Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Wettbewerbswidrigkeit des fast identischen Nachbaus eines komplexen technischen Geräts.
Normenkette
UWG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 27. November 1996 aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover vom 17. Juli 1991 abgeändert und wie folgt gefaßt:
1. Die Beklagte wird unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, – die Ordnungshaft zu vollziehen am jeweiligen Geschäftsführer der Beklagten – verurteilt, es zu unterlassen, einen Faltrollstuhl (über Greifreifen angetrieben) gemäß ihrem Prospekt – Auszug Anlage K 1 – (Faltrollstuhl Modell W.) feilzuhalten und in Verkehr zu bringen, soweit dieser folgende Merkmale aufweist:
- die Seitenrahmen stimmen mit den Seitenrahmen des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich gemäß den Fotografien K 3, K 4, K 5 einschließlich der Seitenteilarretierungen K 6, K 7, K 8 sowie der Beinstützen K 9 und zugehöriger Arretierung K 10, K 11 sowie ferner einschließlich der Scherenführungen mit Knotenblechen K 12 und mit hinteren Seitenteilaufnahmezapfen und Radaufnahmebohrung K 13 überein,
- die Schere (Seitenrahmenverbindungsschere in Form von Kreuzstreben) stimmt mit der Schere des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich gemäß den Fotografien K 14, K 15 einschließlich der Scherenführungsrohre K 16, K 17 überein,
- die Seitenteile stimmen mit den Seitenteilen des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich gemäß den Fotografien K 18, K 19, K 20 einschließlich der hinteren Seitenteilführungsschellen K 21, K 22, K 23, K 24 und Führungsbuchse K 25 sowie Seitenteilführung mit Arretierungsbohrung K 26 und Seitenblech mit Lage und Durchmesser der Prägung für die Aufnahme des Firmen-Emblems K 27 überein,
- die Beinstützenoberteile stimmen mit den Bodenstützenoberteilen des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich gemäß den Fotografien K 28, K 29 einschließlich Führungsbuchsen, Verschlußstopfen, Wadengurtstift und Klemmschlitzen K 30 überein,
- die Sitz- und Rückengurte stimmen im Lochbild für die Schraubbefestigung an den Rücken- und Sitzrohren mit den Sitz- und Rückengurten des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich überein.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu 1. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe der Liefermenge, Lieferzeiten, Lieferpreise und der Namen und Anschriften der Abnehmer, ferner der Zahl und des Inhalts von Angeboten sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger, einschließlich der Gestehungskosten und einschließlich sämtlicher Kostenfaktoren und des erzielten Gewinns, ferner unter Angabe der Art und des Umfangs der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Kalendervierteljahren, Bundesländern (einschließlich der neuen Bundesländer im Gebiet der ehemaligen DDR) und Werbeträgern, wobei der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten wird, die Namen und Anschriften ihrer Abnehmer und Angebotsempfänger nicht der Klägerin, sondern einem von ihr zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die Kosten seiner Einschaltung trägt und ihn zugleich ermächtigt, der Klägerin auf konkretes Befragen Auskunft darüber zu geben, ob ein bestimmt bezeichneter Name oder eine bestimmt bezeichnete Anschrift in der Rechnungslegung enthalten ist.
3. Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu 1. gekennzeichneten Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin vertreibt seit langem auf dem deutschen Markt mit großem Erfolg von ihr hergestellte Rollstühle, u.a. das Modell 3.400 „P.”, das in der fraglichen Zeit ihr Standardrollstuhl war. Für ihre Produkte hat die Klägerin ein dichtes Vertriebsnetz und eine Teilelogistik aufgebaut.
Die Beklagte vertreibt seit 1990 den Rollstuhl W.. Sie benutzt dazu u.a. einen Prospekt, in dem wie nachstehend – verkleinert – wiedergegeben (von der Klägerin als Anlage K 1 vorgelegt) für den Rollstuhl W. geworben wird:
Nach Ansicht der Klägerin ist der Rollstuhl W. ein sklavischer Nachbau ihres Faltrollstuhls Modell 3.400 „P.” und mit diesem verwechslungsfähig.
Nachfrager der von den Parteien hergestellten Rollstühle sind Sanitätshäuser und Einkaufsgenossenschaften.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, einen Faltrollstuhl (über Greifreifen angetrieben) gemäß ihrem Prospekt – Auszug Anlage K 1 – (Faltrollstuhl Modell W.) feilzuhalten und in Verkehr zu bringen, soweit dieser folgende Merkmale aufweist:
- die Seitenrahmen stimmen mit den Seitenrahmen des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich gemäß den Fotografien K 3, K 4, K 5 einschließlich der Seitenteilarretierungen K 6, K 7, K 8 sowie der Beinstützen K 9 und zugehöriger Arretierung K 10, K 11 sowie ferner einschließlich der Scherenführungen mit Knotenblechen K 12 und mit hinteren Seitenteilaufnahmezapfen und Radaufnahmebohrung K 13 überein,
- die Schere (Seitenrahmenverbindungsschere in Form von Kreuzstreben) stimmt mit der Schere des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich gemäß den Fotografien K 14, K 15 einschließlich der Scherenführungsrohre K 16, K 17 überein,
- die Seitenteile stimmen mit den Seitenteilen des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich gemäß den Fotografien K 18, K 19, K 20 einschließlich der hinteren Seitenteilführungsschellen K 21, K 22, K 23, K 24 und Führungsbuchse K 25 sowie Seitenteilführung mit Arretierungsbohrung K 26 und Seitenblech mit Lage und Durchmesser der Prägung für die Aufnahme des Firmen-Emblems K 27 überein,
- die Beinstützenoberteile stimmen mit den Bodenstützenoberteilen des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich gemäß den Fotografien K 28, K 29 einschließlich Führungsbuchsen, Verschlußstopfen, Wadengurtstift und Klemmschlitzen K 30 überein,
- die Sitz- und Rückengurte stimmen im Lochbild für die Schraubbefestigung an den Rücken- und Sitzrohren mit den Sitz- und Rückengurten des von der Klägerin feilgehaltenen und in den Verkehr gebrachten Faltrollstuhls gemäß Prospekt Anlage K 2 (Auszug Seite 30 – Modellserie 3.400 „P.”) optisch und maßlich überein;
- die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu 1. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe der Liefermenge, Lieferzeiten, Lieferpreise und der Namen und Anschriften der Abnehmer, ferner der Zahl und des Inhalts von Angeboten sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger, einschließlich der Gestehungskosten und einschließlich sämtlicher Kostenfaktoren und des erzielten Gewinns, ferner unter Angabe der Art und des Umfangs der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Kalendervierteljahren, Bundesländern (einschließlich der neuen Bundesländer im Gebiet der ehemaligen DDR) und Werbeträgern, wobei der Beklagten nach ihrer Wahl vorbehalten wird, die Namen und Anschriften ihrer Abnehmer und Angebotsempfänger nicht der Klägerin, sondern einem von ihr zu bezeichnenden und ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte die Kosten seiner Einschaltung trägt und ihn zugleich ermächtigt, der Klägerin auf konkretes Befragen Auskunft darüber zu geben, ob ein bestimmt bezeichneter Name oder eine bestimmt bezeichnete Anschrift in der Rechnungslegung enthalten ist;
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu 1. gekennzeichneten Handlungen entstanden ist und künftig noch entstehen wird.
Die Beklagte hat sich demgegenüber auf den Grundsatz der Nachahmungsfreiheit berufen und vorgetragen, die Gestaltung ihres Rollstuhls sei technisch bedingt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Verurteilung der Beklagten nach den Klageanträgen.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß die Beklagte durch den Vertrieb ihres Faltrollstuhls W. nicht gegen § 1 UWG verstoße.
Es hat dazu ausgeführt, der Rollstuhl 3.400 „P.” der Klägerin habe aufgrund seiner sichtbaren Eigenschaften einen hohen Grad wettbewerblicher Eigenart. Er bilde für Nachfrager den Qualitätsmaßstab, an dem andere Produkte gemessen würden. Der Faltrollstuhl W. sei ein fast identischer Nachbau des Rollstuhls 3.400. Wie das eingeholte Sachverständigengutachten ergeben habe, seien die Übereinstimmungen zwischen den Rollstühlen nicht zufällig und auch nicht technisch bedingt.
Das Berufungsgericht hat gleichwohl die Ansicht vertreten, es fehlten besondere Umstände, die den Nachbau des nicht unter Sonderschutz stehenden Rollstuhls der Klägerin als unlauter erscheinen ließen. Eine Rufausbeutung sei nicht gegeben. Die äußeren Merkmale des W. würden bei den angesprochenen Verkehrskreisen nicht die Gütevorstellungen des Originals hervorrufen. Die als Zeugen gehörten Orthopädiemechanikermeister F. und G. hätten zwar den Rollstuhl der Klägerin für das Standardprodukt hoher Qualität gehalten, jedoch erkannt, daß der W. von minderer Qualität sei. So erkläre sich, daß neun weitere Zeugen, sämtlich Orthopädiefachleute, den W. zunächst für eine billigere und technisch weniger hochwertige Zweitlinie der Klägerin gehalten hätten.
Mit dem Nachbau mache sich die Beklagte nicht einen Fortsetzungsbedarf zunutze, den die Klägerin begründet habe, auch wenn Ersatzteile für die Rollstühle austauschbar seien. Ein Rollstuhl führe nicht zu einem Fortsetzungsbedarf, sondern sei eine einmalige Anschaffung.
Es könne offenbleiben, ob es sittenwidrig gewesen wäre, wenn sich die Beklagte mit dem Nachbau des Modells 3.400 hätte zunutze machen wollen, daß die Klägerin für dieses Modell eine umfangreiche Sonderausstattung (mit zahlreichen Ergänzungsteilen zur Anpassung an besondere Erfordernisse) vorhalte. Denn die Beklagte habe in erheblichem Umfang eigene Systemteile zur Anpassung der Rollstühle an spezifische Behinderungen angeboten. Sie habe auch über genügend Zusatzteile verfügt, um ihre Rollstühle ohne Rückgriff auf Zubehör oder Ausstattungsteile der Klägerin zu vertreiben.
Nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge sei zu vermuten, daß hier keine vermeidbare Herkunftstäuschung bestehe, weil die Rollstühle fast nur unter eingehender Beratung durch Fachleute an Fachleute vertrieben würden. Fachleute würden solche Produkte aufmerksam und mit Sachverstand anschauen und sich überdies im Hinblick auf Service- und Reparaturdienstleistungen gerade auch für das hinter dem Produkt stehende Unternehmen interessieren. Keiner der vernommenen Zeugen sei letztlich durch das Erscheinungsbild des W. getäuscht worden. Diese Zeugen hätten den W. vor dem Einkauf untersucht und Nachforschungen über seine Herkunft angestellt. Dabei hätten alle erfahren und erkannt, daß dieses Produkt nicht von der Klägerin stamme. Angesichts dieses Ergebnisses der Beweisaufnahme hätte die Klägerin vortragen müssen, daß und weshalb in anderen, nicht bekannten Verkaufsfällen entgegen dem wahrscheinlichen Geschehensablauf eine Täuschung der Fachleute eingetreten sei.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ergibt sich, daß der Unterlassungsantrag der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des ergänzenden Leistungsschutzes begründet ist (§ 1 UWG).
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Nachbau fremder, nicht unter Sonderrechtsschutz stehender technischer Erzeugnisse grundsätzlich zulässig ist, aber wettbewerbswidrig sein kann, wenn die Erzeugnisse von wettbewerblicher Eigenart sind und hinzutretende besondere Umstände den Nachbau unlauter erscheinen lassen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 14.12.1995 - I ZR 240/93, GRUR 1996, 210, 211 = WRP 1996, 279 - Vakuumpumpen, m.w.N.). Ebenso hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, daß zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen eine Wechselwirkung besteht. Je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme, desto geringer sind die Anforderungen an die besonderen Umstände, die die Wettbewerbswidrigkeit der Nachbildung begründen (vgl. BGH GRUR 1996, 210, 211 - Vakuumpumpen; BGH, Urt. v. 17.10.1996 - I ZR 153/94, GRUR 1997, 308, 310 f. = WRP 1997, 306 - Wärme fürs Leben; Urt. v. 5.3.1998 - I ZR 13/96, GRUR 1998, 830, 833 = WRP 1998, 732 - Les-Paul-Gitarren, zum Abdruck in BGHZ 138, 143 bestimmt; Urt. v. 14.1.1999 - I ZR 203/96, Umdr. S. 10 - Güllepumpen). Die Ausführungen der Revisionserwiderung geben dem Senat keinen Anlaß, diesen Grundsatz einzuschränken.
2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Faltrollstuhl der Klägerin 3.400 „P.” eine hohe wettbewerbliche Eigenart.
Die wettbewerbliche Eigenart setzt ein Erzeugnis voraus, dessen konkrete Ausgestaltung oder einzelne Merkmale geeignet sind, im Verkehr auf seine betriebliche Herkunft oder Besonderheiten hinzuweisen (vgl. BGH GRUR 1998, 830, 832 - Les-Paul-Gitarren, m.w.N.). Das Berufungsgericht ist zutreffend, wenn auch unausgesprochen, davon ausgegangen, daß sich die wettbewerbliche Eigenart eines Erzeugnisses auch aus seinen technischen Merkmalen ergeben kann. Für den – auf dem Markt erfolgreichen – Rollstuhl 3.400 der Klägerin hat das Berufungsgericht festgestellt, daß dieser aufgrund seiner sichtbaren Eigenschaften in hohem Maß geeignet ist, bei den Nachfragern, zu denen nur Sanitätshäuser und Einkaufsgenossenschaften gehören (s. unten Abschnitt 3. b), nicht nur auf seine betriebliche Herkunft hinzuweisen, sondern auch Qualitätserwartungen zu wecken. Das Berufungsgericht hat dazu unangegriffen festgestellt, daß sich die Nachfrager am Rollstuhl 3.400 als Qualitätsstandard orientieren und dieses Modell den Nachfragern in seiner konkreten Gestaltung als gedankliches Vergleichsstück zu einem anderen Produkt – wie dem Rollstuhl W. der Beklagten – dienen kann. Charakteristisch für das Modell 3.400 sind dabei im übrigen ausweislich der Protokolle über die Zeugenvernehmungen, auf die das Berufungsgericht im Tatbestand als Ergebnis seiner Beweisaufnahme Bezug genommen hat, auch Merkmale, die aufgrund der – im Tatbestand des Berufungsurteils ebenfalls in Bezug genommenen – Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. Fr. (vgl. dazu unten 3. a) vom Hersteller frei wählbar sind (z.B. die Gestaltung der Seitenteile samt der darin angebrachten kreisrunden Vertiefung zur Anbringung des Firmenzeichens, die Vorrichtung zur Aufhängung der Fußrasten mit ihren genauen Abmessungen).
3. Das Berufungsgericht hat weiter rechtsfehlerfrei angenommen, daß der Faltrollstuhl W. ein fast identischer Nachbau des Modells der Klägerin ist. Dementsprechend sind hier, wovon auch das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend ausgegangen ist, strenge Anforderungen an die wettbewerbliche Zulässigkeit des Nachbaus anzulegen (vgl. BGH GRUR 1996, 210, 211 - Vakuumpumpen, m.w.N.). Die Ansicht des Berufungsgerichts, daß die Beklagte ungeachtet dessen und trotz der hohen wettbewerblichen Eigenart des nachgeahmten Erzeugnisses mit dem Vertrieb des Rollstuhls W. nicht wettbewerbsrechtlich unlauter handele, hält jedoch im Hinblick auf die festgestellten Umstände des Nachbaus der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Der ergänzende Leistungsschutz technischer Erzeugnisse aus § 1 UWG ist allerdings dadurch beschränkt, daß die technische Lehre und der Stand der Technik frei sind (vgl. BGHZ 50, 125, 128 f. - Pulverbehälter; vgl. auch BGH, Urt. v. 23.1.1981 - I ZR 48/79, GRUR 1981, 517, 519 = WRP 1981, 514 - Rollhocker; BGH GRUR 1996, 210, 211 - Vakuumpumpen; BGH, Urt. v. 14.1.1999 - I ZR 203/96, Umdr. S. 10 - Güllepumpen). Gemeinfreie technische Lösungen dürfen grundsätzlich verwendet werden, ohne daß der Übernehmer auf das Risiko verwiesen werden darf, es mit einer anderen Lösung zu versuchen (BGHZ 50, 125, 129 - Pulverbehälter). Dies schließt jedoch nicht aus, daß der Vertrieb eines nachgeahmten Erzeugnisses wettbewerbsrechtlich unlauter sein kann, wenn ein technisches Erzeugnis in seiner Gesamtkombination, die aus einer Vielzahl von technisch-funktionalen Gestaltungselementen besteht, identisch oder – wie hier – fast identisch nachgeahmt worden ist, obwohl für Abweichungen ein hinreichend großer Spielraum bestanden hat (vgl. BGH GRUR 1981, 517, 519 - Rollhocker; vgl. auch BGH, Urt. v. 26.10.1962 - I ZR 21/61, GRUR 1963, 152, 156 = WRP 1963, 87 - Rotaprint; Bopp, GRUR 1997, 34, 37). Dies ist hier der Fall. Vorliegend wurde zudem ein komplexes Gerät von hoher wettbewerblicher Eigenart, das im Verkehr den Qualitätsstandard setzt, insgesamt fast identisch nachgeahmt.
Aus den Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen, die u.a. auch auf der Grundlage des von den Parteien eingereichten Vergleichsmaterials erstattet worden sind, ergibt sich, daß der Rollstuhl 3.400 zumindest in seiner konkreten, durch eine Vielzahl von Auswahlentscheidungen bestimmten Gestalt nicht nur durch die angewandten (gemeinfreien) technischen Lösungen bedingt ist, sondern in weitem Umfang aus frei wählbaren Elementen erwachsen ist. Es entspricht im übrigen auch der Lebenserfahrung, daß ein komplexes Gerät wie ein Rollstuhl, das verschiedensten Anforderungen genügen muß (Sicherheit, Haltbarkeit, Transporteignung, Variationsmöglichkeiten bei der Ausrüstung mit Zusatz- und Variationsteilen, Preisgünstigkeit usw.), selbst bei gleicher Prioritätensetzung der Hersteller und auch bei Benutzung desselben freien Stands der Technik und handelsüblicher Normbauteile jeweils so durch individuelle Gestaltungsentscheidungen geprägt ist, daß jedes Gerät – zumindest für Fachleute – ein eigenes „Gesicht” hat.
Bei seiner Darlegung der Übernahmen in seinen beiden schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige u.a. ausgeführt, daß der auffälligste Blickfang an einem Rollstuhl die Seitenteile mit der Armauflage seien. Bei anderen Herstellern seien diese deutlich unterschiedlich geformt. Dieses ohne weiteres verschieden auszugestaltende Element ist nach den Ausführungen des Sachverständigen beim Rollstuhl W. fast identisch übernommen, wobei die kreisrunde Vertiefung (Sicke), die nur der Aufnahme des Firmenzeichens dient, an praktisch identischer Stelle angebracht ist. Ebenso hat der Sachverständige eine auffallende Übereinstimmung bei den Aufhängungen für die Fußrasten festgestellt, obwohl alle Abmessungen weitgehend frei wählbar seien. Diese Übereinstimmung sei weder erforderlich noch üblich. Sämtliche Rollstühle, die von der Stiftung Warentest einem Test unterzogen worden seien, wiesen auch in der Ausführung der Fußrastenhalter deutliche Unterschiede auf. Weiter hat der Sachverständige auf zahlreiche auffallende Übereinstimmungen an charakteristischen Teilen hingewiesen, bei denen es sich weder um Normteile noch um handelsübliche Zukaufteile handele, die also mit großer Wahrscheinlichkeit der jeweiligen eigenen Herstellung entstammten. Sogar offensichtlich schlechte Lösungen des Modells 3.400 seien bei dem Rollstuhl W. gleich ausgeführt.
Bei dieser Sachlage müßte zur Begründung der wettbewerbsrechtlichen Unbedenklichkeit der Übernahme im einzelnen dargetan sein, aus welchen Gründen die Übernahme wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden ist, insbesondere auch, warum beim Nachbau deutlichere Abweichungen nicht zuzumuten waren (vgl. BGH GRUR 1996, 210, 211 f. - Vakuumpumpen; vgl. auch BGH GRUR 1963, 152, 157 - Rotaprint; vgl. weiter v. Gamm, UWG, 3. Aufl., § 1 Rdn. 74, 79; Piper in Köhler/Piper, UWG, § 1 Rdn. 274). Entsprechende Feststellungen sind hier nicht getroffen, ohne daß dies im Revisionsverfahren beanstandet worden wäre. Das Berufungsgericht hat im Gegenteil festgestellt, daß sich der Nachbau eng an die wettbewerbliche Eigenart der Rollstühle der Klägerin anlehnen sollte. Die Feststellungen des Berufungsgerichts erweisen, daß dieses Ziel in weitem Umfang erreicht worden ist.
b) Aus den festgestellten Umständen ergibt sich zudem, daß aufgrund der Gestaltung des Rollstuhls W. die Gefahr einer Täuschung über die betriebliche Herkunft besteht. Dabei kommt es allein auf die Beurteilung der Fachkreise an, weil als Nachfrager nur Sanitätshäuser und Einkaufsgenossenschaften in Betracht kommen (vgl. BGH, Urt. v. 28.1.1988 - I ZR 34/86, GRUR 1988, 385, 387 = WRP 1988, 371 - Wäsche-Kennzeichnungsbänder; GRUR 1996, 210, 212 - Vakuumpumpen). Dies beruht – wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat –, darauf, daß Rollstühle zu mehr als 90 % von den Sozialversicherungsträgern auf der Grundlage von Rahmenlieferverträgen mit dem Sanitätsfachhandel und den Orthopädie-Geschäften zur Versorgung der Behinderten erworben werden. Der Rollstuhl wird für den Behinderten – im allgemeinen ohne nähere technische Festlegung – ärztlich verordnet und durch den Fachhändler unter Berücksichtigung der bestehenden Besonderheiten ausgesucht. Die Auswahl bedarf der Genehmigung des Kostenträgers; auch insoweit entscheidet aber ein Fachmann. In den Fällen, in denen ein Behinderter selbst einen Rollstuhl erwirbt (höchstens 5 % des Marktvolumens), ist der Behinderte entscheidend auf die Beratung durch den Fachhandel angewiesen.
Das Berufungsgericht ist selbst davon ausgegangen, daß der Rollstuhl W. von den Fachleuten, die sich mit ihm befaßt haben, zunächst häufig der Klägerin zugeordnet wurde. Die als Zeugen vernommenen Fachleute haben zwar erkannt, daß der Rollstuhl W. im Vergleich zu dem nachgeahmten Modell von minderer Qualität ist, ihn aber ganz überwiegend zunächst für eine billigere und technisch weniger hochwertige Zweitlinie der Klägerin gehalten (BU 7 Abs. 2). Aus diesem Grund wurden die vom Berufungsgericht festgestellten Nachforschungen über die Herkunft des Rollstuhls W. durchgeführt. Daraus ergibt sich nicht nur, daß dessen Gestaltung in erheblichem Umfang geeignet ist, über seine Herkunft irrezuführen, sondern auch, daß sie – jedenfalls zunächst – bei den angesprochenen Fachleuten tatsächlich zu Herkunftstäuschungen geführt hat. Bei der technischen Gestaltung des Rollstuhls W. wurden keine Anstrengungen unternommen, eine Herkunftstäuschung zu vermeiden; nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gibt die Art des Nachbaus im Gegenteil einen deutlichen Hinweis darauf, daß dieser der wettbewerblichen Eigenart der Rollstühle der Klägerin nahekommen sollte.
c) Der Vertrieb des Rollstuhls W. als einer fast identischen Nachahmung des Modells 3.400 der Klägerin, die gerade von Fachleuten zumindest zunächst der Klägerin zugerechnet werden kann, ist wettbewerbsrechtlich unlauter, auch wenn unterstellt wird, daß Facheinkäufer das Nachahmerprodukt jedenfalls beim Kauf aufgrund weiterer Recherchen nicht mehr für ein Produkt der Klägerin oder eines mit dieser verbundenen Unternehmens halten. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zeigen auch, daß der Vertrieb des Rollstuhls W. geeignet war, zu Lasten der Klägerin eine erhebliche Marktverwirrung zu begründen. Aus den Zeugenaussagen von Fachhändlern, auf die im Tatbestand des Berufungsurteils Bezug genommen worden ist, ergibt sich überdies, daß vom Fachhandel teilweise befürchtet wurde, die Klägerin versuche, am Fachhandel vorbei – unter Vorschieben eines anderen Unternehmens – mit billigeren Modellen einen Direktvertrieb einzurichten, und daß dies der Anlaß zu den vom Berufungsgericht festgestellten Nachforschungen über die Herkunft des Rollstuhls W. war.
Die Annahme des Berufungsgerichts, daß Facheinkäufer jedenfalls beim Kauf selbst keiner Herkunftstäuschung mehr unterliegen würden, ist im übrigen nicht rechtsfehlerfrei begründet. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und den sonstigen Umständen des Falles ein Anscheinsbeweis dafür bestehe, daß alle angesprochenen Fachleute letztlich nicht durch das Aussehen des Rollstuhls W. über dessen Herkunft getäuscht würden. Das Berufungsgericht hat dabei nicht beachtet, daß für das Verhalten der angesprochenen Facheinkäufer schon deshalb kein Anscheinsbeweis gelten kann, weil es sich hier nicht um typische Geschehensabläufe handelt (vgl. BGHZ 123, 311, 316 f.; BGH, Urt. v. 23.1.1997 - I ZR 29/94, GRUR 1997, 681, 683 = WRP 1997, 715 - Produktwerbung). Das Berufungsgericht hat weiter seiner Beurteilung zu Unrecht zugrunde gelegt, daß Rollstühle der vorliegenden Art an die einkaufenden Fachleute fast nur unter eingehender Fachberatung abgesetzt würden. Wie die Revision zu Recht rügt, ist dies von keiner Seite vorgetragen worden. Die Klägerin hat lediglich dargelegt, daß den Fachleuten die einzelnen Rollstuhlmodelle und ihre betriebliche Herkunft bekannt seien. Daraus folgt aber nicht, daß die Fachleute nicht jedenfalls bei neu auf den Markt kommenden Rollstühlen über deren betriebliche Herkunft getäuscht werden könnten.
Als ergänzendes Unlauterkeitsmoment tritt hinzu, daß die Bemühungen der Klägerin, den Ruf ihres Rollstuhls 3.400 aufrechtzuerhalten, nach der Lebenserfahrung erheblich behindert werden, wenn daneben ein fast identisch nachgeahmtes Produkt minderer Qualität vertrieben wird, auch wenn es beim Verkauf selbst nicht zu Herkunftstäuschungen kommt (vgl. dazu auch BGH GRUR 1998, 830, 833 - Les-Paul-Gitarren).
d) Der Unterlassungsantrag war danach im begehrten Umfang zuzusprechen. Die Klägerin hat bereits im landgerichtlichen Verfahren klargestellt, daß sich der Antrag nur dagegen richtet, daß bei einem Nachbau sämtliche darin genannten Gestaltungsmerkmale verwendet werden.
III. Die Beklagte ist der Klägerin wegen ihres beanstandeten Vorgehens auch zum Schadensersatz verpflichtet (§ 1 UWG). Sie hat schuldhaft gehandelt, da ihr die Umstände, aus denen sich die Wettbewerbswidrigkeit ihres Vorgehens ergibt, bekannt waren. Die Beklagte gehört zu den Fachkreisen, an die ohnehin erhöhte Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind. Eine irrige Annahme der Beklagten, sie verletze mit dem Vertrieb des Rollstuhls W. keine Rechte der Klägerin, muß unter diesen Umständen als fahrlässig angesehen werden (vgl. BGH GRUR 1981, 517, 520 - Rollhocker).
IV. Zur Vorbereitung der Schadensermittlung steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Rechnungslegung zu (vgl. BGH GRUR 1981, 517, 520 - Rollhocker).
V. Auf die Revision der Klägerin war danach das Berufungsurteil aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils auf die Berufung der Klägerin nach den Klageanträgen zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Starck, Bornkamm, Pokrant
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 17.06.1999 durch Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538446 |
BGHR |
EBE/BGH 1999, 276 |
NJW-RR 2000, 338 |
GRUR 1999, 1106 |
Nachschlagewerk BGH |
WRP 1999, 1031 |