Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdacht des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 26. März 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Ihm liegt zur Last, in Essen gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Deniz K. Heroin – im Fall 2 der Anklage auch Kokain – an Muzaffer G. veräußert zu haben.
Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Sie wendet sich gegen die Beweiswürdigung; ferner rügt sie, das Landgericht habe die angeklagten Taten nicht unter allen rechtlich in Betracht kommenden Straftatbeständen behandelt.
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen war der Angeklagte bis zum Jahre 1994 in mehreren Verfahren für die Polizei als Vertrauensperson tätig. Seit 1995 betrieb er in Essen das Café „B.”, in dem sich seit Herbst 1995 „nahezu täglich auch der flüchtige Drogenhändler Deniz K.” aufhielt, mit dem sich der Angeklagte anfreundete. Deniz K. belieferte in der Zeit von November 1995 bis Ende Juni 1996 Muzaffer G. mit Rauschgift. Dieser suchte „mindestens zehn mal” das Café des Angeklagten auf, „um sich dort mit Deniz K. zum Zwecke der Übergabe des Rauschgiftes zu treffen”. Für Muzaffer G. „oder andere Abnehmer” war Deniz K. über die Telefonnummer des Cafés erreichbar. Anrufern teilte der Angeklagte gegebenenfalls mit, wo und wann Deniz K. anzutreffen war.
2. Das Landgericht hat eine Mittäterschaft des Angeklagten als nicht erwiesen angesehen und auch eine Strafbarkeit wegen Beihilfe verneint. Der Senat kann offen lassen, ob die angefochtene Entscheidung, wie die Beschwerdeführerin meint, schon deshalb keinen Bestand haben kann, weil sich dem Urteil nicht entnehmen läßt, daß das Landgericht die gebotene Gesamtabwägung (vgl. BGHR § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 1) unter Berücksichtigung aller den Angeklagten belastenden Indizien vorgenommen hat, die in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung begründen können, daß er – als Mittäter oder Gehilfe – an den von Deniz K. begangenen Straftaten beteiligt war. Die Revision rügt jedenfalls zu Recht, daß die Strafkammer – gegebenenfalls nach einem Hinweis nach § 265 StPO – auch hätte prüfen und entscheiden müssen, ob der Angeklagte sich wegen Gewährens einer Gelegenheit zum Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG strafbar gemacht hat:
Das Landgericht hat insoweit seiner umfassenden Kognitionspflicht nicht genügt, die gebietet, daß der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozeßstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorganges erschöpft wird (vgl. BGHSt 39, 164,166; BGH NStZ 1997,127).
Nach den Feststellungen liegt jedenfalls das Gewähren einer Gelegenheit zur Abgabe und zum Erwerb vor. Der Angeklagte hat den Drogenhandel in seinem Café nicht nur geduldet (zur Garantenpflicht des Gastwirts vgl. Körner BtMG 4. Aufl. § 29 Rdn. 1023 ff.; Weber BtMG § 29 Rdn. 835 jew. m. N.), sondern auch unterstützt, indem er Deniz K. und seinen Abnehmern ermöglichte, über den Telefonanschluß des Cafés Kontakt aufzunehmen.
Das Landgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob der Angeklagte insoweit nicht wenigstens fahrlässig (§ 29 Abs. 4 BtMG) gehandelt hat, weil er damit hätte rechnen müssen, daß seine Tätigkeit, insbesondere auch von Deniz K. und Muzaffer G., als eine Gewährung von Gelegenheit zur Abgabe und zum Erwerb von Betäubungsmitteln verstanden werden mußte (vgl. Weber aaO § 29 Rdn. 855). Dies liegt insbesondere deshalb nahe, weil der Angeklagte, unter anderem aufgrund seiner Tätigkeit als Vertrauensperson, mit den Gepflogenheiten im Drogenhandel vertraut war und nach seiner Einlassung „vermutete”, daß Deniz K. „in Drogengeschäfte verstrickt war”. Dem Angeklagten war im Hinblick auf seine Pflichten als Gastwirt (vgl. Körner aaO § 29 Rdn. 1027) auch zumutbar (vgl. BGH NStZ 1992, 86), den Drogenhandel in seiner Gaststätte zu verhindern.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Freispruchs insgesamt. Der neue Tatrichter wird den gegen den Angeklagten erhobenen Schuldvorwurf in vollem Umfang erneut zu prüfen und zu entscheiden haben (vgl. BGHSt 39, 164).
4. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen ist damit gegenstandslos.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute]
Fundstellen
Haufe-Index 556837 |
NStZ 2000, 208 |
DVP 2000, 304 |
Kriminalistik 2000, 309 |