Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 22. Oktober 1997, soweit es den Angeklagten D betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tathergang bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Auf die Revision des Angeklagten S wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es diesen Angeklagten betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision dieses Angeklagten wird verworfen.
3. Die Revisionen der Angeklagten D und L gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel des Angeklagten S und der Staatsanwaltschaft, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
5. Der Angeklagte D hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten L Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: Den Angeklagten L wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von acht Jahren, den Angeklagten S wegen Mordes unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe, den Angeklagten D wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Die zuungunsten des Angeklagten D eingelegte und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten S hat mit der Sachrüge einen Teilerfolg zum Strafausspruch; im übrigen ist sie unbegründet. Die Revisionen der Angeklagten D und L haben keinen Erfolg.
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Nach einer „Kneipentour” erblickte der Angeklagte D auf der anderen Straßenseite das ihm unbekannte spätere Opfer G. Der Angeklagte D ging über die Straße und schlug grundlos und unvermittelt auf G ein. Als die Angeklagten S und L das sahen, überquerten auch sie die Straße und beteiligten sich an den Mißhandlungen. Zu dritt schlugen sie gezielt gegen den Kopf ihres Opfers, bis es zu Boden sackte. Jetzt traten die Angeklagten „gezielt und kräftig auch gegen den Kopf”. Hierdurch verursachten sie bei G eine tödliche Zerreißung der Halswirbelsäule. Die Angeklagten hielten inne und betrachteten G, der „nur noch röchelte”. „Um auch dem Röcheln ein Ende zu setzen”, stach der Angeklagte D mit einem Springmesser ca. 30 mal gezielt in den Oberkörper- und Halsbereich G s, wobei die hierdurch verursachten Verletzungen nicht lebensgefährlich waren. Bei den Mißhandlungen nahmen die Angeklagten den Tod ihres Opfers billigend in Kauf. Sie handelten „aus Lust am Schlagen und Treten und ‚Leiden lassen’”. Als G kein Lebenszeichen mehr von sich gab, schleiften sie ihn aus Angst vor Entdeckung in ein ca. 20 m entferntes Gebüsch. Danach machten sie sich zur nahe gelegenen Wohnung eines Freundes auf. Dort berichtete der Angeklagte D weinend und stammelnd, daß er jemanden umgebracht habe; er legte sich alsbald schlafen. Die Angeklagten L und S beratschlagten, was zu tun sei, um die Entdeckung der Leiche zu verhindern. Sie veranlaßten den Mitangeklagten W – dessen Verurteilung wegen versuchter Strafvereitelung rechtskräftig ist –, die Leiche mit seinem Pkw fortzuschaffen. Sie fuhren zu einem Steinbruch und warfen die Leiche in das Steinbruchwasser.
Alle drei Angeklagten waren bei Begehung der Tat erheblich alkoholisiert. Beim Angeklagten D hat der Tatrichter nicht ausschließen können, daß dieser Angeklagte zur Tatzeit alkoholbedingt schuldunfähig war. Bei den Angeklagten L und S geht der Tatrichter von erheblich verminderter Schuldfähigkeit aus; beim Angeklagten S hat er von der Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB jedoch keinen Gebrauch gemacht.
II. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Urteilsausführungen zur Schuldunfähigkeit des Angeklagten D sind zu beanstanden.
1. Der Sachverständige, den der Tatrichter zur Prüfung der Frage der Schuldfähigkeit herangezogen hat, hat sich nach den Urteilsgründen wie folgt geäußert: „Bei der Tat sei die Situationsbindung aufrechterhalten gewesen. Der Angeklagte D habe das Röcheln gehört, mit dem Messer auf das Opfer eingestochen, erkannt, daß das Opfer tot ist, und darauf mit Panik und Weinen reagiert. Dies genüge, um aus psychologischer Sicht auszuschließen, daß eine Entordnung des seelischen Gefüges im Sinne eines Vollrausches stattgefunden hat”. Das Landgericht ist der Auffassung des Sachverständigen nicht gefolgt.
2. Die Ausführungen dazu sind rechtlich zu beanstanden. Das Landgericht hat erwogen, daß beim „situationsbezogene(n) Handeln (des Angeklagten) anläßlich der Tat” „einiges dafür” spreche, daß der Angeklagte nicht schuldunfähig gewesen sei. Dies ist trotz des festgestellten hohen Alkoholisierungsgrades (vgl. hierzu BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 14) zutreffend. Dennoch hat sich der Tatrichter nicht in der Lage gesehen, letzte Zweifel daran, ob Schuldfähigkeit gegeben ist, auszuräumen. Bei den Ausführungen dazu hat er aber nicht alle Gesichtspunkte herangezogen, die unter Umständen seine Zweifel beseitigt hätten.
a) In erster Linie hat der Tatrichter auf folgende Gesichtspunkte abgestellt: Beim Angeklagten D könne „kein zusammenhängendes Nachtatverhalten festgestellt werden”. Der Angeklagte habe „nach der Tat – bis auf daß er gemeinsam mit den Angeklagten S und L das Opfer in das Gebüsch trug – keinerlei Leistungsverhalten (gezeigt), welches darauf schließen ließe, daß die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit bestand” (nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils ist ersichtlich nur die Steuerungsfähigkeit gemeint). Demgegenüber spricht das sinnentsprechende Verhalten der Beseitigung des Opfers aus Angst vor Entdeckung gerade für erhalten gebliebene Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Der Umstand, den der Tatrichter weiter zur Begründung der Schuldunfähigkeit anführt, der Angeklagte sei nach der Tat in der Wohnung des Freundes erst aufgeregt gewesen, habe dann apathisch gewirkt, gestammelt und geweint und sei völlig aufgelöst gewesen, erscheint insoweit kaum aussagekräftig. Seine Erschütterung deutet eher auf eine gedankliche Auseinandersetzung mit seiner Tötungshandlung hin. Auch damit hätte sich der Tatrichter auseinandersetzen müssen.
b) In zweiter Linie hat sich das Landgericht auf die Erwägung gestützt, die Einlassung des Angeklagten, er könne sich nur bruchstückhaft an die Tat selbst erinnern, sei nicht zu widerlegen. Dabei hat sich das Landgericht aber mit folgenden festgestellten Umständen nicht ausreichend auseinandergesetzt: Für erhalten gebliebene Erinnerung spricht einmal die Äußerung des Angeklagten gegenüber einem Freund, er habe jemanden umgebracht. Die Erschütterung des Angeklagten nach der Tat, verbunden mit dem Bedürfnis, sich dem Freund mitzuteilen und ihm deshalb die Tat zu offenbaren, spricht ebenfalls gegen eine Erinnerungslücke. Hinzu kommt, daß der Angeklagte in seiner polizeilichen und in seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung Äußerungen gemacht hatte, die ein Geständnis enthielten. Letzteres sieht auch das Landgericht, meint aber, die Einlassung des Angeklagten, er habe nur das ausgesagt, was er aufgrund nachträglicher Erzählung seiner Mittäter erfahren habe, sei nicht zu widerlegen. In diesem Zusammenhang hätte sich der Tatrichter aber mit der im Urteil dargestellten Bekundung des Vernehmungsbeamten R auseinandersetzen müssen, der Angeklagte habe sich bei seiner polizeilichen Vernehmung frei und offen zur Tat geäußert und den Eindruck erweckt, „aus eigenem Erleben” zu berichten und froh gewesen zu sein, sich die Sache von der Seele zu reden.
3. Nach allem kann der Schuldspruch keinen Bestand haben.
Der Senat merkt an: Bei Kapitalverbrechen der vorliegenden Art, die einerseits durch die Überwindung einer besonders hohen Hemmschwelle, andererseits durch ein komplexeres Täterverhalten gekennzeichnet sind, wird ein Vollrausch in der Regel eher fernliegen.
III. Revisionen der Angeklagten
1. Revision des Angeklagten D:
Die Revision des Angeklagten D läßt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil erkennen. Die Feststellungen des Urteils zum äußeren Tathergang, die Todesursache und die Beiträge des Angeklagten dazu eingeschlossen, können, da sie von der Revision der Staatsanwaltschaft nicht berührt sind, bestehen bleiben.
2. Revision des Angeklagten S:
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB versagt hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es hat darauf abgestellt, daß der Angeklagte dazu neige, unter Alkoholeinfluß Straftaten zu begehen; ihm sei diese Neigung auch bekannt gewesen, da er sich mehrfach für Straftaten habe verantworten müssen, die er unter Alkoholeinfluß begangen habe.
Nach der Rechtsprechung müssen besondere erschwerende Gründe vorliegen, wenn, wie im vorliegenden Fall, allein die Wahl zwischen lebenslanger und zeitiger Freiheitsstrafe besteht, um die mit den Voraussetzungen des § 21 StGB verbundene Schuldminderung so auszugleichen, daß die gesetzliche Höchststrafe verhängt werden darf (BGH StV 1993, 355 m.w.N.). Solche Gründe sind angesichts der Persönlichkeit des noch jungen Angeklagten und des Umstandes, daß die in Frage kommenden Aggressionstaten zur Tatzeit etwa sechs Jahre zurücklagen, sie in ihrer Delinquenz im Vergleich zur vorliegenden Tat von geringerer Bedeutung und damit auch von eingeschränkter Warnfunktion waren, mit den Erwägungen des Tatrichters nicht ausreichend belegt.
Der Senat hat im Hinblick auf diesen Wertungsfehler erwogen, auf eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren selbst zu erkennen, hat hiervon jedoch abgesehen, weil ergänzende Feststellungen zum Strafausspruch nicht ganz ausgeschlossen erscheinen. Einer Aufhebung für sich rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen zur Person des Angeklagten S und zu seiner Tat bedurfte es nicht; etwaige ergänzende Feststellungen dürfen den aufrechterhaltenen nicht widersprechen.
3. Revision des Angeklagten L:
Die Revision des Angeklagten L ist unbegründet. Insbesondere ist die Bemessung der Jugendstrafe nicht mit Rechtsfehlern behaftet. Bei Zumessung der Jugendstrafe darf die gesetzliche Bewertung des Tatunrechts, wie sie in den Strafdrohungen des allgemeinen Strafrechts ihren Ausdruck gefunden hat, nicht außer Betracht gelassen werden (vgl. BGHR JGG § 18 Abs. 1 Satz 3 minder schwerer Fall 2; BGH StV 1982, 27, 28; 335; 474; st. Rspr.). Der Tatrichter hat ausgeführt: „Daß nach allgemeinem Strafrecht Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen ist, war lediglich bei der Bewertung des Tatunrechts mit zu berücksichtigen und wurde beachtet.” Der Senat besorgt nicht, der Tatrichter könne nicht bedacht haben, daß nach allgemeinem Strafrecht eine Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eröffnet war (BGH aaO; BGH StV 1984, 30; vgl. BGH NStZ 1986, 71). Denn er hat ausdrücklich strafmildernd berücksichtigt, daß der Angeklagte L „alkoholbedingt vermindert schuldfähig im Sinne von § 21 StGB war”. Der Tatrichter hat diesen Milderungsgrund zwar dadurch relativiert, daß er dem Angeklagten angelastet hat, „daß er wußte, daß ihn übermäßiger Alkoholgenuß aggressiv stimmt und er sich dennoch betrank”. Angesichts der festgestellten Lebensumstände (UA S. 7) dieses Angeklagten ist diese Wertung – die sich auf den Strafausspruch ohnehin allenfalls geringfügig ausgewirkt haben kann – hinzunehmen.
IV. Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen Erwachsene richtet, weist der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts und nicht an die Jugendkammer zurück (BGHSt 35, 267).
Unterschriften
Laufhütte, Harms, Basdorf, Nack, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 540997 |
NStZ-RR 1999, 295 |