Entscheidungsstichwort (Thema)
Untreue
Tenor
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Januar 1998, soweit es den Angeklagten D betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten sowohl aus Rechtsgründen als auch aus tatsächlichen Gründen vom Vorwurf der Untreue gemäß den §§ 163, 164, 22 StGB-DDR in der Fassung des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29. Juni 1990 (GBl I 526) freigesprochen. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Am 27. Juli 1990 kaufte der Angeklagte, seinerzeit stellvertretender Ministerpräsident und Minister des Innern der DDR, gemeinsam mit seiner Ehefrau von dem ihm unterstellten Ministerium des Innern ein in Zeuthen gelegenes Grundstück. Dabei handelte es sich um ein ca. 3500 m² großes Seegrundstück, das mit einem Einfamilienhaus bebaut war. Der Kaufpreis sollte zunächst 192.700 DM betragen; er wurde durch notarielle Ergänzung vom 14. August 1990 auf 193.000 DM erhöht. Der wirtschaftliche Wert des Grundstücks betrug aufgrund der sich schon im Juli 1990 nach der bereits am 1. Juli 1990 erfolgten Wirtschafts- und Währungsunion im Blick auf die bevorstehende Vereinigung beider Teile Deutschlands entwickelnden Marktlage mindestens 770.000 DM. Das Grundstück stand im Zeitpunkt des Verkaufs in Volkseigentum. Rechtsträger war das Ministerium des Innern, das die Immobilie als Gästehaus nutzte.
Das Haus war dem in Leipzig wohnenden Angeklagten nach seiner Ernennung zum Innenminister am 12. April 1990 zunächst für seine dienstlichen Aufenthalte in Berlin zur Verfügung gestellt worden. Im Hinblick darauf teilte der Angeklagte am 19. April 1990 dem Rat der Gemeinde Zeuthen mit, daß eine zuvor in Aussicht genommene Übergabe des Grundstücks an die Gemeinde zur kommunalen Nutzung nun nicht mehr in Betracht komme. Entgegen dem Vorschlag des Ministerrats, ein anderes Haus auf Mietbasis mit Vorkaufsrecht zu beziehen, faßte der Angeklagte spätestens Anfang Juli 1990 den Entschluß, „die Möglichkeiten des ‚Modrow-Gesetze’ für sich zu nutzen” und das Seegrundstück in Zeuthen zu kaufen. Nachdem er zunächst am 16. Juni 1990 mit dem Ministerium des Innern einen Mietvertrag über das Grundstück abgeschlossen hatte, gab er seinem Stellvertreter M, der als Chefinspekteur zugleich Leiter der Versorgungsdienste des Ministeriums des Innern war, den Auftrag, alles für den Verkauf Notwendige zu veranlassen. Am 17. Juli 1990 wurde ein Gutachter beauftragt, das Grundstück bereits am darauffolgenden Tage zwecks Erstellung eines Wertgutachtens zu besichtigen. Auf der Grundlage eines ihm vom Rat des örtlichen Kreises erteilten bislang üblichen Bodenpreises von 9 DM pro m² ermittelte der Sachverständige in einem am 25. Juli 1990 vorgelegten Gutachten einen Grundstückspreis von 193.000 DM. Einen Tag später beantragte der Angeklagte beim Minister für Finanzen die nach § 56 des am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen Gesetzes über die Haushaltsordnung der Republik (GBl I 313) notwendige Zustimmung zum Kauf des Seegrundstücks. Bereits am darauffolgenden Tag wurde diese erteilt. Nachdem ebenfalls am 27. Juli 1990 vom Rat des Kreises Königs Wusterhausen auf der Grundlage eines Bodenpreises von 9 DM pro m² und eines Gesamtkaufpreises von 192.700 DM ein Preisvorbescheid ergangen war, wurde noch am selben Tag der Kaufvertrag vor dem staatlichen Notariat geschlossen. Dieser bedurfte allerdings noch der Genehmigung nach der Grundstücksverkehrsordnung der DDR vom 15. Dezember 1977 (GBl I 73). Nachdem das zuständige Landratsamt diese mit Bescheid vom 20. September 1990 zunächst versagt hatte, wurde sie auf die Beschwerde des Angeklagten auf der Grundlage inzwischen geänderter Prüfungsvoraussetzungen 1992 erteilt.
Zwischenzeitlich hatte die Bundesrepublik Deutschland Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Kaufvertrages und Unterlassung eines Antrags auf Eintragung des Angeklagten und seiner Ehefrau als Eigentümer im Grundbuch erhoben. Während das Kreisgericht dem Angeklagten in erster Instanz die Rechtmäßigkeit des Grundstückserwerbs bescheinigt und die Klage abgewiesen hatte, wurde der Klage auf die Berufung der Bundesrepublik Deutschland vom Bezirksgericht in vollem Umfang stattgegeben. Der Bundesgerichtshof nahm die vom Angeklagten eingelegte Revision nicht an, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung und im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg habe. Der Kaufvertrag sei angesichts der Umstände, die zum Vertragsschluß geführt hätten und des erheblichen Mißverhältnisses zwischen dem Wert und dem vereinbarten Preis des Kaufobjekts nach § 68 Nr. 2 ZGB-DDR wegen Verstoßes gegen die Grundsätze redlichen Verhaltens nichtig. Für andere Interessenten als den Angeklagten und seine Ehefrau wäre ein Erwerb nicht möglich gewesen (BGH, Beschluß vom 14. Oktober 1994 - V ZR 233/93, DtZ 1995, 169).
Eine Eintragung des Angeklagten und seiner Ehefrau als Eigentümer im Grundbuch erfolgte nicht.
II.
Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue scheitert nach der Auffassung des Landgerichts schon am Fehlen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 163 StGB-DDR, der in seinem Wortlaut § 266 StGB entspricht. Da das Verhalten des Angeklagten, der ebenso wie seine Ehefrau niemals als Eigentümer des Grundstücks in Zeuthen in das Grundbuch eingetragen worden sei, weder zu einem Vermögensschaden noch zu einer schadensgleichen Vermögensgefährdung geführt habe, komme allenfalls ein – strafloser – Versuch der Untreue in Betracht. Zudem sei dem Angeklagten wegen der unübersichtlichen Gesetzeslage zur Tatzeit ein vorsätzliches Handeln in bezug auf einen der DDR entstehenden wirtschaftlichen Nachteil nicht nachzuweisen.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß der Angeklagte als Minister des Innern kraft Gesetzes oder behördlichen Auftrags die Verpflichtung hatte, in bezug auf die der Rechtsträgerschaft seines Ministeriums unterstehenden Grundstücke die Vermögensinteressen des Staates wahrzunehmen. Dafür spricht bereits § 2 Abs. 2 der Rechtsträgerverordnung der DDR vom 7. Juli 1969 (GBl II 433). Danach waren die Rechtsträger für die volkswirtschaftlich effektive Nutzung der ihnen übertragenen volkseigenen Grundstücke und den Schutz dieser Vermögenswerte verantwortlich. Es liegt auf der Hand, daß sich die Vermögensfürsorgepflicht auch auf den Verkauf volkseigener Grundstücke erstreckte, sofern diese überhaupt verkehrsfähig waren und vom Rechtsträger veräußert werden durften. Für den Verkauf volkseigener Grundstücke in Verbindung mit dem Verkauf volkseigener Ein- und Zweifamilienhäuser lagen diese Voraussetzungen nach dem Gesetz über den Verkauf volkseigener Gebäude vom 7. März 1990 (GBl I 157) – nach dem damaligen Ministerpräsidenten der DDR allgemein als „Modrow-Gesetz” bezeichnet – in Verbindung mit § 5 der zugehörigen Durchführungsverordnung vom 15. März 1990 - DVO - (GBl I 158) zum Tatzeitpunkt vor.
2. Im Ergebnis ist dem Landgericht bei den hier gegebenen Umständen auch insoweit zu folgen, als es eine Verletzung der dem Angeklagten obliegenden Vermögensfürsorgepflicht darin sieht, daß dieser in seiner Eigenschaft als Innenminister veranlaßt hat, daß ihm und seiner Ehefrau durch das Ministerium des Innern, vertreten durch den Mitangeklagten G, das Grundstück zu einem Preis verkauft worden ist, der weit unter dem wirtschaftlichen Wert des Grundstücks lag.
a) Die vom Sachverständigen im Juli 1990 vorgenommene Wertermittlung erfolgte auf der Grundlage einer umfassenden Preisfestsetzung und Preisregulierung, die die DDR entsprechend ihrem sozialistischen Gesellschaftsverständnis zur weitgehenden Unterbindung von Grundstücksspekulationen Privater vorgenommen hatte. Die Preisfestsetzung baute auf örtlich festgelegten Preisen auf, die ihrerseits an den im Jahr 1936 bestimmten Bodenpreisen orientiert waren. Dies führte zu einem – gemessen an marktwirtschaftlich gebildeten Preisen – außerordentlich niedrigen Preisniveau. § 6 DVO zum „Modrow-Gesetz” knüpfte an diese Preisbegrenzungsvorschriften an.
Mit dem Ziel, die soziale Marktwirtschaft auch in der DDR einzuführen, wie dies im Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 (BGBl II 537, GBl I 332) vorgesehen war, war die Beibehaltung einer solchen Regelung allerdings unvereinbar. In Umsetzung des vorgenannten Staatsvertrages wurde daher in § 1 des Gesetzes über die Preisbildung und Preisüberwachung beim Übergang in die soziale Marktwirtschaft – Preisgesetz – vom 22. Juni 1990 (GBl I 471), das zeitgleich mit der Herstellung der Währungs- und Wirtschaftsunion am 1. Juli 1990 in Kraft trat, der Grundsatz der freien Preisbildung in der DDR eingeführt. In der ebenfalls am 1. Juli 1990 in Kraft getretenen Verordnung über die Aufhebung bzw. Beibehaltung von Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Preise vom 25. Juni 1990 (GBl I 472) wurde in § 3 Abs. 1, 2 festgelegt, daß sämtliche Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Preise unabhängig von ihrer Rechtsform – von einigen hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen – am 1. Juli 1990 außer Kraft traten. Die vom Sachverständigen am 25. Juli 1990 vorgenommene Wertermittlung beruhte daher auf falschen rechtlichen Voraussetzungen.
b) Doch auch unabhängig von der Geltung der Preisbindungsvorschriften war entgegen der Auffassung des Landgerichts (UA S. 32) der Verkauf des Grundstücks objektiv pflichtwidrig.
Spätestens seit Frühsommer 1990 stand in der DDR fest, daß der wirtschaftliche Wert von Hausgrundstücken in guter Lage wegen des bereits eingeleiteten Übergangs zur freien Marktwirtschaft die bislang künstlich niedrig gehaltenen, staatlich festgelegten Preise bei weitem überschritt. Jede Veräußerung eines solchen Grundstücks zum staatlich regulierten Preis führte damit bei rein wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu einem „unwirtschaftlichen” Geschäft, gleichgültig ob sich das Grundstück in staatlichem oder privatem Eigentum befand.
Während der Vermögensverwalter einer Privatperson, der in einer solchen Umbruchsituation von ihm verwalteten Grundbesitz ohne Not verkauft, regelmäßig seine Vermögensbetreuungspflicht verletzen wird, kann bei der Betreuung staatlichen Vermögens allerdings ein breiterer Spielraum bestehen, der sich aus der Vielfalt staatlicher Aufgaben ergibt. Zwar sind stets die Grundsätze sparsamer Haushaltsführung zu beachten, die auch in der DDR nicht erst mit Inkrafttreten des Gesetzes über die Haushaltsführung der Republik vom 15. Juni 1990 (GBl I 313) gegolten haben, sondern als allgemeiner Rechtsgedanke trotz andersartiger Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur zu jener Zeit schon in § 23 des Gesetzes über die Staatshaushaltsordnung der DDR vom 13. Dezember 1968 (GBl I 383) enthalten waren. Jedoch bleibt es dem Gesetzgeber grundsätzlich unbenommen, in Verfolgung legitimer staatlicher Zielsetzungen wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Legt er die Voraussetzungen, unter denen der Bürger ihn begünstigende staatliche Vermögensverfügungen beanspruchen kann, nicht abschließend fest, so sind die gesetzgeberischen Ziele im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, die der in staatlichem Auftrag Verfügungsberechtigte zu treffen hat.
Weder das „Modrow-Gesetz” selbst noch die zugehörige Durchführungsverordnung enthalten Regelungen, aus denen sich ein Anspruch von Bürgern der DDR ergab, ein Grundstück zu erwerben. Das Gesetz beschränkt sich darauf, die Voraussetzungen für den Verkauf volkseigener Grundstücke in größerem Umfang zu schaffen, indem es die Verkehrsfähigkeit volkseigener Ein- und Zweifamilienhäuser gegenüber dem bislang geltenden Gesetz über den Verkauf volkseigener Eigenheime … vom 19. Dezember 1973 (GBl I 578) erweitert, die Verkehrsfähigkeit dazugehöriger Grundstücke in Abkehr von der früheren Rechtslage, die lediglich die Vergabe eines Nutzungsrechts vorsah, überhaupt erst herstellt. So bestimmt § 4 Abs. 2 „Modrow-Gesetz”, daß beim Kauf volkseigener Ein- und Zweifamilienhäuser oder zur Errichtung von Eigenheimen das volkseigene Grundstück erworben werden „kann”. § 4 DVO bezeichnet den begünstigten Personenkreis. Danach „können” Grundstücke an Bürger verkauft werden, die die Gebäude zum Zeitpunkt des Verkaufs bewohnen oder durch die die künftige persönliche Nutzung des Wohnraums gewährleistet ist. Auch bei Vorliegen der formalen Voraussetzungen war daher im Einzelfall zu prüfen, ob der Verkauf volkseigenen Haus- und Grundbesitzes mit den gesetzgeberischen Zielen vereinbar war.
Anlaß für die getroffene gesetzliche Regelung war in erster Linie die Sorge der damaligen Volksvertreter der DDR, daß insbesondere die Erbauer von Eigenheimen, die für das dazugehörige Grundstück – in der Regel 500 m² – lediglich ein Nutzungsrecht erhalten hatten, das Grundstück nach der bereits im Frühjahr 1990 erwarteten künftigen Angleichung der Grundstückspreise an das wesentlich höhere Niveau der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr würden erwerben können, zumal volkseigene Eigenheime nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über den Verkauf volkseigener Eigenheime vom 19. Dezember 1973 bevorzugt an Arbeiter- und kinderreiche Familien, mithin an eher einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, zu vergeben waren. Insbesondere für diese sollte Rechtssicherheit geschaffen werden (vgl. Protokolle der Volkskammer, 9. Wahlperiode, 18. Tagung, S. 541 ff., 552 ff.). Da der Grunderwerb nicht auf den genannten Personenkreis beschränkt worden ist, mag daneben auch das Ziel verfolgt worden sein, die soziale Absicherung breiter Bevölkerungsschichten der DDR durch den Erwerb eines preisgünstigen Eigenheimgrundstücks zu erreichen.
Es liegt auf der Hand, daß der vom Angeklagten veranlaßte Grundstücksverkauf von den genannten gesetzgeberischen Intentionen nicht erfaßt war. Der Angeklagte verfügte über ein im Vergleich zum Durchschnittseinkommen eines Bürgers der DDR hohes Einkommen und war zudem bereits Eigentümer eines Wohngrundstücks in Leipzig. Das Grundstück in Zeuthen, zu dem der Angeklagte bis zu seiner Ernennung zum Minister keinerlei Bezug hatte, war nach Größe und Lage eine Immobilie, die in keiner Weise dem dem Gesetzgeber offensichtlich vor Augen stehenden Bild eines Wohngrundstücks entsprach, das einer Familie ein Leben in sozialer Sicherheit ermöglichen sollte. Ein mit dem Verkauf des Grundstücks verbundener wirtschaftlicher Verlust des Staates von mehr als einer halben Million DM war auch bei großzügiger Auslegung der mit dem „Modrow-Gesetz” und der zugehörigen Durchführungsverordnung verfolgten sozialen Zielsetzung von dieser nicht gedeckt. Bei fortbestehender staatlicher Preisregulierung hätte der Verkauf daher insgesamt unterbleiben müssen. Daran ändert auch die zweifellos vorhandene Gefährdung, der der Angeklagte aufgrund seiner Funktion als Innenminister ausgesetzt war, nichts. Dieser hätte ebenso wirkungsvoll durch Sicherheitsmaßnahmen auf einem dem Angeklagten während seiner Amtszeit mietweise zur Verfügung gestellten Grundstück begegnet werden können.
3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt auch das Tatbestandsmerkmal eines Vermögensnachteils vor, obwohl es zu einem Eigentumsübergang am Grundstück mangels Eintragung des Angeklagten und seiner Ehefrau im Grundbuch letztlich nicht gekommen ist.
a) Ein Nachteil kann bereits in einer konkreten, wirtschaftlich schon zu einer Minderbewertung führenden – also schadensgleichen – Vermögensgefährdung liegen. Diese für § 266 StGB in ständiger Rechtsprechung vertretene Auslegung (vgl. die Nachweise bei Lenckner in Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl. § 266 Rdn. 45) ist auch für den zur Tatzeit geltenden wortgleichen § 163 StGB-DDR anzuwenden. Entgegen der Auffassung der Verteidigung bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß sich die Auslegung jener Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers – eine richterliche Praxis konnte sich für die zur Tatzeit erst wenige Wochen in Kraft befindliche Norm noch nicht entwickelt haben – an der zu § 161a StGB-DDR a.F. vertretenen engen Auslegung des Schadensbegriffs (vgl. dazu Kommentar zum StGB-DDR, 1984 § 161a Anmerkung 7) orientieren sollte. Ziel des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 29. Juni 1990 (GBl I 526), mit dem zum 1. Juli 1990 § 161a StGB-DDR a.F. durch § 163 StGB-DDR n.F. ersetzt worden ist, war es, die sich aus dem Staatsvertrag über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion ergebenden gesetzgeberischen Konsequenzen zur Anpassung bisher geltenden Rechts der DDR an die mit dem Vertragswerk angestrebten Veränderungen zu ziehen. Im Bereich der Bestimmungen zum Schutz des Eigentums und der Wirtschaft sollte dies durch eine Anpassung an die Bestimmungen der Bundesrepublik Deutschland erfolgen und wurde bewußt als Beginn der notwendigen Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Strafrechts empfunden (vgl. Protokolle der Volkskammer, 10. Wahlperiode, 19. Tagung, S. 423 ff.). Eine abweichende Auslegung wortgleich übernommener Strafbestimmungen des Strafgesetzbuches der Bundesrepublik Deutschland wäre mit dieser Zielsetzung unvereinbar.
Ein Nachteil im Sinne des § 163 StGB-DDR (266 StGB) liegt daher hier bereits darin, daß infolge pflichtwidrigen Verhaltens des Angeklagten das Ministerium des Innern, vertreten durch den Mitangeklagten G, mit dem Angeklagten und dessen Ehefrau einen wirtschaftlich unausgewogenen Kaufvertrag abgeschlossen hat.
aa) Dem steht nicht – wie das Landgericht meint – entgegen, daß der Vertrag nach § 297 Abs. 1 Satz 2 ZGB-DDR der staatlichen Genehmigung bedurfte, die nach § 7 Grundstücksverkehrsverordnung vom 15. Dezember 1977 (GBl I 73) vom Rat des Kreises zu erteilen war. Selbst wenn man davon ausginge, daß die erforderliche Mitwirkung einer weiteren Behörde, die den Vertrag auf preisrechtliche Unbedenklichkeit sowie allgemein auf eine etwaige Verletzung „staatlicher oder gesellschaftlicher Interessen” zu überprüfen hatte, einer bereits mit dem Vertragsabschluß eingetretenen schadensgleichen konkreten Vermögensgefährdung entgegenstünde, so wäre die Tatvollendung im vorliegenden Fall nur um wenige Monate hinausgeschoben worden. Mit dem Einigungsvertrag (Anlage II Abschnitt 1 lit. a) ist die dem Rat des Kreises in § 3 Abs. 2, 4 lit. d Grundstücksverkehrsverordnung in der Fassung des ersten Zivilrechtsänderungsgesetzes vom 28. Juni 1990 eingeräumte Prüfungskompetenz nämlich am 1. Oktober 1990 entfallen. Da zu diesem Zeitpunkt das Genehmigungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, bestand in seinem Rahmen keine Möglichkeit mehr, die Wirksamkeit des Kaufvertrages an dem unangemessen niedrigen Kaufpreis scheitern zu lassen. Vielmehr bezog sich die Prüfung nach der Neufassung der Grundstücksverkehrsverordnung vom 18. April 1991 (BGBl I 1000) nur noch auf entgegenstehende Ansprüche Dritter entsprechend der Verordnung über die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche vom 11. Oktober 1990 (BGBl I 2162). Dementsprechend wurde die Genehmigung 1992 erteilt.
bb) Auch der Umstand, daß der Kaufvertrag, der nach dem Recht der DDR die schuldrechtliche ebenso wie die dingliche Einigung enthielt, wegen Verstoßes gegen die Grundsätze redlichen Verhaltens nach § 68 Nr. 2 ZGB-DDR von vornherein nichtig war und damit zu keinem Zeitpunkt eine rechtliche Bindungswirkung für das Ministerium des Innern entfalten konnte, steht der Annahme vollendeter Untreue nicht entgegen. Ein wirtschaftlicher Nachteil liegt nämlich bereits darin, daß mit dem Vertragsschluß zumindest ein Rechtsschein erzeugt worden ist, der das Ministerium des Innern bzw. die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin der DDR der Gefahr aussetzte, daß Grundstück ohne einen adäquaten wirtschaftlichen Gegenwert zu verlieren. Zwar lagen die äußeren Umstände des Grundstücksgeschäfts offen zutage, so daß hier – anders als etwa bei Fällen einer erschlichenen Vertragsurkunde (vgl. dazu BGHSt 22, 88, 89) – die das Ministerium des Innern treffende Beweislast für die die Unwirksamkeit des Vertrages begründenden Umstände von untergeordneter Bedeutung war. Ein erhebliches Prozeßrisiko ergab sich aber – wie auch der spätere Verlauf des Zivilverfahrens mit einem für den Angeklagten günstigen Urteil in erster Instanz zeigt – aus der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Umbruch befindlichen Rechts- und Wirtschaftslage.
Hinzu kommt, daß es dem Ministerium des Innern durch den bloßen Abschluß des Kaufvertrages bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich war, den in dem Hausgrundstück liegenden wirtschaftlichen Wert, sei es durch Verkauf zum vollen Wert, sei es durch eine langfristig angelegte Nutzung im staatlichen Interesse angemessen auszuschöpfen.
b) Darüber hinaus kann ein Vermögensnachteil auch dann entstanden sein, wenn dem Angeklagten bereits mit Abschluß des Kaufvertrages im Hinblick auf den in Aussicht genommenen Eigentumsübergang Nutzungsrechte eingeräumt und diese von ihm in Anspruch genommen worden sind. Insoweit enthält das Urteil einen Darlegungsmangel.
4. Soweit das Landgericht den Angeklagten auch aus tatsächlichen Gründen freigesprochen hat, weil ihm vorsätzliches Handeln nicht habe nachgewiesen werden können, begegnet dies ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Insoweit fehlt es bereits an einer geschlossenen Darstellung der Einlassung des Angeklagten zu dem gegen ihn erhobenen Anklagevorwurf. Zwar ist die Wiedergabe der Einlassung kein Selbstzweck. Jedoch ermöglicht regelmäßig erst eine Auseinandersetzung mit der Einlassung in den Urteilsgründen dem Revisionsgericht die Nachprüfung, ob der Tatrichter den Anklagevorwurf zu Recht für nicht nachweisbar erachtet hat (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4, 7, 8).
Hier hätte es einer Darstellung der Einlassung des Angeklagten zu seinen Vorstellungen über die Rechtmäßigkeit des von ihm veranlaßten Grundstücksgeschäfts schon deshalb bedurft, weil das Landgericht eine Reihe objektiv belastender Umstände aufgezählt hat. Hierzu gehört zum einen die Einbindung des juristisch vorgebildeten Angeklagten in die gesetzgeberischen Vorarbeiten für den Erlaß des Preisgesetzes, zum anderen der Umstand, daß der Angeklagte im Mai 1990 eine schriftliche Vorlage seines Stellvertreters M bestätigt hat, die vorsah, Anträge auf den Verkauf von Diensteinfamilienhäusern nach dem „Modrow-Gesetz” vorerst zu stornieren, daß er aber gleichwohl den Verkauf eines Hausgrundstücks an sich selbst zwei Monate später intensiv betrieben hat. Wie sich diese Tatsachen in das Bild eines in bezug auf die Preisgestaltung undolosen Angeklagten einfügen lassen, ist für den Senat – zumal ohne Kenntnis der entsprechenden Einlassung des Angeklagten – nicht nachvollziehbar.
Auch weist die Revision mit Recht darauf hin, daß es kaum vereinbar erscheint, wenn das Landgericht aus den genannten Umständen einerseits den Schluß zieht, daß der Angeklagte „gewußt haben muß, daß die Preise nach dem 1. Juli 1990 von Ausnahmen abgesehen frei waren und daß bei Verkäufen nach dem ‚Modrow-Geset’ zumindest Vorsicht angebracht war”, andererseits aber einen – auch nur bedingten – Vorsatz in bezug auf die Aufhebung der Preisbindung im Juli 1990 wegen der Unübersichtlichkeit der Rechtslage und der starken dienstlichen Belastung des Angeklagten ausschließt.
b) Ferner hat das Landgericht eine umfassende Würdigung der subjektiven Tatseite deshalb unterlassen, weil es eine objektive Ungesetzlichkeit allein darin gesehen hat, „daß nach dem 1. Juli 1990 nicht mehr auf der Grundlage der bisherigen Preisvorschriften verkauft werden durfte”. Wie dargelegt, kann eine Pflichtwidrigkeit bereits im Verkauf eines wertvollen Grundstücks weit unter seinem wirtschaftlichen Wert liegen, wenn derjenige, der die Vermögensinteressen des Staates wahrzunehmen hat, damit den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschreitet. Auf diesen Gesichtspunkt hätte das Landgericht die Prüfung der subjektiven Tatseite daher ebenfalls erstrecken müssen.
c) Schließlich wird vorsätzliches Handeln des Angeklagten im Sinne des § 163 StGB-DDR entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angeklagte die Neufassung des Tatbestands der Untreue durch das am 1. Juli 1990 in Kraft getretene 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 29. Juni 1990 (GBl I 526) und dessen Auslegung im einzelnen nicht gekannt haben mag. Ebensowenig wäre eine dies bezügliche Unkenntnis geeignet, das Unrechtsbewußtsein des Angeklagten in rechtlich relevanter Weise in Frage zu stellen.
Unterschriften
Laufhütte, Harms, Häger, Nack, Tepperwien
Fundstellen
Haufe-Index 541036 |
BGHSt, 376 |
NJW 1999, 1489 |
VIZ 1999, 426 |
ZAP-Ost 1999, 133 |
ZAP-Ost 1999, 266 |
wistra 1999, 268 |
NJ 1999, 187 |
NJ 1999, 324 |
StraFo 1999, 168 |