Leitsatz (amtlich)
Das Berufungsgericht ist nicht in jedem Fall verpflichtet, eine drohende Verzögerung des Rechtsstreits infolge verspäteten Vorbringens durch vorbereitende Zeugenladung auszugleichen. Die vorbereitende Ladung von acht Zeugen zu einem umfangreichen Prozeßstoff darf als unzumutbar angesehen werden.
Normenkette
ZPO § 528 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Celle (Aktenzeichen 7 U 106/95) |
LG Göttingen (Aktenzeichen 7 O 63/94) |
Tenor
Die Revision gegen das am 4. Juli 1996 verkündete Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten noch um Gegenforderungen, die die Beklagte im Wege der Aufrechnung und widerklagend einem Zahlungsanspruch des Klägers entgegensetzt. Die Gegenforderungen stützen sich auf behauptete Montageleistungen der Beklagten als Subunternehmerin des Klägers bei der Einrichtung von Fernsprechortsnetzen in K. und O.; die Beklagte hat mit Ansprüchen hieraus gegen die Klageforderung aufgerechnet und widerklagend zuletzt noch 58.729,93 DM nebst Zinsen verlangt. Das Berufungsgericht hat die Aufrechnung zu einem geringen Teil (4.997,36 DM) durchgreifen lassen, die Beklagte in Höhe eines Betrags von 34.890,20 DM Zug um Zug gegen Übertragung des Eigentums an einem Fahrzeug zur Zahlung verurteilt und die Widerklage hinsichtlich eines Betrags von 3.992,81 DM nebst Zinsen als unzulässig und im übrigen als unbegründet abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der diese ihren Klageabweisungsantrag und ihre Widerklageforderung weiterverfolgt. Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger an die Beklagte die Montage der Endstellen von den Hausanschlußkästen bis zum Teilnehmeranschluß nach Maßgabe zweier schriftlicher Werkverträge vom 18. Mai 1992 vergeben habe. Aus den Montagerechnungen der Beklagten Nr. 60/94 und Nr. 61/94 vom 15. August 1994, die das Setzen von Hausanschlußkästen in den Ortsnetzen O. und K. betreffen, und die der Aufrechnungsforderung wie der Widerklage zugrunde liegen, hat es lediglich einen Teilbetrag von 4.997,36 DM berücksichtigt. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die Beklagte nur das Zustandekommen einer Vertragsabrede über die Montagen der Kabelverzweiger in den Bereichen A 2, 5, 7 und 37 sowie einem weiteren, namentlich nicht bekannten Verzweiger in K. bewiesen habe; die Abrede habe sich nicht auf die ausgeführte (anderweitig abgerechnete) Montage in den Bereichen A 19, 20, 22, 23 und 24 in K. bezogen. Einen darüber hinausgehenden Auftrag hätten die in erster Instanz gehörten Zeugen nicht bestätigt. Weitere Beweisangebote der Beklagten hat das Berufungsgericht unberücksichtigt gelassen. Es hat weiter ausgeführt, die Beklagte könne ihr Zahlungsbegehren auch nicht auf bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen stützen, weil nicht davon ausgegangen werden könne, daß die Montageleistungen in den anderen Bereichen durch sie erbracht worden seien. Auch insoweit hat das Berufungsgericht Beweisangebote der Beklagten unberücksichtigt gelassen.
II. Die Revision rügt ohne Erfolg die Nichtberücksichtigung ihrer Beweisanträge in zweiter Instanz.
1. a) Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt, eine Ladung des zur Behauptung der Beklagten über einen weitergehenden Montageauftrag erstmals mit Schriftsatz vom 29. April 1996 benannten Zeugen D. M. zum Termin vom 2. Mai 1996 sei nicht veranlaßt gewesen. Der Schriftsatz sei erst am Nachmittag des 29. April 1996 bei der Geschäftsstelle eingegangen und dem Vorsitzenden vorgelegt worden. Dies sowie der Feiertag am 1. Mai hätten einer Ladung entgegengestanden, sie sei angesichts der kurzen Frist für den Zeugen auch unzumutbar gewesen. Überdies sei der Terminstag mit einer bereits anberaumten Beweisaufnahme ausgefüllt gewesen. Schließlich hätte die Vernehmung des Zeugen eine ergänzende Anhörung zumindest eines der bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen erforderlich gemacht, wenn die Behauptungen der Beklagten bestätigt worden wären. Die Beklagte habe nicht dargetan, warum sie sich erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung auf den Zeugen berufen habe; den Umständen nach sei anzunehmen, daß sie ihn schon im ersten Rechtszug hätte benennen können. Ihr Unterlassen stelle sich als grobe Nachlässigkeit dar und die Vernehmung des Zeugen würde zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen.
b) Das Berufungsgericht hat weiter die Zeugenbeweisangebote D., N., P., S., Dä., F., Sc. und Se. zurückgewiesen, weil diese Zeugen schon in erster Instanz hätten benannt werden können; die Beklagte habe keine Gründe dargetan, warum ihr Beweisantritt erst in zweiter Instanz erfolgt sei. Es sei anzunehmen, daß der späte Beweisantritt auf grober Nachlässigkeit beruhe. Die Vernehmung der acht Zeugen zu den vielen Fragen, in welchem Haus welche Anschlußkästen gesetzt worden seien, wäre nach Auffassung des Berufungsgerichts so umfangreich gewesen, daß sie im Anschluß an die mündliche Verhandlung an einem Terminstag nicht hätte durchgeführt werden können. Der Senat habe sich nicht imstande gesehen, die Verzögerung in zumutbarer Weise durch Ladung zum Termin vom 2. Mai 1995 aufzufangen. Im übrigen sei durch diese Zeugen nur für einen Bereich in K. substantiiert Beweis angetreten, nicht aber auch zu den übrigen 25 Bereichen in K. und 51 Bereichen in O..
c) Schließlich hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf seine vorstehend wiedergegebenen Ausführungen den im Schriftsatz vom 29. April 1996 gestellten Antrag zurückgewiesen, die drei Subunternehmer M., H. und R. als Zeugen zu angeblich von diesen erbrachten Montagen zu hören.
2. Die Revision sieht die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Beweisangebote als nicht gegeben an. Sie wendet sich zum einen gegen die Annahme, daß die späten Beweisantritte im Schriftsatz vom 29. April 1996 auf grober Nachlässigkeit beruhten, zum anderen gegen die Annahme, daß die Beweisantritte in der Berufungsbegründung zu einer Verzögerung des Verfahrens hätten führen müssen. Diesen Angriffen muß der Erfolg versagt bleiben.
a) Die Bestimmung des § 528 Abs. 2 ZPO sieht die Zurückweisung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt worden waren, unter den weiteren Voraussetzungen vor, daß ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und daß die Partei das Vorbringen im ersten Rechtszug aus grober Nachlässigkeit unterlassen hatte. Diese weiteren Voraussetzungen müssen zugleich vorliegen; es reicht demnach für eine Zurückweisung nicht aus, daß eine Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht, wenn die Zulassung des Angriffs- oder Verteidigungsmittels die Erledigung des Rechtsstreits gleichwohl nicht verzögert hätte (vgl. BVerfG NJW 1992, 2556, 2557; BGH, Urt. v. 22. September 1980 - II ZR 239/79, NJW 1981, 287; Urt. v. 1. Oktober 1986 - I ZR 125/84, NJW 1987, 502 f.; Urt. v. 8. März 1991 - V ZR 339/89, NJW-RR 1991, 767 f.).
b) Schon die in der Berufungsbegründungsschrift erfolgten Beweisantritte waren im Sinne der Regelung in § 282 Abs. 1 ZPO objektiv verspätet. Nach dieser Bestimmung hat die Partei in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozeßlage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung entspricht. Die in der Berufungsbegründungsschrift benannten Zeugen waren in erster Instanz nicht benannt worden, ohne daß die hierfür darlegungspflichtige Beklagte Hindernisse aufgezeigt hätte, die einer Benennung bereits dort hätten entgegenstehen können (vgl. - zur Regelung in §§ 296 Abs. 2, 528 Abs. 3 ZPO, auch zur Beurteilung aus der Sicht des Rechtsmittelgerichts -, BGH, Urt. v. 10. Oktober 1984 - VIII ZR 107/83, NJW 1986, 134 f.; Zöller/Gummer ZPO 21. Aufl. § 528 ZPO Rdn. 17, 28).
c) Hieraus durfte das Berufungsgericht jedenfalls unter dem Gesichtspunkt, daß sich nach Durchführung der Beweisaufnahme erster Instanz jedem Anwalt aufdrängen mußte, nunmehr weitere vorhandene Beweismittel zu benennen und anzubieten, ohne Rechtsverstoß folgern, daß das Verhalten der Beklagten auf grober Nachlässigkeit beruhte. Ein grob nachlässiger Verstoß gegen die Prozeßförderungspflicht durch die Beklagte wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Sachverhalt verhältnismäßig komplex war und unter Umständen die Auswertung sehr umfangreicher Unterlagen erfordern konnte; es hätte nämlich zunächst ausgereicht, die Zeugen pauschal zu der Tatsache der Durchführung der Montagen durch die Beklagte zu benennen. Die Beklagte konnte dagegen auch unter Berücksichtigung des Umfangs des Prozeßstoffs nicht, ohne sich dem Vorwurf grober Nachlässigkeit auszusetzen, den Versuch unternehmen, das Verfahren mit einem Minimum an Aufwand zu führen. Dies folgt insbesondere aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen in den §§ 272, 273, 275 - 277 ZPO (vgl. auch Zöller/Gummer ZPO 21. Aufl. § 528 ZPO Rdn. 26).
Das Berufungsgericht hat die Frage der Verspätung ausweislich des Sitzungsprotokolls am 2. Mai 1996 ausdrücklich zur Diskussion gestellt; ein Entschuldigungsgrund ist jedoch von der Beklagten insoweit ersichtlich nicht geltend gemacht worden.
d) Dem Berufungsgericht ist jedenfalls im Ergebnis auch darin beizutreten, daß die weitere Voraussetzung der Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits vorlag. Eine Verzögerung hätte allerdings möglicherweise vermieden werden können, wenn das Berufungsgericht nach Eingang der Berufungsbegründungsschrift prozeßleitende Maßnahmen im Sinne der §§ 523, 273 Abs. 2 ZPO zum Ausgleich der Verspätung ergriffen hätte (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 17. September 1987 - III ZR 218/86, BGHR ZPO § 528 Abs. 2 Verzögerung 3 m.w.N.; Urt. v. 28. November 1989 - VI ZR 63/89, NJW 1990, 1058 f. = BGHR ZPO § 528 Abs. 2 Verzögerung 5; Urt. v. 8. Januar 1991 - VI ZR 109/90, NJW-RR 1991, 728 ff. = BGHR ZPO § 528 Abs. 2 Verzögerung 7; Urt. v. 21. März 1991 - III ZR 118/89, NJW 1991, 2759 ff. = BGHR ZPO § 528 Abs. 2 Verzögerung 8). Das Berufungsgericht hat eine Ladung dieser Zeugen jedoch in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise als unzumutbar angesehen. Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, daß es zu unzumutbaren Maßnahmen nicht verpflichtet war (vgl. Zöller/Greger ZPO 21. Aufl. § 273 ZPO Rdn. 2). Zumutbar sind vorbereitende Maßnahmen ohne weiteres nur dann, wenn es sich um einfache und klar abgegrenzte Streitpunkte handelt, die sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung ohne unangemessenen zeitlichen Aufwand klären lassen (st. Rspr.; vgl. BGHZ 91, 293, 304; BGH, Urt. v. 9. November 1990 - V ZR 194/89, NJW 1991, 1181 ff = BGHR ZPO § 528 Abs. 2 Ermessensfehler 1). Zwar stellt die Vernehmung eines oder mehrerer greifbarer Zeugen für sich keinen unzumutbaren Zeitaufwand dar (BGH, Urt. v. 26. Juni 1975 - VII ZR 279/74, NJW 1975, 1744, 1746; Urt. v. 7. Oktober 1986 - VI ZR 262/85, NJW 1987, 260 - 261 = BGHR ZPO § 528 - Verzögerung 1: vier bzw. sechs statt eines Zeugen). Dies gilt aber nicht schrankenlos. Die Beklagte hatte hier in der Berufungsbegründung acht weitere Zeugen angeboten; es handelte sich schon hinsichtlich des einen Bereichs, zu dem auch Unterlagen vorgelegt worden waren (neun Ordner), um verhältnismäßig umfangreichen Prozeßstoff; dies galt umso mehr, wenn auch die weiteren Bereiche hätten aufgeklärt werden sollen. Zwar hatte das Berufungsgericht spätestens bei Vorliegen der Berufungserwiderung Anlaß zu prüfen, ob die in der Berufungsbegründungsschrift benannten Zeugen zum Verhandlungstermin zu laden waren. Es durfte hier jedoch auf den besonderen Umfang der zu erwartenden Beweisaufnahme wie auch auf den zeitlichen Abstand zum Verhandlungstermin abstellen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erweist sich auch seine Entscheidung, von der ihm in § 528 Abs. 2 ZPO eingeräumten Zurückweisungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, nicht als fehlerhaft.
3. Ohne weiteres unzumutbar war die Beweiserhebung, soweit die neuen Angriffsmittel erst im Schriftsatz vom 29. April 1996 geltend gemacht worden sind. Auch insoweit ist zunächst der Vorwurf der groben Nachlässigkeit nicht widerlegt. Im übrigen ergibt sich die Unzumutbarkeit hier schon aus der zeitlichen Abfolge, auf die das Berufungsgericht abgestellt hat (vgl. - zu §§ 296 Abs. 1, 528 Abs. 3 ZPO - BGH, Urt. v. 13. Februar 1980 - VIII ZR 61/79, NJW 1980, 1102, 1104; Zöller/Greger ZPO 21. Aufl. § 273 ZPO Rdn. 2).
III. Nach alledem muß der Revision der Erfolg versagt bleiben. Sie war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Unterschriften
Rogge, Maltzahn, Melullis, Scharen, Keukenschrijver
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.05.1999 durch Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539417 |
BB 1999, 1575 |
NJW 1999, 3272 |
BauR 1999, 1213 |
EBE/BGH 1999, 227 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1999, 765 |
JA 2000, 269 |
MDR 1999, 1400 |
VersR 2000, 1434 |
ZfBR 1999, 320 |
MittRKKöln 1999, 236 |