauptumsätze werden künftig dort abgewickelt.
Weitere Bankverbindung: Volksbank-Raiffeisenbank L. eG.
Eingegangene Verpflichtungen sind nach unseren Beobachtungen bisher reguliert worden.”
Die Auskunft der Korrespondenzbank, die am 26. November 1990 bei der Klägerin einging, wurde von ihr nicht im Wortlaut an die Hauptschuldnerin weitergegeben. Nach der Behauptung der Beklagten teilte der mit der Sache befaßte Mitarbeiter der Klägerin dem Geschäftsführer der Hauptschuldnerin als Ergebnis der Anfrage lediglich mit: „Ich würde das Geschäft machen”. Daraufhin habe die Hauptschuldnerin das Geschäft durchgeführt. Von der Betriebsverlagerung durch K. habe sie erst nach der Auslieferung des Holzes erfahren.
bb) Danach hat die Klägerin mit der Hauptschuldnerin einen Auskunftsvertrag gemäß Nr. 7a Abs. 1 AGB-Sparkassen i.d.F. vom Mai 1988 (dem entspricht inhaltlich die Nr. 3 der derzeit geltenden Fassung vom Januar 1993) geschlossen. Die Hauptschuldnerin hat, indem sie die Klägerin um eine Bonitätsauskunft bat, jener das Angebot auf Abschluß eines derartigen Vertrages unterbreitet. Die Klägerin hat dieses Angebot spätestens zu dem Zeitpunkt angenommen, als sie der Hauptschuldnerin durch ihren Mitarbeiter das Ergebnis der bankinternen Anfrage in wertender Form „Ich würde das Geschäft machen”) mitteilen ließ. Die Auskunft war keine bloße Gefälligkeit, weil sie für den Empfänger erkennbar von erheblicher Bedeutung war und dieser sie zur Grundlage wesentlicher Vermögensverfügungen machen wollte (vgl. BGHZ 74, 103, 106; 133, 36, 42 mit weiteren Nachweisen; BGH, Urt. v. 3. Dezember 1996 – XI ZR 255/95, NJW 1997, 730, 731). Ein Geschäft mit einem Volumen von ca. 81.000 DM war für ein junges Unternehmen, dessen Stammkapital lediglich 50.000 DM betrug und das bisher – wie für die Zeit ab Anfang November 1990 durch die vorgelegten Kontoauszüge belegt worden ist – nur bescheidene Umsätze getätigt hatte, ein riskantes Vorhaben.
cc) Das Vorbringen der Klägerin rechtfertigt ferner entgegen der Meinung des Berufungsgerichts die Annahme, daß die Klägerin ihre Pflichten aus dem Auskunftsvertrag verletzt hat.
Aus der von der Korrespondenzbank erteilten Auskunft ergaben sich „Negativmerkmale”. Die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts ist für den Senat nicht bindend, weil es nicht um die Auslegung einer Willenserklärung geht. Daß Überziehungen beansprucht worden waren und „Belastungen” vorlagen, ließ für einen Kundigen – und der Angestellte der Klägerin muß als solcher betrachtet werden – den Schluß darauf zu, daß es sich bei K. um ein finanzschwaches Unternehmen handelte. Hinzu kam die Mitteilung, daß K. eine Betriebsverlagerung ins Ausland plante. Für einen Geschäftspartner, der mit einem kleinen Betrieb (Einzelfirma, nicht im Handelsregister eingetragen) ein größeres Geschäft durchführen will, ist dies ein bedenkenswerter Umstand. Denn eine Rechtsverfolgung im Ausland ist regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und verursacht höhere Kosten.
Angesichts dieser Negativmerkmale durfte der Angestellte der Klägerin der Hauptschuldnerin nicht raten, „das Geschäft” zu „machen”. Er konnte von einer Auskunft ganz absehen. Wenn er sich zu einer solchen entschloß, durfte diese bestenfalls neutral sein, etwa in dem Sinne, daß die erhaltenen Informationen nicht hinreichend aussagekräftig seien. Jedenfalls durfte er sich nicht in einer die wirklichen Verhältnisse K. 's verharmlosenden und zur Täuschung der Hauptschuldnerin geeigneten Weise äußern.
dd) Aus der irreführenden Auskunft der Klägerin kann der Hauptschuldnerin ein Schaden entstanden sein. Allerdings ist ein etwaiger Schadensersatzanspruch der Hauptschuldnerin nur auf das negative Interesse gerichtet. Den von K. nicht zu erlangenden Kaufpreis für die Holzlieferung schuldet die Klägerin unter keinen Umständen. Ebensowenig kann die Hauptschuldnerin verlangen, daß die Klägerin die infolge Nichteinlösung der Wechsel vorgenommenen Belastungsbuchungen storniert. Sie kann als Schaden jedoch den Wert des Holzes, das sie an K. geliefert hat, sowie die ihr aus dem Geschäft entstandenen Unkosten geltend machen.
Zwar hat die Hauptschuldnerin im Vorprozeß vorgetragen, sie habe an K. geliefertes Holz aufgrund ihres vorbehaltenen Eigentums zurückgeholt. Zugleich hat sie aber geltend gemacht, die damit verbundenen Unkosten seien höher gewesen als die Verwertungskosten. Feststellungen hierzu fehlen.
ee) Derzeit kann auch nicht ausgeschlossen werden, daß zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden ein ursächlicher Zusammenhang besteht.
Insofern ist entscheidend, was die Beklagten getan hätten, wenn die Auskunft der Klägerin nicht so positiv ausgefallen wäre, wie es nach der Behauptung der Beklagten der Fall war. Es ist nicht auszuschließen, daß auf einen gemäß § 139 ZPO zu erteilenden Hinweis substantiiert vorgetragen worden wäre, ohne eine eindeutig positive Aussage hätte der Beklagte zu 2 als Geschäftsführer der Hauptschuldnerin die Ausführung des von K. erteilten Auftrags sofort gestoppt. Angeblich ist das Holz insgesamt erst im Dezember 1990 an K. ausgeliefert worden.
III.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.). Zum einen ist der Anlaß der Verbürgung festzustellen. Sollte ein Kontokorrentkredit besichert werden, haften die Beklagten nur für das im Zeitpunkt der Verbürgung geltende Kreditlimit (vgl. BGHZ 130, 19, 34; 132, 6, 9 f). Zum anderen muß geprüft werden, ob die Hauptschuldnerin einen die Einrede nach § 770 Abs. 2 BGB rechtfertigenden Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin hat.
Unterschriften
Kirchhof, Ganter, Raebel, Kayser, Nešković
Fundstellen
Haufe-Index 915236 |
BGHZ 2004, 293 |
BGHZ, ja (nur a, b) |
BB 2003, 757 |
DB 2003, 1431 |
DStZ 2003, 435 |
NJW 2003, 1521 |
BGHR 2003, 548 |
EWiR 2003, 629 |
IBR 2003, 244 |
JurBüro 2003, 558 |
KTS 2003, 437 |
Nachschlagewerk BGH |
StuB 2003, 575 |
WM 2003, 669 |
WuB 2004, 475 |
ZAP 2003, 648 |
ZIP 2003, 621 |
DNotZ 2004, 41 |
JZ 2003, 845 |
MDR 2003, 585 |
BKR 2003, 293 |
NZBau 2003, 377 |
ZBB 2003, 220 |
ZGS 2003, 165 |
Kreditwesen 2003, 787 |
LMK 2003, 139 |