Leitsatz (amtlich)
Nach § 637 RVO ist die Haftung eines Helfers des Deutschen Roten Kreuzes auch dann ausgeschlossen, wenn dieser jemanden verletzt, der mit ihm zusammen bei einer Altkleidersammlung des Roten Kreuzes tätig ist.
Normenkette
RVO § 637
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 08.07.1974) |
LG Koblenz |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. Juli 1974 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.
Tatbestand
Der Kreisverband K.-L. des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) führte am 5. Juni 1970 eine Altkleidersammlung durch. Zum Einsammeln der Spenden hatte in seinem Auftrag die Fa. F. einen Lastkraftwagen der Zweitbeklagten angemietet, der bei der Drittbeklagten haftpflichtversichert war. Der Erstbeklagte, ein von der Bundeswehr abgestellter Soldat, fuhr den Lastkraftwagen, während die Klägerin, Angehörige der „Bereitschaft” des Roten Kreuzes, auf dem Trittbrett des langsam fahrenden Lastkraftwagens mitfahrend das Sammelgut aufnahm und auf die Ladefläche reichte. Als der Erstbeklagte in einer engen Straße einem geparkten Pkw ausreichen mußte, streifte er mit der rechten Seite des Lastkraftwagens den Mauervorsprung eines Gebäudes. Dabei wurde die Klägerin schwer verletzt. Die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat das Schadensereignis als Arbeitsunfall anerkannt und gewährt der Klägerin Versicherungsschutz.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von dem Erst- und der Drittbeklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes und, dies gegenüber allen Beklagten, Feststellung von deren Verpflichtung zum Ersatz des Zukunftsschadens. Die Beklagten haben im wesentlichen eingewandt, die Klägerin könne sie, weil die Haftung nach den §§ 636, 637 RVO ausgeschlossen sei, nicht mit Erfolg in Anspruch nehmen.
Das Landgericht hat der Klage zum größten Teil stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht nimmt an, die Klägerin sei bei ihrer Tätigkeit in einem „Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen”, wozu das DRK rechne, zu Schaden gekommen und könne deshalb nach §§ 637 Abs. 3, 636 RVO den Erstbeklagten, der bei dem Einsatz als freiwilliger Helfer des Roten Kreuzes i.S. des § 637 Abs. 3, Abs. 2 RVO mitgewirkt habe, nicht in Anspruch nehmen. Zwar habe die Aktion des DRK nicht unmittelbar der Abwehr einer Gefahr für Menschen und Sachen gegolten, jedoch gehöre die Veranstaltung einer Altkleidersammelaktion im weiteren Sinne in den Rahmen der uneigennützigen und helfenden Aufgabenstellung des Roten Kreuzes. Sie habe nämlich zum Ziel, finanzielle Mittel zu erlangen, die für eine Hilfeleistung bei Unglücksfällen Verwendung finden sollten. Wortlaut und Sinn der Vorschrift des § 637 Abs. 3 RVO, der die beim Einsatz im Rahmen der Aufgaben des DRK Tätigen von Haftungsansprüchen anderer Helfer freistellen wolle, fordere dessen Anwendung auch auf Aktionen des DRK, die nicht unmittelbar der Hilfeleistung bei Unglücksfällen dienten.
Der Unfall habe sich auch nicht bei der Teilnahme der Parteien am allgemeinen Verkehr ereignet, vielmehr sei die Fahrt zum Einsammeln der Spenden ein innerbetrieblicher Vorgang gewesen. Einer Haftung der Zweit- und Drittbeklagten nach dem Straßenverkehrsgesetz stehe entgegen, daß die Klägerin als Insassin des Lastkraftwagens verletzt worden sei (§ 8 a StVG).
II.
Das hält im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.
1. Eine Haftung der Zweitbeklagten nach § 7 Abs. 1 StVG als Halterin des Lastkraftwagens, insoweit auch der Drittbeklagten als Haftpflichtversicherer nach § 3 Nr. 1 PflVG, scheidet schon deshalb aus, wiel die Klägerin einmal das von ihr begehrte Schmerzensgeld nach den Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes nicht verlangen kann, sie im übrigen aber auch, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, im Zeitpunkt des Unfalls Insassin des Kraftfahrzeuges gewesen ist (§ 8 a StVG).
2. Hinsichtlich einer täglichen Verschuldenshaftung dei Erstbeklagten nach §§ 823 Abs. 1, 847 BGB, insoweit dann auch einer Haftung der Drittbeklagten, nimmt das Berufungsgericht mit beachtlichen, von der Revision allerdings bekämpften Erwägungen an, die Vorschrift dem § 637 Abs. 3 RVO schließe auch dann die Haftung des bei einem Einsatz des Roten Kreuzes tätigen Helfers gegenüber den Mithelfern aus, wenn sich der Unfall bei einer Tätigkeit ereignet, die mit der Hauptaufgabe des Roten Kreuzes, bei Unglücksfällen Hilfe zu leisten, nur mittelbar zusammenhängt wie hier die Altkleidersammlung zum Zwecke der Stärkung der finanziellen Mittel des Roten Kreuzes. Zu der Frage, ob dieser Auffassung zu folgen ist, oder ob die Sonderregelungen in den Absätzen 2 und 3 des § 637 RVO für Einsätze der Feuerwehr und sog. Unternehmen zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen auf die dabei auftretenden besonderen Gefahrenlagen abstellen, braucht der Senat indessen ebenso wie in seinem (noch zu einem früheren Rechtszustand ergangenen) Urteil vom 11. Dezember 1967 (VI ZR 89/66 – VersR 68, 355) nicht abschließend Stellung zu nehmen. Der Ausschluß der Haftung des Erstbeklagten gegenüber der Klägerin ergibt sich im vorliegenden Fall nämlich mindestens auch aus § 637 Abs. 1 i.V.m. § 636 RVO.
a) Durch die Neufassung des § 637 Abs. 1 RVO im Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) v. 30.4.1963 ist die frühere Vorschrift des § 899 RVO wesentlich erweitert und die Haftungsbefreiung bei Arbeitsunfällen durch eine betriebliche Tätigkeit auf alle in demselben Betrieb tätigen Betriebsangehörige erweitert worden. Damit haben die Bestimmungen der Absätze 2 und 3 des § 637 RVO einen großen Teil ihrer unmittelbaren Bedeutung verloren. Über die schon vom Absatz 1 erfaßten Fälle hinaus schließen sie nur noch Ansprüche derjenigen bei Einsätzen der Feuerwehr und bei Einsätzen in Unternehmen zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen Tätigen aus, die nicht zum Betrieb gehören oder nicht in diesen eingegliedert sind. Jedenfalls soweit auch die Voraussetzungen des § 637 Abs. 1 RVO vorliegen, kommt es für die Frage, ob die Haftungsbeschränkung seit der Geltung des neuen § 637 Abs. 1 RVO aus dieser Vorschrift oder weiterhin aus der Regelung in den Absätzen 2 und 3 hergeleitet wird, nicht auf etwaige Besonderheiten der Tätigkeiten zur Gefahrenabwehr im engeren oder weiteren Sinn an. Die Verpflichtung zum Schadensersatz gegenüber dem bei einem Einsatz des Roten Kreuzes verletzten Helfer entfällt unter den Voraussetzungen der §§ 637 Abs. 1, 636 RVO bereits dann, wenn es sich um einen Arbeitsunfall des Verletzten handelt und der Schädiger diesen als Betriebsangehöriger in demselben Betrieb durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht hat.
b) Aus diesem Grunde erweist sich das angefochtene Urteil als richtig, ohne daß es auf die Rügen der Revision zum Anwendungsbereich des § 637 Abs. 3 RVO ankommt.
Die Parteien sind darüber einig, daß die Klägerin als Angehörige des Bereitschaftsdienstes des Roten Kreuzes während ihres Einsatzes bei der Altkleidersammlung den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz genoß; denn das Deutsche Rote Kreuz fällt, mag es jetzt in § 539 Abs. 1 Nr. 8 RVO auch nicht mehr ausdrücklich aufgeführt sein, unter die dort genannten Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen (Lauterbach, Unfallversicherung § 539 Anm. 46, 49). Die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung (§§ 653 Abs. 1 Nr. 4, 766 RVO) hat den Unfall auch als einen zu Versicherungsleistungen verpflichtenden Arbeitsunfall anerkannt. Damit steht verbindlich fest, daß die Klägerin als Versicherte i.S. des § 637 RVO einen Arbeitsunfall i.S. der §§ 636 ff RVO erlitten hat (§ 638 RVO).
Der Erstbeklagte war während seines Einsatzes als Fahrer des Lastkraftwagens ein „in demselben Betrieb” wie die Klägerin, nämlich im Kreisverband des Roten Kreuzes, tätiger Betriebsangehöriger. Zwar war er nicht Mitglied dieses Kreisverbandes, eines (eingetragenen) Vereins, weder als Angestellter noch als Angehöriger einer sog. Bereitschaft. Er hatte sich jedoch dem Roten Kreuz zum Einsatz bei jener Altkleidersammlung zur Verfügung gestellt und war, was entscheidend ist, nach Art eines Arbeitnehmers vorübergehend in den „Betrieb” des Roten Kreuzes eingegliedert (und damit ebenfalls gesetzlich gegen Unfall versichert, vgl. § 539 Abs. 2 RVO). Im Sinne des § 637 Abs. 1 RVO kann „demgelben Betrieb” wie der verletzte Versicherte auch ein Arbeitnehmer angehören, der zwar nicht Angehöriger dieses Betriebes ist, aber für ihn, wenn auch nur vorübergehend, tätig wird. Voraussetzung ist dann allerdings, daß eine Eingliederung in die betriebliche Organisation des von ihm unterstützten, sei es auch „fremden” Unternehmens nach Art eines eigenen Arbeitnehmers stattgefunden hat, so daß für jenes „fremde” Unternehmen die besonderen Fürsorgepflichten eines Arbeitgebers begründet worden sind, denen entsprechende Direktions- und Weisungsbefugnisse korrespondieren (vgl. Senatsurteil vom 1. Juli 1975 – VI ZR 7/74 – VersR 75, 1002 m.w.Nachw.). Das ist hier der Fall gewesen. Der Erstbeklagte war während seines Einsatzes als Fahrer des Lastkraftwagens bei der Altkleidersammlung wie ein Arbeitnehmer des DRK-Kreisverbandes tätig. Der Unfall hat sich auch bei einer „betrieblichen Tätigkeit”, nämlich bei Durchführung einer Dienstfahrt für das Rote Kreuz ereignet. Daß es sich bei dem Kreisverband, für den die Klägerin und der Erstbeklagte gemeinsam tätig waren, nicht eigentlich um einen „Betrieb” oder ein „Unternehmen” handelt, steht der Anwendung der §§ 539, 637 RVO nicht entgegen.
3. Da hiernach die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung nach §§ 637 Abs. 1, 636 RVO vorliegen, insbesondere der Erstbeklagte die Körperverletzung der Klägerin nur fahrlässig herbeigeführt hat und der Unfall sich nicht bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet hat, wie das Berufungsgericht zutreffend und von der Revision nicht gerügt ausgeführt hat, stehen der Klägerin keine Schadensersatzansprüche gegen den Erstbeklagten zu.
Ihre Revision muß somit ohne Erfolg bleiben.
Unterschriften
Dr. Weber, Dunz, Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Ankermann
Fundstellen
Haufe-Index 1742385 |
NJW 1976, 1151 |
Nachschlagewerk BGH |