Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht
Leitsatz (amtlich)
Die dienstliche Äußerung eines Richters im Ablehnungsverfahren gehört zum engeren Bereich richterlicher Tätigkeit (im Anschluß an BGH DRiZ 1974, 130).
Normenkette
DRiG § 26
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 02.11.1979) |
LG Düsseldorf (Urteil vom 26.06.1979) |
Tenor
I. Auf die Rechtsmittel des Antragstellers werden das Urteil des Dienstgerichtshofs für Richter bei dem Oberlandesgericht Hamm – 1. Senat – vom 2. November 1979 und das Urteil des Dienstgerichts für Richter bei dem Landgericht Düsseldorf vom 26. Juni 1979 aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, daß Vorhalt und Ermahnung, die dem Antragsteller im Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Siegen vom 19. April 1978 (3133 Att. – 1.26) und im Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Juni 1978 (I b E 9 Sdh. V) erteilt wurden, unzulässig sind.
III. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
I. Der Antragsteller ist Richter am Amtsgericht Attendorn. In den Zivilrechtsstreiten C 111/77 (Winfried W. ./. Eheleute H.) und C 162/77 (H. ./. Winfried W.) trat im mündlichen Verhandlungstermin für Winfried W. dessen Vater Herbert W. als Prozeßbevollmächtigter auf. Herbert W. lehnte in dieser Verhandlung den in beiden Verfahren als Zivilrichter tätigen Antragsteller wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Antragsteller gab nach Aufforderung durch die zuständige Zivilkammer des Landgerichts Siegen gemäß § 44 Abs. 3 ZPO folgende dienstliche Äußerung ab:
„Ich halte mich nicht für befangen, sondern den Klägervertreter für einen prozeßunfähigen Psychopathen, mit dem nicht vernünftig zu verhandeln ist.
Ich bin der Ansicht, daß der Klägervertreter prozeßunfähig ist und daher gar keinen wirksamen Antrag stellen kann. Zur Kenntnisnahme habe ich auch noch die Akten M 366/77 beigefügt. Auf die unterstrichenen Stellen Blatt 1,2 weise ich besonders hin.”
Auf die von Herbert W. u.a. auch wegen dieser dienstlichen Erklärung gegen den Antragsteller erhobenen Dienstaufsichtsbeschwerde beanstandete der Präsident des Landgerichts Siegen die Formulierung „prozeßunfähiger Psychopath”. Er führte in seinem Bescheid vom 19. April 1978 (3133 Att. – 1.26) aus, die gebrauchte Formulierung lasse die für einen Richter gebotene Zurückhaltung vermissen; wenn der Antragsteller der Meinung gewesen sei, daß mit Herbert W. nicht habe verhandelt werden können, hätte er von der Möglichkeit des § 157 Abs. 2 ZPO Gebrauch machen können. Gleichzeitig ermahnte der Landgerichtspräsident den Antragsteller, „sich bei der Formulierung dienstlicher Äußerungen künftig die einem Richter angemessene Zurückhaltung aufzuerlegen”.
Den Widerspruch des Antragstellers vom 21. April 1978, in dem dieser geltend machte, es müsse ihm möglich sein, jemanden, den er für prozeßunfähig halte, gegenüber der Beschwerdeinstanz entsprechend zu kennzeichnen und den Grund hierfür zu benennen, wies der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm mit Bescheid vom 19. Juni 1978 (I b E 9 Sdh. V) zurück. Er führte zur Begründung aus, gemäß § 26 Abs. 2 DRiG umfasse die Dienstaufsicht auch die Befugnis, dem Richter die ordnungswidrige Art der Ausführung eines Amtsgeschäftes vorzuhalten. Durch die Bezeichnung des Bevollmächtigten einer Prozeßpartei als „prozeßunfähigen Psychopathen” in einer dienstlichen Erklärung habe er ein Amtsgeschäft in ordnungswidriger Art geführt. Die dienstliche Äußerung, zu deren Abgabe der Antragsteller gemäß § 44 Abs. 3 ZPO verpflichtet gewesen sei, habe sich auf Tatsachen erstrecken müssen, die zur Begründung des Ablehnungsgesuchs behauptet worden sind und die er als amtierender Richter wahrgenommen habe. Der Ausdruck „prozeßunfähiger Psychopath” gehe über die Grenzen des Zulässigen weit hinaus, er enthalte in bezug auf den Prozeßbevollmächtigten der Partei „eine formale Beleidigung im Sinne des § 185 StGB, die, von einem Richter im Rahmen einer dienstlichen Äußerung ausgesprochen, die Autorität und das Ansehen des richterlichen Amtes in schwerwiegender Weise” beeinträchtige.
Dadurch, daß der Landgerichtspräsident dem Antragsteller dieses Verhalten als pflichtwidrig vorgehalten habe, sei seine richterliche Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt worden.
II. Der Antragsteller hat das Dienstgericht angerufen und geltend gemacht, die Maßnahmen des Präsidenten des Landgerichts Siegen vom 19. April 1978 und des Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Juni 1978 fänden in § 26 Abs. 2 DRiG keine Stütze und beeinträchtigten ihn in seiner richterlichen Unabhängigkeit. Er hat beantragt, die Unzulässigkeit der Maßnahmen festzustellen.
Das Dienstgericht hat den Antrag als unbegründet zurückgewiesen.
In der Berufungsinstanz hat der Antragsteller zusätzlich vorgetragen, das Dienstgericht habe den Begriff des Psychopathen verkannt; bei ihm handle es sich jedenfalls „nicht um ein bloßes Schimpfwort”. Das Dienstgericht hätte deshalb das gesamte Verhalten des Herbert W. würdigen müssen; dies sei jedoch nicht geschehen. Herbert W. habe zwischenzeitlich auch andere Richter des Amtsgerichts Attendorn verbrecherischer und krimineller Handlungsweisen bezichtigt.
Der Dienstgerichtshof hat die Berufung des Antragstellers zurückgewiesen. Mit der – zugelassenen – Revision verfolgt er seinen bisher gestellten Antrag weiter. Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I. Gegen die Auffassung des Dienstgerichtshofs, der Antragsteller sei durch die Maßnahmen der Dienstaufsicht nicht in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt worden, bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
1. Der Dienstgerichtshof führt aus, daß die Abgabe einer dienstlichen Äußerung gemäß § 44 Abs. 3 ZPO nicht zum engeren Inhalt der dem Richter übertragenen Entscheidungsbefugnis gehöre; er hat sie infolgedessen den Tätigkeiten des „äußeren Ordnungsbereichs” zugeordnet mit der Folge der unbeschränkten Überprüfbarkeit durch die Dienstaufsicht. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Die im Verfahren nach §§ 42 ff ZPO abgegebene dienstliche Äußerung ist für die Frage nach dem gesetzlichen Richter von nicht unerheblicher Bedeutung. Sie ist Grundlage für die Entscheidung des Gerichts, das über den Befangenheitsantrag zu befinden hat. Die Frage, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung eines Richters zu zweifeln (BVerfGE 32, 288, 290), kann häufig erst dann zuverlässig beurteilt werden, wenn das Vorverhalten des Ablehnenden und seine dem Richter entgegengebrachte Einstellung bekannt sind. Es ist nicht möglich, diese meist aus dem Inbegriff des bisherigen Prozeßablaufs und -verhaltens beruhende dienstliche Äußerung des Richters einer gesonderten, von der übrigen – der Dienstaufsicht nicht zugänglichen – Ausübung richterlicher Tätigkeit losgelösten Beurteilung zu unterziehen. Die dienstliche Stellungnahme eines Richters zu einem Ablehnungsgesuch ist deshalb zum engeren Bereich der richterlichen Tätigkeit zu rechnen und mithin insgesamt Maßnahmen der Dienstaufsicht entzogen (BGH DRiZ 1974, 130).
2. Die Dienstvorgesetzten des Antragstellers haben angenommen, daß mit dem in den Bescheiden vom 19. April 1978 und 19. Juni 1978 gemachten Vorhalt und der Ermahnung nur die Art der Ausführung richterlicher Tätigkeit des Antragstellers angesprochen worden sei und die Maßnahme infolgedessen über den äußeren Ordnungsbereich nicht hinausgreife. Dienstgericht und Dienstgerichtshof teilen diese Meinung. Sie sind der Auffassung, daß der Antragsteller in seiner dienstlichen Äußerung jedenfalls die gebotene Sachlichkeit außer acht gelassen habe.
Wie der Senat in der Entscheidung BGHZ 70, 1, 5 ausgeführt hat, ist es zwar nicht unmöglich, auch bei Äußerungen, die an sich zum engeren Bereich richterlicher Tätigkeit gehören, in der Art und Weise des Ausdrucks ein Formelement zu sehen, das sich vom Inhalt abheben läßt und deshalb dem äußeren Ordnungsbereich zuzuweisen ist, mit der Folge, daß die Äußerungen der Dienstaufsicht unterfallen. Jeder Versuch einer Differenzierung findet aber dort seine Grenze, wo die Ausdrucksweise den sachlichen Inhalt der Entscheidung mit bestimmt.
Bei Beachtung dieser Grundsätze kann die vom Antragsteller in seiner dienstlichen Erklärung in Bezug auf den Prozeßbevollmächtigten Herbert W. gebrauchte Bezeichnung „prozeßunfähiger Psychopath” nicht beanstandet werden. Der Prozeßbevollmächtigte Herbert W. hatte sein Ablehnungsgesuch zunächst darauf gestützt, daß der Antragsteller ihn bewegen wollte, sachdienliche Anträge zu stellen bzw. die Stellung nicht sachdienlicher Anträge, zu unterlassen. Wenn er derartige Hinweise des Richters, zu deren Erteilung dieser nach der Zivilprozeßordnung verpflichtet war, zum Anlaß nahm, einen Ablehnungsantrag zu stellen, so war der Richter befugt, auf seine ernsthaften Bedenken hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit des Ablehnenden hinzuweisen. Es kann dabei nicht beanstandet werden, daß er diesen Hinweis in die Worte kleidete, seiner Meinung nach handele es sich bei Herbert W. um einen „prozeßunfähigen Psychopathen”. Zutreffend weist der Antragsteller darauf hin, daß es sich bei dieser Bezeichnung nicht um ein „bloßes Schimpfwort” handelt. Sie diente vielmehr der Charakterisierung des auffälligen Verhaltens einer Person. Eine derartige Beurteilung und Bewertung hätte der Antragsteller auch vornehmen müssen, wenn er – der Empfehlung der Dienstaufsicht folgend – eine Anordnung nach § 157 Abs. 2 ZPO getroffen hätte. Die Stellungnahme hätte zwar in einer vorsichtigeren Wortwahl Ausdruck finden können, ist aber nach Auffassung des Senats im Gegensatz zur Ansicht des Dienstgerichtshofs noch vertretbar (tatsachenadäquate Wertung prozessualen Verhaltens, vgl. BGHZ 70, 1) und deshalb einer Beanstandung durch die Dienstaufsicht entzogen. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn der Antragsteller den Ausdruck „prozeßunfähiger Psychopath” ohne einen sachlichen Anlaß in der Absicht gebraucht hätte, Herbert W. zu beleidigen, braucht nicht entschieden zu werden. Ein derartiger Fall liegt nicht vor, wie sich aus dem Bescheid des Präsidenten des Landgerichts vom 19. April 1978 an Herbert W. sowie aus den vom Antragsteller in Bezug genommenen Akten M 366/77 AG Attendorn ergibt.
3. Vorhalt und Ermahnung, die dem Antragsteller in den Schreiben vom 19. April 1978 und 19. Juni 1978 gemacht worden sind, erweisen sich aus den dargelegten Gründen als unzulässig. Das ist vom Senat festzustellen (§ 67 Abs. 4 DRiG). Die in diesem Verfahren ergangenen Urteile des Dienstgerichts und des Dienstgerichtshofs sind aufzuheben.
II. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1, §§ 83, 66 Abs. 1 DRiG.
Der Streitwert wird auf 4.000,– DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 GKG).
Unterschriften
Salger, Dr. Bauer, Dr. Thumm, Schauenburg, Ruß
Fundstellen
Haufe-Index 1502503 |
BGHZ |
BGHZ, 70 |
NJW 1980, 2530 |
Nachschlagewerk BGH |