Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff des „Verbreitens“ in § 176c Abs. 2 StGB ist nicht im engen Sinne des Verbreitungsbegriffs des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB zu verstehen. Er erfasst vielmehr alle in § 184b Abs. 1 genannten Varianten der Hergabe oder Zugänglichmachung, darunter auch die Drittbesitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB.
2. Die bloße Absicht der Herstellung eines kinderpornographischen Inhalts (§ 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB) genügt dagegen für eine Strafbarkeit nach § 176c Abs. 2 StGB nicht; vielmehr muss zu dieser die weitere Intention einer anschließenden Handlung im Sinne einer der in § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StGB aufgeführten Verbreitungsvarianten hinzutreten.
Normenkette
StGB § 176c Abs. 2, § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Hs. 1 Alt. 1, Nrn. 2-3
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten W. wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 11. Juli 2022 hinsichtlich dieses Angeklagten
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe jeweils statt des sexuellen Missbrauchs von Kindern des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht schuldig ist;
b) im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten W. und ihre den Angeklagten R. betreffende Revision gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des den Angeklagten R. betreffenden Rechtsmittels und die diesem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten W. des sexuellen Missbrauchs von Kindern in elf Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften, in zwei Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften oder Inhalte und in zwei Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Inhalte schuldig gesprochen. Es hat seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und von der Verhängung von Jugendstrafe abgesehen. Im Übrigen hat das Landgericht den Angeklagten W. freigesprochen.
Rz. 2
Den Angeklagten R. hat die Jugendkammer unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften und in drei Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften oder Inhalte, sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.
Rz. 3
Gegen das Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren zu Ungunsten beider Angeklagten eingelegten und jeweils auf die Sachrüge, hinsichtlich des Angeklagten R. auch auf die Beanstandung der Verletzung formellen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel betreffend den Angeklagten W. hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet. Die vom Generalbundesanwalt gleichfalls vertretene Revision gegen die Verurteilung des Angeklagten R. bleibt ohne Erfolg.
I.
Rz. 4
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 5
1. Der im August 1999 geborene homosexuell veranlagte Angeklagte W., bei dem eine schwer ausgeprägte kombinierte Persönlichkeitsstörung vom Borderline- und Narzissmustyp (ICD 10: F61) diagnostiziert worden ist, verging sich im Zeitraum zwischen Oktober 2016 und März 2021 in insgesamt neun Fällen als Jugendlicher, Heranwachsender und Erwachsener sexuell an vier verschiedenen Kindern aus seinem sozialen Umfeld.
Rz. 6
a) Am 20. Oktober 2016 vollzog der seinerzeit 17 Jahre alte Angeklagte, der in einem Wohnheim für Kinder und Jugendliche unterbracht war, dort an dem fünf Jahre jüngeren Nebenkläger We. den Analverkehr und veranlasste das Kind, an ihm Oralverkehr vorzunehmen. Von dem Tatgeschehen fertigte er eine Videoaufnahme an (Fall II. 1. der Urteilsgründe). Acht Tage später penetrierte er den Nebenkläger erneut mit seinem Penis anal (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
Rz. 7
Diese Taten hat das Landgericht jeweils als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB, die erste Tat zudem als in Tateinheit hierzu begangene Herstellung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet, jeweils in der zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassung.
Rz. 8
b) An einem Tag im Zeitraum zwischen dem 12. September 2020 und dem 9. März 2021 hielt sich der Angeklagte in der Wohnung seiner Schwester auf. Als er mit deren zur Tatzeit höchstens sechs Monate alten Tochter kurzzeitig allein war, nahm er seine Nichte auf seinen Schoß und drückte seinen bekleideten Penis an ihr Gesäß; zudem nahm er die Hände des Säuglings und drückte diese in seinen Schritt. Sodann entblößte er seinen Penis und führte diesen an den Mund des Kindes, so dass die Eichel die Lippen berührte. Von den drei Tathandlungen fertigte er jeweils Fotos mit seinem Mobiltelefon an (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
Rz. 9
Die Jugendkammer hat diese Tat rechtlich zum einen als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB gewertet. Zum anderen hat sie eine tateinheitliche Strafbarkeit entweder wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung dieser Strafnorm oder - weil der exakte Tatzeitpunkt nicht zu ermitteln gewesen ist - wegen Herstellens kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der ab dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung des Straftatbestandes angenommen.
Rz. 10
c) Der Angeklagte hatte im Zeitraum zwischen Sommer 2019 und Frühjahr 2021 engen Kontakt zu seiner Cousine und deren im Mai 2016 geborenem Sohn, dem Nebenkläger K.. Wiederholt übernachtete er in deren Wohnung, wobei er mit dem Kind in einem und seine Cousine in einem anderen Zimmer schliefen. Die sich durch den Kontakt bietenden Gelegenheiten nutzte der Angeklagte an fünf unterschiedlichen Tagen aus, um an dem drei beziehungsweise vier Jahre alten Kleinkind sexuelle Handlungen vorzunehmen.
Rz. 11
aa) An einem Tag zwischen dem 26. September 2019 und dem 27. November 2020 setzte er dem Kind eine Schlafmaske auf und forderte es auf, den Mund zu öffnen. Sodann führte er seinen entblößten und erigierten Penis an den Mund des Nebenklägers, so dass die Eichel die Lippen berührte. Daraufhin wich das Kind zurück und nahm die Schlafmaske ab. Das Geschehen filmte der Angeklagte mit seinem Mobiltelefon (Fall II. 5. der Urteilsgründe).
Rz. 12
bb) Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 26. September 2019 und dem 19. Dezember 2020 nahm der Angeklagte eine Hand des Nebenklägers, führte diese oberhalb seiner Kleidung an seinen erigierten Penis und massierte diesen mit der Hand des Kindes. Sodann veranlasste er das Opfer, selbständig mit der Hand seinen Penis oberhalb der Kleidung zu massieren. Von beiden Geschehnissen fertigte der Angeklagte Videoaufnahmen an (Fall II. 6. der Urteilsgründe).
Rz. 13
cc) An einem Tag zwischen dem 26. September 2019 und dem 20. Dezember 2020 veranlasste der Angeklagte den Nebenkläger K., oberhalb seiner Unterhose seinen Penis zu kneten. Anschließend ahmte er einen Analverkehr an dem Kind nach, indem er sich hinter den im Vierfüßlerstand auf dem Bett befindlichen Nebenkläger kniete und in der Art kopulierender Bewegungen sein bekleidetes Genital mehrfach kräftig an das ebenfalls bekleidete Gesäß des Jungen stieß. Im weiteren Verlauf des Geschehens hielt er dem Kind seinen erigierten und entblößten Penis entgegen und berührte mit der Eichel den Mund des Opfers. Sodann nahm er die Hand des Nebenklägers, führte diese an seinen nackten Penis und onanierte, indem er die Hand an seinem Penis hin und her bewegte. Nachdem der Nebenkläger eingeschlafen war, zog der Angeklagte dessen Hose herunter, spreizte die Gesäßspalte des Kindes, führte seinen erigierten und entblößten Penis an das Gesäß, strich mit seiner Eichel an diesem entlang und führte sein Glied zwischen die Gesäßbacken des Opfers. Schließlich drückte der Angeklagte seinen erigierten Penis mit der Eichel an den Mund des schlafenden Kindes. Als er versuchte, mit den Fingern den Mund zu öffnen, wachte der Nebenkläger auf, so dass der Angeklagte von ihm abließ. Sämtliche beschriebenen Handlungen filmte der Angeklagte mit seinem Mobiltelefon (Fall II. 7. der Urteilsgründe).
Rz. 14
dd) Im Zeitraum vom 26. September 2019 und dem 20. Februar 2021 veranlasste der Angeklagte den Nebenkläger K. zunächst, ihm einen Kuss auf seinen bekleideten Penis zu geben, und legte anschließend die Hand des Kindes auf diesen. Sodann befeuchtete er seinen linken Mittelfinger, führte diesen in die Gesäßspalte des entblößt auf einem Bett oder Sofa liegenden Kindes ein und bewegte diesen dort leicht ein- und auswärts. Ferner führte er seinen entblößten Penis an die Gesäßbacken des Opfers und zwischen diese. Von alledem fertigte er Videoaufnahmen an (Fall II. 8. der Urteilsgründe).
Rz. 15
ee) Am 2. April 2021 legte der Angeklagte seine rechte Hand auf die bekleidete rechte Gesäßbacke des Nebenklägers und drückte mindestens zwei Mal kräftig zu, wobei er das Geschehen videografierte (Fall II. 9. der Urteilsgründe).
Rz. 16
ff) Die drei vorstehend unter I. 1. c) aa) bis cc) dargestellten Taten (Fälle II. 5. bis II. 7. der Urteilsgründe) hat das Landgericht jeweils als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in den zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassungen gewertet. Die oben unter I. 1. c) dd) geschilderte Tat (Fall II. 8. der Urteilsgründe) hat die Jugendkammer zum einen als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB qualifiziert. Zum anderen hat sie eine tateinheitliche Strafbarkeit entweder wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung dieser Strafnorm oder - weil auch hier nicht hat geklärt werden können, ob die Tat vor oder nach dem Jahreswechsel 2020/2021 begangen wurde - wegen Herstellens kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der ab dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung des Straftatbestandes angenommen. Die unter I. 1. c) ee) skizzierte Tat (Fall II. 9. der Urteilsgründe) hat das Landgericht als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in den zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassungen gewertet.
Rz. 17
d) Am 7. März 2021 hielt sich der Angeklagte bei einer guten Freundin auf, die ihren eineinhalb Jahre alten Neffen, den Nebenkläger E., zu Besuch hatte. Als er für einen kurzen Moment mit dem Kind allein war, griff er mit der Hand in den Schritt des Kleinkindes. Anschließend nahm er eine Hand des Opfers und legte diese in seinen Schritt. Von der ersten Handlung fertigte er mit seinem Mobiltelefon eine Videoaufnahme an; die zweite fotografierte er (Fall II. 10. der Urteilsgründe).
Rz. 18
Diese Tat hat das Landgericht als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in den zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassungen gewertet.
Rz. 19
2. Soweit der Angeklagte W. von seinen vorstehend geschilderten Missbrauchstaten Fotos oder Videoaufnahmen anfertigte, stellte er diese zu nicht ermittelten späteren Zeitpunkten nach ihrer Herstellung einer beziehungsweise nicht ausschließbar nur einer anderen Person zur Verfügung. In den Fällen II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe beabsichtigte er bereits bei den Missbrauchshandlungen eine Weitergabe der Aufnahmen in zumindest diesem Umfang.
Rz. 20
3. Zwei weitere Taten des Angeklagten W. betreffen das Anbieten eines Kindes zum sexuellen Missbrauch:
Rz. 21
a) Im November 2020 fragte der Angeklagte im Rahmen eines über vier Tage geführten Chats seinen Kommunikationspartner, ob dieser Interesse an einem Sexualkontakt mit seinem „Cousin“ habe, der fünf Jahre alt sei. Dabei hatte er den Sohn seiner Cousine, den Nebenkläger K., vor Augen. Er berichtete seinem Gesprächspartner, dass er den Oralverkehr an dem Kind vollzogen habe. Dieser zeigte Interesse an einem persönlichen Treffen zu dritt, woraufhin der Angeklagte ihm in Aussicht stellte, ein solches zu organisieren; dabei könne der Chatpartner ebenfalls Oralverkehr an dem Kind ausüben und dieses anschließend „ficken“. Zu der avisierten Zusammenkunft kam es indes nicht. Der Angeklagte hielt es für möglich und nahm billigend in Kauf, dass sein Kommunikationspartner das Angebot ernst nahm. Ob er tatsächlich gewillt war, das Treffen zu dritt durchzuführen und seinem Chatpartner dabei einen sexuellen Missbrauch des Nebenklägers K. zu ermöglichen, hat nicht geklärt werden können (Fall II. 4. der Urteilsgründe).
Rz. 22
b) Der Angeklagte W. lernte 2019 oder 2020 den ebenfalls homosexuellen Angeklagten R. über eine Datingplattform für homosexuelle Männer kennen; in der Folgezeit fanden mehrere persönliche Treffen statt, bei denen es auch zu sexuellen Handlungen kam. Am 12. März 2021 schlug der Angeklagte W. dem Angeklagten R. im Rahmen eines Chatverkehrs ein gemeinsames Treffen mit dem Nebenkläger K. vor, um gemeinschaftlich sexuelle Handlungen an dem Kind vorzunehmen, und zwar dieses „in den Mund [zu] wichsen“. Der Angeklagte R. zeigte sich interessiert. Der Angeklagte W. hielt es bei dem Gespräch für möglich und nahm billigend in Kauf, dass sein Kommunikationspartner das Angebot ernst nahm. Ob er tatsächlich gewillt war, das Treffen zu dritt durchzuführen und dem Angeklagten R. die Gelegenheit zu einem sexuellen Missbrauch des Nebenklägers K. zu geben, hat die Strafkammer nicht festzustellen vermocht. Letztlich kam es nicht zu dem vom Angeklagten W. angebotenen Treffen (Fall II. 18. der Urteilsgründe).
Rz. 23
c) Das Landgericht hat diese beiden Taten jeweils als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Variante 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassung gewertet.
Rz. 24
4. Die Jugendkammer hat - der Bewertung des Gutachtens einer psychiatrischen Sachverständigen folgend - angenommen, dass der Angeklagte W. bei Begehung der Taten II. 3. bis II. 10 und II. 18 der Urteilsgründe bei erhaltener Einsichtsfähigkeit wegen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung vom Borderline- und Narzissmustyp, welche das Landgericht als schwere andere seelische Störung i.S.d. § 20 StGB eingeordnet hat, in seiner Steuerungsfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt, diese jedoch nicht aufgehoben war. Hinsichtlich der Taten II. 1. und II. 2. der Urteilsgründe hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar erheblich eingeschränkt war. Die Jugendkammer hat die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern wie die urteilsgegenständlichen begehen werde, und daher seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erforderlich erachtet. Die Verhängung einer Jugendstrafe, auf die nach Wertung des Landgerichts gemäß § 32 Satz 1 JGG einheitlich zu erkennen gewesen wäre, neben der Unterbringung hat die Jugendkammer für entbehrlich erachtet und daher hiervon gemäß § 5 Abs. 3 JGG abgesehen.
Rz. 25
5. Der im Jahre 1977 geborene Angeklagte R. hatte eine Vielzahl von sexuellen Kontakten mit erwachsenen Männern, aber auch sexuelles Interesse an männlichen Kindern und Jugendlichen. Nachdem seine Cousine am 24. oder 25. Dezember 2019 in eine Wohnung in dem von ihm bewohnten Mehrfamilienhaus eingezogen war, hatte er Umgang mit deren im Februar 2018 geborenem Sohn, dem Nebenkläger Ko.. Der Nebenkläger hielt sich wiederholt in der Wohnung und einer Hinterhofwerkstatt des Angeklagten auf; auch übernachtete er mehrfach bei ihm. Diese Gelegenheiten nutzte der Angeklagte dazu, sich an dem Kleinkind an sechs verschiedenen Tagen sexuell zu vergehen. Von allen Taten fertigte er Videoaufnahmen mit seinem Mobiltelefon an.
Rz. 26
a) In der Zeit zwischen dem 24. Dezember 2019 und Mitte September 2020 beging der Angeklagte drei Taten zum Nachteil des Nebenklägers Ko.: Bei einem Zusammentreffen mit dem Kind in seiner Werkstatt führte er seinen entblößten und erigierten Penis an den Mund des Opfers (Fall II. 11. der Urteilsgründe). Bei einer anderen Gelegenheit drang er - ebenfalls in seiner Werkstatt - mit seinem entblößten Penis in den Mund des Kindes ein (Fall II. 12. der Urteilsgründe). Ferner veranlasste der Angeklagte das Kind dazu, im Badezimmer seiner Wohnung mit der Hand seinen - des Angeklagten - entblößten Penis anzufassen (Fall II. 13. der Urteilsgründe).
Rz. 27
Das Landgericht hat die erste und dritte vorgenannte Tat (Fälle II. 11. und II. 13. der Urteilsgründe) jeweils als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in den im Tatzeitraum geltenden Gesetzesfassungen gewertet. Die zweite Tat (Fall II. 12. der Urteilsgründe) hat die Jugendkammer wegen der mit einem Eindringen in den Körper des Opfers einhergehenden Handlung rechtlich als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in den im Tatzeitraum geltenden Gesetzesfassungen eingeordnet.
Rz. 28
b) Im Zeitraum zwischen dem 24. Dezember 2019 und Ende Mai 2021 verübte der Angeklagte drei weitere Missbrauchstaten zum Nachteil des Nebenklägers Ko.: Bei einer Gelegenheit spreizte er die Gesäßbacken des entblößt auf dem Bauch liegenden Kindes auseinander, so dass der Ansatz des Afters sichtbar wurde. Davor oder danach, jedenfalls aber bei dieser Gelegenheit, onanierte der Angeklagte und ejakulierte auf das nackte Gesäß des Nebenklägers (Fall II. 14. der Urteilsgründe). An einem anderen Tag führte er in seiner Wohnung einen Finger zwischen die entblößten Gesäßbacken des Opfers (Fall II. 15. der Urteilsgründe). Schließlich zog er dem Nebenkläger bei einem weiteren Zusammentreffen in seiner Wohnung die Hose herunter und führte einen Prostatavibrator zwischen die Gesäßbacken des Kindes (Fall II. 16. der Urteilsgründe).
Rz. 29
Das Landgericht hat die drei vorgenannten Taten zum einen jeweils als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB gewertet. Zum anderen hat es in allen drei Fällen eine tateinheitliche Strafbarkeit entweder wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung dieser Strafnorm oder - weil der exakte Tatzeitpunkt nicht zu ermitteln gewesen ist - wegen Herstellens kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der ab dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung des Straftatbestandes angenommen.
Rz. 30
6. Eine weitere Tat des Angeklagten R. betrifft das Anbieten eines Kindes zum sexuellen Missbrauch: Am 22. März 2021 chattete der Angeklagte mit einer gesondert verfolgten Person über eine Datingplattform für homosexuelle Männer. Sein Gesprächspartner, der darüber informiert war, dass der Angeklagte sexuelle Handlungen an dem Sohn seiner Cousine - dem Nebenkläger Ko. - vornahm, zeigte Interesse, an dem Missbrauch teilzuhaben. Daraufhin erklärte der Angeklagte, er wolle versuchen, eine Übernachtung des Kindes bei sich zu organisieren und dieses auszuziehen. Dann könne der Gesprächspartner hinzukommen. Dieser teilte mit, er wolle das schlafende Kind mit seinem Penis penetrieren, worauf sich der Angeklagte zustimmend äußerte. Zu dem verabredeten Treffen kam es indes nicht. Der Angeklagte hielt es für möglich und nahm billigend in Kauf, dass sein Kommunikationspartner das Angebot ernst nahm. Ob er tatsächlich gewillt war, das Treffen durchzuführen und seinem Chatpartner dabei einen sexuellen Missbrauch des Nebenklägers Ko. zu ermöglichen, hat nicht geklärt werden können (Fall II. 17. der Urteilsgründe).
Rz. 31
Das Landgericht hat diese Tat als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Variante 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Gesetzesfassung gewertet.
II.
Rz. 32
Die Teilfreisprüche der Angeklagten sind von den Revisionen der Staatsanwaltschaft nicht erfasst. Zwar wird eingangs der Revisionsbegründung ausgeführt, es werde „das gesamte Urteil zur sachlich-rechtlichen Nachprüfung gestellt“. Indes moniert die Staatsanwaltschaft im Folgenden in ihrer Rechtfertigungsschrift allein die Schuldsprüche und die an diese anknüpfenden Rechtsfolgenentscheidungen. Die gebotene Auslegung der Rechtsmittel (§ 300 analog StPO; vgl. BGH, Urteile vom 30. November 2017 - 3 StR 385/17, NStZ-RR 2018, 86; vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 2) ergibt daher, dass die Teilfreisprüche nicht angegriffen werden sollen. Dies gilt umso mehr, als den Urteilsgründen zu entnehmen ist, dass diese jedenfalls zum Teil auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft hin ergangen sind.
III.
Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten W.
Rz. 33
Die auf die Sachrüge im Umfang der Anfechtung gebotene materiellrechtliche Überprüfung des Urteils führt zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs betreffend den Angeklagten W. und als deren notwendige Konsequenz zu einer Aufhebung des auf ihn bezogenen Rechtsfolgenausspruchs.
Rz. 34
1. Zu Recht rügt die Staatsanwaltschaft den Schuldspruch hinsichtlich der Fälle II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe. Auf der Basis der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte in diesen Fällen jeweils statt des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB aF des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 3 StGB aF schuldig gemacht.
Rz. 35
a) Die Jugendkammer hat ihrer rechtlichen Beurteilung dieser Taten einen zu engen Verbreitungsbegriff des § 176a Abs. 3 StGB aF (§ 176c Abs. 2 StGB) zu Grunde gelegt. Sie hat angenommen, eine Verbreitungsabsicht im Sinne dieses Qualifikationstatbestandes sei nur gegeben, wenn der Täter bei dem sexuellen Missbrauch mit der Intention handele, hiervon eine kinderpornographische Schrift oder einen kinderpornographischen Inhalt anzufertigen und diese(n) später im Sinne des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB zu verbreiten, also einem größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten Personenkreis zugänglich zu machen. Das habe nicht festgestellt werden können. Denn der Angeklagte habe die hergestellten Videoaufnahmen und Fotos nach den Taten lediglich einer beziehungsweise nicht ausschließbar nur einer weiteren Person zur Verfügung gestellt. Er habe sich zwar in der Hauptverhandlung durch eine von ihm bestätigte Verteidigererklärung dahin geständig eingelassen, die Aufnahmen in den Fällen II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe hergestellt zu haben, um sie nachfolgend zu verbreiten. Da er sie aber später nicht beziehungsweise nicht sicher feststellbar im Sinne des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB verbreitet habe und der Begriff der Verbreitung im allgemeinen Sprachgebrauch auch die Weitergabe an lediglich eine Person erfasse, könne nicht ausgeschlossen werden, dass er seine Missbrauchstaten lediglich in der Absicht gefilmt beziehungsweise fotografiert habe, die Aufnahmen später einer einzigen anderen Person zukommen zu lassen, was für eine Verwirklichung des § 176a Abs. 3 StGB aF nicht genüge.
Rz. 36
b) Dieses Normverständnis der Jugendkammer ist unzutreffend; damit geht auch ihre rechtliche Einordnung der festgestellten Taten fehl.
Rz. 37
Der Begriff des „Verbreitens“ in § 176a Abs. 3 StGB aF ist - ebenso wie der in der Nachfolgevorschrift des § 176c Abs. 2 StGB - nicht im engen Sinne des Verbreitungsbegriffs des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB zu verstehen. Denn § 176a Abs. 3 StGB aF verweist, wie auch § 176c Abs. 2 StGB, auf § 184b Abs. 1 und Abs. 2 StGB insgesamt und erfasst damit alle dort genannten Varianten der Hergabe oder Zugänglichmachung, darunter auch die - in den hier erörterten Fällen jeweils zumindest intendierte und später auch verwirklichte - Drittbesitzverschaffung gemäß § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB. Insofern wird mit der Verwendung des Begriffs des Verbreitens auf die gesetzliche Überschrift des § 184b StGB, in der das Wort „Verbreitung“ als Sammelbegriff für die vom Tatbestand erfassten unterschiedlichen Varianten der Weitergabe beziehungsweise Zugänglichmachung verwendet wird, und nicht speziell auf § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB Bezug genommen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2023 - 3 StR 69/23, juris Rn. 5; Urteil vom 28. April 2021 - 2 StR 47/20, BGHSt 66, 105 Rn. 19 ff.; Beschluss vom 4. August 2009 - 3 StR 174/09, juris Rn. 27; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 176a Rn. 12b; LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 176c Rn. 56; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 176a Rn. 25; MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 176a Rn. 33; BeckOK StGB/Ziegler, 60. Ed., § 176c Rn. 16).
Rz. 38
c) Hieran gemessen ergibt sich aus den Urteilsgründen eine Strafbarkeit des Angeklagten in den Fällen II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe jeweils wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht. Die Feststellung, dass der Angeklagte in diesen Fällen die Fotos und Videos mit zumindest der - hinreichenden - Absicht herstellte, sie einer weiteren Person zugänglich zu machen, also im Sinne des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu verwenden, wird durch die Beweiswürdigung tragfähig belegt.
Rz. 39
Denn der Angeklagte hat - wie ausgeführt - ausweislich der Urteilsgründe in der Hauptverhandlung durch Verteidigererklärung eingeräumt, die Aufnahmen in diesen Fällen in der Absicht angefertigt zu haben, sie anschließend zu verbreiten. Das Landgericht hat auf der Basis der (insoweit) geständigen Einlassung des Angeklagten festgestellt, dass dieser sich im Internet in pädophilen Kreisen bewegte. Er habe in dieser Szene durch das Beisteuern eigenen einschlägigen Materials beweisen wollen, dass er „dazugehöre“. Ausweislich der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung dahin geäußert, er habe die Aufnahmen von den Missbrauchshandlungen gemacht, „um mit anderen in der Pädophilie-Szene Kontakt haben zu können“. Unerheblich ist, wie dargetan, ob er möglicherweise - was die Strafkammer nicht auszuschließen vermocht hat - die Intention hatte, die Aufnahmen jeweils lediglich einer anderen Person zu Verfügung zu stellen, und die Verwendung des Begriffs des Verbreitens in seiner Einlassung - ungeachtet des Umstandes, dass diese mittels Verteidigererklärung vorgebracht worden ist - im Sinne einer Weitergabe an jeweils einen einzigen Dritten gemeint gewesen ist. Denn dies genügte. Damit hat die spätere tatsächliche Hergabe der Aufnahmen an (nicht ausschließbar) nur eine Person keinen gegen eine Verbreitungsabsicht im Sinne des § 176a Abs. 3 StGB aF sprechenden Indizwert. Vielmehr stützt diese Weitergabe die festgestellte (und von ihm eingeräumte) Absicht des Angeklagten bei der Herstellung der Aufnahmen, diese später mindestens einer anderen Person zur Verfügung zu stellen.
Rz. 40
Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass der Angeklagte in den Fällen II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe jeweils statt des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB aF des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 3 StGB aF schuldig ist (zur Tenorierung vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2023 - 3 StR 123/23, juris Rn. 9; vom 9. Mai 2023 - 4 StR 119/22, juris Rn. 6; vom 4. April 2023 - 3 StR 69/23, juris Rn. 7). § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der (auch) hinsichtlich der Verbreitungsabsicht geständige Angeklagte insofern nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 41
2. Im Übrigen lässt der Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Vorteil oder zum Nachteil (§ 300 StPO) des Angeklagten W. erkennen. Insofern ist Folgendes auszuführen:
Rz. 42
a) Entgegen dem Revisionsvorbringen ist nicht zu beanstanden, dass die Jugendkammer im Fall II. 1. der Urteilsgründe eine Strafbarkeit gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 3 StGB aF wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht verneint hat. Zwar übersandte der Angeklagte auch in diesem Fall die hergestellte Videoaufnahme einem Dritten, indes geben die Urteilsgründe keinen Anhalt für die Annahme, dass er dies bereits zum Zeitpunkt des Missbrauchs des Nebenklägers We. beabsichtigte. Denn das die Verbreitungsabsicht im Sinne des § 176 Abs. 3 StGB aF einschließende Geständnis hat sich nicht auf diese Tat bezogen. Zudem bewegte sich der Angeklagte seinerzeit noch nicht in der Szene, in der er sich später durch das Zurverfügungstellen eigenen „Materials“ beweisen wollte, und handelte es sich bei dem späteren Empfänger der Videoaufnahme dieser Tat um einen damaligen erwachsenen männlichen Sexualpartner des Angeklagten.
Rz. 43
Eine Strafbarkeit des Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 3 StGB aF wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht lässt sich nicht damit begründen, § 176a Abs. 3 StGB aF (und § 176c Abs. 2 StGB) erfasse mit dem pauschalen Verweis auf § 184b Abs. 1 und 2 StGB auch die bloße Herstellung kinderpornographischer Schriften oder Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB, so dass bereits immer dann ein schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in kinderpornographischer Absicht gegeben sei, wenn der Täter in der Absicht handele, das Missbrauchsgeschehen zu fotografieren oder zu filmen, also eine kinderpornographische Schrift oder einen kinderpornographischen Inhalt herzustellen (so aber LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 176c Rn. 56). Diese Auffassung geht fehl. Hiergegen spricht bereits der Wortlaut des § 176a Abs. 3 StGB aF (und § 176c Abs. 2 StGB). Nach diesem muss die doppelte Absicht vorliegen, erstens die Missbrauchstat zum Gegenstand einer kinderpornographischen Schrift beziehungsweise eines kinderpornographischen Inhalts zu machen, also eine(n) solche(n) bei der Tat zu erstellen, und zweitens die Schrift oder den Inhalt anschließend - also nach der Herstellung - zu verbreiten (MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 176a Rn. 33; vgl. insofern auch BT-Drucks. 13/8587, S. 32). Wenngleich der Begriff des „Verbreitens“ des § 176a Abs. 3 StGB aF (und § 176c Abs. 2 StGB) - wie dargetan - nicht im engen Sinne des Verbreitungsbegriffs des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 Alternative 1 StGB zu verstehen ist, so hat er doch einen eigenständigen Bedeutungsgehalt dahin, dass die bloße Absicht der Herstellung einer kinderpornographischen Schrift beziehungsweise eines kinderpornographischen Inhalts nicht genügt, sondern zu dieser die weitere Intention einer anschließenden Handlung im Sinne einer der in § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 aufgeführten Verbreitungsvarianten hinzutreten muss. Daraus, dass § 176a Abs. 3 StGB aF (und § 176c Abs. 2 StGB) nicht auf § 184b Abs. 3 StGB verweist, folgt ebenfalls, dass sich ein Täter des sexuellen Missbrauchs, der allein in der Absicht der Erlangung von Eigenbesitz an der betreffenden kinderpornographischen Schrift beziehungsweise dem betreffenden kinderpornographischen Inhalt handelt, nicht nach der Qualifikation strafbar macht (so auch BGH, Urteil vom 28. April 2021 - 2 StR 47/20, BGHSt 66, 105 Rn. 31). Diesem Normverständnis entspricht der Zweck des Qualifikationstatbestandes, den erhöhten Unrechtsgehalt einer (intendierten) Weitergabe einer bildlichen Perpetuierung des Missbrauchs, der nicht zuletzt in der hiermit verbundenen über den Missbrauch hinausgehenden Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Opfers begründet liegt, zu erfassen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2021 - 2 StR 47/20, BGHSt 66, 105 Rn. 24 ff.: s. ferner BT-Drucks. 13/8587, S. 32).
Rz. 44
b) Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften beziehungsweise Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt. Die Strafbarkeit nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB tritt nicht hinter diejenige nach § 176a Abs. 3 StGB aF, § 176c Abs. 2 StGB zurück, sondern steht zu ihr im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB). Denn die tatsächliche Herstellung kinderpornographischer Inhalte erfordern § 176a Abs. 3 StGB aF und § 176c Abs. 2 StGB nicht. Das hierin liegende weitere Unrecht wird von dieser Norm mithin nicht erfasst (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2023 - 3 StR 123/23, juris Rn. 14; vom 8. Februar 2023 - 2 StR 136/21, juris Rn. 5; vom 31. März 2021 - 4 StR 48/21, juris Rn. 4; vom 15. Januar 2020 - 2 StR 321/19, juris Rn. 23; LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 176c Rn. 49, 77; MüKoStGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 176a Rn. 32).
Rz. 45
c) Nicht zu beanstanden ist, dass die Jugendkammer den Angeklagten W. in den Fällen II. 3. und II. 8. der Urteilsgründe tateinheitlich des Herstellens kinderpornographischer Schriften oder Inhalte schuldig gesprochen, also im Schuldspruch Schriften und Inhalte alternativ benannt hat. Denn zu diesen Taten, bei denen der Angeklagte Fotos beziehungsweise Videoaufnahmen von den Missbrauchshandlungen anfertigte, hat jeweils keine exakte Tatzeit, sondern nur eine im Jahr 2019 beginnende und im Jahr 2021 endende Zeitspanne festgestellt werden können, in der die Taten begangen wurden. Der einschlägige Straftatbestand des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB wurde zum 1. Januar 2021, also innerhalb des jeweiligen Tatzeitraums, dahin geändert, dass der Begriff „Schriften“ durch die Bezeichnung „Inhalte“ ersetzt wurde; die Strafandrohung blieb unverändert. Eine Änderung in Gestalt einer erhöhten Strafandrohung erfuhr die Strafvorschrift erst mit Wirkung zum 1. Juli 2021, mithin später als die hiesigen Taten. Keine der beiden zeitlich in Betracht kommenden Fassungen der Strafnorm erweist sich als für den Angeklagten vorteilhaft, so dass nicht zu seinen Gunsten Tatbegehungen vor oder nach dem 1. Januar 2021 anzunehmen gewesen sind. Angesichts dessen ist gegen die alternative Tatbezeichnung nichts zu erinnern.
Rz. 46
d) Zu Recht hat die Jugendkammer den Angeklagten W. in den Fällen, in denen sie - zutreffend - eine Strafbarkeit wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften beziehungsweise Inhalte angenommen hat, nicht auch (in weiterer Tateinheit) wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften beziehungsweise Inhalte gemäß § 184b Abs. 3 StGB verurteilt. Zwar verwahrte er die angefertigten Aufnahmen. Die Besitzstrafbarkeit tritt indes hinter derjenigen wegen Herstellung der betreffenden Aufnahmen zurück; sie stellt sich hier als subsidiäre Auffangstrafbarkeit dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2023 - 3 StR 123/23, juris Rn. 15; vom 31. März 2021 - 4 StR 48/21, juris Rn. 4 ff.; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184b Rn. 61; NK-StGB/Papathanasiou, 6. Aufl., § 184b Rn. 55; BeckOK StGB/Ziegler, 60. Ed., § 184b Rn. 29).
Rz. 47
e) Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte W. alle von ihm angefertigten Aufnahmen zu nicht ermittelten Zeitpunkten nach ihrer Herstellung einer beziehungsweise nicht ausschließbar nur einer weiteren Person zur Verfügung stellte. Darin, dass es ihn nicht auch wegen Drittbesitzverschaffung kinderpornographischer Schriften beziehungsweise Inhalte gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt hat, ist jedoch kein Verstoß gegen die richterliche Kognitionspflicht zu erblicken, weil diese gesonderten prozessualen Taten nicht Gegenstand der Anklage gewesen sind (vgl. zur konkurrenzrechtlichen Beurteilung BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 - 2 StR 321/19, juris Rn. 23 ff.: keine Verklammerung der Herstellung und der Drittbesitzverschaffung aufgrund durchgehenden eigenen Besitzes).
Rz. 48
f) Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 4. und II. 18. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Variante 1 aF StGB durch das Anbieten eines Kindes zur Vornahme sexueller Handlungen an diesem lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ein tatbestandsmäßiges Anbieten - sowohl im Sinne des § 176 Abs. 5 Variante 1 StGB aF als auch im Sinne der inhaltsgleichen Nachfolgevorschrift § 176 Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB nF - liegt vor, wenn der Täter gegenüber einer anderen Person ausdrücklich oder konkludent erklärt, er sei willens und in der Lage, ein bestimmtes - allerdings nicht notwendigerweise anhand der Erklärung identifizierbares - Kind für sexuelle Handlungen zur Verfügung zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 4 StR 381/12, BGHR StGB § 176 Abs. 5 Anbieten 1 Rn. 5; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 176 Rn. 10). Dies erfolgte jeweils. Das angebotene Kind war in beiden Fällen hinreichend bestimmt, denn es ging um den Nebenkläger K..
Rz. 49
Unerheblich ist, dass die Jugendkammer nicht hat feststellen können, ob der Angeklagte seine Angebote ernst meinte und tatsächlich Zusammentreffen mit dem feilgebotenen Kind organisieren wollte oder - wie er es geltend gemacht hat - in den Chats nur (wahrheitswidrig) vorgab, das Kind zur Vornahme sexueller Handlungen an diesem zur Verfügung stellen zu wollen und zu können. Denn für die Verwirklichung des § 176 Abs. 5 Variante 1 StGB aF war - und dasselbe gilt für die Nachfolgevorschrift § 176 Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB nF - nicht erforderlich, dass der Täter sein Versprechen erfüllen will oder kann. Es genügte und genügt, wenn das Angebot als ernst gemeint erscheinen kann und der Täter dies in seinen - zumindest bedingten - Vorsatz aufgenommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 4 StR 381/12, BGHR StGB § 176 Abs. 5 Anbieten 1 Rn. 5; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 176 Rn. 10). Das ist von der Jugendkammer jeweils festgestellt und tragfähig belegt worden.
Rz. 50
3. Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe bedingt die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs betreffend den Angeklagten W.. Über die Rechtsfolgenentscheidungen wird neu zu verhandeln und zu entscheiden sein.
Rz. 51
a) Die Jugendkammer hat gemäß § 5 Abs. 3 JGG die Verhängung von Jugendstrafe neben der - als solche rechtsfehlerfrei angeordneten - Unterbringung des Angeklagten W. in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 7 Abs. 1 JGG i.V.m. § 63 StGB für entbehrlich gehalten und ausgeführt, Jugendstrafe neben der Unterbringung sei weder aus erzieherischen Gesichtspunkten noch unter dem Aspekt eines gerechten Schuldausgleichs erforderlich. Die gebotene erzieherische Einwirkung werde durch die psychiatrische Behandlung geleistet. Hinsichtlich der Erforderlichkeit eines Schuldausgleichs hat die Strafkammer ausgeführt, sie hätte gegen den Angeklagten ohne die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen schädlicher Neigungen und der Schwere der Schuld eine Jugendstrafe von vier Jahren und neun Monaten für erforderlich erachtet. Mit der psychiatrischen Sachverständigen sei davon auszugehen, dass es voraussichtlich einer mindestens etwa fünfjährigen Behandlung des Angeklagten in der geschlossenen Unterbringung eines psychiatrischen Krankenhauses bedürfe. Wegen der damit verbundenen voraussichtlich zumindest fünfjährigen Freiheitsentziehung sei eine Jugendstrafe auch unter dem Gesichtspunkt des Schuldausgleichs nicht erforderlich.
Rz. 52
b) Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht eine höhere hypothetische Jugendstrafe als geboten erachtet hätte, wenn sie berücksichtigt hätte, dass der Angeklagte in den Fällen II. 3. und II. 5. bis II. 10. der Urteilsgründe, mithin in sieben von elf urteilsgegenständlichen Fällen, des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht schuldig ist. Daher kann ebenso wenig ausgeschlossen werden, dass es bei zutreffender rechtlicher Beurteilung die Verhängung von Jugendstrafe nicht als entbehrlich erachtet hätte. Die Entscheidung des Landgerichts, gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung von Jugendstrafe abzusehen, hat daher keinen Bestand.
Rz. 53
c) Dies zwingt wegen des besonders engen Sachzusammenhangs zwischen der Verhängung von Jugendstrafe und der Maßregelanordnung zur Aufhebung auch der für sich genommen rechtsfehlerfrei begründeten Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2023 - 3 StR 299/13, juris Rn. 4; vom 17. September 2013 - 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28; Urteil vom 16. April 2015 - 3 StR 5/15, juris Rn. 9 f.).
Rz. 54
d) Die jeweils zugehörigen Feststellungen sind von dem reinen Wertungsfehler nicht betroffen; sie können deshalb aufrechterhalten werden (§ 353 Abs. 2 StPO).
IV.
Rz. 55
Revision der Staatsanwaltschaft betreffend den Angeklagten R.
Rz. 56
1. Die Verfahrensrüge, die Jugendkammer habe in Bezug auf die Fälle II. 15. und II. 16. der Urteilsgründe einen im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführten Chatverkehr des Angeklagten R. mit dem gesondert verfolgten B. rechtsfehlerhaft nicht in ihre in den Urteilsgründen niedergelegte Beweiswürdigung einbezogen und damit gegen § 261 StPO verstoßen (Inbegriffsrüge), ist zulässig erhoben, jedoch unbegründet.
Rz. 57
a) Gegen die Zulässigkeit der Verfahrensrüge, mit welcher der gesamte Chatverkehr sowie die Anordnungen und Feststellungen betreffend das Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) vorgetragen worden sind, bestehen keine Bedenken. Mit einer Verfahrensbeschwerde kann geltend gemacht werden, dass eine verlesene beziehungsweise im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführte Urkunde nicht, unvollständig oder unrichtig im Urteil gewürdigt worden sei, wenn der Nachweis ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung geführt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2022 - 3 StR 318/21, juris Rn. 4; vom 19. Mai 2021 - 1 StR 442/20, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 53 Rn. 21; Urteil vom 13. Juli 2017 - 3 StR 148/17, NStZ 2018, 158; Beschluss vom 10. Juli 2018 - 3 StR 204/18, StraFo 2019, 38; MüKoStPO/Kreicker, 2. Aufl., § 249 Rn. 80 mwN). Dies ist hier der Fall, weil mit der Inbegriffsrüge nach § 261 StPO allein beanstandet wird, der durch das Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführte Chatverkehr sei in den Urteilsgründen nicht berücksichtigt worden. Ob dies zutrifft, kann ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung allein durch Vergleich des Inhalts des Chatverkehrs mit der Urteilsurkunde geprüft werden.
Rz. 58
b) Die Rüge ist jedoch unbegründet.
Rz. 59
aa) Zwar verlangt § 261 StPO eine umfassende Würdigung der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise. Das Tatgericht ist jedoch nicht gehalten, in den Urteilsgründen auf jedes Vorbringen einzugehen und jeden erhobenen Beweis zu behandeln. Bleibt ein Beweismittel unerwähnt, ist hieraus nicht zu schließen, dass es übersehen worden ist, denn die Darstellung der Beweiswürdigung im Urteil dient nicht dazu, für alle Sachverhaltsfeststellungen einen Beleg zu erbringen oder mitzuteilen, welche Beweise in der Hauptverhandlung erhoben worden sind. Andererseits dürfen die Urteilsgründe jedoch Umstände, welche geeignet sind, die Entscheidung zu beeinflussen, nicht stillschweigend übergehen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2017 - 3 StR 148/17, NStZ 2018, 158; vom 4. August 2011 - 3 StR 120/11, NStZ 2012, 49; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rn. 205). Entscheidend ist, ob der betreffende Umstand nach der zum Zeitpunkt der Urteilsfindung gegebenen Beweislage erörterungsbedürftig gewesen ist, sich also nach dieser eine Behandlung in den Urteilsgründen aufgedrängt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2017 - 4 StR 406/16, NStZ-RR 2017, 185; Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 120/11, NStZ 2012, 49; MüKoStPO/Bartel, 2. Aufl., § 261 Rn. 109, 432; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 261 Rn. 48; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rn. 206).
Rz. 60
bb) Hieran gemessen hat sich die Jugendkammer mit dem Chatverkehr nicht in Bezug auf die Fälle II. 15. und II. 16. der Urteilsgründe auseinanderzusetzen brauchen. Dies ergibt sich ungeachtet der nur eingeschränkten Möglichkeiten des Revisionsgerichts, die Beweislage zum Zeitpunkt der Urteilsfindung zu beurteilen, bereits aus der im Urteil dargestellten Beweiswürdigung.
Rz. 61
(1) Die Staatsanwaltschaft macht geltend, die Strafkammer wäre zu der Feststellung gelangt, der Angeklagte R. sei im Fall II. 15. der Urteilsgründe mit einem Finger und im Fall II. 16. mit einem Prostatavibrator in den Anus des Nebenklägers Ko. eingedrungen, wenn sie den Chatverkehr in ihre Würdigung einbezogen hätte.
Rz. 62
Das Landgericht hat demgegenüber in den Urteilsgründen ausgeführt, ein Eindringen mit dem Finger beziehungsweise dem Prostatavibrator in den Fällen II. 15. und II. 16. der Urteilsgründe habe nicht festgestellt werden können, weil die in Augenschein genommenen Lichtbilder, die der Angeklagte aus den hergestellten Videoaufzeichnungen generiert habe, ein solches nicht zeigten und der Angeklagte ausdrücklich bestritten habe, dass es in diesen Fällen zu einem solchen gekommen sei.
Rz. 63
(2) Das Rügevorbringen verfängt nicht. Zum einen hat die Jugendkammer den Chatverkehr nicht außer Acht gelassen. Denn auf die Inhalte der Kommunikation zwischen dem Angeklagten und B., wenn auch allein auf Chatnachrichten vom 22. März 2021, hat sie die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 17. der Urteilsgründe gestützt. Es ist deshalb auszuschließen, dass sie die in der Chatkommunikation des Angeklagten mit B. getätigten Äußerungen bei der Würdigung der erhobenen Beweise in Bezug auf die Fälle II. 15. und II. 16. der Urteilsgründe aus den Augen verloren haben könnte. Zum anderen hat es einer ausdrücklichen Erörterung der Äußerungen des Angeklagten bei der Beweiswürdigung zu diesen beiden Fällen in den Urteilsgründen nicht bedurft. Denn die Erklärungen des Angeklagten in dem Chatverkehr sprechen nicht mit Gewicht für die von der Staatsanwaltschaft erstrebten Schlussfolgerungen. Der Chatverkehr zum Eindringen mit einem Finger datiert vom 13. Februar 2021; der Angeklagte beschreibt ein behauptetes Geschehen vom Vortag. Die Kommunikation, in der es um einen „Dildo“ geht, fand am 18. Januar 2021, diejenige, die ein „Teil“ zum Gegenstand hat, am 22. März 2021 und am 23. Mai 2021 statt. In den Nachrichten von diesen drei Tagen ist jeweils kein Zeitpunkt benannt, an dem ein „Dildo“ beziehungsweise ein als „Teil“ bezeichneter Gegenstand zum Einsatz gekommen sein soll. Die beiden hier relevanten Taten wurden irgendwann im Zeitraum vom 24. Dezember 2019 bis zum 27. März 2021 (Fall II. 15. der Urteilsgründe) beziehungsweise 25. Mai 2021 (Fall II. 16. der Urteilsgründe) verübt, also möglicherweise bereits lange vor den Äußerungen des Angeklagten, eventuell sogar erst nach denen vom 18. Januar 2021, 13. Februar 2021 und 22. März 2021. Die Mitteilungen lassen sich daher den beiden urteilsgegenständlichen Taten nicht zuordnen. Insofern ist auch zu bedenken, dass der Angeklagte den Nebenkläger nicht ausschließbar über einen langen Zeitraum wiederholt missbrauchte, so dass die Äußerungen sich auf andere als die beiden hier relevanten Vorfälle bezogen haben können. Von einem Prostatavibrator, der im Fall II. 16. der Urteilsgründe verwendet wurde, ist in dem Chatverkehr vom 18. Januar 2021 nicht die Rede; dort ging es um einen „Dildo“. Überdies teilte der Angeklagte in diesem Chat nicht mit, einen solchen in den Körper seines Opfers eingeführt zu haben, sondern erklärte, dass ihm dies „noch nicht ganz“ gelungen sei. In den Chatnachrichten vom 22. März 2021 und 23. Mai 2021 ist von einem Prostatavibrator jedenfalls nicht explizit die Rede; ob dieser mit der Bezeichnung „Teil“ gemeint war, bleibt spekulativ. Zudem erklärte der Angeklagte in diesen Nachrichten gleichfalls nicht, mit einem Gegenstand tatsächlich in sein Opfer eingedrungen zu sein, sondern berichtete, das „Teil“ „geht […] noch nicht ganz“ beziehungsweise „Fehlt nicht mehr viel“, was Raum dafür lässt, dass dem Angeklagten ein Einführen des Gegenstandes nicht gelungen war, zumal der Angeklagte in der Kommunikation vom 23. Mai 2021 weiter mitteilte, „bisher ging es ja nicht“.
Rz. 64
2. Die auf die Sachrüge im Umfang der Anfechtung veranlasste materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Vorteil oder zum Nachteil (§ 300 StPO) des Angeklagten R. ergeben. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und tragen den Schuldspruch. Die Strafzumessungsentscheidung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Erörterung bedarf allein Folgendes:
Rz. 65
a) Die Staatsanwaltschaft macht geltend, die Beweiswürdigung der Strafkammer zum Fall II. 14. der Urteilsgründe, bei dem der Angeklagte R. onanierte und auf das nackte Gesäß des Nebenklägers ejakulierte, sei rechtsfehlerhaft, weil sie gegen Denkgesetze verstoße. Das ist unzutreffend.
Rz. 66
aa) Die Jugendkammer hat dargetan, sie habe nicht feststellen können, ob Sperma, das auf das Gesäß des Kindes gelangte, anschließend in den Anus des Opfers hineingeflossen sei. Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe dabei verkannt, dass denklogisch zwingend Sperma als eine im Abfluss der Schwerkraft folgende Flüssigkeit in den Anus hineinlaufe, wenn es auf das nackte Gesäß einer auf dem Bauch liegenden Person gelange. Der Angeklagte hätte daher im Fall II. 14. der Urteilsgründe wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF verurteilt werden müssen (zum Hineingelangen von Sperma in eine Körperöffnung als eine mit dem „Eindringen in den Körper“ verbundene sexuelle Handlung vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2019 - 4 StR 289/19, juris Rn. 5; Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263 Rn. 23; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118 Rn. 8).
Rz. 67
bb) Ein solcher Geschehensablauf ist indes - wie bereits die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf in ihrer Stellungnahme zur Revision vorgebracht hat - entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft nicht zwingend. Das Vorhandensein von Sperma auf einem kindlichen Gesäß führt nicht notwendigerweise zu einem Einfließen in den Anus.
Rz. 68
cc) Im Übrigen erfüllt das Hineingelangen von Sperma des Täters in den After des Opfers nicht ohne weiteres den Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF; erforderlich ist vielmehr, dass gerade (auch) in dem Eindringen von Körpersekret jedenfalls aus Sicht des Täters die Sexualbezogenheit des Vorgangs liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2019 - 4 StR 289/19, juris Rn. 5; Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263 Rn. 27). Dies ergibt sich aus den getroffenen Feststellungen nicht.
Rz. 69
b) Ohne Rechtsfehler hat die Jugendkammer das Ejakulieren des Angeklagten auf das nackte Gesäß des Nebenklägers Ko. im Fall II. 14. der Urteilsgründe als Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind gemäß § 176 Abs. 1 StGB gewertet. Denn das Aufbringen von Ejakulat auf einen nackten Körperteil einer anderen Person stellt einen hinreichenden Körperkontakt dar (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 - 3 StR 499/23, juris Rn. 4; Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263 Rn. 18; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118 Rn. 8 f.; Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 Sexuelle Handlung 4). Zudem ist für die Strafbarkeit unerheblich, ob das Opfer die Einwirkung wahrnimmt und als sexuell motiviert versteht (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173 Rn. 8; Schönke/Schröder/Eisele, 20. Aufl., § 184h Rn. 18 mwN; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 176 Rn. 7; LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 176 Rn. 10; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184h Rn. 11).
Rz. 70
c) Im Übrigen gelten die obigen Ausführungen unter III. 2. c), d) und f) betreffend den Angeklagten W. für die Verurteilung des Angeklagten R. entsprechend.
Schäfer Hohoff Anstötz
Kreicker Voigt
Fundstellen
Haufe-Index 16398887 |
NJW 2024, 10 |
NJW 2024, 2555 |
ZAP 2024, 709 |
JZ 2024, 436 |
NStZ-RR 2024, 6 |
NJW-Spezial 2024, 505 |
StRR 2024, 4 |