Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 29.08.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 29. August 1991 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, welcher von ihnen ein (Teil-) Abfindungsbetrag von 6.776,47 DM zusteht, den die frühere Arbeitgeberin des Beklagten, die Bildungsvereinigung Arbeit und Leben N. e.V. (in Zukunft: Bildungsvereinigung), unter Verzicht auf Rücknahme zugunsten der Parteien hinterlegt hat.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beklagte war seit Februar 1979 bei der Bildungsvereinigung als Angestellter beschäftigt. Mit Schreiben vom 28. September 1984 und 16. November 1984 kündigte die Bildungsvereinigung das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. In den vom Beklagten gegen beide Kündigungen eingeleiteten Kündigungsschutzverfahren stellte das Arbeitsgericht Göttingen durch Teilurteile vom 18. März 1985 fest, daß das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigungen nicht fristlos aufgelöst worden sei. Gegen diese Urteile legte die Bildungsvereinigung Berufung ein. In den verbundenen Berufungsverfahren schlössen die damaligen Parteien vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen am 23. September 1985 sodann folgenden Vergleich:
- Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund fristgerechter Kündigung des Beklagten mit dem 31.12.1984 aus betriebsbedingten Gründen seine Beendigung gefunden hat.
- Der Beklagte zahlt dem Kläger wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von 19.000,00 DM.
- Mit der Erfüllung dieses Vergleichs sind alle gegenseitigen Ansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis erledigt, mit Ausnahme des Zeugnisanspruches.
- …
Die Klägerin, die Bundesanstalt für Arbeit, die an den Beklagten für die Zeit vom 2. Oktober 1984 bis 31. Dezember 1984 Arbeitslosengeld von 4.500,60 DM gezahlt sowie Sozialversicherungsbeiträge von insgesamt 2.275,87 DM (Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung von 1.443,26 DM und Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung von 832,61 DM) entrichtet hat, forderte mit Bescheiden vom 15. Oktober 1985 Erstattung der von ihr geleisteten Beträge in Höhe von 6.776,47 DM. Die Bildungsvereinigung hat daraufhin von dem im Vergleich vom 23. September 1985 vereinbarten Abfindungsbetrag von 19.000 DM einen Teilbetrag von 6.776,47 DM zugunsten der Parteien unter Verzicht auf Rücknahme hinterlegt und lediglich die restliche Abfindungssumme an den Beklagten gezahlt.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, die sich auf gesetzlichen Forderungsübergang stützt, von dem Beklagten die Abgabe einer schriftlichen Erklärung gegenüber der Hinterlegungsstelle, daß der hinterlegte Betrag von 6.776,47 DM an die Klägerin auszuzahlen sei. Nach Verweisung durch das zunächst angerufene Arbeitsgericht hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht die Klägerin mit ihrer Klage abgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin könne die Freigabe des hinterlegten Betrages nicht verlangen, weil dieser in vollem Umfang dem Beklagten gebühre. Es handele sich dabei um die von seinem früheren Arbeitgeber aufgrund des Vergleichs geschuldete Abfindung. Ein besseres Recht stünde der Klägerin an dem von ihr beanspruchten Teil dieser Abfindung nur zu, wenn der Zahlungsanspruch des Beklagten gegen seinen Arbeitgeber auf sie übergegangen sei. Die Voraussetzungen eines gesetzlichen Forderungsübergangs auf die Klägerin lägen jedoch nicht vor.
Die Vorschrift des § 117 Abs. 2 AFG wie auch §§ 160 Abs. 1, 166 a AFG in Verbindung mit § 115 SGB X fänden keine Anwendung, wenn es – wie hier – um ein Ruhen von Arbeitslosengeldansprüchen für die Zeit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehe. Ein Rechtsübergang auf die Klägerin gemäß § 117 Abs. 1 AFG wäre nur eingetreten, wenn mit der im Vergleich vereinbarten Zahlung einer Abfindung Ansprüche des Beklagten auf Arbeitsentgelt hätten befriedigt werden sollen oder wenn die als Abfindung bezeichnete Leistung aus anderen, vom Willen der Vertragsschließenden unabhängigen Gründen – wenigstens teilweise – als Arbeitsentgelt angesehen werden müßte. Dies sei indes nicht der Fall. Weder liege eine ausdrückliche oder stillschweigende Abrede dahingehend vor, daß in der Abfindung Arbeitsentgelt enthalten sein solle, noch lasse sich aus dem unstreitigen Sachverhalt oder dem Vorbringen der Klägerin entnehmen, daß die seinerzeitigen Parteien das Wort „Abfindung” falsch gebraucht oder damit etwas anderes gewollte hätten. Es spreche vielmehr alles dafür, daß der Gebrauch des Wortes „Abfindung” dem übereinstimmenden Willen der Parteien entsprochen habe, nur eine Abfindung und kein Arbeitsentgelt zu vereinbaren. Einer in diesem Zusammenhang von der Klägerin beantragten Beweiserhebung bedürfe es nicht.
Auch eine ergänzende Vertragsauslegung führe nicht dazu, daß in der vereinbarten Abfindung Arbeitsentgelt enthalten sei. Da es sich um einen typischen, immer wiederkehrenden Vergleichsinhalt handele, sei dieser, sofern nicht besondere, individuelle Umstände, für die hier nichts ersichtlich sei, beachtet werden müßten, generalisierend auszulegen. Dabei sei in erster Linie zu berücksichtigen, daß der Arbeitnehmer in der Regel ein Interesse daran habe, im Vergleich Klarheit darüber zu schaffen, was er für sich auf die Hand bekomme, und daß er deshalb nicht Ansprüche Dritter, insbesondere die der Klägerin, in den Vergleich einbeziehen wolle. Die Interessen des Arbeitgebers seien durch § 407 Abs. 1 BGB gewahrt; habe dieser Kenntnis von dem Forderungsübergang, bedürfe er dieses Schutzes nicht und müsse dann selbst für eine seine Interessen wahrende Vergleichsformulierung Sorge tragen. Hinsichtlich der Interessen der Klägerin sei davon auszugehen, daß das Arbeitsförderungsgesetz grundsätzlich von der Vertragsgestaltung durch die Arbeitsvertragsparteien ausgehe und erst daran anknüpfe. Wenn die Arbeitsvertragsparteien daher eine Abfindung vereinbarten, sei dies auch eine Abfindung und kein Arbeitsentgelt, ohne daß sozialrechtliche Vorschriften oder Erwägungen daran etwas ändern könnten. Konsequenz dieser Auslegung sei dann, daß die Arbeitsentgeltansprüche des Beklagten von der allgemeinen Ausgleichsklausel in Nr. 3 des Vergleichs erfaßt seien. Hinsichtlich der Arbeitsentgeltansprüche – sofern solche noch bestanden haben sollten – sei diese Regelung des Vergleichs als Erlaßvertrag im Sinne des § 397 Abs. 1 BGB auszulegen.
Dafür, daß die Abreden in Nr. 2 und 3 des Vergleichs vom 23. September 1985 rechtsmißbräuchlich zum Nachteil der Klägerin getroffen worden seien, lägen keine Anhaltspunkte vor.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Rechtlich zutreffend geht das Berufungsgericht zunächst davon aus, daß bei einem Streit darüber, welcher von zwei Prätendenten von der Hinterlegungsstelle die Auszahlung des hinterlegten Betrages verlangen kann, dem wirklichen Inhaber des Rechtes gegen den anderen Prätendenten ein Anspruch auf Einwilligung in die Auszahlung gemäß § 812 BGB zusteht, da letzterer durch seine Stellung als Hinterlegungsbeteiligter auf Kosten des wirklichen Rechtsinhabers grundlos bereichert ist (BGHZ 35, 165, 170; 109, 240, 244). Die Begründetheit des Klagbegehrens hängt daher davon ab, ob die Klägerin den Nachweis erbringen kann, daß ihr der hinterlegte Betrag von 6.776,47 DM zusteht.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Forderungsübergang auf die Klägerin gemäß §§ 117 Abs. 2 und 4, 160 Abs. 1, 166 a AFG in Verbindung mit § 115 SGB X verneint. Auch die Revision wendet sich hiergegen nicht.
3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann ein Forderungsübergang auf die Klägerin in Höhe der gewährten Leistungen gemäß § 117 Abs. 1 AFG in Verbindung mit § 115 SGB X nach dem gegenwärtigen Sachstand jedoch nicht ausgeschlossen werden. Die Auslegung des Vergleichs vom 23. September 1985 durch das Berufungsgericht dahingehend, daß in der gemäß Nr. 2 des Vergleichs vereinbarten Abfindung Ansprüche des Beklagten auf Arbeitsentgelt nicht enthalten seien, hält den Rügen der Revision nicht stand.
a) Gemäß § 117 Abs. 1 AFG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Der Schadensfall, nämlich der auf Arbeitslosigkeit beruhende Ausfall von Arbeitsentgelt, liegt in diesem Fall nicht vor, so daß der Arbeitslose dann nicht der Leistungen der Versichertengemeinschaft bedarf (BSGE 46, 20, 29; GK-AFG § 117 Rz. 16). Erhält der Arbeitslose das Arbeitsentgelt tatsächlich nicht, wird ihm das Arbeitslosengeld gleichwohl gewährt (§ 117 Abs. 4 AFG); sein Anspruch auf Arbeitsentgelt geht dann zur Vermeidung von Doppelzahlungen auf die Klägerin – und zwar im Zeitpunkt der Zahlung des Arbeitslosengeldes – über. Soweit danach Ansprüche des Arbeitnehmers bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangen sind, können die Parteien über diese Ansprüche auch nicht mehr durch eine einvernehmliche Regelung verfügen (BAG AP § 117 AFG Nr. 3 mit Anmerkung Brackmann = DB 1983, 2091 unter II 3). Diese Ansprüche bleiben vielmehr auch dann der Bundesanstalt für Arbeit erhalten, wenn die Parteien das Ende des Arbeitsverhälntisses durch Vergleich auf einen Zeitpunkt festgelegt haben, der später liegt als das tatsächliche Ende der Beschäftigung, und lediglich die Zahlung einer Abfindung unter Ausschluß weitergehender Ansprüche vereinbart wird (Gagel, AFG § 117 Anm. 59 f; derselbe BB 1983, 453, 455; derselbe NZA 1985, 270, 272).
b) Ob in der in Nr. 2 des Vergleichs vom 23. September 1985 vereinbarten Abfindung von 19.000 DM, die an den Beklagten (und dortigen Kläger) „wegen Verlustes des Arbeitsplatzes in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG” zu zahlen war, zugleich Arbeitsentgelt für die Zeit bis zum 31. Dezember 1984 enthalten war, so daß der Klägerin ein übergangener Anspruch hierauf in Höhe ihrer Leistungen zusteht, ist zwischen den Parteien streitig. Dies ist von der Klägerin bereits im ersten Rechtszug unter Hinweis auf das nach dem Vergleich bis zum 31. Dezember 1984 fortbestehende Arbeitsverhältnis des Beklagten geltend gemacht worden, während der Beklagte vorgetragen hat, durch den Vergleich vom 23. September 1985 hätten lediglich alle gegenseitigen, nicht aber die gesetzlichen Ansprüche Dritter erledigt werden sollen. In seiner Berufungsbegründung vom 17. April 1990 hat der Beklagte unter Antritt von Zeugenbeweis seinen bisherigen Vortrag dahingehend ergänzt, bei Abschluß des Vergleichs vom 23. September 1985 seien die seinerzeit Vergleichsschließenden davon ausgegangen, daß die Abfindungssumme von 19.000 DM ausschließlich für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden und in vollem Umfang an den Beklagten gelangen sollte, hingegen Gehaltsansprüche des Beklagten für die Zeit vom 2. Oktober bis 31. Dezember 1984 hierin nicht enthalten sein sollten. Hierauf hat die Klägerin unter Benennung derselben Zeugen erwidert, in dem Arbeitsrechtsstreit hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wie sich aus der Abgeltungsklausel in Nr. 3 des Vergleichs ergebe, alle unter ihnen bestehenden Ansprüche regeln wollen und auch geregelt; die Parteien des Arbeitsrechtsstreits hätten bei Abschluß des Vergleichs auch nicht etwa den Gehaltsanspruch des Beklagten vergessen. Weiter hat die Klägerin vorgetragen, es dürfte gerichtsbekannt sein, daß bei derartigen Vergleichen üblicherweise das dem Arbeitnehmer noch zustehende Gehalt in die Abfindung wegen Verlustes des Arbeitsplatzes einbezogen werde, weil solche Abfindungen steuerfrei seien, während das rückständige Gehalt versteuert werden müsse; dies sei offensichtlich auch bei Abschluß des Vergleichs vom 23. September 1985 der Grund für die Vergleichsformulierung gewesen.
Diesem Vortrag der Klägerin war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Behauptung zu entnehmen, die Parteien des Arbeitsgerichtsverfahrens hätten durch Vereinbarung der Zahlung einer Abfindungssumme zugleich die Gehaltsansprüche des Beklagten bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses bei der Bildungsvereinigung am 31. Dezember 1984 abgelten wollen. Daß in diesem Fall der Begriff „Abfindung” in Nr. 2 des Vergleichs vom 23. September 1985 objektiv jedenfalls teilweise unrichtig verwendet wurde, ist bei Feststellung eines anderweitigen, von den Parteien übereinstimmend gewollten Begriffsinhalts unerheblich (vgl. Soergel/M. Wolf, BGB, 12. Aufl., § 157 Rdn. 16). Dann aber durfte das Berufungsgericht ohne Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen nicht davon ausgehen, daß in der vereinbarten Abfindung kein Arbeitsentgelt des Beklagten enthalten war.
c) Sollte sich nach durchzuführender Beweisaufnahme ein Wille der Parteien auf Einbeziehung von Arbeitsentgeltansprüchen in die vereinbarte Abfindung nicht ergeben, wäre das Berufungsgericht durch die dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Juni 1981 – Az 7 RAr 29/80 – BSGE 52, 47 ff – zugrunde liegenden Erwägungen nicht gehindert, den Vergleich vom 23. September 1985 dahingehend auszulegen, daß in diesem Entgeltansprüche nicht abgegolten worden sind. In dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall waren durch den abgeschlossenen Vergleich ausdrücklich „alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlaß seiner Beendigung, einschließlich Urlaubs- und Restlohnansprüche, erledigt” worden. Hieraus konnte entnommen werden, daß in der vereinbarten Abfindung zugleich Entgeltansprüche für die Zeit bis zum Ablauf der vereinbarten (ordentlichen) Kündigungsfrist enthalten waren. In dem Vergleich vom 23. September 1985 findet sich jedoch ein derartiger Anhaltspunkt nicht, aus dem zu erkennen wäre, daß die vereinbarte Abfindung zugleich Arbeitsentgeltansprüche des Beklagten abfinden sollte.
Unterschriften
Dr. Skibbe, Dr. Brunotte, Dr. Paulusch, Groß, Dr. Hübsch
Fundstellen