Leitsatz (amtlich)
›a) Für die Einhaltung der Frist des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB kommt es nicht darauf an, ob die getroffene ärztliche Feststellung richtig ist.
b) Die ärztliche Feststellung muß nicht innerhalb der Frist des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB dem Versicherer zugegangen sein.‹
Verfahrensgang
LG Düsseldorf |
OLG Düsseldorf |
Tatbestand
Der Kläger beansprucht eine Invaliditätsentschädigung aus einem Unfallversicherungsvertrag, den er im Jahre 1975 mit der Beklagten abgeschlossen hat. Er bringt vor:
Am 14. April 1981 sei er bei einer Gipfelfahrt in G auf Firnschnee gestürtzt und mit der Brust gegen einen Hügel geprallt. Der Sturz habe einen Myokardinfarkt ausgelöst. Nach dem Sturz hätten ihn sogleich krampfartige Schmerzen in der Brust befallen, verbunden mit Übelkeit, Schwindel und einem allgemeinen Schwächezustand.
Am 22. April 1981 suchte der Kläger seinen Hausarzt Dr. C auf. Ein von diesem unterzeichneter ärztlicher Erstbericht zu einer privaten Unfallversicherung ging der Beklagten zunächst am 26. Juli 1982 und nach Aufforderung zur Beantwortung weiterer Fragen am 30. September 1982 erneut zu. Schon in der ersten Fassung des Berichts, die nach dem Vorbringen des Klägers am 2. Juli 1982 von Dr. O unterzeichnet wurde, ist die Frage 8.1 "Wird der Unfall voraussichtlich eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit hinterlassen?" mit ja angekreuzt. In einem weiteren ärztlichen Erstbericht des Chefarztes Dr. T vom St. J Krankenhaus in H vom 7. Juni 1982, der der Beklagten am 8. Juni 1982 zuging, heißt es: "Myocardinfarkt, der offenbar im zeitlichen Zusammenhang mit einem während des Skiurlaubs aufgetretenen Sturzes auf den Brustkorb auftrat." Bereits vorher hatte der Kläger den vertrauensärztlichen Dienst der LVA R aufgesucht, wo er von Dr. Sch am 5. August 1981 erstmals untersucht wurde. Aufgrund einer weiteren Untersuchung vom 30. September 1981 wurde dort Erwerbsunfähigkeit festgestellt. In dem Bericht dazu heißt es: "Zust. nach Hinterwandinfarkt im April 1981 ... . Über ein Unfallereignis wurden hier keine Angaben gemacht."
Der Kläger meint, vor dem Unfall sei er kerngesund gewesen.
Die Beklagte besteitet den Anspruch des Klägers nach Grund und Höhe und bringt vor:
Der Anspruch des Klägers scheitere schon deshalb, weil eine Invalidität nicht binnen Jahresfrist eingetreten und auch nicht binnen einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt worden sei. Dr. O habe die Angabe in seinem Erstbericht gegen eigene bessere Überzeugung gemacht. Sie müsse aufgrund der ihr vorgelegten medizinischen Unterlagen davon ausgehen, daß bei dem Kläger keine durch einen Unfall verursachte und durch Symptome eines Herzschadens gekennzeichnete Invalidität eingetreten sei; wahrscheinlich sei der Kläger gestürtzt, nachdem er zuvor einen Myocardinfarkt erlitten gehabt habe.
Zumindest habe bei dem Unfall eine bereits bei dem Kläger vorliegende Gefäßschädigung mitgewirkt, so daß ihre Leistungspflicht eingeschränkt sei. Auch müsse davon ausgegangen werden, daß die Arbeitsfähigkeit des Klägers vor dem Unfall durch diese Vorerkrankung dauernd beeinträchtigt gewesen sei, was auch eine Leistungskürzung rechtfertige.
Schließlich sei sie wegen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei, weil der Kläger den Unfall nicht unverzüglich gemeldet habe und die Schadensanzeige erst am 14. Mai 1982 bei ihr eingegangen sei.
Das Landgericht hat ein kardiologisches Sachverständigengutachten eingeholt und sodann dem in erster Instanz eingeschränkten Klageantrag stattgegeben. Hiergegen haben die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlußberufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat nach Vernehmung des Dr. O die Klage abgewiesen und die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen, mit der er den Zahlungsantrag auf insgesamt 754.000 DM erhöht hat. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
1. Das Berufungsgericht meint, es könne nicht davon ausgegangen werden, daß die nach § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität als Unfallfolge spätestens vor Ablauf der Frist von 15 Monaten seit dem Unfalltag erfolgt sei. Der sachverständige Zeuge Dr. O habe eine fristgerechte ärztliche Feststellung nicht bestätigt. Er habe vielmehr ausgesagt, daß er eine unfallbedingte Invalidität nicht habe feststellen können. Es fehle daher an der Anspruchsvoraussetzung des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB.
Eine andere Beurteilung sei auch nicht deshalb geboten, weil in dem ärztlichen Erstbericht von Dr. O die Frage 8, nämlich, ob der Unfall voraussichtlich eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit hinterlassen werde, mit "ja" angekreuzt sei. Dazu und zu den weiteren Angaben in dem Erstbericht habe Dr. O glaubhaft ausgesagt, er habe das Gefühl gehabt, daß von ihm eine Bescheinigung verlangt worden sei, die mit seinen ärztlichen Erkenntnissen nicht vereinbar gewesen sei. Er könne sich noch bildhaft erinnern, daß er damals dem Kläger gesagt habe, er möchte mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun haben, der Kläger solle sich zu seiner Sprechstundenhilfe begeben.
Der Auffassung des Klägers, angesichts des Erstberichtes müsse es ihm aus Gründen der Waffengleichheit im Prozeß erlaubt sein, den Beweis dafür zu führen, daß die damaligen Feststellungen zur unfallbedingten Invalidität von Dr. O zutreffend gewesen seien, könne nicht gefolgt werden. Es könne auf sich beruhen, ob damals Befunde vorgelegen hätten, aus denen die dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit als Unfallfolge bei richtiger ärztlicher Würdigung durch Dr. O hätte festgestellt werden können, aber infolge ärztlicher Fehleinschätzung innerhalb der Frist von 15 Monaten nicht erkannt worden sei. Jedenfalls habe Dr. O eine unfallbedingte Invalidität nicht ärztlich festgestellt. Die vom Kläger behauptete ärztliche Fehleinschätzung gebe dem Kläger nicht die Möglichkeit, durch weitere Beweismittel die Fehleinschätzung von Dr. O nachzuweisen, um auf diese Weise die Anspruchsvoraussetzungen zu begründen.
Angesichts der Angaben in dem Erstbericht von Dr. O über das Unfallereignis und den Erstbefund, sei die "Bestätigung", daß der Unfall voraussichtlich eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit hinterlassen werde, im übrigen fragwürdig und nicht überzeugend. Diese Angaben über das Unfallereignis und der Erstbefund begründeten nicht die "Bestätigung", daß der Unfall voraussichtlich eine dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Klägers hinterlassen werde.
Bei diesem Beweisergebnis sei es dem Kläger verwehrt, nunmehr durch ein Sachverständigengutachten ex post angebliche Fehler des sachverständigen Zeugen Dr. O zu klären, um so den Nachweis zu führen, daß Dr. O bei fehlerfreier Einschätzung zu einer ärztlichen Feststellung der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit gelangt wäre.
2. Mit dieser Begründung kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben.
a) Die Revision meint im Anschluß an Wussow (WI 1984, 85), es müsse genügen, wenn fristgerecht ärztliche Befunde erhoben sind, die die Feststellung einer innerhalb Jahresfrist eingetretenen Invalidität ohne weiteres ermöglichen. Diese Ansicht ist im Hinblick auf Sinn und Zweck der Klausel abzulehnen. Weitere Anspruchsvoraussetzung ist die Feststellung von Unfall und darauf beruhender Invalidität innerhalb der Frist von 15 Monaten. Daher können auch die Behauptungen der Revision, das Berufungsgericht habe die ärztliche Gutachten von Dr. T und Dr. Sch übersehen, der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Diese Gutachten gehen zwar von einer auf einem Herzinfarkt beruhenden Invalidität aus, enthalten aber keine Feststellungen dazu, daß sie auf dem Unfall beruht.
b) Dem Berufungsgericht kann jedoch nicht darin gefolgt werden, daß die Frist von 15 Monaten dann nicht gewahrt sei, wenn ein Arzt innerhalb der Frist eine entsprechende Bestätigung ausgestellt, später aber als Zeuge glaubwürdig ausgesagt hat, sie habe nicht seiner wirklichen Überzeugung entsprochen.
Durch die Frist für die ärztlichen Feststellungen binnen 15 Monaten sollen im Interesse einer rationellen, arbeits- und kostensparenden Abwicklung Spätschäden auch dann vom Versicherungsschutz ausgenommen werden, wenn der VN an der Nichteinhaltung der Frist schuldlos ist (BGH, Urteil vom 28.6.1978 - IV ZR 7/77 - VersR 1978, 1036). Im Hinblick auf die darin für den VN liegende Härte läßt sich die Rechtswirksamkeit dieser Risikoausschlußklausel nur mit dem Hinweis auf das berechtigte Interesse rechtfertigen, das der Versicherer an einer baldigen Klärung seiner Leistungspflicht hat (RG VA 1909 Nr. 458 S. 54; Haidinger, VersR 1952, 412). Diesem Interesse ist genügt, wenn dem Versicherer eine ärztliche Stellungnahme vorliegt, die innerhalb der Frist des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB erstellt und in der eine innerhalb Jahresfrist seit dem Unfall eingetretene und auf den Unfall zurückführende Invalidität bestätigt ist. Das genügt, weil damit dem Versicherer Gelegenheit gegeben wird, der Sache nachzugehen. Auf die Richtigkeit der ärtzlichen Bestätigung kann es für die Frage der Fristwahrung nicht ankommen. Das gilt unzweifelhaft dann, wenn der Arzt, der die entsprechende Bestätigung ausgestellt hat, nachträglich einräumt, er habe sich geirrt. Im Interesse der Waffengleichheit zwischen VN und Versicherer kann es nicht anders sein, wenn dieser Arzt nachträglich erklärt, die Bescheinigung habe nicht seiner ärztlichen Überzeugung entsprochen. Auch in diesem Fall geschieht dem Versicherer kein Unrecht. Er kann sich uneingeschränkt darauf berufen, daß die Bescheinigung unrichtig sei und der VN die Beweislast dafür hat, daß die Invalidität eine Unfallfolge sei. Dagegen wäre der VN, der eine von einem Arzt unterschriebene Bescheinigung in Händen hat und daher keinen Anlaß hatte, die erforderliche Feststellung etwa durch einen anderen Arzt treffen zu lassen, von vornherein mit seinen Ansprüchen ausgeschlossen, ohne die Möglichkeit zu haben, den ohnehin ihm obliegenden Beweis für die Richtigkeit der zunächst erteilten ärztlichen Bescheinigung zu führen. Das kann nicht rechtens sein und entspricht auch nicht dem Sinn und Zweck der Klausel.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob der Erstbericht des Dr. O ihr innerhalb der Frist des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB zugegangen ist. Das Zugangserfordernis gilt nur für die Frist zur Geltendmachung des Anspruchs, auf deren Versäumung der Versicherer sich nicht berufen kann, wenn den VN dazu kein Verschulden trifft (Senatsurteil vom 24.3.1982 - IVa ZR 226/80 - VersR 1982, 567). Dagegen ist es nach § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB nicht erforderlich, daß die ärztliche Feststellung innerhalb der Frist des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB dem Versicherer bereits zur Kenntnis gelangt. Es genügt die bloße Geltendmachung bei dem Versicherer und die tatsächliche ärztliche Feststellung, die dann später auf Verlangen dem Versicherer vorgelegt werden muß, um die Einhaltung der Frist zu beweisen (so mit Recht Wussow/Pürckhauer, AUB 5. Aufl. § 8 Anm. 6).
Das Berufungsgericht wird daher zu prüfen haben, wann die ärztliche Feststellung des Dr. O getroffen worden ist. Falls es dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß dies innerhalb der Frist des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB geschehen ist, wird es ferner zu prüfen haben, ob tatsächlich eine unfallbedingte Invalidität vorliegt, ob die Beklagte etwa wegen Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei geworden ist und ob der Klageanspruch - worauf die Beklagte sich ebenfalls berufen hat - teilweise verjährt ist.
Fundstellen
Haufe-Index 2992921 |
NJW 1988, 2305 |
DRsp II(230)106b-c |
MDR 1988, 387 |
VersR 1988, 286 |