Leitsatz (amtlich)
Die Verletzung der Rügeobliegenheit gemäß § 377 Abs. 1 HGB hat nicht den Verlust deliktischer Ansprüche wegen einer durch die Schlechtlieferung verursachten Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter des Käufers zur Folge.
Normenkette
HGB § 377; BGB § 823
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.09.1986) |
LG Limburg a.d. Lahn |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. September 1986 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, der eine Weinkellerei betrieb, bezog am 13. und 25. Oktober 1983 von der Beklagten je 50000 Weinflaschenkorken zum Preis von 19,50 DM pro 1000 Stück. Es handelte sich um Ware der schlechtesten von sieben auf dem Markt angebotenen Qualitätsstufen, mit der üblicherweise billige, keiner längeren Lagerdauer ausgesetzte Weine verkorkt werden. Die Beklagte bezog die Korken von ihrer Tochterfirma in P.. Bei der Beklagten wurden die Korken bedruckt, mit einer Emulsion überzogen, getrocknet und steril verpackt; vor und nach dem Bedrucken werden beschädigte Korken aussortiert.
Im Betrieb des Klägers wurden 89755 Flaschen neun verschiedener Weinsorten, darunter auch Spätlesen, mit der von der Beklagten gelieferten Ware verkorkt, in Kartons verpackt und teilweise an Abnehmer ausgeliefert. Kurze Zeit nach der Verkorkung wiesen die Weine eine Trübung auf und schmeckten bitter. Der Kläger rügte am 12. Dezember 1983 bei der Beklagten fernmündlich eine schlechte Qualität der Korken. Er leitete ein Beweissicherungsverfahren ein, in dem der Sachverständige Millies ein Gutachten erstattete. Danach war die Trübung der Weine durch die Korken verursacht worden, bei denen er, der Sachverständige, so lockeres Material festgestellt habe, daß dieses „einfach nichts mehr mit Kork zu tun” habe.
Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 292.277/05 DM, nämlich die Nettoverkaufspreise der nicht mehr verwendungsfähigen Weine, die Kosten der Wiederherstellung der noch verwendungsfähigen Weine, Transport- und Lagerkosten, die Kosten der Schadensermittlung in seinem Betrieb und durch den Sachverständigen sowie die Kosten für die Entkorkung aller Flaschen und den Preis nicht wiederverwendungsfähiger Kartonagen und der nicht verwendeten Korken. Die Beklagte macht unter Bezugnahme auf von ihr eingeholte Gutachten geltend, nicht die Korken hätten zur Trübung der Weine geführt, sondern deren hoher Eisengehalt und eine unsachgemäße kellertechnische Behandlung; sie hat sich im übrigen darauf berufen, daß der Kläger die angeblichen Mängel der Korken nicht unverzüglich gerügt habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht (dessen Urteil in WM 1986, 1566 m. Anm. Ott WuB IV D. § 377 HGB 1.87 abgedruckt ist) zurückgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger die Klageansprüche in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I. 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Es könne dahinstehen, ob Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung überhaupt in Betracht kämen, weil sie grundsätzlich die Verletzung einer über die bloße Lieferung hinausgehenden Verhaltenspflicht voraussetzten. Jedenfalls stehe dem Anspruch das Unterlassen der unverzüglichen Mängelrüge nach § 377 Abs. 1 HGB entgegen. Der Kläger habe die Korken, die nach dem Gutachten des Sachverständigen schon äußerlich sehr schlecht gewesen seien, genauer untersuchen und wenigstens einige durchschneiden müssen, zumal er die billigste Korkqualität gekauft und damit auch bessere Weine habe verschließen wollen.
Bei einem Durchschneiden der Korken hätte ihre schlechte Qualität festgestellt werden können. Selbst wenn – wie der Kläger behauptet habe – die frühere Verwendung von Korken derselben Qualität zu keiner Trübung des Weines geführt habe, könne ihn dies nicht von der Verpflichtung zur unverzüglichen Untersuchung und Rüge befreien. Die erstmals am 12. Dezember 1983 erfolgte Reklamation sei nicht mehr unverzüglich gewesen.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats kommen Schadensersatzansprüche aus positiver Vertragsverletzung unter dem Gesichtspunkt schuldhafter Schlechtlieferung einer Kaufsache insoweit in Betracht, als der Käufer durch die Lieferung der mangelhaften Sache Schaden an anderen Rechtsgütern erlitten hat (z. B. BGHZ 66, 315, 316; 77, 215, 217; Urteile vom 30. April 1975 – VIII ZR 164/73 = WM 1975, 562 unter I, vom 16. Mai 1984 – VIII ZR 40/83 = WM 1984, 1059 unter I 2 a und vom 3. Juli 1985 – VIII ZR 152/84 = WM 1985, 1145 unter III 2, m. Nachw.).
b) Dem vom Berufungsgericht angedeuteten Bedenken gegen die Annahme eines derartigen Anspruchs braucht nicht nachgegangen zu werden. Denn das Berufungsgericht nimmt rechtsfehlerfrei an, daß der Kläger mit diesem Anspruch gemäß § 377 Abs. 2 HGB ausgeschlossen ist, weil er die Korken nicht unverzüglich gerügt hat.
aa) Soweit die Revision geltend machen will, der Kläger habe keine Veranlassung zur Untersuchung der Ware gehabt, weil auch früher gelieferte Korken sehr schlechte Qualität aufgewiesen und gleichwohl nicht zu einer Trübung der Weine geführt hätten, verkennt sie die an die Rügeobliegenheit des § 377 Abs. 1 HGB zu stellenden Anforderungen. Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, daß auch bei Teil- und Sukzessivlieferungen grundsätzlich jede einzelne Lieferung gerügt werden muß (Senatsurteil vom 3. Februar 1959 – VIII ZR 14/58 = LM HGB § 377 Nr. 5 unter II a.E.; RGZ 65, 49, 53; Staub/Brüggemann, HGB, 4. Aufl., § 377 Rdn. 118). Hatte der Kläger – wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eingeräumt hat – sogar erkannt, daß die Korken „nicht gut” waren, so hilft ihm sein Vertrauen darauf nicht, daß die schlechte Qualität – wie in früheren Fällen – keine negativen Auswirkungen auf die mit den Korken verschlossenen Weine haben werde. Die Rügeobliegenheit setzt mit dem Vorliegen eines Mangels der Sache und dessen Erkennbarkeit ein und erfordert nicht, daß der Käufer die Gefahr eines Mangelfolgeschadens erkannte oder erkennen konnte. Daß aber die mangelhafte Qualität der Ware, von der der Kläger selbst ausgeht, bei dem ihm ohne weiteres zuzumutenden Durchschneiden einiger Korken unschwer festzustellen war, hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen ohne Rechtsfehler festgestellt. Aus demselben Grund kann die Revision auch mit ihrem weiteren Einwand, es habe ein versteckter Mangel i. S. des § 377 Abs. 3 HGB vorgelegen, keinen Erfolg haben.
bb) Zu Unrecht will die Revision zwischen der Korkenqualität einerseits und der durch sie möglicherweise hervorgerufenen Trübung der Weine andererseits unterscheiden und daraus den Schluß herleiten, die Geltendmachung des Mangelfolgeschadens werde nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Ware gemäß § 377 Abs. 2 HGB als vertragsgemäß zu gelten habe. Soweit dem nicht schon die obigen Ausführungen (zu aa) entgegenstehen, setzt sich die Revision mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats in Widerspruch, nach der durch das Unterlassen der Rüge neben den Gewährleistungsansprüchen im eigentlichen Sinne (§§ 462 f, 480 BGB) auch Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung wegen eines nicht rechtzeitig gerügten Fehlers verlorengehen (BGHZ 66, 208, 212; Urteile vom 30. April 1975 aaO unter II und vom 22. Mai 1985 – VIII ZR 140/84 = WM 1985, 975 unter I 1; RGZ 106, 309, 310). Ein Anlaß, hiervon abzugehen, besteht nicht und wird von der Revision auch nicht aufgezeigt.
II. 1. Ob die Beklagte als Herstellerin der Korken im Sinne einer Produzentenhaftung anzusehen ist, hat das Berufungsgericht offengelassen. Es meint, auch ein Anspruch aus Delikt stehe dem Kläger nicht zu, weil die Vorschrift des § 377 HGB insoweit jedenfalls analog angewendet werden müsse. Dem stehe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 66, 315), nach der bei einem Zusammentreffen von auf einem Sachmangel beruhenden Schadensersatzansprüchen aus positiver Vertragsverletzung und unerlaubter Handlung der Deliktsanspruch unabhängig von der Regelung des § 477 BGB in drei Jahren verjähre (§ 852 BGB), nicht entgegen. Denn der Zweck des § 377 HGB erschöpfe sich nicht – wie der des § 477 BGB – in der baldigen Wiederherstellung des Rechtsfriedens im Kaufrecht und in der Vermeidung von nach gewisser Zeit kaum noch durchzuführenden Mängelfeststellungen, sondern diene auch dem Ziel einer interessengemäßen Risikoverteilung im Handelsverkehr. Der Verkäufer müsse möglichst früh von fehlerhaften Lieferungen erfahren, um rechtzeitig Ersatz liefern und etwaige Folgeschäden vermeiden zu können. Diesem Schutzzweck müsse durch die Einbeziehung deliktischer Ansprüche in die Ausschlußwirkung des § 377 HGB zumindest dann Rechnung getragen werden, wenn durch Verarbeitung oder Verwertung im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung der Kaufsache – wie hier – typischerweise mit Schäden an weiteren Rechtsgütern des Käufers zu rechnen sei.
2. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kommt eine deliktische Haftung der Beklagten wegen Lieferung einer mangelhaften Sache unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich in Betracht (dazu z. B. Kullmann in: Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, 1. Bd., Kennzahl 1520 S. 21 ff, insbes. 40 c, 64, 72, 73). Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann dem Kläger ein Anspruch aus unerlaubter Handlung nicht abgesprochen werden.
a) Die Frage, ob die Vorschrift des § 377 HGB auch auf Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlung aus § 823 Abs. 1 BGB mit der Folge des Rechtsverlustes bei nicht rechtzeitiger Rüge übergreift, ist – soweit ersichtlich – höchstrichterlich bisher nicht ausdrücklich entschieden (zur früheren Rechtsprechung, die in aller Regel nur Ansprüche wegen vertraglichen Verschuldens betraf, vgl. z. B. Schlechtriem. Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, 1972 S. 296 ff). Im Schrifttum wird die Frage überwiegend verneint (Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 2. Aufl., S. 216 f; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, 27. Aufl., § 377 Anm. 1 C; Stoll, Das Handeln auf eigene Gefahr, 1961, S. 340; Messer in: Kullmann/Pfister aaO Kennzahl 1426 S. 32 f; Ott aaO; von Caemmerer, Festschrift für Rheinstein, Bd. II, 1969, S. 659, 681 für Ansprüche wegen Verletzung von Person und Sachen des Käufers; Schlechtriem aaO S. 293 ff; ders., Festschrift für Rheinstein aaO S. 683, 695 ff mit Ausnahme der auf das „Vertragsinteresse” gerichteten Deliktsansprüche; ders. VersR 1973, 581, 588 ff jedenfalls dann, wenn sich aus der vertragswidrigen Beschaffenheit der Sache zugleich eine Verkehrspflichtverletzung ergibt; ähnlich Soergel/Huber, BGB, 11. Aufl., § 463 Rdn. 99; Huber AcP 177, 281, 321 ff; Staub/Brüggemann aaO Rdn. 168; anders dagegen Brüggemann JA 1977, 102, 104), teilweise aber auch bejaht (Dietz, Anspruchskonkurrenz bei Vertragsverletzung und Delikt, 1934, S. 145; Schumann, Handelsrecht, Bd. II, 1954, S. 109; Rabel, Das Recht des Warenkaufs, 2. Bd., 1958, S. 217; Meeske, Die Mängelrüge, 1965, S. 152; Schwark AcP 179, 57, 76 ff; Schlegelberger/Hildebrandt, HGB, 3. Aufl., § 377 Rdn. 53; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, 5. Aufl., § 377 Rdn. 82; einschränkend offenbar MünchKomm-Mertens, BGB, 2. Aufl., § 823 Rdn. 89). Nicht selten findet sich in der handelsrechtlichen Literatur die Aussage, daß die Rügeversäumnis alle aus dem Mangel der Ware abgeleiteten Ansprüche ausschließe, ohne daß solche aus unerlaubter Handlung ausdrücklich genannt werden (z. B. Düringer/Hachenburg, HGB, 3. Aufl., § 377 Anm. 59; Koenige/Teichmann/Koehler, HGB, 4. Aufl., § 377 Anm. 4 d; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 1980, S. 603; Glaser JR 1955, 281, 284; vgl. auch RG JW 1936, 2391, 2392). Das Schweizerische Bundesgericht hat in einem Fall aus dem Werkvertragsrecht der deliktischen Schadensersatzklage wegen eines Unfalls trotz Rügeversäumnis (vgl. Art. 367, 370 OR) stattgegeben (BGE 64 II 254, 259 f, 263), dem Käufer hingegen, der die Sache nicht prüft und Mängel nicht rügt (vgl. Art. 201 Abs. 1 OR), seinen auf Ersatz eines Vermögens Schadens gerichteten Deliktsanspruch aberkannt (BGE 67 II 132, 137 f), später indessen offengelassen, ob an der im letzteren Entscheid vertretenen Auffassung festgehalten werden könne (BGE 90 II 86, 89). Im amerikanischen Recht hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß das im Uniform Sales Act und im Uniform Commercial Code aufgestellte Erfordernis, einen Vertragsbruch in einer „reasonable time” zu rügen, für Ansprüche aus Delikt nicht gilt (näher dazu Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein aaO S. 701 ff).
b) Der erkennende Senat entscheidet die Frage dahin, daß die Verletzung der Rügeobliegenheit gemäß § 377 Abs. 1 HGB nicht den Verlust deliktischer Ansprüche wegen der durch die Schlechtlieferung verursachten Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter des Käufers zur Folge hat. Denn bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung handelt es sich – anders als bei solchen aus positiver Vertragsverletzung – nicht um Gewährleistungsansprüche im weiteren Sinne, bei denen allein ein Ausschluß durch rügelose Annahme der mangelhaften Ware gerechtfertigt erscheint (BGHZ 66, 208, 213).
aa) Die Vorschrift des § 377 HGB bezieht sich nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz (Viertes Buch, Zweiter Abschnitt des Handelsgesetzbuches) und ihrem Wortlaut (Abs. 1: „Kauf”, „Handelsgeschäft” usw.) unmittelbar nur auf den Handelskauf zwischen Kaufleuten. Auch der vom Gesetz angeordneten Rechtsfolge (Abs. 2: „… so gilt die Ware als genehmigt …”) läßt sich lediglich entnehmen, daß die Frage der vertragsmäßigen Beschaffenheit der Ware nach einer Rügeversäumung dem Streit der Parteien entzogen sein soll. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die auf Art. 347 ADHGB (dazu Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuchs und eines Einführungsgesetzes, 1896/97, S. 240 ff) und damit auf Art. 264 des Entwurfs eines Handelsgesetzbuches für die Preußischen Staaten von 1857 (dazu Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches, I. und II. Teil, 1858, S. 643 ff) zurückgeht, gibt keinerlei Hinweise darauf, daß die Verfasser des Gesetzes bei den Wirkungen der Mängelrüge an andere als vertragliche Ansprüche gedacht haben (ebenso Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein aaO S. 695; ders. in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. II, 1981, S. 1591, 1661 Fußn. 333).
bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei dem Zusammentreffen von Schadensersatzansprüchen aus Vertragsverletzung und aus unerlaubter Handlung um eine echte Anspruchskonkurrenz mit der Folge, daß grundsätzlich weder die Deliktsordnung von der Vertragsordnung verdrängt wird noch umgekehrt und daß jeder Anspruch nach seinen Voraussetzungen, seinem Inhalt und seiner Durchsetzung selbständig zu beurteilen ist und seinen eigenen Regeln folgt (BGHZ 9, 301, 302 f; 66, 315, 319; 67, 359, 362 f; 86, 256, 260; 96, 221, 229). Dies spricht dafür, die für den Handelskauf geschaffene Bestimmung des § 377 HGB auf deliktische Ansprüche nicht anzuwenden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die Möglichkeit des Geschädigten, nach einem Ausschluß mit seinen vertraglichen Schadensersatzansprüchen auf die aus demselben Sachverhalt hergeleiteten deliktischen Ansprüche auszuweichen, den Zweck einer für den vertraglichen Anspruch geltenden Vorschrift vereiteln und die gesetzliche Regelung im Ergebnis aushöhlen würde (Senatsurteil BGHZ 66, 315, 319; ähnlich BGHZ 96, 221, 229). Dies hat der erkennende Senat bejaht hinsichtlich der Ersatzansprüche des Vermieters wegen Veränderung oder Verschlechterung der vermieteten Sache (BGHZ 47, 53; Urteil vom 7. Februar 1968 – VIII ZR 179/65 = WM 1968, 435 unter 2 b); wollte man hier auf den deliktischen Anspruch die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 BGB anwenden, so würde die in § 558 BGB getroffene Regelung, die den vertraglichen Ersatzanspruch der kurzen sechsmonatigen Verjährung unterstellt, leerlaufen, weil sich die Ersatzansprüche des Vermieters in aller Regel auf einen Schaden an der in seinem Eigentum stehenden Mietsache beziehen. Verneint hat der Senat dagegen eine derartige Sachlage für die Frage der Anwendbarkeit des § 477 BGB, wenn der Käufer vom Verkäufer wegen eines Sachmangels Schadensersatz aus positiver Vertragsverletzung und zugleich aus unerlaubter Handlung verlangen kann (BGHZ 66, 315, 320 ff; Urteil vom 3. Juli 1985 – VIII ZR 152/84 = WM 1985, 1145 unter III 3).
Der vorliegende Fall ist mit dem zuletzt genannten Sachverhalt vergleichbar. Die Vorschriften der §§ 477 BGB, 377 HGB dienen – wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt – jedenfalls teilweise ähnlichen Zielen. Sinn der kurzen Verjährungsfrist ist es, im Kaufrecht möglichst bald nach Vertragsabwicklung Rechtsfrieden wiederherzustellen und die mit zunehmendem Zeitablauf schwieriger werdenden Ermittlungen darüber entbehrlich zu machen, ob und in welchem Umfang Mängel bei Gefahrübergang vorhanden waren und welche Schäden sie verursacht haben (BGHZ 60, 9, 11 f; 77, 215, 219; 88, 130, 137). Die Rügeobliegenheit bezweckt, die Abwicklung der Handelskäufe zu beschleunigen, dem Verkäufer so bald wie möglich Klarheit über später nur schwer feststellbare Mängel zu verschaffen und ihn von der Dispositions- und Beweisunsicherheit zu entlasten, die sich aus der Möglichkeit eines Nachschiebens von Mängelrügen ergäbe (BGHZ 91, 293, 299 f; Senatsurteil vom 27. März 1985 – VIII ZR 75/84 = WM 1985, 834 unter 3 b cc (beta); RGZ 106, 309, 310). Daß die angestrebte rasche Wiederherstellung des Rechtsfriedens erschwert wird, wenn der Geschädigte auf deliktische Ansprüche ausweichen kann, gilt im einen wie im anderen Falle, zwingt jedoch nicht dazu, die vertragliche Regelung auf den Anspruch aus unerlaubter Handlung übergreifen zu lassen (BGHZ 66, 315, 321 f). Dem Berufungsgericht und der Revisionserwiderung ist allerdings einzuräumen, daß der rechtspolitische Sinn des § 377 HGB insofern weitergeht, als die Rügeobliegenheit auch dem Interesse des Verkäufers dient, von den bei zumutbarer Prüfung zutage tretenden Mängeln der von ihm gelieferten Sache möglichst rasch zu erfahren, um dadurch drohenden Schaden noch rechtzeitig abwenden zu können (BGHZ 66, 208, 213; Senatsurteil vom 30. April 1975 – VIII ZR 164/73 = WM 1975, 562 unter I 4). Dies betrifft indessen stets nur den vertraglichen Abwicklungsschutz des Verkäufers, ein Schutz vor seiner deliktischen Verantwortlichkeit liegt nicht im Zweck der Norm. Vor allem kann keine Rede davon sein, daß die Vorschrift des § 377 HGB ihren Sinn verlöre, wenn dem Käufer auch nach Rügeversäumung die Rechte aus unerlaubter Handlung erhalten bleiben: Er ist auf Ansprüche beschränkt, die auf einer Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter beruhen, und bleibt somit – von dem hier nicht entscheidungserheblichen Fall der Schutzgesetzverletzung möglicherweise abgesehen – mit der Geltendmachung seines allgemeinen Vermögens Schadens ausgeschlossen. Auch ist im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB die Deliktshaftung des Verkäufers auf den Ersatz des Integritätsinteresses des Käufers beschränkt und erstreckt sich nicht auf dessen enttäuschte Vertragserwartungen (BGHZ 86, 256, 259 f; BGH Urteile vom 18. Januar 1983 – VI ZR 270/80 = WM 1983, 265 unter II 1 a aa und vom 18. September 1984 – VI ZR 51/83 = VersR 1984, 1151 unter II 2 b aa). Schließlich ist dem geschädigten Käufer nach versäumter Rüge die Rechtsverfolgung insofern erschwert, als dem Verkäufer der Entlastungsbeweis hinsichtlich des Verhaltens seiner Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) offensteht (dazu BGHZ 66, 315, 322). Aus allem folgt, daß der Verkäufer nach einem Verstoß des Käufers gegen seine Rügeobliegenheit in erheblichem Umfang auch dann vor einer Inanspruchnahme durch den Käufer geschützt bleibt, wenn diesem deliktische Ansprüche nicht grundsätzlich abgeschnitten sind. Im Rahmen der Deliktsverantwortlichkeit des Verkäufers ermöglicht zudem die Vorschrift des § 254 BGB bei einer Selbstgefährdung des Käufers, die ihm wegen Unterlassens einer gebotenen Untersuchung der schädlichen Ware anzulasten sein kann, einen flexibleren und abgestufteren Interessenausgleich als die starre Regelung des § 377 HGB (BGHZ 66, 208, 214 m. Anm. Hiddemann LM HGB § 377 Nr. 17 unter 2 a.E. zum Fall eines nicht auf einem Sachmangel beruhenden Anspruchs aus positiver Vertragsverletzung; vgl. auch Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein aaO S. 704).
cc) Die gegenteilige Auffassung gelangt zu unbefriedigenden Ergebnissen und schwer verständlichen Wertungswidersprüchen. Dies zeigt sich an drei Beispielen: Die aus der Gegenmeinung folgende Verkürzung des allgemeinen Rechtsgüterschutzes des in seinem Eigentum oder anderen absoluten Rechten geschädigten Käufers läßt sich nicht rechtfertigen, weil er gegenüber dem schädigenden Verkäufer nicht schlechter als jeder Dritte gestellt werden darf. Tritt der Schaden erst beim Abnehmer des Käufers oder einer anderen Person ein, die mit der fehlerhaften Ware in Berührung gerät, so könnte der Verkäufer einem auf Produzentenhaftung gestützten Anspruch dieses Dritten die Rügeversäumung des Käufers ohne Zweifel nicht entgegenhalten. Es ist nicht einzusehen, den Käufer nur deswegen anders zu behandeln, weil er zum Verkäufer in vertraglichen Beziehungen steht. Die Gewährleistungsansprüche nach den § 459 ff BGB – auch in ihrer Ausformung beim Handelskauf (§§ 377, 378 HGB) – geben dem Verkäufer im Vergleich zu Dritten zusätzliche Rechte und können nicht zu einer Einschränkung seines allgemeinen Rechtsgüterschutzes herangezogen werden (ebenso z. B. Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung aaO S. 295, 298; ders. VersR 1973, 598; hinsichtlich der Verjährungsfrist vgl. auch Hiddemann Anm. LM BGB § 477 Nr. 25 zu 3 a.E.; Rengier JZ 1977, 346, 347). Ebensowenig besteht Veranlassung, den Kaufmann im Schutz seiner absoluten Rechtsgüter schlechter zu stellen als jeden anderen Käufer, den eine Rügeobliegenheit nicht trifft (zutreffend Messer aaO S. 32 f). Noch ungereimter wäre – worauf Huber (AcP 177, 323 dort zu § 477 BGB) zu Recht hinweist – das Ergebnis, wenn man einem Dritten, der vermöge eines besonderen „Näheverhältnisses” zum Käufer in den Schutzbereich des Kaufvertrages einbezogen ist, bei einer Schädigung durch die Kaufsache zwar einen eigenen vertraglichen Schadensersatzanspruch zugestehen, ihn aber nach einer Rügeversäumnis durch den Käufer nicht nur hiermit, sondern auch mit deliktischen Ansprüchen ausschließen wollte.
dd) Die im Schrifttum für eine Erstreckung der Wirkung des § 377 Abs. 2 HGB auf deliktische Ansprüche genannten Gründe können nicht überzeugen.
(alpha)) Nach Dietz (aaO) soll durch die Genehmigungsfiktion zwar nicht die Widerrechtlichkeit einer Eigentumsverletzung beseitigt werden; der Käufer müsse sich aber so behandeln lassen, „als ob er eingewilligt und damit die Widerrechtlichkeit in Wegfall gebracht hätte” (dagegen z. B. Messer aaO S. 32; Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein aaO S. 690). Diese Auffassung verkennt die Bedeutung der gesetzlichen Fiktion in § 377 Abs. 2 HGB (zum Charakter als Fiktion vgl. RG JW 1936, 2391; RGZ 106, 359, 360; anders z. B. Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 2. Halbb., 1960, S. 946 Fußn. 16). Die Rechtsfiktion bedeutet keine „tatsächliche Identifikation” zweier verschiedener Sachverhalte, sondern fordert lediglich zur Prüfung auf, ob und inwieweit die rechtliche Gleichbewertung unterschiedlicher Tatbestände gewollt und gerechtfertigt ist (Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, 1940, S. 31 f). Hinsichtlich des § 377 HGB ergeben die Auslegung der Vorschrift (oben II 2 b aa) und das Bestehen echter Anspruchskonkurrenz zwischen Vertrags- und Deliktsordnung (oben II 2 b bb), daß die Ausschlußwirkung darauf beschränkt ist, die Mängelfreiheit der gelieferten Sache klarzustellen: Die Ware gilt als vertragsgerecht (ebenso Hönn BB 1978, 685, 688). Die deliktische Haftung des Verkäufers beruht indessen nicht darauf, daß die Sache nicht den vertraglichen Anforderungen entspricht, sondern daß er eine Verkehrspflicht verletzt hat (Huber AcP 177, 321). Daß der Käufer hierin und in die sich daraus ergebende Verletzung seiner Rechtsgüter eingewilligt habe, kann allein aus der Rügeunterlassung deshalb nicht gefolgert werden, weil es sich hierbei gerade nicht um eine Genehmigung i. S. eines privatautonomen Verhaltens handelt (Hönn aaO). Selbst unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr führt eine bewußte Selbstgefährdung in der Regel nicht zum Ausschluß der Rechtswidrigkeit, sondern nur zur Anwendung des § 254 BGB (BGHZ 34, 355, 360 ff unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung). Einen hiervon abweichenden Ausnahmefall (BGH aaO 363) hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und die Beklagte nicht behauptet.
(beta)) Schwark (AcP 179, 77) hält es für „wenig sinnvoll”, bei der Frage der Ausschlußwirkung durch Rügeverlust zwischen Ansprüchen aus positiver Vertragsverletzung und solchen aus Delikt zu unterscheiden (vgl. demgegenüber hinsichtlich der Verjährung bereits BGHZ 66, 315). Dies leugnet nicht nur die von der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum angenommenen Rechtsfolgen echter Anspruchskonkurrenz (oben II 2 b bb und allgemein z. B. Staudinger/Schäfer, BGB, 12. Aufl., Vorbem. zu §§ 823 ff Rdn. 32 ff m. Nachw.), sondern übersieht auch die Gründe, die dazu geführt haben, früher als typische Deliktstatbestände aufgefaßte Sachverhalte in den Bereich der Haftung für positive Vertragsverletzung einzubeziehen (dazu z. B. von Caemmerer in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Bd. II, 1960, S. 49, 56; Schlechtriem, Festschrift für Rheinstein aaO S. 685): Denn damit sollte – vornehmlich aus Beweislastgründen und wegen der als unbefriedigend empfundenen deliktischen Ordnung der Haftung für Angestellte (§ 831 BGB) – der Schutz des Käufers gestärkt werden. Das Gegenteil würde erreicht, wenn man aus dem Umstand, daß das Integritätsinteresse des Käufers in gewissem Umfang nunmehr auch durch Vertragsansprüche geschützt ist, die Folgerung ableiten wollte, der vertragliche Abwicklungsschutz des Verkäufers durch die kurze Verjährungsfrist (§ 477 BGB) und die Folgen einer Rügeversäumung des Käufers beim Handelskauf (§ 377 HGB) müßten auch auf seine Deliktshaftung erstreckt werden (ähnlich wohl auch Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung aaO S. 296; ders. VersR 1973, 588).
(gama)) Aus ähnlichen Gründen kann Schwark (aaO 78) auch nicht in der Beurteilung zugestimmt werden, es sei sachlich nicht gerechtfertigt, zwischen einem auf die Kaufsache bezogenen und einem weitere Rechtsgüter des Käufers ergreifenden Schaden zu differenzieren. Es kommt nicht in erster Linie darauf an, wo der Schaden eingetreten ist. Deliktische Ansprüche des Käufers können unter Umständen auch gegeben sein, wenn die Kaufsache selbst beschädigt wird (BGHZ 67, 359; 86, 256). Entscheidend ist, ob den Verkäufer neben seiner vertraglichen auch eine deliktische Verantwortlichkeit trifft. Ist dies der Fall, so ist kein einleuchtender Grund ersichtlich, den schädigenden Verkäufer nur deshalb besser zu stellen, weil er mit dem Geschädigen einen Vertrag geschlossen hat.
3. Wenn somit auch ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 1 BGB nicht durch sein Rügeversäumnis ausgeschlossen ist, so kann der erkennende Senat gleichwohl nicht abschließend entscheiden (§ 565 ZPO). Das Berufungsgericht hat weder aufgeklärt, ob ein Mangel der Korken für die Trübung der Weine ursächlich war, noch Feststellungen darüber getroffen, inwieweit die Beklagte eine Verantwortlichkeit unter dem Gesichtspunkt der Produzentenhaftung trifft und ob sie schuldhaft eine Gefahrabwendungspflicht verletzt hat.
Im übrigen liegt die Annahme eines Mitverschuldens des Klägers nahe, der nach seinem eigenen Vorbringen die schlechte Qualität der Korken gekannt und dennoch eine große Anzahl Flaschen Wein, darunter auch Spätlesen, mit diesem Material ohne Prüfung verschlossen hat. Auch die Verteilung und das Maß der Verantwortlichkeit für den Schaden im Rahmen des § 254 BGB muß der tatrichterlichen Würdigung vorbehalten bleiben (BGHZ 51, 275, 279 f; Senatsurteil vom 21. September 1983 – VIII ZR 163/82 = WM 1983, 1189 unter II 3; st. Rspr.). Mangels all dieser Feststellungen sieht der Senat Ausführungen zu einzelnen Positionen des geltend gemachten Schadens nicht veranlaßt, zumal die Summe dieser Positionen die Höhe des Klagantrages übersteigt. Nach allem war die Sache zwecks weiterer tatrichterlicher Prüfung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zu übertragen war.
Unterschriften
Braxmaier, Dr. Skibbe, Treier, Dr. Paulusch, Groß
Fundstellen
BGHZ |
BGHZ, 337 |
BB 1987, 2326 |
NJW 1988, 52 |
Nachschlagewerk BGH |