Leitsatz (amtlich)
Ein Geltendmachungsbeschluss ist nichtig, soweit er Ansprüche gegen Aktionäre wegen unberechtigter Dividendenzahlungen aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 Abs. 1 AktG erfasst.
2a. Die Grundsätze über die fehlerhafte Organbestellung sind auf den besonderen Vertreter anwendbar.
2b. Der Vorstand der Aktiengesellschaft kann die fehlerhafte Bestellung eines besonderen Vertreters grundsätzlich nicht durch einseitige Erklärung beenden.
BGH, Urteil vom 17. September 2024 - II ZR 221/22, OLG Karlsruhe
Normenkette
AktG § 20 Abs. 1, § 62 Abs. 1 S. 1, § 93 Abs. 2, § 147 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 241 Nr. 3; BGB § 823 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 25.05.2022; Aktenzeichen 11 U 11/19) |
LG Heidelberg (Urteil vom 28.08.2019; Aktenzeichen 12 O 8/19 KfH) |
Tenor
Auf die Revisionen der Klägerin und des Drittwiderbeklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 25. Mai 2022 unter Zurückweisung der weitergehenden Revision der Klägerin und der Revision der Beklagten im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Klageanspruch auf die Hilfsaufrechnung der Beklagten hin abgewiesen und zum Nachteil des Drittwiderbeklagten erkannt wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, deren Aktien sich auf drei Familienstämme verteilen. Im Jahr 2006 gelangte der Aktionär Dr. K. durch den Zukauf von Aktien in Besitz von mehr als 25 % der Aktien der Beklagten. Im Jahr 2011 erwarb Dr. K. weitere rund 25 % der Aktien der Beklagten. In diesem Zeitraum war er an der Dr. R. GmbH & Co. KG als Kommanditist mit 99% des Kommanditkapitals sowie als Alleingesellschafter und Geschäftsführer an deren Komplementärin, der Dr. R. GmbH, beteiligt. Die Mutter von Dr. K., Dr. K. K. -R., war Geschäftsführerin der Dr. R. GmbH & Co. KG und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats der Beklagten. Dr. K. zeigte mit Schreiben vom 3. September 2011 die Übernahme der Mehrheit der Anteile an der Beklagten an und holte zugleich die Mitteilung der Überschreitung der 25 %-Schwelle nach, die im Jahr 2006 nicht erfolgt war. Für die Geschäftsjahre 2006 bis 2010 wurden an Dr. K. Dividenden in Höhe von 8.156.425 € ausgezahlt, die der Vorstand der Beklagten in der Folgezeit nicht zurückforderte.
Rz. 2
Im August 2015 zeigte der Aktionär P. der Beklagten schriftlich an, dass ihm mit Wirkung vom 26. September 2011 mehr und ab dem 1. Dezember 2012 weniger als ein Viertel der Aktien gehört hätten. Hintergrund war der Erwerb des aus dem Nachlass seiner Großmutter G. P. stammenden, sodann zum 26. September 2011 an den Aktionär Dr. K. übertragenen und von diesem an den Aktionär P. verpfändeten und zur Sicherheit abgetretenen Aktienpakets sowie der Erwerb eines weiteren, mit einem Ertragsnießbrauch zugunsten seiner Mutter belasteten Aktienpakets. Im Juli 2011 hatte der Aktionär P. ein Gewerbe zum An- und Verkauf von Fahrzeugen angemeldet. Die für das Jahr 2011 an ihn ausgezahlte Dividende in Höhe von 7.386.080 € wurde vom Vorstand der Beklagten ebenfalls nicht zurückgefordert.
Rz. 3
Auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 6. Oktober 2015 wurde unter den Tagesordnungspunkten A und B mit den Stimmen des Familienstamms Dr. P. K., der im Jahr 2015 rund 32,3 % der Aktien hielt, unter der Annahme eines Stimmverbots für die Aktionäre Dr. K. und P. beschlossen, dass Ersatzansprüche der Beklagten gegen die Aktionäre Dr. K. und P. sowie Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats "im Zusammenhang mit der Ausschüttung von Dividenden trotz Rechtsverlusts" durch den zu diesem Zweck zum besonderen Vertreter bestellten Drittwiderbeklagten geltend gemacht werden sollten. Eine Anfechtung der Geltendmachungs- und Bestellungsbeschlüsse erfolgte nicht.
Rz. 4
Am 8. Oktober 2015 schloss der Drittwiderbeklagte im Namen der Beklagten mit der Klägerin einen Mandatsvertrag und eine separate Vergütungsvereinbarung auf Stundenlohnbasis ab, in der die Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz als Mindestgebühr vorgesehen waren. Die in Bezug auf seine eigene Tätigkeit getroffene Vergütungsvereinbarung regelte eine Abrechnung nach dem tatsächlichen Zeitaufwand zu einem Stundensatz von 400 € mit Berechnung je angefangener 10 Minuten zeitanteilig (Ziffer 2.1), ein Mindesthonorar in Höhe der gesetzlichen Gebühren nach dem RVG (Ziffer 2.3) und die Berechnung auftragsbezogener tatsächlicher Auslagen, z.B. Fahrtkosten, Übernachtungen, Telekommunikation (Ziffer 3). Der Drittwiderbeklagte schloss für seine Tätigkeit eine Haftpflichtversicherung über eine Haftsumme von 16 Mio. € im eigenen Namen ab.
Rz. 5
Auf Grundlage der Geltendmachungs- und Bestellungsbeschlüsse machte der Drittwiderbeklagte Ersatzansprüche gegen die Aktionäre Dr. K. und P. sowie Mitglieder des Aufsichtsrats und Vorstands der Beklagten in Höhe von etwa 15,5 Mio. € gerichtlich geltend. Die Klage blieb in zwei Instanzen ohne Erfolg. Das Berufungsgericht des Vorprozesses (OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 627 ff.) war mit dem Landgericht (LG Heidelberg, AG 2017, 497 ff.) der Ansicht, dass die Klage unzulässig sei. Der Drittwiderbeklagte habe die Beklagte nicht wirksam vertreten können, da der Beschluss der Hauptversammlung vom 6. Oktober 2015 zu seiner Bestellung zum besonderen Vertreter nichtig sei. Mit Schreiben vom 3. April 2018 legte der Drittwiderbeklagte sein Amt und die Klägerin ihr Mandat nieder. Das Urteil wurde rechtskräftig, nachdem die Beklagte die vom Berufungsgericht des Vorprozesses zugelassene Revision nicht eingelegt hatte.
Rz. 6
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten restliche Vergütung für ihre anwaltliche Tätigkeit sowie Vergütung und Auslagenersatz aus abgetretenem Recht des Drittwiderbeklagten im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit als besonderer Vertreter der Beklagten. Die Beklagte nimmt den Drittwiderbeklagten auf Ersatz der ihr im Zusammenhang mit dem erfolglos geführten Vorprozess entstandenen Kosten in Anspruch.
Rz. 7
Das Landgericht (LG Heidelberg, ZIP 2020, 167 ff.) hat die Beklagte zur Zahlung einer restlichen Anwaltsvergütung in Höhe von 180.403,75 € verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Drittwiderklage hat es den Drittwiderbeklagten zur Zahlung von 1.509.391,80 € verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, auf die Berufung und Anschlussberufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts unter Berücksichtigung einer Hilfsaufrechnung gegen den aus abgetretenem Recht verfolgten Klageanspruch in Höhe von 10.076,92 € lediglich im Zinsausspruch abgeändert und auf die Berufung des Drittwiderbeklagten dessen Verurteilung auf die Zahlung von 1.105.414,20 € ermäßigt. Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen wenden sich die Parteien jeweils gegen das Berufungsurteil, soweit zu ihren Lasten erkannt worden ist.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Revisionen der Klägerin und des Drittwiderbeklagten führen zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit der Klageanspruch auf die Hilfsaufrechnung der Beklagten hin abgewiesen und zum Nachteil des Drittwiderbeklagten erkannt wurde.
Rz. 9
A. Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung ist das gesamte Berufungsurteil. Das Berufungsgericht hat die Revision im Tenor des Urteils ohne Einschränkung zugelassen. Zwar kann sich eine beschränkte Zulassung auch aus den Entscheidungsgründen ergeben, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2022 - II ZR 14/21, BGHZ 235, 295 Rn. 12 mwN). Dies ist hier aber nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil sich mehrere höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Bestellung und der Tätigkeit eines besonderen Vertreters stellten. Eine Begrenzung auf einen eindeutig abgrenzbaren Teil des angefochtenen Urteils ergibt sich daraus nicht.
Rz. 10
B. Das Berufungsgericht (OLG Karlsruhe, Urteil vom 25. Mai 2022 - 11 U 11/19, BeckRS 2022, 57036) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 11
Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zahlung von restlichem Anwaltshonorar für ihre im Rahmen des Vorprozesses entfaltete Tätigkeit in Höhe von 180.403,75 € zu. Ein Mandatsvertrag mit Vergütungsvereinbarung zwischen der Klägerin und der Beklagten sei nach Rechtsscheingrundsätzen zustande gekommen. Die Geltendmachungs- und Bestellungsbeschlüsse vom 6. Oktober 2015 seien nichtig gewesen. Die Geltendmachungsbeschlüsse seien wegen einer Kompetenzüberschreitung gemäß § 241 Nr. 3 AktG nichtig, soweit diese die Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen die Aktionäre aufgrund unberechtigter Dividendenzahlungen (§ 62 AktG, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 Abs. 1 AktG, § 830 BGB) zum Gegenstand hätten. Die Teilnichtigkeit führe gemäß § 139 BGB zur Nichtigkeit der Geltendmachungs- und Bestellungsbeschlüsse insgesamt, weil nach dem mutmaßlichen Willen der Hauptversammlung nicht anzunehmen sei, dass die Beschlüsse auch ohne den nichtigen Teil gefasst worden wären. Die Rechtsfolgen der fehlerhaften Bestellung beträfen das Außenverhältnis der Aktiengesellschaft zu Dritten. Diese seien im vorliegenden Fall einer Nichtigkeit aus den Gründen des § 241 Nr. 3 und Nr. 4 AktG nicht durch die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung, sondern dadurch geschützt, dass sie nach Rechtsscheingrundsätzen auf die Handlungsfähigkeit desjenigen, der den Hauptversammlungsbeschluss vollziehe, vertrauen dürften. Der Rechtsschein sei durch die Bestellungsbeschlüsse in zurechenbarer Weise gesetzt worden. Die Klägerin habe die Nichtigkeit der Bestellung bei Abschluss der Mandats- und Vergütungsvereinbarung im Oktober 2015 weder erkannt noch, im Hinblick auf ungeklärte Rechtsfragen, erkennen müssen.
Rz. 12
Der Klägerin habe ein Anspruch auf Zahlung von Stundenhonorar i.H.v. 10.076,92 € aus abgetretenem Recht des Drittwiderbeklagten zugestanden, der durch Aufrechnung der Beklagten erloschen sei. Der Anspruch folge aus den Grundsätzen über die fehlerhafte Bestellung eines Organs. Das fehlerhafte Bestellungsverhältnis sei nicht durch die Aufforderungen des Vorstands an den Drittwiderbeklagten im Mai und Juni 2017, seine Tätigkeit einzustellen, vorzeitig beendet worden, weil dem Vorstand eine entsprechende Kompetenz nicht zugestanden habe. Auf der Grundlage der ergänzenden Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren sei aus der Rechnung vom 29. März 2018 ein Zeitaufwand von insgesamt 21,17 Stunden anzuerkennen. Der Vergütungsanspruch sei durch die Hilfsaufrechnung der Beklagten mit Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Drittwiderbeklagten erloschen. Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der vom Drittwiderbeklagten für seine Tätigkeit als besonderem Vertreter abgeschlossenen Haftpflichtversicherung bestehe gegenüber der Beklagten nicht und habe daher auch nicht im Wege der Abtretung auf die Klägerin übergehen können. Für die Auslegung der Vergütungsvereinbarung seien die für die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätze maßgeblich, nach denen Ziffer 3 der Vergütungsvereinbarung nicht dahin zu verstehen sei, dass von der Beklagten auch die Erstattung einer im Einzelfall gezahlten Versicherungsprämie geschuldet werde. Die Klägerin könne sich auch nicht auf einen gesetzlichen Aufwendungsersatzanspruch berufen. Im Hinblick auf die hier für die Tätigkeit des besonderen Vertreters gewährte Vergütung sei davon auszugehen, dass diese die mit dem Abschluss der Haftpflichtversicherung verbundenen Aufwendungen mit abgedeckt habe.
Rz. 13
Die auf Ersatz der der Beklagten im Vorprozess entstandenen Kosten gerichtete Drittwiderklage sei zulässig und überwiegend begründet. Der Drittwiderbeklagte müsse der Beklagten in entsprechender Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG diejenigen Kosten ersetzen, die ihr aufgrund der Erhebung der von Anfang an in der Sache aussichtslosen Klage gegenüber dem Aktionär P. und den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat entstanden seien. Der Beklagten sei ein Schaden von insgesamt 1.115.491,12 € entstanden, der in Höhe von 589.822,70 € Zug-um-Zug gegen die Abtretung von Ansprüchen gegen die D&O-Versicherung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat zu zahlen sei und nach Verrechnung mit der offenen Honorarforderung des Drittwiderbeklagten (10.076,92 €) entsprechend der Hilfsaufrechnung der Beklagten noch i.H.v. weiteren 515.591,50 €. Der Drittwiderbeklagte habe innerhalb der Vorgaben der Hauptversammlungsbeschlüsse die Pflicht gehabt, von der Verfolgung der Ansprüche abzusehen, soweit die sorgfältig und sachgerecht vorgenommene Vorbereitung der Geltendmachung zu dem Ergebnis führe, dass die Ersatzansprüche nicht bestünden oder ihre gerichtliche Geltendmachung mit einem unvertretbar hohen Prozessrisiko verbunden sei. Im Hinblick auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber dem Aktionär Dr. K. habe der Drittwiderbeklagte nicht pflichtwidrig gehandelt. In Bezug auf Ersatzansprüche gegen den Aktionär P. und gegen die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat hätte der Drittwiderbeklagte bei einer sorgfältigen und sachgerecht vorgenommenen Prüfung demgegenüber zu dem Ergebnis kommen müssen, dass er Ersatzansprüche nicht erfolgversprechend geltend machen könne.
Rz. 14
C. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision der Beklagten insgesamt und der Revision der Klägerin insoweit stand, als ein über den Betrag von 10.076,92 € hinausgehender Anspruch auf Vergütung aus abgetretenem Recht des Drittwiderbeklagten verneint wurde. Die Verurteilung des Drittwiderbeklagten auf die Drittwiderklage hält einer rechtlichen Prüfung demgegenüber nicht stand. Entsprechend hat auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Vergütungsanspruch der Klägerin aus abgetretenem Recht des Drittwiderbeklagten sei durch die Hilfsaufrechnung der Beklagten erloschen, keinen Bestand.
Rz. 15
I. Die gegen das Urteil des Berufungsgerichts gerichteten Angriffe der Revision der Beklagten haben keinen Erfolg, weder soweit diese sich gegen die Verurteilung zur Zahlung restlicher Anwaltsvergütung richten (nachfolgend 1.) noch soweit sie beanstandet, dass die Klage aus abgetretenem Recht des Drittwiderbeklagten teilweise erst aufgrund der Hilfsaufrechnung mit Gegenansprüchen gegenüber dem Drittwiderbeklagten abgewiesen wurde (nachfolgend 2.). Ohne Erfolg bleiben schließlich auch die Angriffe gegen die teilweise Abweisung der Drittwiderklage (nachfolgend 3.).
Rz. 16
1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Klägerin ein Restvergütungsanspruch aus einem Anwaltsvertrag zusteht. Der Drittwiderbeklagte hat die Beklagte nach den Grundsätzen der fehlerhaften Bestellung gegenüber der Klägerin wirksam vertreten, so dass es auf die Frage, ob die Klägerin auf den Rechtsschein einer wirksamen Bestellung des Drittwiderbeklagten vertrauen konnte, nicht ankommt.
Rz. 17
a) Die Geltendmachungsbeschlüsse sind nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig, soweit von ihnen Ansprüche gegenüber den Aktionären wegen unberechtigter Dividendenzahlung, also Ansprüche aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 Abs. 1 AktG, erfasst sind. Das Berufungsgericht ist aufgrund dessen rechtsfehlerfrei von der Gesamtnichtigkeit der Geltendmachungsbeschlüsse ausgegangen. Die Bestellungsbeschlüsse haben im Hinblick darauf keine Grundlage.
Rz. 18
aa) Die Geltendmachungsbeschlüsse verstoßen, soweit diese die Verfolgung von Ansprüchen gegenüber den Aktionären wegen unberechtigter Dividendenzahlung betreffen, gegen § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG und sind gemäß § 241 Nr. 3 AktG nichtig.
Rz. 19
(1) Ansprüche gegen Aktionäre auf Dividendenrückgewähr aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG und § 823 Abs. 2 i.V.m. § 20 Abs. 1 AktG unterfallen nicht § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG (OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 627, 631; MünchKommAktG/Arnold, 5. Aufl., § 147 Rn. 29; Grigoleit/Grigoleit/Rachlitz, AktG, 2. Aufl., § 147 Rn. 5; Holzborn/Jänig in Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 3; Krebs in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 7; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 5; BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.2.2024, § 147 Rn. 44.2; KK-AktG/Rieckers/Vetter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 137; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 116; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 3; Krenek, Festschrift Heidel, 2021, S. 527, 530; Mock, NZG 2015, 1013, 1014; Mock/Goltner, AG 2019, 787, 788; Westermann, AG 2009, 237, 243; aAHeidel/Lochner, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 147 AktG Rn. 4; vgl. auch Becker, Festschrift Mestmäcker, 2006, S. 25, 37 f. [für eine actio pro socio]).
Rz. 20
(a) Die Befugnis der Hauptversammlung nach § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG bezieht sich nach dem Wortlaut der Vorschrift lediglich auf Ersatzansprüche der Gesellschaft aus der Gründung und Organhaftung sowie Ansprüche aus § 117 AktG wegen vorsätzlicher Einflussnahme. Allerdings werden die Ansprüche, die der Befugnis der Hauptversammlung unterliegen, nicht abschließend genannt (BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 - II ZR 8/19, BGHZ 226, 182 Rn. 36).
Rz. 21
(b) Aus den Gesetzesmaterialien zum AktG 1965 ergeben sich keine konkreten Hinweise darauf, dass das Verfolgungsrecht nach § 147 AktG auf Ansprüche gegenüber Aktionären wegen unberechtigter Dividendenzahlungen aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG erstreckt werden sollte (vgl. bereits BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 - II ZR 8/19, BGHZ 226, 182 Rn. 37 zu Ansprüchen aus §§ 309, 317 AktG). Die Vorschrift hat die Befugnis der Hauptversammlung gegenüber § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG 1937, in dem von "Ansprüchen" die Rede war, auf die Geltendmachung von "Ersatzansprüchen" begrifflich verengt, um klarzustellen, dass nur Ersatzansprüche, nicht dagegen Ansprüche auf Erfüllung erfasst sind (Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Aktiengesetzes [12. Ausschuss], zu Drucks. IV/3296 S. 27; dazu Mock, NZG 2015, 1013, 1015). Die in § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG ausdrücklich erwähnten Ansprüche und die Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (RegE UMAG, BT-Drucks.15/5092, 19 ff.) deuten darauf hin, dass der Gesetzgeber insbesondere auf Schadensersatz gerichtete Ansprüche in den Blick genommen hat (Mock, NZG 2015, 1013, 1015). Jedenfalls der Anspruch aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG ist demgegenüber auf Rückgewähr der empfangenen Leistung gerichtet (BGH, Urteil vom 12. März 2013 - II ZR 179/12, BGHZ 196, 312 Rn. 15 ff.).
Rz. 22
(c) Gesetzessystematische Aspekte sprechen für eine enge Auslegung von § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG, die berücksichtigt, dass die Entscheidung der Hauptversammlung über die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft als eng begrenzte Ausnahme innerhalb der aktienrechtlichen Kompetenzordnung anzusehen ist, die vom Grundsatz der Weisungsunabhängigkeit des Vorstands beherrscht wird (MünchKommAktG/Arnold, 6. Aufl., § 147 Rn. 29; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 2; Mock, NZG 2015, 1013, 1015). Zwar stellen Organhaftungsansprüche, die sich darauf beziehen, dass die Geltendmachung von Rückgewähransprüchen gegenüber Aktionären aus Anlass unrechtmäßiger Dividendenausschüttungen pflichtwidrig unterlassen wurde, Ersatzansprüche im Sinne von § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG dar. Der Umstand, dass eine nach der überwiegenden Ansicht im Schrifttum (vgl. MünchKommAktG/Bayer, 6. Aufl., § 57 Rn. 239 mwN) eröffnete einheitliche prozessuale Geltendmachung der Ansprüche im Einzelfall zweckmäßig erscheinen mag (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 - II ZR 8/19, BGHZ 226, 182 Rn. 38 für §§ 309, 310, 317, 318 AktG), rechtfertigt es für sich genommen aber nicht, die (Bezugs-)Ansprüche aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG als Ersatzansprüche im Sinne von § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG anzusehen. Weder besteht zwischen etwaigen Organhaftungsansprüchen gegenüber der Verwaltung wegen unzulässiger Dividendenausschüttung und Rückforderungsansprüchen gegenüber den Aktionären ein Gesamtschuldverhältnis (hierzu Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 83; Roth/Hopt in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 342) noch beruhen die Ansprüche zwingend oder auch nur typischerweise auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt bzw. identischen Pflichtverletzungen (vgl. weitergehend unter Rn. 24 f.).
Rz. 23
Der Anspruch aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG unterfällt auch nicht deswegen § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG, weil er, wie die Klägerin meint, als Minus in dem in dieser Bestimmung ausdrücklich genannten Anspruch aus § 117 AktG enthalten wäre bzw. es sich um artverwandte Ansprüche handelte. § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG und § 117 Abs. 1 Satz 1 AktG stellen im Gegenteil wesensverschiedene Anspruchsgrundlagen dar, die an unterschiedliche Lebenssachverhalte und Tatbestandsvoraussetzungen anknüpfen. Während § 117 Abs. 1 Satz 1 AktG die vorsätzliche Einflussnahme auf die Gesellschaft durch einen Aktionär sanktioniert, setzt die Rückgewährpflicht nach § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG den unberechtigten Empfang einer Leistung des Aktionärs voraus. Entsprechendes gilt für etwaige Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG (vgl. MünchKommAktG/Bayer, 6. Aufl., § 20 Rn. 88; gegen die Eigenschaft als Schutzgesetz Großkomm. AktG/Windbichler, 5. Aufl., § 20 Rn. 89). Solche würden allein an die Verletzung einer dem Aktionär obliegenden Mitteilungspflicht anknüpfen.
Rz. 24
(d) Die Einbeziehung von Ansprüchen gegenüber Aktionären gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG und etwaigen Ansprüchen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG entspricht nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 147 AktG will die tatsächliche Geltendmachung bestimmter Ersatzansprüche sichern und soll so dem das pflichtgemäße Verhalten bewirkenden Haftungsdruck für die Organe Nachdruck verleihen. Zudem sollen die §§ 147 ff. AktG verhindern, dass Ersatzansprüche der Gesellschaft auf Grund einer Befangenheit der Mitglieder der Verwaltungsorgane nicht durchgesetzt werden (BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 - II ZR 8/19, BGHZ 226, 182 Rn. 39). Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum UMAG könne typischerweise nicht erwartet werden, dass derjenige Ansprüche verfolge, der dem Ersatzpflichtigen kollegial oder geschäftlich verbunden oder ihm für seine eigene Bestellung zu Dank verpflichtet sei, oder Gefahr laufe, dass im Verfahren seine eigenen Versäumnisse aufgedeckt würden (RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 20). Die Norm legt die Entscheidung über die Anspruchsverfolgung daher nur in solchen Fällen in die Hände der Hauptversammlung, in denen typischerweise befürchtet werden muss, dass die Anspruchsverfolgung wegen eines Interessenkonflikts ungeachtet der nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG haftungsbewehrten Pflicht des Vorstands, Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte durchzusetzen (vgl. BeckOGK AktG/Fleischer, Stand 1.2.2024, § 93 Rn. 116), unterbleibt (Großkomm. AktG/Schmolke, 5. Aufl., § 147 Rn. 5).
Rz. 25
Der Senat hat die Gefahr eines solchen Interessenkonflikts in Bezug auf konzernrechtliche Schadensersatzansprüche nach §§ 309, 317 AktG angesichts der Einflussmöglichkeiten des herrschenden Unternehmens bejaht (BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 - II ZR 8/19, BGHZ 226, 182 Rn. 39). In Bezug auf Ansprüche aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG ist ein vergleichbarer Interessenkonflikt demgegenüber zu verneinen. Zwar kann ein Rückgewähranspruch nach dieser Vorschrift im Einzelfall darauf beruhen, dass der Vorstand das Verbot der Einlagenrückgewähr pflichtwidrig oder gar im Zusammenwirken mit dem Aktionär nicht beachtet. Im Hinblick auf die vielen denkbaren Fallgestaltungen, die einem Anspruch auf Rückgewähr verbotener Leistungen zu Grunde liegen können, ist die Annahme einer typischen Gefahr für einen Interessenkonflikt aber nicht gerechtfertigt. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Rückgewähranspruch nach § 62 Abs. 1 AktG darauf beruht, dass Dividenden ungeachtet eines auf der Verletzung von Mitteilungspflichten beruhenden Rechtsverlusts gemäß § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG gewährt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2016 - II ZR 268/14, ZIP 2016, 1919 Rn. 11) und gilt daher erst recht für mögliche Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG.
Rz. 26
(2) Das Berufungsgericht ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass ein Beschluss, mit dem die Hauptversammlung über die Geltendmachung von Ansprüchen beschließt, die von ihrer Kompetenz nach § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht erfasst sind, nicht nur anfechtbar, sondern nichtig ist (vgl. OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 627, 632 f.; Grigoleit/Grigoleit/Rachlitz, AktG, 2. Aufl., § 147 Rn. 5 a.E.; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 13; KK-AktG/Rieckers/Vetter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 261; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 116, 162; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 12a; Wachter/Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 15; Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 61 f.). Der hiervon abweichenden Ansicht, die von der Anfechtbarkeit eines solchen Beschlusses ausgeht (BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.6.2024, § 147 Rn. 83.2; Mock/Goltner, AG 2019, 787, 788; Nichtigkeit nur für den Bestellungsbeschluss annehmend Beneke, Der besondere Vertreter nach § 147 AktG, 2017, S. 117), vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Rz. 27
(a) Gemäß § 241 Nr. 3 AktG ist ein Beschluss der Hauptversammlung nichtig, wenn er mit dem Wesen der Aktiengesellschaft nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Beschluss Grundprinzipien des Aktienrechts widerspricht (BGH, Urteil vom 20. September 2004 - II ZR 288/02, BGHZ 160, 253, 256; OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 627, 632) bzw. gegen Vorschriften verstößt, auf deren Einhaltung die Aktionäre nicht verzichten können (BGH, Urteil vom 25. September 1989 - II ZR 53/89, ZIP 1989, 1546, 1550 mwN).
Rz. 28
(b) Ein kompetenzüberschreitender Beschluss, also ein solcher, mit dem die Hauptversammlung über Gegenstände entscheidet, die in die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gesellschaftsorgans fallen, ist daher nach § 241 Nr. 3 AktG nichtig (BeckOGK AktG/Drescher, Stand 1.6.2024, § 241 Rn. 239; MünchKommAktG/Schäfer, 5. Aufl., AktG § 241 Rn. 62; Koch, AktG, 18. Aufl., § 241 Rn. 17; KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 241 Rn. 106; K. Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 243 Rn. 56; Baums, ZHR 142 [1978], 582, 585; vgl. auch BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 - II ZR 8/19, BGHZ 226, 182 Rn. 23 ff. für den Fall einer unzureichenden Individualisierung der geltend zu machenden Ansprüche). Die Verfassung der Aktiengesellschaft wird durch eine weitgehend zwingende Kompetenzordnung bestimmt, die den einzelnen Organen im Interesse einer bestmöglichen Aufgabenwahrnehmung bestimmte Kompetenzen zuweist bzw. sie von der Wahrnehmung bestimmter Funktionen ausschließt. Die Zuweisung der Zuständigkeit an ein bestimmtes Organ beinhaltet dabei zugleich das Verbot an die Hauptversammlung, diese Frage an sich zu ziehen (OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 627, 632; BeckOGK AktG/Drescher, Stand 1.6.2024, § 241 Rn. 239). Beschließt die Hauptversammlung die Geltendmachung von § 147 Abs. 1 AktG nicht unterfallenden Ansprüchen, so greift sie in die gesetzliche Aufgabenverteilung innerhalb der Gesellschaft zum Nachteil des Vorstands ein. Denn die Entscheidung, ob von § 147 Abs. 1 AktG nicht erfasste Ansprüche zu verfolgen sind, ist nach § 76 Abs. 1 AktG dem Vorstand zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen.
Rz. 29
Soweit die Gegenansicht zur Begründung der bloßen Anfechtbarkeit auf Abgrenzungsschwierigkeiten und die Schutzbedürftigkeit des besonderen Vertreters hinweist (Mock/Goltner, AG 2019, 787, 788), macht sie keine Umstände geltend, die im Rahmen von § 241 Nr. 3 AktG relevant sein könnten. Berechtigte Interessen des besonderen Vertreters und Vertrauensschutz für Dritte werden über das Institut der fehlerhaften Bestellung gewährleistet (näher dazu unten Rn. 46 ff.).
Rz. 30
bb) Nicht zu beanstanden ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, dass die von der Hauptversammlung gefassten Geltendmachungsbeschlüsse nicht nur insoweit nichtig sind, als diese die Geltendmachung von Ansprüchen aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG gegenüber den Aktionären betreffen, sondern dass die Geltendmachungsbeschlüsse nach § 139 BGB insgesamt nichtig sind. Die Bestellungsbeschlüsse verlieren hierdurch ihre Grundlage.
Rz. 31
(1) Wenn in einem Antrag zu einem Tagesordnungspunkt, wie hier, mehrere Beschlussgegenstände zusammengefasst werden, beurteilt sich die Gesamtnichtigkeit des Beschlusses bei der Nichtigkeit eines Teils entsprechend nach § 139 BGB (BGH, Urteil vom 25. Januar 1988 - II ZR 148/87, ZIP 1988, 432 Rn. 9 ff.; Urteil vom 15. November 1993 - II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 121 f.; Urteil vom 19. Mai 2015 - II ZR 176/14, BGHZ 205, 319 Rn. 30; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 71; Beschluss vom 17. Januar 2023 - II ZB 6/22, BGHZ 236, 54 Rn. 40). Daher ist der ganze Beschluss nichtig, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den nichtigen Teil gefasst worden wäre. Insoweit kommt es auf den mutmaßlichen Willen der Hauptversammlung an, der grundsätzlich durch Auslegung des Beschlusses zu ermitteln ist (BGH, Urteil vom 19. Mai 2015 - II ZR 176/14, BGHZ 205, 319 Rn. 30; Urteil vom 2. Juli 2019 - II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rn. 71; Beschluss vom 17. Januar 2023 - II ZB 6/22, BGHZ 236, 54 Rn. 40; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 169; aA BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.6.2024, § 147 Rn. 83.2). Maßgebliches Auslegungskriterium für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens ist, ob nach dem Beschlussinhalt ein innerer Zusammenhang zwischen den Beschlussgegenständen besteht oder hergestellt ist (BGH, Urteil vom 19. Mai 2015 - II ZR 176/14, BGHZ 205, 319 Rn. 33).
Rz. 32
Im Hinblick auf den körperschaftsrechtlichen Charakter der Beschlussfassung über die Zuweisung der Geltendmachung bestimmter Ansprüche an einen besonderen Vertreter sind die Beschlüsse objektiv auszulegen, wobei der Senat die Auslegung unabhängig von der Auslegung der Vorinstanz vornehmen kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2022 - II ZR 71/20, ZIP 2022, 793 Rn. 15; BeckOGK GmbHG/Born, Stand 1.5.2024, § 53 Rn. 124).
Rz. 33
(2) Die objektive Auslegung der Beschlüsse ergibt, dass die aus der Kompetenzüberschreitung resultierende Nichtigkeit zur Gesamtnichtigkeit der Geltendmachungs- und Bestellungsbeschlüsse führt.
Rz. 34
(a) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Hauptversammlungsbeschlüsse ließen nicht hinreichend deutlich erkennen, im Zweifel auch nur Ansprüche aus § 117 Abs. 1 Satz 1 AktG gegen die Aktionäre verfolgen zu wollen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der im Beschlussvorschlag mitgeteilte Sachverhalt betrifft im Schwerpunkt die vermeintlich unzulässige Gewinnausschüttung an die Aktionäre, ohne dass zu einer Bestimmung i.S.v. § 117 Abs. 1 Satz 1 AktG konkrete Tatsachen benannt werden, die Anknüpfungspunkt für eine selbstständige Anspruchsverfolgung hätten sein können. Daraus kann der Wille der Hauptversammlung abgeleitet werden, dass Ansprüche nach § 117 Abs. 1 Satz 1 AktG verfolgt werden sollten, wenn und soweit sich im Rahmen der Aufklärung des Sachverhalts zu Gewinnausschüttungen, die primär zu Ansprüchen aus § 62 Abs. 1 AktG führen konnten, Anhaltspunkte für eine Bestimmung i.S.d. § 117 Abs. 1 Satz 1 AktG ergeben. Dass die Ansprüche aus § 117 AktG an prominenter Stelle im Beschluss angeführt werden, lässt entgegen der Revision der Klägerin für sich genommen nicht den Schluss zu, dass diese primär Gegenstand der Rechtsverfolgung sein sollten, weil die formale Gestaltung der Beschlussvorlage ein äußerer Umstand ist, der als Abgrenzungsmerkmal untauglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2015 - II ZR 176/14, BGHZ 205, 319 Rn. 32).
Rz. 35
(b) Die Nichtigkeit erstreckt sich, wie das Berufungsgericht ebenfalls ohne Rechtsfehler angenommen hat, auch auf die gegenüber dem Vorstand und dem Aufsichtsrat geltend zu machenden Organhaftungsansprüche.
Rz. 36
(aa) Im Rahmen der vorzunehmenden objektiven Auslegung hat das Berufungsgericht zu Recht maßgeblich darauf abgestellt, dass das bei der hier gegebenen Sammelabstimmung geltende Stimmverbot der Aktionäre P. und Dr. K. nur insoweit zur Anwendung kam, als von der Nichtigkeit der Beschlussfassung auszugehen ist. Dies führt zur Nichtigkeit auch weiterer Beschlussgegenstände, wenn zu diesen im Hinblick auf den Wegfall des Stimmverbots möglicherweise abweichende Mehrheiten zustande gekommen wären. In einem solchen Fall kann der auf die Verwaltungsmitglieder bezogene Geltendmachungsbeschluss nicht isoliert aufrechterhalten bleiben (hierzu Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 171; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 241 Rn. 48; Grunewald, NZG 2017, 1321, 1324; aA Theusinger/Guntermann, EWiR 2018, 395, 396).
Rz. 37
(bb) Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Rz. 38
(aaa) In der Hauptversammlung am 6. Oktober 2015 waren 882.707 Stimmen vertreten. Der Beschluss zu Tagesordnungspunkt A ist mit 407.527 Ja-Stimmen, der zu Tagesordnungspunkt B mit 293.892 Ja-Stimmen zu Stande gekommen, nachdem sich die Bevollmächtigten der von Stimmverboten betroffenen Aktionäre Dr. K. und P. bei der Abstimmung von der Präsenz abgemeldet hatten.
Rz. 39
(bbb) Bei einer isolierten Beschlussfassung über die Geltendmachung von Organhaftungsansprüchen hätte das Stimmverbot der Aktionäre P. und Dr. K. aus § 136 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 AktG nicht bestanden.
Rz. 40
Gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 AktG kann niemand für sich oder für einen anderen das Stimmrecht ausüben, wenn darüber Beschluss gefasst wird, ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen soll. Ausdrücklich erfasst das Gesetz damit nur das Stimmrecht des Aktionärs, gegen den die Geltendmachung von Ansprüchen beschlossen werden soll. Das schließt aber nicht aus, § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG in vergleichbaren Fällen sinngemäß anzuwenden, wenn nämlich das Ausmaß des Interessenkonflikts für den Aktionär identisch ist, so dass eine auf das mitgliedschaftliche Interesse ausgerichtete Stimmabgabe nicht erwartet werden kann (BGH, Urteil vom 28. November 2023 - II ZR 214/21, ZIP 2024, 73 Rn. 13). In diesem Zusammenhang kommt der in § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG enthaltene Grundgedanke des Stimmverbots zum Tragen, dass nämlich ein Gesellschafter nicht Richter in eigener Sache sein darf (BGH, Urteil vom 17. Januar 2023 - II ZR 76/21, ZIP 2023, 467 Rn. 25; Urteil vom 28. November 2023 - II ZR 214/21, ZIP 2024, 73 Rn. 14).
Rz. 41
Eine sinngemäße Anwendung von § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedoch nur in Fällen eröffnet, in denen der betroffene Aktionär von der Inanspruchnahme des Vorstands oder des Aufsichtsrats in gleicher Weise betroffen ist, etwa weil diese gemeinsam eine Pflichtverletzung begangen haben und daher, wenn sie das Verhalten zu beurteilen hätten, zugleich ihr eigenes Fehlverhalten zu billigen oder zu missbilligen hätten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 1986 - II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 34; Urteil vom 4. Mai 2009 - II ZR 166/07, ZIP 2009, 2193 Rn. 11). Nicht ausreichend ist es demgegenüber, dass durch voneinander unabhängiges Fehlverhalten unterschiedlicher Akteure ein wirtschaftlich zusammenhängender Schaden verursacht wurde (Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 7; Krebs in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 11; Spindler in K. Schmidt/Scholz, AktG, 4. Aufl. § 147 Rn. 14b; Stallknecht, Der besondere Vertreter nach § 147 AktG, 2015, S. 64 f.).
Rz. 42
Hieran gemessen hat das Berufungsgericht mit Recht ein (hypothetisches) Stimmverbot der von der Rückforderung betroffenen Aktionäre abgelehnt. Die Rückzahlungspflicht der Aktionäre nach § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG knüpft an die Verletzung von Meldepflichten an, während den Organen der Beklagten vorgeworfen wird, ihnen hätte das Überschreiten der Meldepflichten auffallen müssen, so dass sie die Dividende gar nicht erst hätten auszahlen dürfen, bzw. sie hätten die Rückforderung pflichtwidrig unterlassen. Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken oder für ein aufeinander abgestimmtes Verhalten hat das Berufungsgericht nicht feststellen können. Soweit die Revision der Klägerin in allgemeiner Weise darauf hinweist, die betroffenen Aktionäre würden eine Anspruchsverfolgung gegen Vorstand und Aufsichtsrat zum Schutz eigener Interessen verhindern wollen, rechtfertigt dies die Annahme eines Stimmverbots noch nicht. Dass die Aktiengesellschaft nach herrschender Meinung verpflichtet ist, ihre Ersatzansprüche gegenüber dem Aktionär aus § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG entsprechend § 255 BGB an die nach § 93 Abs. 3 Nr. 1, § 116 Satz 1 AktG haftenden Organe abzutreten (hierzu Grigoleit/Grigoleit/Tomasic, AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 83; Roth/Hopt in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 93 Rn. 342), rechtfertigt die Annahme eines Stimmverbots ebenfalls nicht.
Rz. 43
(ccc) Die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, es lasse sich im Hinblick auf die geänderten Stimmverhältnisse nicht feststellen, dass ein Vorgehen gegen die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat in jedem Fall beschlossen worden wäre, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 44
(c) Die jeweils in den betreffenden Beschlüssen erfolgte Bestellung des besonderen Vertreters nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG verliert im Hinblick auf die Nichtigkeit der Geltendmachungsbeschlüsse ihre Grundlage, ohne dass es insoweit einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage bedürfte (BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 - II ZR 8/19, BGHZ 226, 182 Rn. 44).
Rz. 45
b) Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die mit der Klägerin geschlossene Mandatsvereinbarung dennoch wirksam zustande gekommen ist.
Rz. 46
aa) Im Rahmen seines Aufgabenkreises besitzt der besondere Vertreter Organqualität, so dass die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung auf ihn anwendbar sind. Dies hat zur Folge, dass auch bei einer Nichtigerklärung des angefochtenen Hauptversammlungsbeschlusses die bis zur Abberufung vollzogenen Rechtshandlungen des besonderen Vertreters für die Gesellschaft wirksam bleiben (BGH, Beschluss vom 27. September 2011 - II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195, 2196; Beschluss vom 8. Januar 2019 - II ZR 94/17, AG 2019, 682 Rn. 2). Dies gilt entgegen einer im Schrifttum vertretenen Ansicht (Böbel, Die Rechtsstellung des besonderen Vertreters gemäß § 147 AktG, 1999, S. 87 f.; Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 140 ff.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 293 f.; wohl auch Westermann, AG 2009, 237, 245 ff.; vgl. auch Sajnovits, ZHR 2022, 290 ff., der sich generell gegen die Erstreckung der Lehre vom fehlerhaften Organ auf die organschaftliche Vertretungsmacht wendet) auch für Handlungen des besonderen Vertreters im Außenverhältnis (Grigoleit/Grigoleit/Rachlitz, AktG, 2. Aufl., § 147 Rn. 26; KK-AktG/Rieckers/Vetter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 334; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 245 f.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 41a; MünchHdbGesR VII/Lieder, 6. Aufl., § 26 Rn. 199; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 8).
Rz. 47
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem die Rechtsprechung des Senats nicht entgegen, wonach das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln ist (BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rn. 20). Der Senat hat dies im Hinblick auf den Schutz außenstehender Dritter maßgeblich damit begründet, dass Dritte, die die Nichtigkeit eines Beschlusses nicht kennen oder kennen müssen, dadurch hinreichend geschützt sind, dass sie auf die Handlungsbefugnis desjenigen, der die Aufsichtsratsbeschlüsse vollzieht, vertrauen dürfen (BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rn. 22). Die Tätigkeit des besonderen Vertreters ist, anders als diejenige des Aufsichtsrats, typischerweise darauf gerichtet, nach außen zu wirken (vgl. auch KK-AktG/Rieckers/Vetter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 334) und der Rechtsverkehr ist auf den Schutz angewiesen, den die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung vermitteln.
Rz. 48
Die Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Bestellung kann ausnahmsweise aufgrund höherrangiger Interessen der Allgemeinheit bzw. einzelner besonders schutzwürdiger Personen ausgeschlossen sein. Ein solcher Ausschluss ist anzunehmen, wenn die rechtliche Anerkennung des tatsächlichen, fehlerhaften Zustands zu gewichtigen Interessen der Allgemeinheit oder einzelner besonders schutzwürdiger Personen in Widerspruch treten würde (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1951 - II ZR 18/51, BGHZ 3, 285, 288; Urteil vom 29. Juni 1970 - II ZR 158/69, BGHZ 55, 5, 9; Urteil vom 25. März 1974 - II ZR 63/72, BGHZ 62, 234, 241; Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 12 jeweils zur fehlerhaften Gesellschaft; zum fehlerhaften Organverhältnis BeckOGK AktG/Fleischer, Stand 1.2.2024, § 84 Rn. 22; Grigoleit/Grigoleit, 2. Aufl., AktG § 84 Rn. 15; Koch, AktG, 18. Aufl., § 84 Rn. 13; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 84 Rn. 87 ff.; gegen eine Einschränkung aufgrund gegenläufiger Interessen demgegenüber C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 260 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., § 6 III 3, S. 149 ff.; K. Schmidt, AcP 186 [1986], 421, 448 ff.; Schwintowski, NJW 1988, 937 ff.).
Rz. 49
bb) Durch den im Streit stehenden Bestellungsbeschluss werden besonders schutzwürdige Individualbelange, etwa geschäfts- oder organunfähiger Personen, erkennbar nicht berührt (hierzu KK-AktG/Cahn, 3. Aufl., § 84 Rn. 31; BeckOGK AktG/Fleischer, Stand 1.2.2024, § 84 Rn. 22; Grigoleit/Grigoleit, 2. Aufl., AktG § 84 Rn. 15; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 84 Rn. 87). Die Revision der Klägerin beruft sich in diesem Zusammenhang auf das Interesse der Gesellschaft (ebenso bereits Roßkopf/Gayk, DStR 2020, 2078, 2081), legt aber nicht dar, warum aus Sicht der Gesellschaft die auch nur vorübergehende rechtliche Anerkennung der Bestellung auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, im Fall einer nichtigen Vertreterbestellung ein Tätigkeitsverbot im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu erwirken (dazu näher unten Rn. 59 ff.) nicht hinnehmbar sein soll. Ebenso wenig stehen vorrangige Interessen der Allgemeinheit der Anwendung der Lehre von der fehlerhaften Bestellung entgegen.
Rz. 50
(1) Ein vorrangiges Allgemeininteresse ist nicht schon deswegen zu bejahen, weil der Bestellung wegen nichtiger Geltendmachungsbeschlüsse von Anfang an die Grundlage fehlte (OLG München, ZIP 2010, 2202, 2204; Grigoleit/Rachlitz, AktG, 2. Aufl., § 147 Rn. 26; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 20; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 41a; MünchHdbGesR VII/Lieder, 6. Aufl., § 26 Rn. 199; Lochner/Beneke, ZIP 2020, 351, 355; Nietsch, ZGR 2011, 589, 608; offenlassend Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 248). Der Ansicht, in einem solchen Fall müssten Verkehrs- und Bestandsschutzinteressen zurücktreten (so Bayer/Selentin, ZGR 2022, 159, 174; Roßkopf, Festschrift Marsch-Barner 2018, S. 457, 462 ff.; Roßkopf/Gayk, DStR 2020, 2079, 2081; Verhoeven, ZIP 2008, 245, 253; für Inhaltsmängel nach § 241 Nr. 3 und 4 AktG Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 8), vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Rz. 51
Der generelle Ausschluss der Lehre der fehlerhaften Bestellung bei Vorliegen (materieller) Nichtigkeitsgründe und damit die Differenzierung zwischen Nichtigkeit und bloßer Anfechtbarkeit der Bestellung würde das dem Rechtsinstitut zugrundeliegende Ziel des Verkehrsschutzes gefährden. Insbesondere erscheint die Annahme, materielle Nichtigkeitsgründe begründeten stets ein vorrangiges Allgemeininteresse, nicht gerechtfertigt. Vielmehr muss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden, ob sich in dem die Nichtigkeit begründenden Tatbestand ein höherrangiges Regelungsanliegen der Rechtsordnung konkret manifestiert.
Rz. 52
(2) Bei dem hier gegebenen Nichtigkeitsgrund ist ein vorrangiges Allgemeininteresse nicht betroffen.
Rz. 53
(a) Die Nichtigkeit der Bestellung des Drittwiderbeklagten, soweit sie zur Geltendmachung von § 62 AktG unterfallenden Ansprüchen erfolgt ist, beruht auf einem Verstoß gegen strukturprägende Zuständigkeitsvorschriften des Aktienrechts im Sinne von § 241 Nr. 3 AktG. Ein solcher mit der Nichtigkeitsfolge belegter Verstoß gegen die aktienrechtliche Kompetenzordnung berührt nicht nur partikulare Verbandsinteressen bzw. Belange des vom Übergriff betroffenen Organs der Aktiengesellschaft, sondern auch öffentliche Interessen. Diese spiegeln sich in der berechtigten Erwartung des Rechtsverkehrs wider, sich auf die Grundstrukturen der Aktiengesellschaft einstellen zu können (KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 241 Rn. 106).
Rz. 54
(b) Die im Rahmen der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft entwickelten Grenzen des Rechtsinstituts aus übergeordneten Interessen der Allgemeinheit zielen in erster Linie darauf ab, einer Gesellschaft, deren Unternehmensgegenstand gegen die Rechtsordnung bzw. - in grober Weise - gegen die guten Sitten gerichtet ist, die rechtliche Anerkennung zu versagen (Windbichler/Bachmann, Gesellschaftsrecht, 25. Aufl., § 6 D 3 Rn. 99). Dem liegt der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung zugrunde, die beeinträchtigt wäre, würde ein wegen seines Wesens verbotenes oder für nichtig erklärtes Rechtsverhältnis, das laufend neue Rechte und Pflichten begründet, als verbindlich anerkannt werden (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1951 - II ZR 18/51, BGHZ 3, 285, 288; Urteil vom 29. Juni 1970 - II ZR 158/69, BGHZ 55, 5, 9; Urteil vom 25. März 1974 - II ZR 63/72, BGHZ 62, 234, 241; Urteil vom 19. November 2013 - II ZR 383/12, BGHZ 199, 104 Rn. 12).
Rz. 55
(c) Der hier vorliegende Kompetenzverstoß gebietet es nicht, der Bestellung die rechtliche Anerkennung zu versagen. Im Gegenteil hegt der das öffentliche Interesse verkörpernde Rechtsverkehr die gegenläufige Erwartung, der von der Hauptversammlung bestellte besondere Vertreter könne in seinem Aufgabenbereich für die Gesellschaft handeln. Dies zeigt sich in aller Deutlichkeit darin, dass diejenigen Stimmen, die der Lehre von der fehlerhaften Bestellung die Anwendbarkeit absprechen, wie das Berufungsgericht, auf die Hilfskonstruktion der Rechtsscheinlehre zurückgreifen müssen (so auch Mock/Goltner AG 2019, 787, 788 f.; aA Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 246; Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2014, S. 142; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 8).
Rz. 56
Gegen die Annahme eines überwiegenden Allgemeininteresses spricht hier auch, dass sich die Nichtigkeit aus § 241 Nr. 3 AktG nur auf einen, wenn auch gewichtigen Teil des Beschlusses der Hauptversammlung bezieht. Soweit sich die Gesamtnichtigkeit im Übrigen aus § 139 BGB ergibt, sind schon Interessen der Allgemeinheit nicht betroffen.
Rz. 57
2. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision ohne Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht der Klägerin Vergütungsansprüche aus abgetretenem Recht des Drittwiderbeklagten in Höhe von 10.076,92 € zuerkannt hat.
Rz. 58
a) Die Tätigkeit des Drittwiderbeklagten ist, wie sich bereits aus den Ausführungen oben unter Rn. 45 ff. ergibt, nach den Grundsätzen über die fehlerhafte Organbestellung zu vergüten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2011 - II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195, 2196).
Rz. 59
b) Dem vom Berufungsgericht zugesprochenen Vergütungsanspruch des Drittwiderbeklagten steht nicht entgegen, dass er sich auf Tätigkeiten des Drittwiderbeklagten bezieht, die erbracht wurden, nachdem der Vorstand der Beklagten dem Drittwiderbeklagten mit Schreiben vom 22. Mai 2017 und vom 19. Juni 2017 mitgeteilt hat, sein Tätigwerden für die Beklagte nicht zu akzeptieren, und ihn aufgefordert hat, seine Tätigkeit einzustellen. Diese einseitigen Erklärungen gegenüber dem Drittwiderbeklagten haben nicht dazu geführt, dass die fehlerhafte Bestellung mit Wirkung für die Zukunft beendet war.
Rz. 60
aa) Ob der Vorstand die fehlerhafte Bestellung durch Erklärung gegenüber dem besonderen Vertreter beenden kann, ist umstritten. Teilweise wird vertreten, auch bei der fehlerhaften Bestellung des besonderen Vertreters sei die Hauptversammlung für die Beendigung zuständig (Lochner/Beneke, ZIP 2020, 351, 355; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 251; wohl auch KK-AktG/Rieckers/Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 335). Nach anderer Ansicht kann der Vorstand die fehlerhafte Bestellung des besonderen Vertreters beenden (OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 627, 635; Roßkopf/Gayk, DStR 2020, 2078, 2081). Daneben wird der Vorstand im Fall der erkannten Fehlerhaftigkeit der Bestellung für berechtigt und verpflichtet gehalten, den besonderen Vertreter von der weiteren Ausübung seines Amtes abzuhalten (Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 251; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 9; Lochner/Beneke, ZIP 2020, 351, 355), allerdings wird auch darauf hingewiesen, dass die Geltendmachung der Nichtigkeit im Prozess nicht zur Beendigung der Bestellung führe (Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 251; Lochner/Beneke, ZIP 2020, 351, 355).
Rz. 61
bb) Der Vorstand der Aktiengesellschaft kann die fehlerhafte Bestellung eines besonderen Vertreters grundsätzlich nicht durch einseitige Erklärung beenden.
Rz. 62
(1) Im Fall der wirksamen Bestellung des besonderen Vertreters ist es allgemein anerkannt, dass der Hauptversammlung als Annexbefugnis zum Bestellungsrecht nach § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG die Kompetenz zur Beendigung derselben zusteht (Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 39; Krenek, Festschrift Heidel, 2021, S. 527, 542). Da auch die fehlerhafte Bestellung des Vertreters auf die Ausübung der Bestellungskompetenz der Hauptversammlung zurückgeht, spricht dies dafür, dass im Fall der fehlerhaften Bestellung nichts anderes gilt.
Rz. 63
(2) Für eine, gegebenenfalls daneben bestehende Kompetenz des Vorstands zur Beendigung der fehlerhaften Bestellung spricht nicht bereits der praktische Gesichtspunkt, die Abberufung durch die Hauptversammlung wäre aufgrund des zeitlichen Vorlaufs und der Dringlichkeit zu schwerfällig. Denn sollte der Aktiengesellschaft infolge des Tätigwerdens des besonderen Vertreters ein Nachteil drohen, so besteht für den Vorstand, statt die Hauptversammlung mit der Beschlussfassung hierüber zu befassen, die Möglichkeit, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ein Tätigkeitsverbot des besonderen Vertreters zu erwirken (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 1982 - II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 183; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 9; Lochner/Beneke, ZIP 2020, 351, 355). Sobald die einstweilige Verfügung dem besonderen Vertreter zugestellt ist, hat dieser sein Handeln für die Gesellschaft einzustellen. Im Hinblick darauf bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiver Entscheidungsprozesse einer eigenen Beendigungskompetenz des Vorstands nicht.
Rz. 64
(3) Überdies hat der besondere Vertreter, anders als der Vorstand bzw. die Aktionäre (vgl. § 245 Satz 1 Nr. 1 und 4, § 249 Satz 1 AktG), keine rechtliche Handhabe, die Wirksamkeit seiner Bestellung anders als durch die Geltendmachung des Anspruchs zu klären (Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 34). Er kann allenfalls die Annahme der Bestellung verweigern (vgl. auch Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 239), was allerdings nur bei evidenter Nichtigkeit des Geltendmachungs- bzw. Bestellungsbeschlusses in Betracht kommen wird.
Rz. 65
(4) Eine einseitige Erklärung des Vorstands würde zudem nicht mit der erforderlichen Rechtssicherheit klarstellen, ob ein fehlerhaft bestelltes Organ weiterhin als (vorläufig) wirksam bestellt anzusehen ist. Eine endgültige Klärung könnte neben einem gegenläufigen Hauptversammlungsbeschluss oder einer Amtsniederlegung durch den besonderen Vertreter grundsätzlich nur eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Bestellung herbeiführen. Bis zu einer solchen Entscheidung kann, wie aufgezeigt, durch Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes vorübergehend Klarheit geschaffen werden. Mit der Befugnis zur einseitigen Lösung würde dem Vorstand, gegen den im Regelfall Ansprüche verfolgt werden, demgegenüber ein strategisches Mittel zur Verteidigung gegen die Anspruchsverfolgung in die Hand gegeben (BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.6.2024, § 147 Rn. 208.1). Insoweit ist es aber nicht sachgerecht, dass der Vorstand dem besonderen Vertreter im Fall eines Streits über die Wirksamkeit der Beschlussfassung das Risiko aufbürden kann, fortan ohne Vergütungsanspruch tätig zu sein.
Rz. 66
(5) Eine Befugnis des Vorstands zur Beendigung der Bestellung des besonderen Vertreters kann, anders als die Revision der Beklagten meint, auch nicht damit begründet werden, die Bestellung des besonderen Vertreters sei zum Zweck der Geltendmachung von Ansprüchen erfolgt, die von § 147 Abs. 1 AktG nicht erfasst seien (vgl. Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 251). Denn auch wenn die Nichtigkeit des Bestellungsbeschlusses, wie hier, damit zusammenhängt, dass der besondere Vertreter zur Geltendmachung von § 147 Abs. 1 AktG nicht unterfallender Ansprüche bestellt wird, sprechen die vorstehend angeführten Umstände dafür, die Kompetenz zur Beendigung der Bestellung bei der Hauptversammlung und nicht beim Vorstand anzusiedeln.
Rz. 67
(6) Dass im Fall der Beendigung des Amts eines fehlerhaft bestellten Aufsichtsrats von einer Zuständigkeit des Vorstands ausgegangen wird (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2005 - II ZR 291/03, BGHZ 165, 192, 197; MünchKommAktG/Habersack, 6. Aufl., § 101 Rn. 74; KK-AktG/Mertens/Cahn, AktG, 3. Aufl., § 101 Rn. 110; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 291), steht dem nicht entgegen. Die Interessenlage ist hier eine andere. Vor allem besteht bei der Beendigung des Aufsichtsratsmandats nicht typischerweise das Risiko einer strategischen Einflussnahme des Vorstands. Zwar gehört es als Bestandteil der Überwachungsfunktion auch zur Aufgabe des Aufsichtsrats, Ansprüche gegenüber dem Vorstand geltend zu machen (grundlegend BGH, Urteil vom 21. April 1997 - II ZR 175/95, BGHZ 135, 244). Doch ist der hiermit verbundene Interessengegensatz der Organe, anders als beim besonderen Vertreter, nicht typischerweise in der Bestellung angelegt.
Rz. 68
c) Ohne Erfolg wendet die Revision der Beklagten gegen den Vergütungsanspruch ein, das Berufungsgericht habe nicht allein aufgrund der persönlichen Anhörung des Drittwiderbeklagten annehmen dürfen, dass er die abgerechneten Leistungen erbracht habe.
Rz. 69
Die Parteianhörung nach § 141 ZPO ist zwar kein Beweismittel. Dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO jedoch grundsätzlich erlaubt, (allein) aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (BGH, Beschluss vom 27. September 2017 - XII ZR 48/17, NJW-RR 2018, 249 Rn. 12). Er kann dabei im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht - auch nicht mittels Parteivernehmung - beweisen kann (BGH, Urteil vom 7. Februar 2006 - VI ZR 20/05, NJW-RR 2006, 672 Rn. 9), und ihr im Einzelfall sogar den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen oder des als Partei vernommenen Prozessgegners geben (BGH, Beschluss vom 27. September 2017 - XII ZR 48/17, NJW-RR 2018, 249 Rn. 12).
Rz. 70
d) Soweit die Revision der Beklagten rügt, das Berufungsgericht hätte die Positionen "Überarbeitung eines Schriftsatzes", "Leistungen im Zusammenhang mit der Berufungsverhandlung im Ausgangsprozess" nicht anerkennen dürfen, zeigt sie nicht nachvollziehbar auf, dass die tatrichterliche Würdigung, nach der der Drittwiderbeklagte diese Tätigkeiten als besonderer Vertreter erbracht hat, rechtsfehlerhaft ist.
Rz. 71
3. Die Revision der Beklagten bleibt schließlich ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die Abweisung der Drittwiderklage hinsichtlich der Schadensersatzansprüche wegen der Rechtsverfolgung gegenüber dem Aktionär Dr. K. richtet.
Rz. 72
a) Die Drittwiderklage ist zulässig. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass § 33 ZPO der Zulässigkeit einer isolierten Drittwiderklage hier nicht entgegensteht.
Rz. 73
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Drittwiderklage grundsätzlich unzulässig, wenn sie sich ausschließlich gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten richtet (BGH, Beschluss vom 30. September 2010 - Xa ARZ 191/10, BGHZ 187, 112 Rn. 7). Unter Berücksichtigung des prozessökonomischen Zwecks der Widerklage, eine Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen über einen einheitlichen Lebenssachverhalt und die damit einhergehende Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden und eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung über zusammengehörende Ansprüche zu ermöglichen, hat der Bundesgerichtshof Ausnahmen von diesem Grundsatz zugelassen. Die Zulässigkeit einer isolierten Drittwiderklage ist unter anderem dann bejaht worden, wenn sie gegen den am Prozess bislang nicht beteiligten Zedenten der Klageforderung erhoben wurde und sich der Gegenstand der Drittwiderklage mit dem Gegenstand einer hilfsweise gegenüber der Klage des Zessionars zur Aufrechnung gestellten Forderung deckt (BGH, Urteil vom 5. April 2001 - VII ZR 135/00, BGHZ 147, 220, 222 ff.). So liegen die Dinge hier: Die Beklagte hat die mit ihrer Drittwiderklage verfolgte Schadensersatzforderung auch durch Hilfsaufrechnung gegen die von der Klägerin aus abgetretenem Recht geltend gemachten Forderungen des Drittwiderbeklagten in den Prozess eingeführt.
Rz. 74
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Rechtsverfolgung gegenüber dem Aktionär Dr. K. sei nicht pflichtwidrig gewesen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
Rz. 75
aa) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Drittwiderbeklagte, ohne Rücksicht auf die Wirksamkeit seiner Bestellung (Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 622; Wachter/Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 42; Mock/Goltner, AG 2019, 787, 789), nach der Lehre von der fehlerhaften Bestellung für Pflichtverletzungen grundsätzlich haftet. Dabei muss der Senat auch hier nicht entscheiden (offenlassend bereits BGH, Urteil vom 21. Juni 2022 - II ZR 181/21, BGHZ 222, 152 Rn. 34), ob sich eine solche Haftung aus einer entsprechender Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG (so KG, AG 2012, 328, 329; Grigoleit/Grigoleit/Rachlitz, AktG, 2. Aufl., § 147 Rn. 28; BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.6.2024, § 147 Rn. 220 ff.; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 599 ff.; Krenek, Festschrift Heidel, 2021, S. 527, 539; U. H. Schneider ZIP 2013, 1985, 1991) oder aus § 280 Abs. 1 BGB (MünchKommAktG/Arnold, 5. Aufl., § 147 Rn. 105; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 37; Krebs in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 24; KK-AktG/Rickers/Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 731 ff.; Roßkopf, Festschrift Marsch-Barner, 2018, S. 457, 467 f.; Verhoeven, ZIP 2008, 245, 251; offenlassend Wachter/ Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 42) ergibt, bzw. ob beide Vorschriften nebeneinander anwendbar sind (so Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 23a; Bayer/Selentin ZGR 2022, 159, 166 ff.). Denn im Ergebnis besteht Einigkeit, dass die dogmatische Herleitung der Haftung auf den Sorgfaltsmaßstab keinen Einfluss hat (KK-AktG/Rickers/Vetter, AktG, 3. Aufl., § 147 Rn. 734; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 604; Wachter/Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 42).
Rz. 76
bb) Wie das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen hat, hat der Drittwiderbeklagte nicht sorgfaltspflichtwidrig gehandelt, soweit er Ansprüche gegenüber dem Aktionär Dr. K. geltend gemacht hat.
Rz. 77
(1) Entgegen der Revision der Beklagten ist das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Drittwiderbeklagte nicht bereits deswegen pflichtwidrig handelte, weil er trotz Nichtigkeit der Bestellung namens der Beklagten den Vorprozess anstrengte. Eine Pflicht des besonderen Vertreters, die Wirksamkeit seiner Bestellung zu prüfen, besteht allenfalls in Bezug auf offensichtliche Fehler der Bestellung (Wachter/Zwissler, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 36; Lochner/Benecke, ZIP 2020, 351, 356; wohl auch Bayer/Selentin, ZGR 2022, 159, 174; eine Prüfungspflicht ablehnend Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 541; Mock/Goltner, AG 2019, 787, 789). Das Berufungsgericht ist in tatrichterlicher Würdigung davon ausgegangen, dass die Annahme des Drittwiderbeklagten, seine Bestellung sei nicht nichtig, vertretbar bzw. die Nichtigkeit des Bestellungsbeschlusses jedenfalls nicht offensichtlich gewesen sei. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 78
(2) Soweit sich die Revision der Beklagten mit einer Verfahrensrüge gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts wendet, die Prozessführung gegenüber dem Aktionär Dr. K. sei nicht unvertretbar risikobehaftet gewesen, hat der Senat diese geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Entgegen der Sicht der Revision hat das Berufungsgericht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Argumentation im Schreiben des Vorstands vom 10. Juli 2015 auch berücksichtigt, dass der Aktionär die Beteiligung stets offen gehandhabt hat und ein Gericht dies möglicherweise zu Gunsten des Aktionärs würdigen könnte. Von einer näheren Begründung wird abgesehen (§ 564 Satz 1 ZPO).
Rz. 79
II. Die Revision der Klägerin hat teilweise Erfolg. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der der Klägerin aus abgetretenem Recht weder ein über den Betrag von 10.076,92 € hinausgehender Vergütungsanspruch zustand noch ein Anspruch auf Erstattung der Versicherungsprämien besteht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Anspruch auf restliche Vergütung sei durch die Hilfsaufrechnung der Beklagten erloschen.
Rz. 80
1. Soweit die Klägerin beanstandet, das Berufungsgericht habe ihr zu Unrecht keinen über 10.076,92 € hinausgehenden Vergütungsanspruch aus abgetretenem Recht des Drittwiderbeklagten zuerkannt, vermag sie einen Rechtsfehler des Berufungsgerichts nicht aufzuzeigen.
Rz. 81
a) Soweit ein Rechtsanwalt Ansprüche aus einer Zeitvergütung herleitet, trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die berechnete Vergütung tatsächlich entstanden ist. Im Falle eines vereinbarten Zeithonorars muss die Gefahr ins Auge gefasst werden, dass dem Mandanten der tatsächliche zeitliche Aufwand des Anwalts verborgen bleibt und ein unredlicher Anwalt deshalb ihm nicht zustehende Zahlungen beansprucht. Deshalb erfordert eine schlüssige Darlegung der geltend gemachten Stunden, dass über pauschale Angaben hinaus die während des abgerechneten Zeitraums getroffenen Maßnahmen konkret und in nachprüfbarer Weise dargelegt werden (BGH, Urteil vom 13. Februar 2020 - IX ZR 141/19, juris Rn. 38). Das Gericht hat zu prüfen, ob die nachgewiesenen Stunden in einem angemessenen Verhältnis zu Umfang und Schwierigkeiten der Sache stehen. Damit soll einer unvertretbaren Aufblähung der für die Sache aufzuwendenden Arbeitszeit zum Nachteil des Mandanten vorgebeugt werden. Es geht nicht darum, dem Rechtsanwalt bindend vorzugeben, in welchem Zeitraum ein Mandat zu bearbeiten ist. Jeder Rechtsanwalt arbeitet anders. Trotzdem darf der zu vergütende zeitliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu Schwierigkeit, Umfang und Dauer der zu bearbeitenden Angelegenheit stehen. Schaltet der Mandant etwa einen Spezialisten ein, darf er grundsätzlich davon ausgehen, dass die Sache innerhalb eines üblichen Zeitrahmens erledigt wird, wenn es sich um einen Routinefall und nicht um einen besonders gelagerten, komplexen und unübersichtlichen Einzelfall handelt (BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - IX ZR 18/09, WM 2010, 673 Rn. 84 f.; Urteil vom 13. Februar 2020 - IX ZR 141/19, juris Rn. 38).
Rz. 82
Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze im vorliegenden Fall zutreffend auch im Verhältnis zwischen dem besonderen Vertreter und der Aktiengesellschaft zur Anwendung gebracht. Die Parteien haben in der Vergütungsvereinbarung, die auch im Fall der fehlerhaften Bestellung für die Höhe des Vergütungsanspruchs maßgeblich ist (BGH, Urteil vom 3. Juli 2006 - II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 Rn. 14; Beschluss vom 27. September 2011 - II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195, 2196; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 634), durch die Vereinbarung der (Mindest-)Vergütung nach dem RVG ihre Rechtsbeziehung dem anwaltlichen Vergütungsrecht angenähert.
Rz. 83
b) Die Feststellungen zum Umfang der abgerechneten Tätigkeit und die Angemessenheitsprüfung obliegen in erster Linie dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - IX ZR 18/09, WM 2010, 673 Rn. 85). Sie sind für das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO grundsätzlich bindend. Die revisionsgerichtliche Kontrolle der zum Umfang der abgerechneten Tätigkeiten getroffenen Feststellungen beschränkt sich allgemeinen Grundsätzen zufolge darauf, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO umfassend und widerspruchsfrei mit dem Prozessstoff auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Revisionsrechtlich nachprüfbar ist weiter, ob der Tatrichter zu hohe Anforderungen an den Grad der richterlichen Überzeugung gestellt hat. Das Ergebnis der Prüfung, ob der nachgewiesene zeitliche Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zu Umfang und Schwierigkeit der Sache steht, kann revisionsrechtlich ebenfalls nur eingeschränkt überprüft werden, denn es beruht wesentlich auf einer Würdigung des Tatrichters. Das Revisionsgericht prüft daher ebenfalls nur, ob diese Würdigung möglich und in sich widerspruchsfrei ist, den Prozessstoff vollständig berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2020 - IX ZR 141/19, juris Rn. 40).
Rz. 84
c) Die Annahme des Berufungsgerichts, für die vom Drittwiderbeklagten abgerechneten Tätigkeiten sei ein Zeitaufwand von 21,17 Stunden ausreichend gewesen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 85
aa) Die Kürzungen für am 2. und 3. Mai 2017 erbrachten Tätigkeiten wegen der "Überarbeitung eines Schriftsatzes" und betreffend die E-Mail vom 3. Mai 2017 hat das Berufungsgericht nicht willkürlich nach eigenem Gutdünken ermittelt. Vielmehr hat es vertretbar danach unterschieden, ob sie in den Aufgabenbereich des Prozessbevollmächtigten oder des besonderen Vertreters fielen. Der besondere Vertreter ist zwar berechtigt, zur Anspruchsverfolgung einen Rechtsanwalt im Namen der Gesellschaft zu beauftragen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2022 - II ZR 181/21, ZIP 2022, 1749 Rn. 22; KG, AG 2012, 328, 329; MünchKommAktG/Arnold, 5. Aufl., § 147 Rn. 88; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 34; Krebs in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 25; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 386, 388; Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 184; Uwe H. Schneider, ZIP 2013, 1985, 1988). Dies darf aber nicht dazu führen, dass die Aktiengesellschaft mit der Anspruchsverfolgung verbundene Tätigkeiten doppelt vergüten muss. Das von der Revision der Klägerin vorgebrachte Argument, durch ein Zusammenwirken von besonderem Vertreter und Prozessbevollmächtigten würden Synergien geschaffen, verfängt in diesem Zusammenhang jedenfalls dann nicht, wenn der Prozessbevollmächtigte, wie im vorliegenden Fall, die (Mindest-)Vergütung nach dem RVG geltend macht.
Rz. 86
Hinsichtlich der E-Mail vom 3. Mai 2017 trifft es nicht zu, dass das Berufungsgericht den Zeitaufwand für die Lektüre einer E-Mail vorgegeben hätte. Nach dem festgestellten Sachverhalt betraf die Tätigkeit die Versendung einer Präsentation des Drittwiderbeklagten. Den Zeitaufwand für eine solche routinemäßige Tätigkeit hat das Berufungsgericht vertretbar angenommen.
Rz. 87
bb) Soweit die Revision der Klägerin die Absetzung des Zeitaufwands für Tätigkeiten am 9. und 10. Januar 2018 beanstandet, setzt sie sich mit der Argumentation des Berufungsgerichts, diese Tätigkeiten seien durch die von der Klägerin abgerechneten gesetzlichen Gebühren nach dem RVG abgegolten, nicht auseinander.
Rz. 88
cc) Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, von der am 2. Februar 2018 abgerechneten Tätigkeit für die "Durchsicht von Unterlagen" im Umfang von 60 Minuten seien nur 15 Minuten vergütungsfähig. Das Berufungsgericht geht in zulässiger tatrichterlicher Würdigung von einer routinemäßigen Tätigkeit aus. Dass diese Einschätzung unter Berücksichtigung des betreffenden Schriftsatzes nicht vertretbar war, zeigt die Revision der Klägerin nicht auf.
Rz. 89
dd) Im Rahmen tatrichterlicher Würdigung hält sich schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, der Zeitaufwand von 30 Minuten im Zusammenhang mit dem Führen von Vergleichsgesprächen am 5. Februar 2018 sei bereits durch die von der Beklagten an die Klägerin zu zahlende Vergütung abgedeckt (vgl. oben Rn. 85).
Rz. 90
2. Ohne Rechtsfehler ist das Berufungsgericht weiter davon ausgegangen, der Klägerin stehe kein Anspruch aus übergegangenem Recht des Drittwiderbeklagten auf Erstattung der von ihm gezahlten Prämien für die Haftpflichtversicherung gegenüber der Beklagten zu.
Rz. 91
a) Einen auf der Vergütungsvereinbarung beruhenden Anspruch auf Erstattung der Versicherungsprämien hat das Berufungsgericht zu Recht abgelehnt.
Rz. 92
Zutreffend und von der Revision der Klägerin unbeanstandet hat das Berufungsgericht die Regelung in Ziffer 3 der Vergütungsvereinbarung als vom Drittwiderbeklagten gestellte allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen. Dies zu Grunde gelegt ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass Ziffer 3 der Vergütungsvereinbarung dem Drittwiderbeklagten keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten für die von ihm abgeschlossene Versicherung gewährt.
Rz. 93
aa) Die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen durch das Berufungsgericht unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Nachprüfung (BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, ZIP 2011, 1151 Rn. 29; Urteil vom 7. Juni 2011 - XI ZR 388/10, BGHZ 190, 66 Rn. 21; Urteil vom 9. April 2014 - VIII ZR 404/12, BGHZ 200, 362 Rn. 25; Urteil vom 17. Februar 2016 - XII ZR 183/13, MDR 2016, 701 Rn. 10; Urteil vom 26. März 2019 - II ZR 413/18, ZIP 2019, 965 Rn. 11; Urteil vom 24. September 2019 - II ZR 192/18, WM 2019, 2315 Rn. 15). Vorformulierte Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Interessen des konkreten, sondern des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, ZIP 2011, 1151 Rn. 29; Urteil vom 7. Juni 2011 - XI ZR 388/10, BGHZ 190, 66 Rn. 21; Urteil vom 5. November 2015 - VII ZR 59/14, NJW 2016, 242 Rn. 18; Urteil vom 24. September 2019 - II ZR 192/18, WM 2019, 2315 Rn. 15). Dabei ist in erster Linie der Wortlaut der auszulegenden Klausel maßgeblich (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - VII ZR 5/15, BGHZ 206, 203 Rn. 26; Urteil vom 24. September 2019 - II ZR 192/18, WM 2019, 2315 Rn. 15).
Rz. 94
bb) Mit ihrem Hinweis auf die individuellen Begleitumstände des Zustandekommens der Vergütungsvereinbarung zeigt die Revision der Klägerin schon keine für die objektive Auslegung der Vertragsbedingungen relevanten Umstände auf. Demgegenüber stellt das Berufungsgericht zutreffend darauf ab, dass nach den für das anwaltliche Gebührenrecht geltenden Grundsätzen das Haftungsrisiko ohne besondere Vereinbarung bis zu einem Betrag von 30 Mio. € abgegolten ist. Für den Fall der Vereinbarung der Mindestvergütung nach dem RVG hat das Berufungsgericht dies zutreffend auch für die Vergütung des besonderen Vertreters angenommen. Diesbezüglich werden von der Revision auch keine Einwände erhoben.
Rz. 95
b) Auch einen aus §§ 670, 675 BGB folgenden Erstattungsanspruch des Drittwiderbeklagten hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler abgelehnt. Dabei bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob dem besonderen Vertreter ohne gesonderte Vereinbarung ein gesetzlicher Aufwendungserstattungsanspruch hinsichtlich der Versicherungsprämien für eine Haftpflichtversicherung zusteht (bejahend BeckOGK AktG/Mock, Stand 1.2.2024, § 147 Rn. 262.3 [für D&O-Versicherung]; Mock/Goltner, AG 2019, 787, 789; verneinend MünchKommAktG/Arnold, 5. Aufl., § 147 Rn. 108; KK-AktG/Rieckers/Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 708; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 639; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 38).
Rz. 96
Jedenfalls dann, wenn die zwischen der Gesellschaft und dem besonderen Vertreter geschlossene Vergütungsvereinbarung eine Erstattung von Versicherungsprämien nicht vorsieht, weil das Haftungsrisiko des besonderen Vertreters und der Aufwand für eine entsprechende Versicherung bereits mit der Vergütung abgedeckt sind, verbietet es sich, diese vertragliche Risikoverteilung durch den gesetzlichen Anspruch nach § 670 BGB zu überspielen (vgl. Erman/Berger, BGB, 17. Aufl., § 675 Rn. 19).
Rz. 97
3. Mit Erfolg wendet sich die Klägerin allerdings gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Anspruch auf restliche Vergütung sei durch die Hilfsaufrechnung der Beklagten erloschen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Beklagten aufrechenbare Gegenansprüche zustehen, hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand (näher dazu nachfolgend unter III.).
Rz. 98
III. Die Revision des Drittwiderbeklagten hat Erfolg. Das Urteil des Berufungsgerichts hält hinsichtlich der Verurteilung des Drittwiderbeklagten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Revision des Drittwiderbeklagten wendet sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Prozessführung gegen den Aktionär P. und die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagten pflichtwidrig war.
Rz. 99
1. Zutreffend ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass der besondere Vertreter pflichtwidrig handelt, wenn er die offensichtlich aussichtslose gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs betreibt (Krebs in Hölters/Weber, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 21; BeckOGK AktG/Mock,Stand 1.6.2024, § 147 AktG Rn. 55.2, 56, 176 und 191; KK-AktG/Rieckers/Vetter, 3. Aufl., § 147 Rn. 541; Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 196, 426; Roßkopf in Goette/Arnold, Handbuch Aufsichtsrat, 2. Aufl., Rn. 2882; Kling, ZGR 2009, 190, 207 ff.; Roßkopf/Gayk, DStR 2020, 2078, 2082). Ob etwas anderes gilt, wenn aus dem Geltendmachungsbeschluss eine unbedingte Pflicht zur gerichtlichen Verfolgung des Anspruchs abzuleiten ist (OLG München, ZIP 2008, 73, 76; Koch, AktG, 18. Aufl., § 147 Rn. 25; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 24; Bayer/Selentin, ZGR 2022, 159, 178 ff.; Uwe H. Schneider, ZIP 2013, 1985, 1990; ähnlich Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 129 f.), bedarf im Streitfall ebenso wenig einer Entscheidung, wie die Frage, ob der besondere Vertreter in diesem Fall gehalten ist, auf eine erneute Befassung der Hauptversammlung hinzuwirken, er sein Amt niederlegen muss (vgl. Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 426; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 147 Rn. 24 f.; Mimberg inMarsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 5. Aufl., § 42 Rn. 42.25; Hüffer, ZHR 174 [2010], 642, 664; Mörsdorf, ZHR 183 [2019], 695, 710;Verhoeven, ZIP 2008, 245, 250 f.) oder sich die Pflicht zur Verfolgung des Anspruchs ohne weiteres erledigt (Humrich, Der besondere Vertreter im Aktienrecht, 2013, S. 129 f.).
Rz. 100
Bei der Beurteilung, ob die Anspruchsverfolgung wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit unterbleiben muss, ist einerseits zu berücksichtigen, dass der besondere Vertreter den im Geltendmachungsbeschluss zum Ausdruck kommenden Willen der Hauptversammlung zur Anspruchsverfolgung nicht unterlaufen darf (Schmolke in Großkomm. AktG, 5. Aufl., § 147 Rn. 426). Der besondere Vertreter ist an die im Geltendmachungsbeschluss zum Ausdruck kommende Willensbildung der Hauptversammlung gebunden, auch wenn diese im Hinblick auf Stimmrechtsbeschränkungen nur von der Minderheit von Aktionären getragen ist. Soweit eine treuwidrige Ausübung von Herrschaftsmacht entgegen dem Gesellschaftsinteresse im Raum steht, muss dies im Rahmen einer Anfechtung des Geltendmachungsbeschlusses (§ 243 Abs. 1 AktG) geklärt werden, die nach Maßgabe von § 245 AktG den anderen Aktionären und dem Vorstand, nicht aber dem besonderen Vertreter eröffnet ist (siehe bereits oben Rn. 64).
Rz. 101
Der besondere Vertreter hat andererseits bei seiner Entscheidung darüber, wie er die Ansprüche geltend macht, eigenverantwortlich im Interesse der Gesellschaft zu handeln (Holle, ZHR 182 [2018], 569, 593 f.). Im Interesse der Gesellschaft liegt regelmäßig eine effektive und möglichst kostenschonende Anspruchsverfolgung. Entsprechend hat der besondere Vertreter vor einer gerichtlichen Anspruchsverfolgung den maßgeblichen Sachverhalt im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten aufzuklären und auf dieser Grundlage die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung zu prüfen. Daraus kann indes nicht abgeleitet werden, dass die Verfolgung der Ansprüche bereits dann unterbleiben müsste, wenn sich die Prozessführung nach entsprechender Sachverhaltsaufklärung als risikoreich erweist. Von der offensichtlichen Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung muss der besondere Vertreter nur ausgehen, wenn die gerichtliche Anspruchsverfolgung nach sorgfältiger Tatsachenermittlung erkennbar keinen Erfolg haben wird.
Rz. 102
2. Das Berufungsgericht ist bei seiner Würdigung zwar weitgehend von diesen Grundsätzen ausgegangen. Seine tatrichterliche Würdigung, nach der die Klage gegen den Aktionär P. offensichtlich aussichtslos und damit pflichtwidrig gewesen sei, hält einer rechtlichen Prüfung allerdings nicht stand.
Rz. 103
a) Ob die gerichtliche Verfolgung des Anspruchs auf der Grundlage der pflichtgemäß ermittelten Tatsachengrundlage als offensichtlich erfolglos anzusehen war, unterliegt gemäß § 286 ZPO der Beurteilung des Tatrichters, der unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2021 - II ZR 56/20, WM 2021, 1692 Rn 32; Urteil vom 27. November 2021 - VII ZR 257/20, WM 2022, 87 Rn. 32 jeweils mwN).
Rz. 104
b) Die tatrichterliche Würdigung genügt den rechtlichen Anforderungen nicht in jeder Hinsicht, weil ihr im Ergebnis ein zu strenger Prüfungsmaßstab zu Grunde liegt.
Rz. 105
aa) Dass das Berufungsgericht (OLG Karlsruhe, ZIP 2018, 627 ff.) mit dem Landgericht (LG Heidelberg, AG 2017, 497 ff.) im Vorprozess von der Unzulässigkeit der Klage ausgegangen ist, hindert das Berufungsgericht entgegen der Meinung der Revision des Drittwiderbeklagten allerdings nicht an der Feststellung, die Klage sei unabhängig davon auch in der Sache aussichtslos gewesen.
Rz. 106
bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Drittwiderbeklagte habe mit den ihm bei der Klageerhebung im Vorprozess zur Verfügung stehenden Informationen nicht darlegen und beweisen können, dass der Aktionär P. ein mitteilungspflichtiges Unternehmen betreibe, weshalb die Klageerhebung von vornherein aussichtslos gewesen sei, hält rechtlicher Prüfung allerdings nicht stand.
Rz. 107
(1) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass die Klage gegen den Aktionär P. nur dann Erfolg haben konnte, wenn jener die Voraussetzungen eines "mitteilungspflichtigen" Unternehmens im Sinne von § 20 Abs. 1 AktG erfüllte, wofür die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet war. Denn die Unternehmereigenschaft im Sinne anderweitiger wirtschaftlicher Interessenbindungen, welche die ernsthafte Sorge begründen, der Aktionär könne derentwegen seinen aus der Mitgliedschaft folgenden Einfluss auf die Aktiengesellschaft zu deren Nachteil ausüben (BGH, Urteil vom13. Oktober 1977 - II ZR 123/76, BGHZ 69, 333, 337 f.; Urteil vom 18. Juni 2001 - II ZR 212/99, BGHZ 148, 123, 125), ist neben der vorsätzlichen Verletzung der Meldepflicht notwendige Voraussetzung für den Rechtsverlust des Aktionärs (hierzu Koch, AktG, 18. Aufl., § 20 Rn. 2) und damit spiegelbildlich auch für den Rückforderungsanspruch der Gesellschaft gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 AktG.
Rz. 108
Das unternehmerische Fremdinteresse kann auf ein vom Aktionär unmittelbar betriebenes Handelsgeschäft bezogen sein, wie es namentlich bei Handelsgesellschaften und Einzelkaufleuten der Fall ist (BGH, Urteil vom 13. Oktober 1977 - II ZR 123/76, BGHZ 69, 333, 337 f.). Eine konzernspezifische Gefährdung wird unabhängig davon angenommen, ob es sich um eine wirtschaftlich zusammengehörende Tätigkeit handelt (KK-AktG/Koppensteiner, 3. Aufl., § 15 Rn. 30; Stimpel, ZGR 1991, 144, 157). Eine gewerbliche Betätigung wird ungeachtet ihres Umfangs und einer Gewinnerzielungsabsicht als unter den Unternehmensbegriff fallend angesehen (KK-AktG/Koppensteiner, 3. Aufl., § 15 Rn. 31; wohl auch MünchHdbGesR IV/Krieger § 69 Rn. 7; enger für Kleingewerbetreibende Großkomm. AktG/Windbichler, 5. Aufl., § 15 Rn. 22). Es erscheint schon zweifelhaft, ob das Berufungsgericht, das seiner Beurteilung den Gewerbebegriff nach § 1 Abs. 2 HGB zu Grunde gelegt hat, diese Grundsätze vor Augen hatte.
Rz. 109
(2) Jedenfalls beruht die Würdigung des Berufungsgerichts auf einem zu engen Verständnis von der Aussichtslosigkeit der Geltendmachung.
Rz. 110
(a) Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Anmeldung eines Gewerbes durch den Aktionär P. zumindest ein Indiz für eine entsprechende Betätigung darstellt. Schon aus diesem Grund konnte es im Hinblick darauf, dass die Beurteilung der Schlüssigkeit des Indizienbeweises in erster Linie Gegenstand tatrichterlicher Überzeugungsbildung ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1992 - XII ZR 179/91, NJW-RR 1993, 443, 444; Urteil vom 3. Dezember 2019 - KZR 27/17, NZKart 2020, 384 Rn. 52), für die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung darauf ankommen, ob der beklagte Aktionär in der Lage sein würde, die Beweiswirkung des Indizes unter Berücksichtigung des unstreitigen Fahrzeugverkaufs zu entkräften. Zwar hat das Berufungsgericht gemeint, die Indizien ließen nicht den ausreichend sicheren Schluss auf die behauptete Tatsache zu. Mit dieser Erwägung legt es aber einen fehlerhaften Prüfungsmaßstab zu Grunde, weil es nicht um die Frage ging, ob das Berufungsgericht entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen bereit ist, sondern ob es aus der maßgeblichen Sicht des Drittwiderbeklagten ausgeschlossen erschien, dass ein Gericht von der Schlüssigkeit des Indizienbeweises ausgehen könnte. Dies erscheint im Hinblick auf die Gewerbeanmeldung im Jahr 2011 und dem unstreitigen Geschäft im Jahr 2012 unwahrscheinlich. Schon aus diesem Grund kam es entgegen der Sicht des Berufungsgerichts nicht darauf an, ob der Drittwiderbeklagte in der Lage war, eine tatsächliche unternehmerische Tätigkeit des Aktionärs aufzuzeigen und zu belegen.
Rz. 111
(b) Das Berufungsgericht hat im Übrigen seine Prüfung nicht daran ausgerichtet, welche für die Beurteilung der Unternehmereigenschaft des Aktionärs P. maßgeblichen Tatsachen der Drittwiderbeklagte in seiner Eigenschaft als besonderer Vertreter zur Vorbereitung seiner Entscheidung über die gerichtliche Inanspruchnahme ermitteln konnte und ob der Drittwiderbeklagte es aufgrund dieser Tatsachen als sicher einschätzen musste, dass die Verfolgung der Ansprüche ohne Erfolg bleiben würde. Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, es sei nicht damit zu rechnen gewesen, dass sich aus den Steuererklärungen der Gesellschaft günstige Erkenntnisse über weitere Umsätze im Rahmen eines Gewerbebetriebs ergeben würden, weil der Aktionär in der Klageerwiderung die Vorlage der Erklärungen zum Beweis seines gegenteiligen Vortrags angeboten hatte, legt es seiner Beurteilung Umstände zu Grunde, die sich erst aus der Prozessführung selbst ergaben. Vor allem aber beachtet diese Würdigung nicht hinreichend, dass die maßgeblichen Umstände im Wesentlichen außerhalb der Wahrnehmung des besonderen Vertreters bzw. der Gesellschaft lagen und es vor diesem Hintergrund nahelag, dass der Aktionär ungeachtet der Indizwirkung der Gewerbeanmeldung einer sekundären Darlegungslast unterlag (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2021 - VI ZR 505/19, ZIP 2021, 799 Rn. 27; von Selle, NZG 2023, 1199, 1204 f.). Jedenfalls dann, wenn sich der Anspruchsgegner im Vorfeld seiner gerichtlichen Inanspruchnahme nicht detailliert und nachprüfbar zum maßgeblichen Sachverhalt äußert, muss der besondere Vertreter in diesem Fall die gerichtliche Inanspruchnahme nicht davon abhängig machen, dass er im gerichtlichen Verfahren in der Lage sein wird, seine Tatsachenbehauptungen zu beweisen. Er kann daher zu Vorgängen, die sich seiner unmittelbaren Wahrnehmung entziehen, auf Vermutungen gestützte Behauptungen aufstellen (BGH, Beschluss vom 16. April 2015 - IX ZR 195/14, NJW-RR 2015, 829 Rn. 13). Die Prozessführung mag sich dann als risikoreich erweisen, als offensichtlich aussichtslos muss sie dagegen nicht eingeschätzt werden.
Rz. 112
cc) Die Annahme, die Inanspruchnahme der Vorstandsmitglieder sei mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine mögliche Pflichtverletzung ohne Erfolgsaussichten und damit pflichtwidrig gewesen, hält rechtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand.
Rz. 113
(1) Das Berufungsgericht geht für seine Beurteilung von der Frage aus, ob die später in den Prozess eingeführten Tatsachen geeignet waren, ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten der Vorstandsmitglieder aufzuzeigen. Auch wenn dies nach der umfangreich begründeten Sicht des Berufungsgerichts nicht der Fall gewesen sein sollte, folgt daraus nicht, dass eine erfolgreiche Prozessführung auf der Grundlage der vom Drittwiderbeklagten ermittelten Tatsachen als aussichtslos angesehen werden musste. Dieser Prüfungsansatz wird schon der Darlegungs- und Beweislastverteilung im Haftungsprozess gegen den Vorstand nicht gerecht. Eine Schadensersatzpflicht des Vorstands gegenüber der Gesellschaft kann sich, wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, daraus ergeben, dass Anhaltspunkten über das Bestehen einer mitteilungspflichtigen Beteiligung nicht nachgegangen wird (OLG Hamburg, Urteil vom 1. August 2014 - 11 U 79/13, BeckRS 2016, 17009; MünchHdbGesR IV/Krieger, 5. Aufl., § 69 Rn. 149).
Rz. 114
Dass der Drittwiderbeklagte nach den ihm bekannten Tatsachen annehmen musste, dem Vorstand hätten solche Anhaltspunkte nicht vorgelegen, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Entsprechend war zumindest in Betracht zu ziehen, dass es sich bei solchen Anhaltspunkten um Umstände aus dem Einflussbereich des Vorstands gehandelt hat, hinsichtlich derer die Gesellschaft typischerweise in Beweisnot ist und der Drittwiderbeklagte entsprechende Behauptungen auf lediglich vermutete Tatsachen stützen konnte (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 - II ZR 140/20, ZIP 2021, 2229 Rn. 9). Soweit das Berufungsgericht Erkenntnisse aus der Klageerwiderung in seine Würdigung einbezieht, handelt es sich wiederum nicht um Umstände, die dem Drittwiderbeklagten bei der Entscheidung über die gerichtliche Inanspruchnahme des Vorstands bekannt waren.
Rz. 115
(2) Soweit es um eine Haftung des Vorstands wegen unterlassener Rückforderungen der Dividende nach der nachgeholten Mitteilung des Aktionärs Dr. K. geht, hat das Berufungsgericht seiner Bewertung im Ergebnis ebenfalls einen zu strengen Maßstab zu Grunde gelegt. Zutreffend ist der Ausgangspunkt, dass eine Pflichtverletzung des Vorstands im Hinblick auf die erst Anfang September 2011 nachgeholte Mitteilung über den Erwerb von einer den vierten Teil der Aktien übersteigenden Beteiligung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG ausscheidet, soweit der Vorstand aufgrund der von ihm durchgeführten Sachverhaltsaufklärung annehmen durfte, dass der Aktionär die bereits 2006 gebotene Anzeige nicht vorsätzlich unterlassen hatte. Das Schreiben des Vorstands vom 10. Juli 2015 ließ für den Drittwiderbeklagten allerdings entgegen der Sicht des Berufungsgerichts nicht erkennen, dass der Vorstand sich ausreichend von einem nicht vorsätzlichen Handeln des Aktionärs überzeugt hatte. Die insoweit beauftragten Rechtsanwälte haben nach einer telefonischen Befragung durch ein Vorstandsmitglied der Beklagten danach zwar die Plausibilität der Angaben des Aktionärs überprüft, es ist aber nicht ersichtlich, dass der Aktionär um eine detaillierte und nachprüfbare Stellungnahme gebeten wurde, insbesondere zu den Begleitumständen des Aktienerwerbs im Jahr 2006. Dabei mag den rechtlichen Beratern ein nachvollziehbarer Grund für ein vorsätzliches Unterlassen der Mitteilungspflicht im Jahr 2006 nicht vor Augen gestanden haben. Allerdings war auch zu berücksichtigen, dass der Aktionär jedenfalls im September 2011 ein Interesse daran hatte, nicht auf Rückzahlung der bezogenen Dividenden in Anspruch genommen zu werden. Soweit das Berufungsgericht die Angaben in dem Vorstandsschreiben durch eine E-Mail des rechtlichen Beraters beim Aktienerwerb 2011 vom 9. Juli 2015 bestätigt gesehen hat, ist nicht festgestellt, dass diese Informationen dem Drittwiderbeklagen zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Klageerhebung zur Verfügung standen. Abgesehen davon handelt es sich auch insoweit nicht um eine Aufklärung der Umstände des Aktienerwerbs im Jahr 2006.
Rz. 116
(3) Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, die Inanspruchnahme des Vorstands wegen möglicher Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Dividendenzahlungen an den Aktionär P. sei offensichtlich aussichtslos, stützt es sich auf seine Beurteilung zu den Erfolgsaussichten über die Inanspruchnahme des Aktionärs, die, wie oben unter Rn. 106 ff. näher begründet, der rechtlichen Prüfung nicht standhält.
Rz. 117
dd) Auch die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die vom Drittwiderbeklagten gegenüber den Aufsichtsratsmitgliedern angestrengte Klage sei von Anfang an aussichtslos gewesen, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Ausgehend von dem unstreitigen Sachverhalt, dass die stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats die objektiven Umstände kannte, aus denen eine Mitteilungspflicht des Aktionärs Dr. K. gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG folgte und sie in diesem Zusammenhang mit dessen Beratern kommunizierte, erscheint die Annahme nicht fernliegend, dass Mitteilungspflichten auch thematisiert wurden. Entsprechende Pflichten des Erwerbers dürften in der Regel Gegenstand einer den Erwerb begleitenden Beratung sein, sei es in der Form allgemeiner Hinweise oder durch Aufklärung der für die Mitteilungspflicht maßgeblichen Umstände. Dass dem besonderen Vertreter keine näheren Erkenntnisse zum Inhalt der Beratung vorlagen, rechtfertigt nicht die Schlussfolgerung, dass die Inanspruchnahme der Aufsichtsratsmitglieder von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg war.
Rz. 118
Soweit das Berufungsgericht Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Verfolgung von Ersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder verneint hat, hat es seine Würdigung auch darauf gestützt, dass es an der schlüssigen Darlegung eines möglichen Fehlverhaltens des Vorstands fehle. Da diese Beurteilung einer rechtlichen Prüfung nicht standhält (vgl. oben Rn. 112 ff.), kann auch die Entscheidung zu den Aufsichtsratsmitgliedern mit der gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden.
Rz. 119
D. Die Sache ist im Umfang der Aufhebung gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann der erkennende Senat nicht abschließend beurteilen, ob der Drittwiderbeklagte unter Berücksichtigung der unter III. aufgezeigten Maßstäbe pflichtwidrig gehandelt hat.
Born B. Grüneberg Sander
von Selle Adams
Fundstellen
BB 2024, 2690 |
DB 2024, 2884 |
DStR 2024, 10 |
NJW 2024, 8 |
WM 2024, 2193 |
NJW-Spezial 2024, 751 |