Leitsatz (amtlich)
§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gewähren dem Käufer eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller neben dem der Höhe nach auf 15% des gezahlten Kaufpreises begrenzten Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 08.12.2021; Aktenzeichen 17 U 5817/21) |
LG Ingolstadt (Entscheidung vom 19.07.2021; Aktenzeichen 53 O 2631/20) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufungsanträge zu I, zu III und zu IV zurückgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger kaufte am 18. Dezember 2017 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen BMW X1 xDrive 20d, der mit einem Motor der Baureihe B47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Abgasreinigung erfolgt in dem Fahrzeug über die Abgasrückführung. Diese wird in bestimmten Temperaturbereichen reduziert beziehungsweise abgeschaltet (Thermofenster).
Rz. 3
Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 34.071,84 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) und zur Zahlung von Deliktszinsen (Berufungsantrag zu II) zu verurteilen. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu III) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu IV) begehrt.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz zu I, zu III und zu IV weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 7
Die Berufung des Klägers habe keinen Erfolg. Allein aus einem vorhandenen Thermofenster lasse sich nicht auf die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten schließen. Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Verordnungen zur Regelung des Abgasverhaltens (EG-FGV, Verordnung (EG) Nr. 715/2007) entfielen mangels Schutzgesetzeigenschaft.
II.
Rz. 8
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
Rz. 9
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB nicht für gegeben erachtet hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
Rz. 10
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Rz. 11
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Rz. 12
Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch zum Vorhandensein oder Fehlen einer Abschalteinrichtung keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Rz. 13
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird das Berufungsgericht in Rechnung zu stellen haben, dass der nach § 287 ZPO zu schätzende Differenzschaden aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht höher sein kann als 15 % des gezahlten Kaufpreises (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 72 ff.). Allein auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann dementsprechend neben dem Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens eine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht verlangt werden (vgl. zum Finanzierungsschaden: BGH, Urteil vom 11. September 2023 - VIa ZR 1533/22, zVb). Dem Berufungsantrag zu IV auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wird das Berufungsgericht mithin nur dann entsprechen können, wenn es nach der Zurückverweisung andere Tatsachen feststellen sollte, aufgrund derer ein Anspruch des Klägers aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB wegen des Verzugs der Beklagten mit dem Ersatz des Differenzschadens oder eine Haftung der Beklagten auch nach §§ 826, 31 BGB in Betracht käme (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, DAR 2023, 503 Rn. 28).
Menges |
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Möhring |
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Krüger |
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Vogt-Beheim |
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Fundstellen
Haufe-Index 16058390 |
BB 2023, 2754 |