Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 23. September 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger befaßt sich mit der Werbung von Zeitschriftenabonnenten, der Beklagte betreibt einen Buch- und Zeitschriftenhandel.
Aus einer früheren Geschäftsbeziehung schuldet der Kläger dem Beklagten unter anderem die Zahlung von 107.652,83 DM. Über diesen Betrag nebst 12 % Zinsen seit 31. Dezember 1984 hat der Beklagte gegen den Kläger einen rechtskräftigen Vollstreckungsbescheid erwirkt. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist eine Vollstreckungsabwehrklage, mit welcher der Kläger geltend macht, der Beklagte habe ihm die titulierte Schuld erlassen. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien schlossen am 21. April 1994 drei schriftliche Vereinbarungen (Anl. K 3-5 zur Klageschrift).
Anlage K 3 enthält die Abrede, daß der Beklagte „auf diese Forderung verzichtet und zwar mit Datum vom 30.07.1995, sofern die Firma V. [= der Kläger] auf ein gemeinsames Filialkonto (Vereinbarung vom 21.04.1994 [A 1], diese ist Bestandteil dieser Vereinbarung) bis zu diesem Zeitpunkt 7.000 Belieferungsrechte für die Zeitschrift „F. ” erbracht hat und zwar solche die eindeutig als feste zahlende Bezieher der Zeitschrift „F. ” festzustellen sind.”
Die als Anlage K 4 bezeichnete Vereinbarung lautet auszugsweise wie folgt:
„Die Firma V. liefert zugunsten eines Filialkontos dem M. -Verlag [= der Beklagte] Belieferungsrechte für die Zeitschrift „F. ”. Für jedes eingereichte Belieferungsrecht erhält die Firma V. eine Einmalprovision in Höhe von DM 150,00. Von dieser Summe wird ein Deckungskonto für zu stornierende Aufträge von 70 % in Abzug gebracht. Als Storno gelten Aufträge, welche die geworbenen Kunden widerrufen oder die gelieferte Ware nicht bezahlen. Als nichtbezahlte Abonnements gelten solche, bei welchen der Kunde die zweite Quartalsrechnung nicht bezahlt hat. Diese anfallenden Stornos werden laufend vom Deckungskonto in Abzug gebracht und der Firma V. zurückgegeben.”
Die Anlage K 5 regelt die Einrichtung und Verwaltung eines gemeinsamen „Filialkontos” für „F. ”-Abonnements.
Mit Schreiben vom 4. Juli 1994 kündigte der Beklagte die drei Vereinbarungen „aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung”. Zur Begründung führte er an, die geworbenen Abonnenten seien von den Zeitschriftenwerbern des Klägers getäuscht worden und bereits zu mehr als 70 % „gesprungen”. Im Verlauf des Rechtsstreits hat er weiter vorgetragen, der Kläger habe Bestellformulare eigenmächtig abgeändert und abredewidrig einen Teil der Kunden im eigenen Namen geworben. Zahlreiche Kunden seien dadurch zur Unterzeichnung des Bestellformulars veranlaßt worden, daß die Zeitschriftenwerber des Klägers ihnen wahrheitswidrig erklärt hätten, es handele sich nur um eine Bestellung von Gratisheften. Deswegen seien bei dem Beklagten zahlreiche Beschwerden eingegangen. Der Kläger, der dem im einzelnen entgegengetreten ist, hält die Kündigung für unwirksam.
Bis zum 4. Juli 1994 hatte der Kläger dem Beklagten mehr als 4.000 Bestellscheine für „F. ”-Abonnements übergeben. Der Beklagte nahm auch nach Ausspruch der Kündigung noch zahlreiche weitere vom Kläger geworbene Bestellungen entgegen, allerdings nicht zu den Bedingungen der Vereinbarungen vom 21. April 1994. Die Zahl von 7.000 festen Beziehern der Zeitschrift „F. ” ist nicht erreicht worden.
Der Kläger hat vorgetragen, die Zahl von 7.000 festen Abonnenten der Zeitschrift „F. ” wäre bis zum 30. Juli 1995 erreicht worden, wenn der Beklagte die vereinbarte Zusammenarbeit bis zu diesem Termin fortgesetzt hätte. Der Beklagte müsse sich daher so behandeln lassen, als wäre die aufschiebende Bedingung für den am 21. April 1994 vereinbarten Schulderlaß eingetreten.
Das Landgericht hat der Vollstreckungsabwehrklage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie auf die Berufung des Beklagten hin abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Die titulierte Forderung sei dem Kläger nicht erlassen worden. Die für den Erlaß vereinbarte aufschiebende Bedingung, daß der Kläger bis zum 30. Juli 1995 7.000 feste zahlende „F. ”-Abonnenten beibringe, sei nicht erfüllt worden. Der Kläger habe auch nicht beweisen können, daß der Beklagte den Eintritt der Bedingung wider Treu und Glauben verhindert hätte. Aus der Entwicklung, die das Geschäft bis zum 4. Juli 1994 genommen habe, ergebe sich, daß der Beklagte durch die Weigerung, weitere Abonnentenverträge abzunehmen, nicht treuwidrig gehandelt habe.
Der Kläger habe durch die eigenmächtige Abänderung des Bestellformulars die Position des Beklagten nicht unerheblich verschlechtert. Die Ausweitung des Widerrufsrechts der Abonnenten habe der Beklagte zwar nachträglich gebilligt; der Vorgang habe trotzdem Bedeutung für die Frage, welches Maß an Treue der Beklagte am 4. Juli 1994 noch geschuldet habe. Nicht gebilligt und dem Kläger gegenüber beanstandet habe der Beklagte, daß der Kläger Abonnenten teilweise im eigenen statt im Namen des Beklagten geworben habe. Dieses Verhalten habe zur Folge gehabt, daß der Beklagte nicht Vertragspartei geworden und daß ihm zudem die Abwicklung der Verträge erheblich erschwert worden sei.
Die hohe Stornierungsquote und die Beschwerden der Kunden über die von den Mitarbeitern des Klägers angewandten Werbemethoden hätten am 4. Juli 1994 auf eine bedrohliche Entwicklung schließen lassen, angesichts deren der Rückzug des Beklagten nicht treuwidrig erscheine. Schließlich habe der Kläger die Behauptungen des Beklagten nicht widerlegt, Kunden hätten in großer Zahl reklamiert, sie seien getäuscht worden, indem ihnen bei der Werbung gesagt worden sei, es handele sich lediglich um eine Unterschrift für den Bezug von vier kostenlosen Probeheften. Der Kläger habe derartige Kundenbeschwerden zwar bestritten, Beweis aber nur dafür angetreten, daß allgemein keine Täuschung stattgefunden habe. Darauf komme es nicht an. Auch wenn die von ihm benannten 86 Werberinnen und 1.000 Kunden den Vortrag des Klägers bestätigen sollten, könne nicht ausgeschlossen werden, daß zahlreiche Kunden Beschwerde über eine Täuschung geführt hätten. Die Berechtigung der Beschwerden nachzuprüfen, sei der Beklagte weder imstande noch verpflichtet gewesen.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand.
1. Mit Recht beanstandet die Revision, daß das Berufungsgericht die Frage, ob der Beklagte den Eintritt der aufschiebenden Bedingung des Schulderlasses wider Treu und Glauben verhindert hat und sich deshalb nach § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen muß, als sei die Bedingung eingetreten, allein unter dem Gesichtspunkt geprüft hat, ob der Beklagte einen berechtigten Anlaß zur Zurückweisung weiterer vom Kläger vermittelter Zeitschriftenabonnements hatte. Damit würdigt das Berufungsgericht den Sachverhalt unvollständig, was dazu führt, daß es an die Treuwidrigkeit des Verhaltens des Beklagten im Sinne von § 162 Abs. 1 BGB zu hohe Anforderungen stellt. Die Vorinstanz übergeht nämlich bei ihrer Betrachtungsweise den rechtserheblichen Umstand, daß die Parteien nicht nur den Schulderlaß vom Eintritt einer Bedingung abhängig gemacht, sondern darüber hinaus eine Zusammenarbeit nach bestimmten festgelegten Regeln vereinbart haben, die es dem Kläger ermöglichen sollte, die Bedingung zu erfüllen. Die Weigerung des Beklagten, weitere vom Kläger geworbene Abonnementverträge zu den vereinbarten Bedingungen entgegenzunehmen, war daher nur dann berechtigt, wenn der Beklagte die Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Parteien, die als Handelsvertretervertrag zu qualifizieren ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 HGB), durch seine fristlose Kündigung vom 4. Juli 1994 wirksam beendet hat. War das nicht der Fall, so war die Weigerung des Beklagten, weitere vom Kläger vermittelte Abonnementverträge zu den vereinbarten Provisionsbedingungen entgegenzunehmen, eine schwerwiegende Vertragsverletzung. Diese war, wie für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist, für das Ausbleiben des Bedingungseintritts ursächlich, denn der Kläger hätte nach seiner Darstellung, von der im Revisionsverfahren in Ermangelung abweichender Feststellungen der Vorinstanz auszugehen ist, bis zum 30. Juli 1995 die vereinbarte Anzahl von 7.000 festen Abonnements für die Zeitschrift „F. ” liefern können. Sollte es mithin zutreffen, daß der Beklagte dem Kläger die Erfüllung der vereinbarten Bedingung für den Schulderlaß durch vertragswidriges Verhalten unmöglich gemacht hat, so kann, wie auch die Revisionserwiderung einräumt, nicht zweifelhaft sein, daß der Beklagte dann den Eintritt der Bedingung entgegen Treu und Glauben verhindert hat.
2. Die Wirksamkeit des Erlaßvertrages hängt also entscheidend davon ab, ob der Beklagte den mit dem Kläger geschlossenen Handelsvertretervertrag wirksam aus wichtigem Grund fristlos gekündigt hat. Hierzu fehlt es an Feststellungen der Vorinstanz. Anders als die Revisionserwiderung meint, hat das Berufungsgericht solche Feststellungen auch nicht implizit getroffen. Es hat sich vielmehr allein mit der Frage befaßt, ob die Beendigung der Zusammenarbeit der Parteien durch den Beklagten in Anbetracht der beanstandeten Verhaltensweisen des Klägers und seiner Mitarbeiter sowie der Anfang Juli 1994 sich abzeichnenden Stornierungsquote treuwidrig war. Die bloße Verneinung der Treuwidrigkeit füllt aber noch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen eines wichtigen Grunds zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 89 a Abs. 1 HGB aus. Hierzu bedarf es vielmehr solcher Umstände, die dem Kündigenden eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dessen Ablauf oder auch nur bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem dasselbe durch ordentliche Kündigung beendet werden kann, unzumutbar machen (st.Rspr.,z.B. BGH, Urteile vom 21. November 1980 - I ZR 118/78 = WM 1981, 172 unter II 3 und vom 30. Januar 1986 - I ZR 185/83 = NJW 1986, 1931 unter II A 1).
Mit dieser Frage hat sich das Oberlandesgericht nicht befaßt. Es hat zwar das eigenmächtige Verhalten des Klägers mißbilligt und die hohe Stornierungsquote sowie die Beschwerden von Kunden über unlautere Werbemethoden als Anzeichen für eine bedrohliche Entwicklung gewertet. Diese Würdigung läßt indessen keine sicheren Rückschlüsse darauf zu, ob dem Beklagten am 4. Juli 1994 die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses aus diesen Gründen unzumutbar war. Dazu hätte es zunächst der im Wege der Auslegung zu treffenden Feststellung bedurft, ob der Handelsvertretervertrag, der selbst keine Laufzeitregelung enthält, in Anbetracht seiner Verknüpfung mit dem Erlaßvertrag als auf bestimmte Zeit abgeschlossen anzusehen ist oder ob er auf unbestimmte Zeit eingegangen ist und infolge dessen gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 HGB mit einer Frist von einem Monat hätte ordentlich gekündigt werden können. Schon daran fehlt es. Eine eigene Auslegung durch den erkennenden Senat (vgl. zur Zulässigkeit derselben z.B. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1990 - V ZR 223/89 = NJW 1991, 1180 unter 2 m.w.Nachw.) erscheint nicht sachdienlich, weil es darüber hinaus einer umfassenden, auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung bezogenen Würdigung aller Umstände im Hinblick darauf bedarf, ob dem Beklagten die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses mit dem Kläger bis zu dem maßgeblichen Zeitpunkt zumutbar war. Diese Beurteilung ist dem Tatrichter vorbehalten (z.B. BGH, Urteil vom 3. Juli 1986 - I ZR 171/84 = WM 1986, 1413 unter II 1). Damit diese Würdigung nachgeholt werden kann, muß die Sache daher ohnedies an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
III. Das Berufungsurteil kann somit keinen Bestand haben. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:
1. Für die Beantwortung der Frage, ob der Beklagte zur Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses aus wichtigem Grund berechtigt war, kann nicht von der Beweislastverteilung ausgegangen werden, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung in bezug auf angebliche Kundenbeschwerden über unlautere Werbemethoden zugrunde gelegt hat. Die tatsächlichen Voraussetzungen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung hat derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich auf die Wirksamkeit der Kündigung beruft. Sofern das Berufungsgericht die vom Beklagten behaupteten Beschwerden von Kunden als einen Umstand werten sollte, auf den eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund gestützt werden kann, wird daher der Beklagte darzulegen und zu beweisen haben, in welchem Umfang ihn im fraglichen Zeitraum Anfang Juli 1994 derartige Beschwerden erreicht haben. Darüber hinaus wird das Berufungsgericht aber auch klären müssen, ob diese Beschwerden berechtigt oder etwa von den betreffenden Kunden nur vorgeschoben waren, um sich aus der eingegangenen Bezugsverpflichtung zu lösen. Derartige unberechtigte Beschwerden über unlautere Werbemethoden der Mitarbeiter des Klägers vermögen eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund nicht zu rechtfertigen.
2.a) Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund wegen der vom Berufungsgericht festgestellten oder unterstellten Verhaltensweisen des Klägers und seiner Mitarbeiter setzt eine vorherige Abmahnung voraus (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1980 - I ZR 118/78 = WM 1981, 172 unter II 3; MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene, § 89 a Rdnr. 29; Heymann/Sonnenschein, HGB, § 89 a Rdnr. 13; Hopt, Handelsvertreterrecht, 1992, § 89 a Rdnr. 10). Eine solche hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Das Schreiben des Beklagten vom 3. Mai 1994, dem das Berufungsgericht eine Beanstandung der Kundenwerbung mit auf den Namen des Klägers lautenden Formularen entnimmt, erfüllt die an eine Abmahnung zu stellenden Anforderungen nicht. Der Beklagte lehnt dort lediglich die Übernahme der auf diese Weise geworbenen Aufträge ab. Eine Aufforderung an den Kläger, diese Art der Kundenwerbung zu unterlassen, und die Androhung der Kündigung für den Fall der Fortsetzung des beanstandeten Verhaltens, die das Wesen einer Abmahnung ausmachen, finden sich dort indessen nicht. Dasselbe gilt für die in diesem Schreiben weiter angesprochenen telefonischen Beschwerden von Kunden über unlautere Werbemethoden von Mitarbeitern des Klägers.
b) Entbehrlich war eine Abmahnung lediglich hinsichtlich der vom Berufungsgericht als bedrohlich oder gar als alarmierend bezeichneten Stornierungsquote. Hierzu rügt die Revision indessen mit Recht übergangenen Sachvortrag des Klägers, der unter Beweiseintritt vorgetragen hat, eine Stornoquote von 70 % sei branchenüblich, mit ihr hätten auch die Parteien gerechnet. Die vom Berufungsgericht für den 4. Juli 1994 festgestellte Stornoquote liegt weit unter diesem Wert; daß im weiteren Verlauf aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen ein Anstieg der Quote auf mehr als 70 % zu erwarten gewesen wäre, ist den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen.
Unterschriften
Dr. Zülch, Dr. Hübsch, Ball, Wiechers, Dr. Wolst
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.12.1998 durch Mayer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 541359 |
NJW-RR 1999, 539 |
EWiR 1999, 611 |