Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 12. Zivilsenat - vom 5. Oktober 2021 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg - 2. Zivilkammer - vom 2. März 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Der Streitwert wird auf 9.903,90 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer vom Kläger bei der Beklagten mit Versicherungsbeginn zum Frühjahr 2015 gehaltenen Betriebsschließungsversicherung ("G -Police") wegen einer im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie erfolgten Schließung der vom Kläger betriebenen Gaststätte.
Rz. 2
Dem Versicherungsvertrag liegen die "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionskrankheiten aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) / G -Police - Fassung 2009 -" (im Folgenden: ZB-BSV) zugrunde. Die ZB-BSV lauten auszugsweise:
"§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
1. Versicherungsumfang
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
…
2. Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger
Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger:
a) Krankheiten
…
b) Krankheitserreger
…"
Rz. 3
In § 1 Nr. 2 Buchst. a und b ZB-BSV werden weder die Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) noch das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus (SARS-CoV) oder das Severe-Acute-Respiratory-Syndrome-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) aufgeführt.
Rz. 4
In einer "Beratungsmappe" zu der "G -Police", die als Datum "6/2015" ausweist, heißt es unter der Überschrift "Das Infektionsschutzgesetz" unter anderem:
"Über 40 meldepflichtige Krankheiten bzw. Krankheitserreger nennt das Gesetz, dessen erklärtes Ziel es ist, Infektionskrankheiten frühzeitig zu erkennen und damit schnell und zielgenau bekämpfen zu können. Gegenstand der Betriebsschließungsversicherung sind alle in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten bzw. Krankheitserreger:
…"
Rz. 5
Die Landesregierung von Baden-Württemberg verfügte mit Wirkung zum 21. März 2020 durch Änderung der Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (CoronaVO - Corona-Verordnung) unter anderem die Schließung von Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen. Die Schließung wurde nach der entsprechenden Verordnung (vorläufig) bis zum 19. April 2020 befristet und danach schrittweise bis zum 20. Mai 2020 verlängert. In der Folge musste auch die Gaststätte des Klägers schließen, wobei Leistungen im Rahmen eines Außerhausverkaufs sowie ein Abhol- und Lieferservice weiterhin möglich blieben.
Rz. 6
Mit der Klage begehrt der Kläger Zahlung der Versicherungssumme für 30 Kalendertage Betriebsschließung in Höhe von insgesamt 9.903,90 € nebst Zinsen sowie Zahlung vorprozessualer Anwaltskosten in Höhe von 1.191,80 € nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von 9.903,90 € nebst Zinsen sowie Zahlung vorprozessualer Anwaltskosten in Höhe von 745,40 € verurteilt; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision hat Erfolg.
Rz. 8
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung in r+s 2021, 625 veröffentlicht ist, hat der Kläger Anspruch auf Leistungen aus dem streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherungsvertrag. Die Auflistung von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern in § 1 Nr. 2 ZB-BSV sei als abschließender Katalog auszulegen. Diese Auslegung führe gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Unwirksamkeit der Klausel in § 1 Nr. 2 ZB-BSV mit der Folge der Einbeziehung einer Betriebsschließung wegen COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 in den Versicherungsschutz. Bei dem in § 1 Nr. 2 ZB-BSV aufgeführten Katalog von Krankheiten und Krankheitserregern handele es sich nicht um ein der gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogenes primäres Leistungsversprechen. Vielmehr enthalte bereits § 1 Nr. 1 ZB-BSV die allgemeine Beschreibung der versicherten Gefahr und des versicherten Objekts. Wolle ein Versicherer sein zunächst hinreichend klar umschriebenes Leistungsversprechen durch nachfolgende Versicherungsklauseln wieder einschränken, dann müsse dem Versicherungsnehmer aufgrund des Transparenzgebots deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel noch bestehe. Dies sei bei den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen nicht der Fall. Schon die Überschrift der ZB-BSV verspreche dem Versicherungsnehmer eine Versicherung gegen Schäden "infolge Infektionskrankheiten aufgrund behördlicher Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung)". Diese Aussage werde mit der Regelung in § 1 Nr. 1 ZB-BSV zu Beginn der Versicherungsbedingungen bestätigt. Dem Versicherungsnehmer werde damit zunächst der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer folge aus der Formulierung des § 1 Nr. 2 ZB-BSV, dass darin der Inhalt der §§ 6 und 7 IfSG wiedergegeben werde und die in diesen Vorschriften "namentlich genannten" Krankheiten und Krankheitserreger aufgelistet würden, um im Sinne einer klaren und deutlichen Umschreibung die ergänzende Lektüre des Gesetzes überflüssig zu machen.
Rz. 9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 10
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die streitgegenständliche Regelung in § 1 Nr. 1 in Verbindung mit Nr. 2 ZB-BSV nicht als dynamische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz verstanden werden könne, sondern die Auflistung der meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 ZB-BSV einen abschließenden Katalog darstelle. Wie der Senat in seinem nach Erlass der Berufungsentscheidung ergangenen Urteil vom 26. Januar 2022 (IV ZR 144/21, BGHZ 232, 344-364) entschieden und im Einzelnen begründet hat, besteht bei einer Bedingungslage - wie der dort maßgeblichen - Versicherungsschutz nur für Betriebsschließungen, die zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern angeordnet werden. Die meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger ergeben sich aus dem in dem Klauselwerk aufgeführten Katalog (dort in § 2 Nr. 2 der "Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) - 2008" (ZBSV 08)), der abschließend ist und weder die Krankheit COVID-19 noch den Krankheitserreger SARS-CoV-2 aufführt. Die dortigen Ausführungen gelten im Streitfall entsprechend, dem im Wesentlichen identische Bedingungen zugrunde liegen (vgl. Senatsurteil aaO Rn. 13-22).
Rz. 11
2. Zutreffend war das Berufungsgericht auch der Ansicht, dass § 1 Nr. 2 ZB-BSV einer Inhaltskontrolle nicht entzogen sei. Der Senat hat mit Urteil vom 26. Januar 2022 (aaO Rn. 26 f. unter Hinweis auf weitere inhaltsgleiche Klauselfassungen einschließlich der hier streitgegenständlichen Klausel) ebenfalls entschieden, dass § 2 Nr. 2 ZBSV 08 nicht zu dem engen Bereich gehört, der durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB einer gerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Auch diese Ausführungen gelten vorliegend entsprechend.
Rz. 12
3. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, der Kläger habe Anspruch auf die Versicherungsleistungen, weil die Klausel in § 1 Nr. 2 ZB-BSV intransparent und mithin nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam sei. Wie der Senat in seinem Urteil vom 26. Januar 2022 (aaO Rn. 28-37) entschieden und im Einzelnen begründet hat, verstößt die inhaltsgleiche Klausel in § 2 Nr. 2 ZBSV 08 nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Rz. 13
a) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer entnimmt auch im Streitfall dem klaren Wortlaut der Bedingungen, dass in § 1 Nr. 2 ZB-BSV die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger abschließend definiert werden (im Einzelnen dazu Senatsurteil aaO Rn. 31 m.w.N.).
Rz. 14
b) Zudem ist für den Versicherungsnehmer hinreichend erkennbar, dass der Katalog in § 1 Nr. 2 ZB-BSV nicht sämtliche nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger erfasst und daher Lücken im Versicherungsschutz bestehen (vgl. Senatsurteil aaO Rn. 32 ff.). Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts durch die Bedingungen nicht der Eindruck vermittelt, dass jede Betriebsschließung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vom Versicherungsschutz erfasst sei. Vielmehr ist für ihn erkennbar, dass mit der abschließenden Aufzählung von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern hier in § 1 Nr. 2 ZB-BSV eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die dort genannten Krankheiten und Krankheitserreger verbunden ist und demnach nicht sämtliche nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind (im Einzelnen dazu Senatsurteil aaO Rn. 33).
Rz. 15
Etwas anderes ergibt sich entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts auch nicht aus der Bezugnahme des § 1 Nr. 2 ZB-BSV auf die "im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten" Krankheiten und Krankheitserreger. Aus dieser Formulierung folgt für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nur, dass die nachfolgend in der Klausel genannten Krankheiten und Krankheitserreger zugleich im Infektionsschutzgesetz aufgeführt werden (Senatsurteil aaO Rn. 34 m.w.N.). Die Klausel ist deshalb entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht intransparent, weil dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer möglicherweise nicht klar ist, dass das Infektionsschutzgesetz in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 Satz 1 IfSG Auffangtatbestände vorsieht, nach denen auch in §§ 6 und 7 IfSG nicht namentlich genannte Krankheiten und Krankheitserreger meldepflichtig sein können (im Einzelnen Senatsurteil aaO Rn. 34 m.w.N.).
Rz. 16
c) Offenbleiben kann auch hier, ob die im Streitfall in § 1 Nr. 2 ZB-BSV genannten Krankheiten und Krankheitserreger identisch mit den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Krankheitserregern sind. Auch bei fehlender Deckungsgleichheit ergibt sich hieraus entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts keine Intransparenz. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird durch § 1 Nr. 2 ZB-BSV nicht suggeriert, die dort in den Katalogen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger seien mit denjenigen identisch, die dem Stand der §§ 6, 7 IfSG im Zeitpunkt des Vertragsschlusses entsprachen (vgl. Senatsurteil aaO Rn. 35).
Rz. 17
d) Schließlich kann ebenfalls offenbleiben, ob dem Kläger die "Beratungsmappe" bei dem Vertragsgespräch im Frühjahr 2015 vorgelegen hat. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, kann er seinen Anspruch auf Versicherungsschutz für die Betriebsschließung darauf nicht mit Erfolg stützen, denn es fehlt ein konkreter Vortrag des Klägers dazu, dass die "Beratungsmappe", die als Datum "6/2015" ausweist, bereits Bestandteil des im Frühjahr 2015 geschlossenen Vertrags geworden war.
Prof. Dr. Karczewski |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Piontek |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15585905 |