Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit der von dem Staatsanwalt und dem Ehegatten der früheren Ehe erhobenen Nichtigkeitsklagen wegen Doppelehe nach Scheidung der früheren Ehe.
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Entscheidung vom 18.06.1986) |
AG Pforzheim |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 2. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 18. April 1985 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten haben die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Klägerin und der Beklagte zu 1. (künftig: Beklagter) schlossen am 29. September 1939 in Kö. (Ostpreußen) die Ehe. Sie haben keine gemeinschaftlichen Kinder. Nach dem Krieg galt der Beklagte als verschollen. Die Klägerin erhielt Verschollenheitsbezüge nach ihm. Die Zahlung der Bezüge wurde eingestellt, als - in Jahre 1983 - bekannt wurde, daß der Beklagte noch am Leben ist.
Er hatte am 2. November 1946 in We. oder B. (heute DDR) die Beklagte zu 2. geheiratet, mit der er seither zusammenlebt. Aus der Ehe sind zwei inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen.
Die Klägerin verfolgt die Nichtigerklärung der zweiten Ehe des Beklagten. Der zuständige Staatsanwalt hat sich dem Begehren mit einer eigenen Nichtigkeitsklage angeschlossen. Nach Erhebung der Nichtigkeitsklagen beantragte der Beklagte bei dem für den Wohnsitz der Klägerin zuständigen Amtsgericht - Familiengericht - die Scheidung seiner ersten Ehe. Die Ehe wurde durch Urteil vom 18. September 1984 geschieden. Die Klägerin legte gegen das Urteil Berufung ein, nahm diese aber nach Versagung der beantragten Prozeßkostenhilfe wieder zurück.
Durch Urteil vom 11. Oktober 1984 wies das Amtsgericht - Familiengericht - P. die Klagen der Klägerin und der Staatsanwaltschaft K. ab, da nach der Scheidung der ersten Ehe des Beklagten kein Grund mehr für eine Nichtigerklärung der zweiten Ehe gegeben sei. Zwar bleibe diese Ehe auch nach der Auflösung der ersten Ehe weiterhin nichtig. Jedoch sei der Grund der Nichtigkeit - die Eingehung einer Doppelehe - mit der Scheidung der ersten Ehe entfallen. Unter diesen Umständen sei der Schutz der neuen Familie des Beklagten gegenüber einem etwa noch bestehenden öffentlichen Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit der ersten Ehe höherwertig.
Auf die Berufungen der Klägerin und des Staatsanwalts hob das Oberlandesgericht dieses Urteil auf und erklärte die am 2. November 1946 geschlossene (zweite) Ehe des Beklagten mit der Beklagten zu 2. für nichtig.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I.
1.
Die Beklagten greifen die Nichtigerklärung ihrer Ehe durch das Oberlandesgericht mit der Rüge an: das Gericht habe verkannt, daß bei einer Ehedauer von nahezu 40 Jahren sowie angesichts der Tatsache, daß aus der Ehe zwei Kinder hervorgegangen seien, weder ein überwiegendes öffentliches noch ein schützenswertes privates Interesse der Kläger an der Nichtigerklärung bestehe, zumal die Ehe der Klägerin mit dem Beklagten inzwischen rechtskräftig geschieden sei. Auch die bigamische Ehe stehe als gelebte Verwirklichung der ehelichen Gemeinschaft - bis zu einer Nichtigerklärung - unter dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG.
2.
Mit diesen Einwänden stellt die Revision ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin und des Staatsanwalts für die Durchführung der Nichtigkeitsklage in Frage. Hiermit hat sie jedoch keinen Erfolg.
Die auf den Erlaß eines Gestaltungsurteils gerichtete Nichtigkeitsklage (Stein/Jonas/Schlosser ZPO 20. Aufl. vor § 606 Rdn. 7; Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts 3. Aufl. § 12 II 1 und Fn. 1 S. 121) ist - anders als eine Festellungsklage nach § 256 ZPO - nicht an ein im Einzelfall darzulegendes, besonderes Rechtsschutzinteresse als Zulässigkeitsvoraussetzung geknüpft. Die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage folgt vielmehr im allgemeinen bereits daraus, daß eine bigamische Ehe - angesichts des verfassungsrechtlich geschützten Prinzips der Einehe (vgl. BVerfGE 62, 323, 330) - gegen die anerkannte sittliche Ordnung der abendländischen Kultur verstößt (BGHZ 37, 51, 55; BGH Urteil vom 22. April 1964 - IV ZR 189/63 = FamRZ 1964, 418, 419 = NJW 1964, 1853), daß sich gleichwohl nach § 23 EheG niemand auf die Nichtigkeit der bigamischen Ehe berufen kann, solange diese nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist, und daß zur Herbeiführung eines solchen Urteils nur einem bestimmten Personenkreis, nämlich dem Staatsanwalt und den Ehegatten der nichtigen und der früheren Ehe, ein Klägerecht eingeräumt ist (§ 24 EheG). Dieser Personenkreis ist danach kraft Gesetzes legitimiert, durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß der gegen die sittliche Ordnung verstoßende Zustand der Doppelehe beseitigt werden kann. Dieser Zweck begründet in aller Regel die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage und läßt sie als "sittlich gerechtfertigt" erscheinen (vgl. BGH Urteile vom 21. März 1962 a.a.O. S. 301; vom 26. Februar 1975 - IV ZR 33/74 = NJW 1975, 872, 873).
a)
Das gilt unter den gegebenen Verhältnissen auch im vorliegenden Fall - zunächst - für die Nichtigkeitsklage des Staatsanwalts.
Soweit die Revision dem entgegenhält, nachdem die erste Ehe des Beklagten geschieden worden sei, bestehe kein überwiegendes öffentliches Interesse (mehr) an einer Nichtigerklärung der zweiten - bigamischen - Ehe, auch diese genieße den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG, kann ihr nicht gefolgt werden.
Wie der Bundesgerichtshof mehrfach, insbesondere gegen Stimmen der Literatur (vgl. Beitzke MDR 1952, 338 ff; Boehmer NJW 1959, 2185, 2189), entschieden hat, verfolgt die Nichtigkeitsklage nicht ausschließlich den Zweck, den Zustand des Nebeneinanderbestehens von zwei Ehen zu beseitigen und die Doppelehe zu vernichten, damit die erste Ehe wiederhergestellt werden kann (BGHZ 30, 140 ff; 37, 51 ff; Urteile vom 22. April 1964 a.a.O. S. 420; vom 26. Februar 1975 a.a.O. S. 873). Sie ist vielmehr in erster Linie dazu bestimmt, zur Wahrung eines allgemeinen öffentlichen Interesses den Grundsatz der Einehe möglichst uneingeschränkt durchzusetzen. In diesem Sinn stellt bereits die Tatsache des Bestehens einer Doppelehe - unabhängig von der späteren tatsächlichen Gestaltung der Verhältnisse, die hier nach Erhebung der Nichtigkeitsklagen zur Scheidung der ersten Ehe führten - in der Regel einen ausreichenden Grund für die Klage dar (BGHZ 30, 140, 143; 37, 51, 56; Urteil vom 26. Februar 1975 a.a.O. S. 873; a.A. Stein/Jonas/Schlosser a.a.O. § 632 Rdn. 2).
Allerdings hat der Staatsanwalt, der im Einzelfall - nach pflichtgemäßen Ermessen (Stein/Jonas/Schlosser a.a.O. § 632 Rdn. 4) - zu entscheiden hat, ob er von der ihm eingeräumten Klagebefugnis Gebrauch machen will, bei seiner Entscheidung grundsätzlich den Schutzgedanken des Art. 6 Abs. 1 GG zu beachten (vgl. Ruthe FamRZ 1975, 335). Auch in dieser Hinsicht unterliegt indessen die Klage des Staatsanwalts - entgegen der Auffassung der Revision - keinen Bedenken. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit eine bigamische Ehe vor ihrer Nichtigerklärung den Schutz vor Eingriffen des Staates nach Art. 6 Abs. 1 GG genießt und als Institut "Ehe" verfassungsrechtlich gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 62, 323, 329 m.N.). Im Widerstreit zu der ersten - gültig geschlossenen - Ehe kann die bigamische Ehe jedenfalls keinen Rechtsschutz aus Art. 6 Abs. 1 GG beanspruchen. Denn Art. 6 Abs. 1 knüpft die verfassungsrechtliche Gewährleistung und Institutsgarantie der Ehe an die überkommene Lebensform der Einehe, d.h. in Fällen der vorliegenden Art an die Erstehe, die als solche (wirksam) zustande gekommen ist (vgl. BVerfGE 62, 323, 330; a.A.: LG Frankfurt NJW 1976, 1096 dagegen: MünchKomm/Müller-Gindullis § 24 EheG Rdn. 13 Fn. 12).
Da der Staatsanwalt schließlich ausdrücklich den Zweck verfolgt, auch die durch die Doppelehe geschaffenen Vermögens-, renten- und versorgungsrechtlichen Rechtsverhältnisse der Beteiligten einer verbindlichen Klärung zuzuführen, ist die von ihm erhobene Nichtigkeitsklage auch unter diesem Gesichtspunkt gerechtfertigt. Es liegt nämlich, wie der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 26. Februar 1975 (a.a.O. S. 873) ebenfalls für eine von der Staatsanwaltschaft erhobene Nichtigkeitsklage entschieden hat, durchaus (auch) im öffentlichen Interesse, nicht diejenigen vermögensrechtlichen Beziehungen bestehen zu lassen, die durch gesetzwidriges Handeln (Eingehung einer Doppelehe) entstanden sind, sondern diejenigen herbeizuführen, die in diesem Fall dem Gesetz entsprechen; auch soweit es sich um Leistungen im Rahmen der Sozialversicherung handelt, besteht nach dieser Entscheidung ein öffentliches Interesse daran, die Rechtsverhältnisse im Sinne der grundgesetzlichen Ordnung zu klären.
Hieran ist auch nach dem Inkrafttreten des 1. EheRG festzuhalten, selbst wenn in Einzelbereichen, etwa dem des Versorgungsausgleichs, die rechtlichen Interessen der Ehegatten aus beiden Ehen, schon weil (auch) die zweite Ehe tatsächlich gelebt wurde, grundsätzlich in gleicher Weise berücksichtigt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Dezember 1981 - IVb ZB 569/80 = FamRZ 1982, 475, 476; vom 23. November 1983 - IVb ZB 764/81; auch BVerfGE 62, 323, 332).
b)
Der Nichtigkeitsklage der Klägerin ist die Zulässigkeit schon deshalb nicht abzusprechen, weil dem Ehegatten der früheren Ehe nach § 24 EheG ein Klägerecht ohne Rücksicht darauf eingeräumt ist, ob seine (erste) Ehe noch besteht (vgl. dazu § 24 Abs. 1 Satz 2 EheG für den Fall der Auflösung der Doppelehe). Darüber hinaus hat der Ehegatte der früheren - wirksam zustande gekommenen - Ehe grundsätzlich ein schützens- und anerkennenswertes Interesse an der verbindlichen, für und gegen alle wirkenden (§ 636 a ZPO) Feststellung, daß die während des Bestehens seiner Ehe geschlossene zweite Ehe seines Ehegatten nichtig ist und seine eigene damit die allein gültige Ehe war. Das gilt auch für die hier von der Klägerin erhobene Nichtigkeitsklage. Es liegen keine Umstände vor, aufgrund deren dieser Klage ausnahmsweise das Rechtsschutzinteresse fehlen würde.
II.
1.
Die Revision hält die beiden Nichtigkeitsklagen jedenfalls deshalb für unzulässig, weil sie rechtsmißbräuchlich erhoben worden seien.
2.
Auch diese Rüge ist nicht begründet.
Zwar kann eine Ehenichtigkeitsklage unter besonderen Umständen ausnahmsweise wegen mißbräuchlicher Rechtsausübung unzulässig sein (BGHZ 30, 140 ff; 37, 51 ff; Urteile vom 22. April 1964 aaO; und vom 26. Februar 1975 aaO; Hoffmann/Stephan EheG 2. Aufl. § 24 Rdn. 15; MünchKomm/Müller-Gindullis § 24 EheG Rdn. 10; Soergel/Häberle BGB 11. Aufl. § 24 EheG Rdn. 8; teilweise a.A.: Gernhuber a.a.O. § 13 III 2 S. 125, 126; Stein/Jonas/Schlosser a.a.O. § 632 Rdn. 6).
a)
Dies hat der Bundesgerichtshof bei der Nichtigkeitsklage des Ehegatten, der die Doppelehe geschlossen hatte, dann angenommen, wenn die Klage aus verwerflicher Gesinnung erhoben wurde (BGHZ 30, 140, 144; BGH Urteil vom 22. April 1964 a.a.O. S. 419, 420; vgl. auch BGHZ 37, 51 m. Anm. LM § 24 EheG Nr. 5), oder auch in einem Fall, in dem der Kläger es in der Hand hatte, den Nichtigkeitsgrund zu beseitigen (Urteil vom 28. Juni 1961 - IV ZR 297/60 = LM § 606 a ZPO Nr. 1).
Darum geht es hier jedoch nicht, da nicht der Beklagte, sondern die Klägerin, d.h. der Ehegatte der früheren Ehe, die Klage erhoben hat.
Ob und unter welchen Umständen sich die Nichtigkeitsklage des Ehegatten der früheren Ehe als Rechtsmißbrauch darstellen kann, hat der Bundesgerichtshof, soweit ersichtlich, bisher nicht entschieden. Auch hier kommt es wie in den oben unter a) genannten Fällen letztlich darauf an, ob der klagende Ehegatte der früheren Ehe aus verwerflicher Gesinnung handelt. Für eine solche Annahme bietet der vorliegende Fall indessen keine Anhaltspunkte. Schon die Tatsache, daß versorgungsrechtliche Interessen der Klägerin berührt sein können, nachdem sie jahrelang Verschollenheitsbezüge nach dem Kläger erhalten hatte, schließt die Annahme einer verwerflichen Gesinnung als Motiv ihrer Klage aus.
b)
Für die Nichtigkeitsklage des Staatsanwalts hat der Bundesgerichtshof ebenfalls erwogen, daß diese im Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung sein kann (Urteil vom 26. Februar 1975 aaO). Voraussetzung dafür sei aber, daß bei sittlich verantwortlicher Würdigung der durch die Doppelehe geschaffenen Umstände vom Standpunkt eines billig und gerecht denkenden Betrachters dem öffentlichen Interesse an der Nichtigerklärung der Doppelehe ein wesentliches Gewicht nicht mehr beigemessen werden könne.
Davon kann hier schon deshalb nicht ausgegangen zu werden, weil die Klägerin - wie dargelegt - ein anerkennenswertes Interesse an der Nichtigerklärung der Doppelehe hat. Darüber hinaus steht dem Staatsanwalt als Wahrer des öffentlichen Interesses ein ihm gesetzlich eingeräumtes eigenes Recht zur Erhebung der Nichtigkeitsklage zu. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß er von diesem Recht hier in mißbräuchlicher Weise Gebrauch gemacht hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 3018859 |
NJW 1986, 3083 |
NJW 1986, 3083-3084 (Volltext mit amtl. LS) |
MDR 1987, 38 (Volltext mit amtl. LS) |