Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 15. September 2000 aufgehoben, soweit von der Feststellung besonders schwerer Schuld des Angeklagten abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord, räuberischer Erpressung mit Todesfolge und mit gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen eingelegte, auf die Sachrüge gestützte und auf das Absehen von der Feststellung besonders schwerer Schuld des Angeklagten beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am Abend des 9. Dezember 1995 zusammen mit drei Mittätern, mit denen zusammen er am 5. Dezember 1995 aus der Justizvollzugsanstalt Sch. in L. ausgebrochen war, nach K., um dort eine Gaststätte zu überfallen, die dem Angeklagten bekannt war; hierbei war geplant, sich des Gastwirts zu bemächtigen und ihn zur Herausgabe von Bargeld zu zwingen, mit dem die weitere Flucht, namentlich die Beschaffung falscher Papiere finanziert werden sollte.
Der geplante Überfall konnte nicht durchgeführt werden, weil die Gaststätte bei Ankunft der Täter bereits geschlossen hatte. Der Angeklagte, der aufgrund seiner Erfahrung, Durchsetzungskraft und Entschlossenheit die Rolle des Anführers der Gruppe innehatte und von dem im wesentlichen sämtliche Initiativen ausgingen, ordnete daher an, daß nun von allen vier Tätern eine im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit der Gaststätte befindliche Diskothek überfallen werden solle, in der sich noch zahlreiche Gäste aufhielten. Der Angeklagte war mit einer Pistole Kaliber 9 mm bewaffnet, der Mittäter Ad. mit einer Pistole Kaliber 7, 65 mm, der Mittäter K. mit einem langen Messer und der Mitangeklagte C. mit einer Baseballkeule; alle Täter waren mit Masken und Handschuhen ausgerüstet; die Beteiligten waren sich vor dem Eindringen in die Diskothek darüber einig, daß bei Widerstand von den Waffen – auch unter Inkaufnahme tödlicher Verletzungen – Gebrauch gemacht werden solle und daß man sich keinesfalls festnehmen lassen werde. Alsbald nach dem Eintritt in die Diskothek schoß der Angeklagte in die Decke, zwang die zahlreichen Besucher der Diskothek, sich auf den Boden zu legen, und mißhandelte und bedrohte diejenigen, die seinen Befehlen nicht alsbald Folge leisteten. Er selbst hielt am Boden liegenden Personen die Pistole an den Kopf und forderte sie zur Herausgabe von Geld und Wertsachen auf. Die Mittäter überwältigten den Kassierer, bedrohten andere Gäste und Angestellte und sammelten von den Opfern herausgegebene Wertsachen und Geldbeträge ein. Der Mittäter K. stieß dem Kassierer H. sein Messer mit Tötungsvorsatz zweimal wuchtig in den Bauch. Als der Mittäter Ad. die schwangere Ehefrau des Nebenklägers, eine Angestellte der Diskothek, in einen Nebenraum zu ziehen versuchte, und diese um Hilfe rief, eilte ihr der Nebenkläger zu Hilfe. Der Angeklagte schoß daraufhin von hinten auf den Nebenkläger – einen Tötungsvorsatz hat das Landgericht insoweit nicht festgestellt –, verfehlte ihn aber. Als der Nebenkläger nun in einen Kampf mit dem Mittäter Ad. verwickelt wurde, kam diesem der Mittäter K. zu Hilfe, der dem Nebenkläger mit Tötungsvorsatz sein Messer in den Oberbauch stieß. Etwa zehn Minuten nach Beginn des Überfalls flohen die Täter. Die gesamte Beute bestand aus etwa 2.500,– DM Bargeld und einigen Schmuckstücken.
Der Angestellte H. verstarb noch am Tatort an den Folgen der Messerstiche; der Nebenkläger, der schwer verletzt war, konnte durch zwei Operationen gerettet werden. Er leidet bis heute an schweren psychischen Folgen der Tat. Auch mehrere andere Tatopfer waren durch die Geschehnisse langfristig erheblich beeinträchtigt.
Die vier Täter trennten sich später, nachdem sie weitere Straftaten begangen hatten; einer von ihnen ist bis heute flüchtig. Der Angeklagte, der sich am 30. Januar 1996 seiner Festnahme unter Schußwaffeneinsatz gegen zwei Polizeibeamte entzog, entkam zunächst über Italien in seine Heimat in Montenegro. Dort wurde er im Mai 1996 wegen Diebstahls von zwei Pkw während seiner Flucht zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; vom Vorwurf des versuchten Mordes an einem Polizisten wurde er freigesprochen. Nach seiner vorzeitigen Entlassung im Dezember 1998 wurde er im Mai 1999 erneut in Sarajevo festgenommen und im Juli 1999 in die Bundesrepublik ausgeliefert. Im Dezember 2000, also nach dem Urteil in der vorliegenden Sache, ist er erneut mit einem anderen Häftling aus der Justizvollzugsanstalt in T. entwichen und seither flüchtig.
2. Die Ablehnung der Feststellung besonders schwerer Schuld im Sinne des § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, auf welche die Revision der Staatsanwaltschaft wirksam beschränkt ist, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, daß „Anhaltspunkte für das Vorliegen einer besonders schweren Schuld nicht gegeben” seien (UA S. 288).
Dem Revisionsgericht ist zwar bei der Nachprüfung der gemäß § 57 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu treffenden Entscheidung eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt; zu prüfen ist aber, ob der Tatrichter die ihm obliegende Aufgabe erfüllt hat, die für die Beurteilung des Einzelfalls maßgeblichen Umstände umfassend zu bewerten und im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit eine Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände vorzunehmen (vgl. BGHSt 40, 360, 370; BGHSt 41, 57, 62; BGHR StGB § 57 a Abs. 1 Schuldschwere 10).
Diese Prüfung ist dem Senat nicht möglich. Das Landgericht hat eine Vielzahl von Umständen festgestellt, auf welche es seine Charakterisierung des Angeklagten als „ungewöhnlich skrupellosen Menschen” stützt, „der sich ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz und auf die berechtigten Interessen anderer Menschen das nimmt, was er zu brauchen glaubt” (UA S. 186). Hierzu zählen unter anderem die festgestellten zahlreichen gravierenden Vorstrafen sowie die mehrfachen Ausbrüche und Fluchtversuche aus Haftanstalten, weiterhin der Umstand, daß der Angeklagte auch nach seiner neuerlichen Flucht seinen Lebensunterhalt ausschließlich durch fortgesetzte Begehung von Straftaten auch der schweren Gewaltkriminalität bestritt. Die umfangreichen Feststellungen des Landgerichts zu den Einzelheiten der dem Tatgeschehen vorausgehenden und nachfolgenden Flucht zeigen, daß der Angeklagte – etwa bei Polizeikontrollen – bedenkenlos bereit war, sein Entkommen auch durch gegebenenfalls tödlichen Einsatz von Schußwaffen zu erzwingen. Schwerwiegende, den Angeklagten belastende Gesichtspunkte ergeben sich auch aus den Umständen der verfahrensgegenständlichen Tat. Der Angeklagte hat nicht nur tateinheitlich die Tatbestände des vollendeten und des versuchten Mordes sowie der räuberischen Erpressung mit Todesfolge verwirklicht, sondern darüber hinaus durch sein ungewöhnlich brutales und rücksichtsloses Vorgehen gegen eine Vielzahl von Opfern, die teilweise langdauernde psychische Beeinträchtigungen erlitten haben, besonders gravierendes Unrecht verwirklicht, welches sich, wie der Generalbundesanwalt zutreffend hervorgehoben hat, von den gewöhnlich vorkommenden Fällen des Mordes deutlich abhebt. Die dem Nebenkläger Z. zugefügten schweren körperlichen und seelischen Schäden, die bis heute andauern, fallen hier ebenso gravierend ins Gewicht wie der Umstand, daß der Angeklagte bei der gesamten Tatausführung eine führende Rolle innehatte und daß sich die Mittäter von Anfang an einig waren, daß jeder Widerstand von Seiten der Opfer unter – unter Umständen tödlichem – Waffeneinsatz gebrochen werden müsse.
Angesichts der Vielzahl der zu Lasten des Angeklagten ins Gewicht fallenden Umstände und der ausführlichen Feststellungen des Landgerichts zu seiner weiter fortbestehenden besonderen Gefährlichkeit mußte sich eine umfassende Erörterung der besonderen Schuldschwere hier aufdrängen; die Erwägung, es lägen „keine Anhaltspunkte” vor, ist jedenfalls unrichtig und läßt nicht erkennen, ob der Tatrichter die maßgeblichen Gesichtspunkte erkannt und seine Entscheidung auf eine rechtsfehlerfreie Gesamtwürdigung gestützt hat.
3. Die Fassung des 292 Seiten umfassenden schriftlichen Urteils gibt Anlaß zu dem Hinweis, daß die Urteilsgründe nicht die Aufgabe haben, den Gang der Ermittlungen oder der Hauptverhandlung sowie das mit der abgeurteilten Tat nicht im Zusammenhang stehende Randgeschehen in allen Einzelheiten wiederzugeben (vgl. BGH NStZ 1995, 20; BGHR StPO § 267 Darstellung 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 267 Rdn. 1 und 12). Haben Zeugen oder Beschuldigte im Laufe des Verfahrens bei mehreren Vernehmungen unterschiedliche Angaben gemacht, so ist deren Darstellung in den Urteilsgründen auf die entscheidungserheblichen Gesichtspunkte zu beschränken; die Erörterung ist auf sachlich erhebliche Abweichungen zu konzentrieren. Eine bloße detaillierte Wiedergabe sämtlicher Aussageinhalte – hier unter anderem von zehn Vernehmungen des Mitangeklagten C. – ist regelmäßig nicht veranlaßt; sie kann die dem Tatrichter obliegende Darstellung derwesentlichen Entscheidungsgründe nicht ersetzen (vgl. BGH NStZ 1985, 184; 1997, 377; 1998, 51; NStZ-RR 2000, 293; vgl. auch Meyer-Goßner NStZ 1988, 532) und den Bestand des Urteils gefährden.
Unterschriften
Jähnke, Detter, Bode, Otten, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 640233 |
NStZ 2002, 49 |