Entscheidungsstichwort (Thema)

Einhaltung des Dienstwegs bei prozessleitender Anordnung der Aktenversendung an das Landesjustizministerium

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der in einem anhängigen Gerichtsverfahren prozessleitend zur Vorbereitung einer richterlichen Entscheidung angeordneten Aktenversendung an das Landesjustizministerium muss der Richter nicht den Dienstweg einhalten.

 

Normenkette

DRiG § 26 Abs. 3

 

Verfahrensgang

DGH für Richter bei dem OLG Naumburg (Urteil vom 22.03.2007; Aktenzeichen DGH 1/06)

 

Tenor

Auf die Revision des Antragstellers wird das Urteil des DGH für Richter bei dem OLG Naumburg vom 22.3.2007 abgeändert.

1. Das an den Antragsteller gerichtete Schreiben des Antragsgegners vom 2.9.2005 ist unzulässig, soweit darin ausgeführt wird: "Ich erwarte, dass Sie zukünftig den Dienstweg einhalten. Ich darf zudem darauf aufmerksam machen, dass Ihre Verfahrensweise im Zusammenhang mit den prozessleitenden Verfügungen vom 5.7.2005 im Ministerium der Justiz und bei mir auf Überraschung gestoßen ist. Dass Sie das Ministerium der Justiz in zwei laufenden Zivilrechtsstreitigkeiten zu einer Stellungnahme über die Verfassungsmäßigkeit des Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetzes aufgefordert haben, ist bemerkenswert. Auch ich halte dieses Vorgehen für befremdlich. Ohne Ihre prozessleitenden Verfügungen nach Form und Inhalt werten zu wollen, möchte ich Sie auch daran erinnern, dass die Justizverwaltung mit Blick auf die durch die Verfassung garantierte und geforderte richterliche Unabhängigkeit gehalten ist, sich in laufenden Gerichtsverfahren einer inhaltlichen Stellungnahme zu Rechtsfragen tunlichst zu enthalten."

2. Der Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 20.11.2006 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

[1] Der Antragsteller ist Richter am AG Z. In zwei dort anhängigen Zivilverfahren übersandte er mit Schreiben vom 18.7.2005 die Zivilakten des AG Z. an das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt mit dem näher ausgeführten Bemerken, er habe Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetzes und gebe - bevor er die Voraussetzungen des Art. 100 GG prüfe - Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Ministerium der Justiz teilte ihm mit Schreiben vom 8.8.2005 mit, es beabsichtige vor dem Hintergrund der nach der Verfassung garantierten und geforderten Unabhängigkeit der Richter nicht, im Rahmen der beiden Verfahren zu der vom Antragsteller aufgeworfenen Frage Stellung zu nehmen. Die Akten würden deshalb über das OLG Naumburg zur weiteren Bearbeitung zurückgesandt.

[2] Der Antragsgegner übersandte dem Antragsteller die beiden Akten über die Direktorin des AG Z. mit Begleitschreiben vom 2.9.2005. Dort heißt es u.a.:

"Ich erwarte, dass Sie zukünftig den Dienstweg einhalten. Ich darf zudem darauf aufmerksam machen, dass Ihre Verfahrensweise im Zusammenhang mit den prozessleitenden Verfügungen vom 5.7.2005 im Ministerium der Justiz und bei mir auf Überraschung gestoßen ist. Dass Sie das Ministerium der Justiz in zwei laufenden Zivilrechtsstreitigkeiten zu einer Stellungnahme über die Verfassungsmäßigkeit des Schiedsstellen- und Schlichtungsgesetzes aufgefordert haben, ist bemerkenswert. Auch ich halte dieses Vorgehen für befremdlich. Ohne Ihre prozessleitenden Verfügungen nach Form und Inhalt werten zu wollen, möchte ich Sie auch daran erinnern, dass die Justizverwaltung mit Blick auf die durch die Verfassung garantierte und geforderte richterliche Unabhängigkeit gehalten ist, sich in laufenden Gerichtsverfahren einer inhaltlichen Stellungnahme zu Rechtsfragen tunlichst zu enthalten".

[3] Mit Schriftsatz vom 11.5.2006 wandte sich der Antragsteller an den DGH für Richter bei dem OLG Naumburg mit dem Antrag, festzustellen, dass die Weisung, den Dienstweg einhalten zu müssen und vor einer möglichen Vorlage eines Landesgesetzes nach Art. 100 GG keine Stellungnahme des Ministeriums der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt einholen zu dürfen, sowie der damit verbundene Vorhalt, die Verfahrensweise des Richters sei befremdlich, unwirksam seien. Das nach Hinweis des DGH in der Folge durchgeführte Widerspruchsverfahren endete mit Bescheid des Antragsgegners vom 20.11.2006, mit dem er den Widerspruch des Antragstellers zurückwies.

[4] Der Antragsteller hat daraufhin am 29.11.2006 bei dem DGH für Richter die Fortsetzung seines Verfahrens nach § 26 DRiG beantragt und geltend gemacht, durch den Inhalt des Schreibens vom 2.9.2005 werde in seine richterliche Unabhängigkeit unzulässig eingegriffen.

[5] Der DGH für Richter bei dem OLG Naumburg hat den Antrag mit Urteil vom 22.3.2007 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

[6] Das Schreiben des Antragsgegners vom 2.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2006 beeinträchtige die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers nicht. Der Antragsgegner habe in dem Schreiben lediglich eine Rechtsansicht kundgetan, wie seiner Erwartung nach Verfahrensakten an das im jeweiligen Zivilrechtsstreit nicht beteiligte Ministerium der Justiz als oberster Dienstbehörde versandt werden sollten. Hierin sei allenfalls eine die Art und Weise der Aktenversendung und damit eine dem äußeren Ordnungsbereich zuzuordnende Regelung zu sehen. Diese beeinträchtige die richterliche Unabhängigkeit des Antragstellers ebenso wenig wie die Bestimmung des § 299 Abs. 2 ZPO, nach welcher der Vorstand des Gerichts dritten Personen, die selbst nicht am Rechtsstreit beteiligt seien, die Einsicht in die Akten gestatten und die Versendung an sie anordnen könne. Was die Einholung der Stellungnahme selbst angehe, sei diese im Rahmen der Prüfung des Art. 100 GG nicht erforderlich und auch nicht angezeigt. Die Justizverwaltung dürfe dem Richter bei der rechtlichen Prüfung der Voraussetzungen des Art. 100 GG schon mit Rücksicht auf Art. 97 GG weder Hilfestellung leisten noch ihm eine bestimmte Entscheidung nahe legen.

[7] Gegen dieses Urteil wendet sich der Antragsteller mit seiner - vom Senat auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin zugelassenen - Revision. Wegen seines Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 30.5.2007 und vom 9.1.2008 Bezug genommen.

[8] Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

das Urteil des DGH für Richter bei dem OLG Naumburg vom 22.3.2007 abzuändern und festzustellen, dass Weisung und Vorhalt in dem Schreiben des Antragsgegners vom 2.9.2005 unzulässige Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit darstellten.

[9] Der Antragsgegner beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

[10] Die zulässige Revision (§ 80 Abs. 2 DRiG) ist begründet.

I.

[11] Die Entscheidung des DGH für Richter hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die vom Antragsteller beanstandete Passage des Schreibens des Antragsgegners vom 2.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2006 stellt eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit dar.

[12] 1. Eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit liegt zunächst darin, dass der Antragsgegner sein Befremden über die Zuschriften des Antragstellers an das Ministerium der Justiz in zwei anhängigen Verfahren geäußert und den Antragsteller zugleich darauf hingewiesen hat, dass für die vom Ministerium erbetenen Stellungnahmen kein Raum bestehe.

[13] a) Dies beinhaltet zwar - anders als der Antragsteller meint - keine Weisung, wohl aber - entgegen der in dem Schreiben des Antragsgegners enthaltenen weiteren Bemerkung, er wolle die prozessleitenden Verfügungen nicht nach Form und Inhalt werten - eine kritische Bewertung der Verfahrensweise des Antragstellers und zusätzlich einen Hinweis für künftige Fälle vergleichbarer Art.

[14] b) Zu Recht macht der Antragsteller geltend, es handele sich insoweit um eine Maßnahme der Dienstaufsicht. Maßnahmen der Dienstaufsicht sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht nur unmittelbare Eingriffe, sondern auch alle Einflussnahmen einer für die Dienstaufsicht in Betracht kommenden Stelle, die sich auf die Tätigkeit des Richters nur mittelbar auswirken, etwa Anregungen oder Meinungsäußerungen dienstaufsichtsführender Stellen, die sich in irgendeiner Weise kritisch mit dem dienstlichen Verhalten eines Richters in einem konkreten Fall befassen (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 9.3.1967 - RiZ(R) 2/66, BGHZ 47, 275, 282 f., vom 5.2.1980 - RiZ(R) 2/79, BGHZ 76, 288, 290 f.; v. 31.1.1984 - RiZ(R) 3/83, BGHZ 90, 41, 43) und auf eine direkte oder indirekte Weise nahe legen, wie der Richter in Zukunft verfahren oder entscheiden soll (vgl. etwa BGH, Urt. v. 31.1.1984, a.a.O., S. 43 f.; v. 14.4.1997 - RiZ(R) 3/96, DRiZ 1998, 20, 22). Diese Voraussetzungen erfüllt das angefochtene Schreiben. Der Antragsgegner bringt darin ausdrücklich sein Befremden über die Verfahrensweise des Antragstellers in den beiden anhängigen Verfahren zum Ausdruck und erteilt darüber hinaus für die Zukunft den Hinweis, die Justizverwaltung sei gehalten, in laufenden Gerichtsverfahren keine inhaltlichen Stellungnahmen abzugeben. Auch wenn dies in der Sache zutreffend sein mag, enthält und beabsichtigt es doch eine Einflussnahme auf den konkreten Fall und die erwünschte künftige Verfahrensweise des Antragstellers.

[15] c) Diese Maßnahme der Dienstaufsicht ist unzulässig, da sich Dienstvorgesetzte im Kernbereich richterlicher Tätigkeit jeglicher Einflussnahme zu enthalten haben (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 9.3.1967 - RiZ(R) 2/66, BGHZ 47, 275, 282 f.; v. 10.1.1985 - RiZ(R) 7/84, BGHZ 93, 238, 241) und die Entschließung des Antragstellers, sich mit der Bitte um Stellungnahme an das Ministerium der Justiz zu wenden, eine dem Kernbereich zuzuordnende richterliche Tätigkeit ist.

[16] aa) Nach § 26 DRiG untersteht der Richter einer Dienstaufsicht nur, soweit nicht seine richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wird. Im Interesse eines wirksamen Schutzes der richterlichen Unabhängigkeit ist nicht nur die eigentliche Rechtsfindung der Dienstaufsicht entzogen, sondern zugleich alle ihr auch nur mittelbar dienenden - sie vorbereitenden oder ihr nachfolgenden - Sach- und Verfahrensentscheidungen (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 23.10.1963 - RiZ(R) 1/62, BGHZ 42, 163, 169, vom 14.4.1997 - RiZ(R) 1/96, DRiZ 1997, 467, 468 f.; v. 22.2.2006 - RiZ(R) 3/05, NJW 2006, 1674, 1675). Selbst nicht ausdrücklich vorgeschriebene richterliche Handlungen gehören zu dem der Dienstaufsicht entzogenen Kernbereich der Rechtsprechung, sofern sie nur in einem konkreten Verfahren mit der Aufgabe des Richters, Recht zu finden und den Rechtsfrieden zu sichern, in Zusammenhang stehen (BGH, Urt. v. 14.4.1997, a.a.O., S. 469, vom 3.11.2004 - RiZ(R) 4/03, NJW-RR 2005, 433, 435 und vom 22.2.2006, a.a.O.). In diesem Bereich sind Maßnahmen der Dienstaufsicht selbst dann nicht zulässig, wenn die Rechtsanwendung für fehlerhaft gehalten oder das Verfahren als nicht im Einklang mit dem Gesetz stehend angesehen wird; nur wenn es sich um einen offensichtlichen, jedem Zweifel entrückten Fehlgriff handelt, kann etwas anderes gelten (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 27.9.1976 - RiZ(R) 3/75, BGHZ 67, 184, 187, vom 1.12.1983 - RiZ(R) 5/83, DRiZ 1984, 194, 195, vom 12.10.1995 - RiZ(R) 2/95, DRiZ 1996, 371, 372, vom 5.7.2000 - RiZ(R) 6/99, NJW-RR 2001, 498, 499 und vom 3.11.2004 - RiZ(R) 4/03, NJW-RR 2005, 433, 435 m.w.N.).

[17] bb) Die Entschließung des Antragstellers, die Akten in einem konkreten bei ihm anhängigen Verfahren zur Vorbereitung einer von ihm in richterlicher Unabhängigkeit zu treffenden Entscheidung durch prozessleitende Verfügung an das Ministerium mit der Bitte um Stellungnahme zu übersenden, ist Ausübung richterlicher Tätigkeit in diesem Sinne und daher einer Dienstaufsicht grundsätzlich entzogen. Der Senat hat das bereits für die unmittelbare Übersendung einer Akte an ein Ministerium im Zusammenhang mit der Vorbereitung der vergleichsweisen Erledigung eines Rechtsstreits entschieden (BGH, Urt. v. 9.3.1967 - RiZ(R) 2/66, BGHZ 47, 275, 285 ff., 287). Dies gilt hier entsprechend. Die unmittelbare Anfrage des Antragstellers an das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt stand - was auch der Antragsgegner nicht in Zweifel zieht - im Zusammenhang mit der vom Antragsteller erwogenen Entscheidung einer Vorlage nach Art. 100 GG. Die Entscheidung über die Vorlage nach Art. 100 GG gehört zum Kernbereich der von der Unabhängigkeitsgarantie umfassten richterlichen Tätigkeit (vgl. Kissel/Mayer, GVG 4. Aufl., § 1 Rz. 80, § 12 Rz. 27). Damit sind einer Dienstaufsicht ebenso wie im Falle der Streitentscheidung grundsätzlich auch alle diese Vorlageentscheidung des Richters vorbereitenden prozessleitenden Anordnungen entzogen. Das Gericht hat in richterlicher Unabhängigkeit zu prüfen und zu entscheiden, ob es eine Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 GG einholen will, welche Vorbereitungen es für diese Entscheidung treffen will und in welcher Weise das geschehen soll. Die Entschließung, die Akten dem Landesjustizministerium zwecks Einholung einer Stellungnahme zuzuleiten, ist damit eine Entscheidung, die mit der richterlichen Aufgabe jedenfalls in so engem Zusammenhang steht, dass sie nicht dem einer Dienstaufsicht zugänglichen Bereich der äußeren Ordnung zugerechnet werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 9.3.1967, a.a.O., S. 287).

[18] cc) Ob die vom Antragsteller veranlasste Übersendung der Akten an das Ministerium zur Einholung einer Stellungnahme untunlich war, muss hier nicht entschieden werden. Sie war jedenfalls kein offensichtlicher, jedem Zweifel entrückter Fehlgriff, der - wie dargelegt - auch im Kernbereich richterlicher Tätigkeit zum Gegenstand dienstaufsichtlicher Maßnahmen gemacht werden darf. Dies macht auch der Antragsgegner nicht geltend, der nur darauf verweist, eine vorherige Stellungnahme der Verwaltung in einem Verfahren nach Art. 100 GG sei weder notwendig noch möglich. Auch der DGH geht nur davon aus, im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 100 GG sei die Einholung einer vorherigen Stellungnahme des Ministeriums nicht erforderlich oder angezeigt. Dies genügt indes nicht, um insoweit dienstaufsichtliche Maßnahmen zu rechtfertigen. Selbst wenn die Entschließung des Antragstellers auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht haben sollte oder das Verfahren als nicht im Einklang mit dem Gesetz stehend anzusehen wäre, handelte es sich doch nicht um einen offensichtlichen, jedem Zweifel entrückten Fehlgriff.

[19] 2. Das Schreiben des Antragsgegners vom 2.9.2005 beeinträchtigt den Antragsteller in seiner richterlichen Unabhängigkeit des weiteren dadurch, dass dort die Auffassung geäußert wird, der Antragsteller habe zukünftig, wenn er sich an das Ministerium wende, den Dienstweg einzuhalten. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Äußerung - wie es der Antragsteller sieht - eine Weisung darstellt oder einen Vorhalt i.S.d. § 26 Abs. 2 DRiG oder - wovon offenbar der DGH ausgeht - nur eine schwächere Maßnahme der Dienstaufsicht, etwa einen Hinweis (vgl. BGH, Urt. v. 3.11.2004 - RiZ(R) 4/03, NJW-RR 2005, 433, 434 m.w.N.), wie Akten an das Ministerium der Justiz versandt werden sollen. Sie beinhaltet jedenfalls eine Maßnahme der Dienstaufsicht, da der Antragsteller erkennbar dazu angehalten werden soll, in Fällen dieser Art nicht wieder unmittelbar an das Ministerium heranzutreten, sondern dies nur auf dem Dienstweg zu tun.

[20] Ein solcher Weg kann dem Antragsteller bei seiner Tätigkeit als unabhängiger Richter nicht vorgeschrieben werden. Da er als solcher nur dem Gesetz unterworfen ist, dieses aber schweigt, kann die Verwaltung nicht von sich aus bestimmen, wie er bei einer zur Vorbereitung seiner Entschließung nach Art. 100 GG getroffenen Verfügung zu verfahren habe. Eine Pflicht, den Dienstweg einzuhalten, besteht in einem solchen Fall für den Richter nicht (vgl. BGH, Urt. v. 9.3.1967 - RiZ(R) 2/66, BGHZ 47, 275, 289; Kissel/Mayer, a.a.O., § 1 Rz. 65; Haberland, DRiZ 2002, 301, 305). Entscheidend ist, dass sich die beanstandete Maßnahme der Dienstaufsicht auf die Aktenversendung durch den Richter im Zusammenhang mit dessen rechtsprechender Tätigkeit in einem anhängigen Verfahren bezieht. Entgegen der in dem angefochtenen Urteil zum Ausdruck kommenden Auffassung ist sie damit dem der Dienstaufsicht entzogenen Kernbereich richterlicher Tätigkeit und nicht dem der Dienstaufsicht zugänglichen äußeren Ordnungsbereich zuzuordnen.

[21] Soweit in dem angefochtenen Urteil für den gegenteiligen Standpunkt darauf verwiesen wird, dass die Entscheidung über die Akteneinsicht durch Dritte gem. § 299 Abs. 2 ZPO dem Gerichtsvorstand obliege, ohne dass hierdurch in die richterliche Unabhängigkeit des erkennenden Richters eingegriffen werde, verkennt dies den grundlegenden Unterschied zum vorliegenden Fall. Die Entscheidung über die Akteneinsicht durch Dritte auf deren Antrag hin steht - anders als die vom Richter prozessleitend getroffenen Verfügungen - in keinem Zusammenhang mit dem zum Kernbereich richterlicher Tätigkeit gehörenden Rechtsspruch des Richters. Anders als die prozessleitenden Verfügungen des Richters bereitet sie diesen Rechtsspruch nicht vor und berührt den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit nicht.

[22] Auch die vom Antragsgegner in den Mittelpunkt seiner Erörterungen gestellte Auffassung, es gehe bei der Versendung der Verfahrensakten nur um eine Frage der Aktenführung und damit der Gerichtsorganisation, bei der sichergestellt werden müsse, dass der Präsident des OLG als Mittelbehörde Kenntnis von Anfragen eines Richters an die oberste Dienstbehörde habe, verkennt den Zusammenhang der hier zu beurteilenden Aktenversendung an das Ministerium. Es handelt sich nicht um die - grundsätzlich auf dem Dienstweg vorzulegende - Eingabe eines Richters an das Ministerium in dessen Funktion als oberstem Dienstvorgesetzten des Richters (vgl. zum Dienstweg: § 105 BG LSA), sondern um die Übersendung der Akten nebst Anfrage aufgrund prozessleitender Verfügung zur Vorbereitung einer in einem konkreten anhängigen Gerichtsverfahren zu treffenden richterlichen Entscheidung. Soweit der Richter richterliche Tätigkeit ausübt, steht er nicht in einem Unterordnungsverhältnis zu anderen Stellen (BGH, Urt. v. 9.3.1967, a.a.O., S. 289). Fehl geht auch der Hinweis des Antragsgegners, bei Versendung von Verfahrensakten an das Ministerium müsse der Dienstweg eingehalten werden, um den Verbleib der Akten bei deren Übersendung an am Rechtsstreit nicht Beteiligte jederzeit nachvollziehbar zu machen. Dies ist unverständlich. Der Versand der Akten erfolgte nach der Verfügung des Antragstellers über die Geschäftsstelle des AG, die nach der Aktenordnung den Verbleib der Akten zu dokumentieren hat.

II.

[23] Das Urteil war danach abzuändern.

[24] Die Kostenentscheidung beruht auf § 80 Abs. 1 Satz 1 DRiG i.V.m. § 154 VwGO.

[25] Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt (§§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 2004285

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