Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorwegverteilung des elterlichen Vermögens ohne steuerschädliche Wirkung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Prüfung der Gebotenheit einer Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist bei Vorliegen zweier sich widersprechender, zeitlich voneinander erstellter Sachverständigengutachten der Einwand des Beweispflichtigen, das frühere Sachverständigengutachten enthalte einen groben Bewertungsfehler, jedenfalls dann ausreichend substantiiert, wenn eine weitere Präzisierung des Vorbringens die Einholung eines privaten Gutachtens durch den Beweislastträger erfordert hätte.

 

Normenkette

ZPO § 286

 

Tenor

  1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12. Juli 1991 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
 

Tatbestand

Die Parteien sind Brüder. Sie streiten um eine Abfindung für den Kläger.

Das wesentliche Vermögen der Eltern der Parteien, die inzwischen beide verstorben sind, bestand zuletzt aus drei Grundstücken in M., auf denen sie je einen Gewerbebetrieb unterhielten, und zwar eine Konditorei mit Café, ein Lebensmittelgeschäft und eine Bäckerei. Im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertrugen die Eltern die Grundstücke nebst den dort betriebenen Geschäften auf drei ihrer vier Kinder. Der Beklagte erhielt das Grundstück nebst Konditorei und Cafe, die Tochter E. das Grundstück mit dem Lebensmittelgeschäft und der Sohn Theodor dasjenige mit der Bäckerei. Gleichzeitig wurden zwei Bauplätze, die die Eltern bereits früher zu je einem Viertel Miteigentumsanteil auf ihre Kinder übertragen hatten, so umverteilt, daß der Kläger den einen und E. den anderen Bauplatz zu Alleineigentum erhielten. Im übrigen sollte der Kläger durch Geldzahlungen abgefunden werden. Dementsprechend wurde in dem zugrunde liegenden notariellen Übergabevertrag zwischen den Eltern und ihren vier Kindern vom 3. Dezember 1980 aufgrund Wertgutachtens des Sachverständigen H. vom 14. März 1980 vereinbart, daß der Beklagte 882.500,00 DM und T. 392.500,00 DM "jeweils als Übernahmepreis an die Übergeber" mit 8% verzinslich zahlen sollten. T. kam seiner Verpflichtung nach; die Eltern leiteten seine Zahlung als "Gleichstellungsgeld" an E. weiter. Für den Kläger richteten die Eltern ein Baukonto ein, über das er die für seinen Neubau auf dem ihm zugewiesenen Bauplatz erforderlichen Mittel erhalten sollte. Auf diesem Wege erhielt der Kläger zunächst rund 131.000,00 DM. Als er im Oktober 1982 bei dem Beklagten die noch offenen Beträge anforderte, war dieser in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Er behauptete, der ihm überlassene Betrieb erwirtschafte die geschuldeten Zahlungen nicht. Darauf veranlaßte der Vater eine neue Bewertung des Grundstücks des Beklagten zum 1. Dezember 1982. Die Eltern schlossen mit dem Beklagten am 30. Dezember 1982 einen notariellen Vertrag, durch den der mit dem Beklagten vereinbarte Übergabepreis auf 272.500,00 DM "berichtigt" und die Verzinsung ab 2. Januar 1981 auf 5,5% ermäßigt wurde.

Der Kläger ist der Meinung, dieser Berichtigungsvertrag sei für ihn nicht maßgebend. Alle Beteiligten hätten durch eine Gesamtvereinbarung das Ziel verfolgt, das elterliche Vermögen ohne steuerschädliche Wirkung vorwegzuverteilen. Nach zutreffender Bewertung habe sich ein Nettobetrag von insgesamt 3.350.000,00 DM ergeben, von dem auf jedes Kind rechnerisch 837.500,00 DM entfallen sei. Da der Beklagte eine Zuwendung im Wert von 1.720.000,00 DM erhalten habe, habe er 882.500,00 DM Gleichstellungsgeld zahlen sollen, und zwar 837.500,00 DM unmittelbar an den Kläger. Da er - über das Baukonto - aber insgesamt nur 297.937,50 DM erhalten habe, müsse der Beklagte den Differenzbetrag von 539.562,50 DM nebst 8% Zinsen noch an ihn zahlen. Der hierauf gerichteten Klage haben das Landgericht und mit seinem ersten Berufungsurteil auch das Oberlandesgericht stattgegeben.

Auf die dagegen gerichtete Revision des Beklagten hat der erkennende Senat dieses Urteil aufgehoben (BGHZ 113, 310). Dabei hat der Senat ausdrücklich gebilligt, daß die Vorinstanzen den Übergabevertrag dahin auslegen, daß dieser die zuvor ermittelten Schätzwerte der Grundstücke zu einer für alle Beteiligten verbindlichen Berechnungsgrundlage festgeschrieben habe. Darüber hinaus hat der Senat entschieden, daß der Übergabevertrag auch dem Kläger einen eigenen Anspruch auch gegen den Beklagten auf Herbeiführung der damit allseits bezweckten Gleichstellung der Geschwister auf der Grundlage der festgelegten Werte hat. Aufgehoben hat der Senat aber deshalb, weil entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine Anpassung des Übergabevertrages nicht von vornherein ausgeschlossen ist, wenn es sich um einen anfänglichen Irrtum über die Geschäftsgrundlage handelt. Das Berufungsgericht hat die Berufung wiederum zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner erneuten Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des zweiten Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

1.

Dem Berufungsgericht war aufgegeben zu prüfen, ob eine Vertragsanpassung geboten ist, weil es sich um einen anfänglichen Irrtum über die Geschäftsgrundlage handele, etwa um einen offensichtlichen Rechen- oder einen groben Bewertungsfehler, wie er hier in Betracht kommen könne. Bei dieser Prüfung war zu berücksichtigen:

Die für die Beteiligten durch Übergabevertrag vom 3. Dezember 1980 verbindlich festgelegten Werte fußen auf dem Gutachten des Architekten H. vom 14. März 1980. Dort ist der Wert des Anwesens, das dem Beklagten zufiel, zum 14. März 1980 - unabhängig von den Belastungen - auf rund 3,5 Mio. DM geschätzt. Dagegen gibt das Gutachten desselben Sachverständigen, das dem "Berichtigungsvertrag" vom 30. Dezember 1982 voranging, den Verkehrswert zum 1. Dezember 1982 mit 2,8 Mio. DM an. Dazu hat der Beklagte vorgetragen, bei dem geringen zeitlichen Abstand beider Bewertungen könne kein Zweifel bestehen, daß das eine oder das andere Gutachten einen groben Bewertungsfehler enthalten müsse. Er hat behauptet, das zweite Gutachten treffe zu. Den hierzu angetretenen Beweis durch Sachverständigengutachten hat das Berufungsgericht nicht erhoben.

2.

Dazu hat das Berufungsgericht erwogen: Die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens setze hinreichend substantiierten Vortrag über einen groben Bewertungsfehler im ersten Gutachten voraus. Daran fehle es, wenn der Beklagte lediglich referiere, beide Gutachten legten unterschiedliche Bodenpreise zugrunde, der Bodenwert ermäßige sich von 450.000,00 DM auf 268.604,00 DM; das eine Gutachten gehe vom Kubikmeterpreis des umbauten Raumes, das andere vom Preis je Quadratmeter Wohnfläche aus, dadurch reduziere sich bei einem nur unwesentlich veränderten Ertragswert der Verkehrswert von 3,512 Mio. DM auf 2,8 Mio. DM. Mit einem derartigen Referat seien keine konkreten Behauptungen darüber aufgestellt, worin und weshalb das erste Gutachten einen groben Bewertungsfehler enthalte. Es sei nicht Sache des Oberlandesgerichts, beide Gutachten miteinander zu vergleichen und zu mutmaßen, welche Zahlen realistischer sein könnten. Entsprechende Anforderungen an den Sachvortrag des Klägers (gemeint ist: "des Beklagten") seien auch deshalb zu stellen, weil der Kläger den pauschalen Vortrag des Beklagten seinerseits substantiiert bestritten habe.

3.

Mit dieser Begründung kann auch das zweite Berufungsurteil nicht bestehen bleiben. Wie die Revision mit Recht rügt, ist es von Rechtsfehlern beeinflußt.

Für die Frage, ob eine Vertragsanpassung geboten ist, weil es sich um einen anfänglichen Irrtum über die Geschäftsgrundlage handele, kommt es zunächst darauf an, welchen Wert das dem Beklagten zugefallene Anwesen tatsächlich hatte. Betrug der Wert zum 14. März 1980 nicht, wie seinerzeit geschätzt, rund 3,5 Mio. DM, sondern, wie der Beklagte behauptet, nur 2,8 Mio. DM oder jedenfalls deutlich weniger als 3,5 Mio. DM, dann kann eine Vertragsanpassung nach Geschäftsgrundlagegrundsätzen in Betracht kommen. Zur Vortrags- und Beweislast des Beklagten steht insoweit nur, daß der Wert zum 14. März 1980 nicht 3,5 Mio. DM, sondern beträchtlich weniger betragen habe. Dem hat der Beklagte bereits durch die Behauptung genügt, Hinterberger sei bei seinem ersten Gutachten von falschen Voraussetzungen ausgegangen (BU 13 V). Von dem Beklagten darüberhinaus auch noch zu verlangen, im einzelnen darzutun, wo der Fehler des ersten Gutachtens H. genau liege, hieße die Anforderungen überspannen. Weder der Beklagte noch seine Prozeßbevollmächtigten sind Grundstückssachverständige. Jede weitere Substantiierung in diese Richtung hätte daher die Einholung eines zusätzlichen privaten Sachverständigengutachtens durch den Beklagten vorausgesetzt. Dazu war der Beklagte auch aufgrund seiner Prozeßförderungspflicht nicht gehalten. Keinesfalls wäre es gerechtfertigt, die Behauptung des Beklagten, das erste Gutachten H. sei im Ergebnis grob fehlerhaft, von vornherein beiseite zu lassen mit der Erwägung, sie sei ohne genügende tatsächliche Anhaltspunkte gewissermaßen "ins Blaue hinein" aufgestellt. Immerhin war Hinterberger für den 1. Dezember 1982 selbst auf einen über 700.000,00 DM niedrigeren Wert gekommen, und auch die Eltern der Parteien hatten in den Berichtigungsvertrag den früheren Übergabepreis ausdrücklich für "falsch errechnet" erklärt.

Das angefochtene Urteil muß daher aufgehoben werden.

4.

Sollte sich ergeben, daß das Anwesen des Beklagten erheblich weniger wert war, als in dem ersten Gutachten H. angenommen ist, und daß insofern ein anfänglicher Irrtum über die Geschäftsgrundlage vorliegt, dann ist weiter zu prüfen, ob dem Beklagten infolgedessen ein Festhalten an dem Gesamtvertrag vom 3. Dezember 1980 nicht zugemutet werden kann (vgl. z.B. BGHZ 84, 1, 9 und öfter). Hierzu fehlt bisher ausreichender Parteivortrag. Insbesondere was aus dem Grundstück, der Konditorei und dem Café im Zusammenhang mit der Auswanderung des Beklagten geworden ist, namentlich wie sich deren Wert und die Erträge seitdem entwickelt haben, läßt sich den in bezug genommenen Schriftsätzen der Parteien nicht entnehmen. Wenn der Beklagte das Anwesen verkauft haben sollte, müßte für die Beurteilung der Zumutbarkeit auch die Höhe des erzielten oder erzielbaren Kaufpreises mit in Betracht gezogen werden.

5.

Daß in eine etwa erforderliche Vertragsanpassung auch die Interessen der übrigen Geschwister der Parteien mit einbezogen werden müssen, hat der Senat bereits früher hervorgehoben. Daß es insoweit auch der Einbeziehung der übertragenen Gewerbebetriebe bedarf, hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt (BU 15 IV). Ob dabei entsprechend der Auffassung des Berufungsgerichts aber die Umverteilung der Bauplätze unberücksichtigt bleiben darf, erscheint zumindest fraglich, zumal in der Erklärung der Eltern der Parteien vom 5. April 1982 (K 4) die damit bezweckte Gleichstellung hervorgehoben ist.

 

Unterschriften

Bundschuh

Dr. Schmidt-Kessel

Dr. Zopfs

Dr. Schlichting

Terno

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1456319

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