Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 19.09.2001) |
Tenor
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 19. September 2001 werden verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen; die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Angeklagten und die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die der Generalbundesanwalt vertritt.
I.
Das Landgericht hat festgestellt:
Der Angeklagte und das Tatopfer … F. waren seit 1991 verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Die Ehe war seit 1997 durch das Wiederaufleben von traumatischen Erlebnissen des Tatopfers (sexueller Mißbrauch durch den Vater) belastet, es kam zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Ehepartnern. Beim Tatopfer brach die seit längerem bestehende Neurodermitis-Erkrankung mit besonderer Heftigkeit wieder aus, sie lehnte körperliche Annäherungen des Angeklagten immer häufiger ab. Nach einer psychotherapeutischen Behandlung im Jahre 1998 trat zunächst eine Besserung ein, ab dem Jahre 1999 kam es aber wieder zu häufigen verbalen Auseinandersetzungen, weil das Tatopfer „das Leben des Angeklagten außerhalb seiner Familie immer weiter einschränkte, wobei sie ihre Forderungen mit eifersüchtigen Vorwürfen verknüpfte” (UA S. 8). Der um familiäre Harmonie bemühte Angeklagte zog sich aus seinem Freundeskreis zurück und stellte jedwede Art eigener Freizeitaktivitäten, in die seine Familie nicht eingebunden war, zurück. Bei ihm kam nach und nach das Empfinden auf, „ausgenutzt zu werden und mit heruntergeklappten Hosentaschen an der Wand zu stehen”, wobei er das Verhalten seiner Frau als Undankbarkeit wertete. Im Sommer 2000 traf er dann zufällig auf eine frühere Bekannte, was die Eifersucht seiner Ehefrau weckte. Mit der Bekannten nahm der Angeklagte kurze Zeit später heimlich Kontakt auf, und zwar auch während des Urlaubs der Familie, bei dem es mehrfach zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten kam. Nach Rückkehr aus dem Urlaub steigerten sich die ehelichen Spannungen. Der Angeklagte, der nunmehr vehement seine Freiheit einforderte, konfrontierte das Tatopfer auch mit der Frage, ob er denn ausziehen sollte. Letztere, die den dringenden Verdacht ehelicher Untreue hegte, beklagte das Empfinden sexueller Ausnutzung und der emotionalen Vernachlässigung durch den Angeklagten. Bei einem Festbesuch am 4. August 2000 erklärte dieser seiner Ehefrau, daß er „nicht mehr könne”. Am Abend des 6. August 2000 begann er nach dem Besuch einer Geburtstagsfeier das Tatopfer, das sich wie der Angeklagte ausgezogen hatte, zu liebkosen. Es kam im Wohnzimmer zum einverständlichen Geschlechtsverkehr. Anschließend entstand aber wieder ein Streit, bei dem das Tatopfer dem Angeklagten Vorwürfe wegen einer mit Freunden geplanten Radtour machte, während dieser ihr vorhielt, was er alles für sie getan habe. Im Verlaufe des immer lauter werdenden Streits schlug er mit der Faust auf einen gläsernen Couchtisch, eine Vase ging zu Bruch, der Angeklagte erklärte, „verdammt nochmal, jetzt geht zum ersten Mal in unserer Ehe etwas zu Bruch, jetzt hör endlich auf”. Beide Eheleute versuchten die Scherben aufzuheben, das Tatopfer hielt dem Angeklagten dabei eine Scherbe entgegen und sagte „Du bringst mich noch zur Weißglut”. Sie ging auf ihn noch näher zu, dieser forderte sie erneut auf, endlich aufzuhören und griff nach der Scherbe. Dabei zog er sich an den Fingern der rechten Hand eine blutende Verletzung zu. Als seine Ehefrau schadenfroh erklärte, das habe er jetzt davon, wich er einen Schritt in den Eingangsbereich der Küche zurück, drehte sich zu dem unmittelbar dort befindlichen Messerblock, nahm daraus ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 25 cm, drehte sich seiner Frau wieder zu und versetzte ihr in Tötungsabsicht einen wuchtigen Stich in den nackten Oberkörper, wobei sie entweder im Rücken oder in der Brust getroffen wurde. Ob der Angeklagte ein zweites Mal zugestochen hat, konnte nicht geklärt werden. Durch den Stich wurde sowohl die aufsteigende wie auch die absteigende Körperhauptschlagader des Tatopfers getroffen, dessen Tod trat kurze Zeit später durch Verbluten ein. Der Angeklagte kniete zunächst neben seiner Frau nieder, nahm sie auf den Schoß, begann sie zu schütteln und versuchte sie anzusprechen. Als er merkte, daß sie tot war, entschloß er sich, die Leiche wegzuschaffen und alle Spuren zu beseitigen. Er verstaute die Leiche in seinem PKW und reinigte den Tatort. Die Leiche verbrachte er in die Nähe einer Mülldeponie und zündete sie mit dem Benzin an. Bei Verwandten und Bekannten gab er anschließend vor, seine Frau zu suchen, er erzählte ihnen wahrheitswidrig, diese habe wegen eines Streits die Wohnung verlassen, er wisse nicht wo sie sei. Am 8. August 2000 versuchte er bei der Polizei Vermißtenanzeige zu erstatten, diese Anzeige wurde aber erst am 10. August 2000 entgegengenommen. An diesem Tag wurde dann auch die Leiche gefunden, die am 15. August 2000 als die Ehefrau des Angeklagten identifiziert wurde. Bei seiner Vernehmung als Beschuldigter an diesem Tag und auch in der Hauptverhandlung räumte er die Tat ein.
Das Landgericht wertet das Verhalten des Angeklagten als Totschlag (§ 212 StGB), es geht davon aus, daß er auf Grund eines Affekts im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt habe. Die Strafe entnimmt es § 213 StGB, dessen 2. Alternative wegen des Vorliegens des vertypten Milderungsgrunds des § 21 StGB gegeben sei.
Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Bejahung der Voraussetzungen eines Affekts, während sich das Rechtsmittel des Angeklagten mit der Sachrüge gegen die Annahme eines direkten Tötungsvorsatzes und die Verneinung der 1. Alternative des § 213 StGB richtet; gerügt werden auch inhaltliche Mängel des Sachverständigengutachtens.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Das Urteil weist keinen ihn belastenden Rechtsfehler auf. Zu Erörterungen Anlaß gibt nur die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit direktem Vorsatz gehandelt. Aus Rechtsgründen ist dies aber nicht zu beanstanden.
Die Klärung der Frage, ob ein Täter mit direktem oder bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, setzt eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände voraus (st. Rspr. vgl. u. a. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 7, 10, 27 und 54). Dem wird das Landgericht unter anderem auch dadurch gerecht, daß es neben der Richtung des geführten Messerstichs in den Oberkörper ersichtlich auch auf die Motivation des Angeklagten abstellt. Dieser sah sich in den immer heftigeren Ehestreitigkeiten als Verlierer, er stand unter einem als unerträglich empfundenen Druck. Nach dem Scheitern des erneuten Versöhnungsversuchs wollte er nicht wieder zurückstecken. „Der Pegel seiner durch ständiges Nachgeben aufgebauten Gefühle von Feindseligkeit und Destruktivität stieg an” (UA S. 37, 45). Die schadenfrohe Bemerkung seiner Ehefrau zu der ihm mit einer Scherbe zugefügten Verletzung gab den Anlaß, zum Messer zu greifen. Dies spricht dafür, daß das Landgericht davon ausging, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines „Ausrastens” beabsichtigt, einen endgültigen Schlußstrich zu ziehen, er wollte den Partner „vernichten” (UA S. 42). Eine solche Motivation spricht für ein Handeln mit direktem Vorsatz. Es ist auszuschließen, daß die Schwurgerichtskammer übersehen haben könnte, daß auf Grund des Verhaltens des Angeklagten nach der Tat (Niederknien neben seiner Frau, auf den Schoß nehmen, schütteln und ansprechen) eine andere Wertung möglich wäre. Als rechtsfehlerhaft kann auch nicht angesehen werden, daß das Landgericht die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und dessen psycho-physische Verfassung zur Tatzeit (vgl. BGH, Beschl. v. 6. März 2002 – 4 StR 30/02) bei der Erörterung der Vorsatzform nicht ausdrücklich in die Abwägung einbezogen hat. Der die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigende Affekt mußte sich nicht auf den Vorsatz und dessen Form auswirken. Auch ein Täter, der in seinem Hemmungsvermögen erheblich vermindert ist, kann gemessen an der Verfolgung seines deliktischen Ziels durchaus folgerichtig und zielgerichtet handeln. Überlegtes und zielgerichtetes Handeln und erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (z. B. wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung auf Grund Affekts) schließen sich somit grundsätzlich nicht aus (vgl. BGH StV 1997, 630 f.; StraFo 2001, 249 f. m. w. N.). Daß ein Fall vorliegt, in dem ausnahmsweise die Auswirkungen des Affekts auf die Verwirklichung des Entschlusses (Schuldform-Vorsatz) besonderer Erörterung bedurft hätte, belegen die Urteilsgründe nicht.
2. Auch die – auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte – Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.
a) Die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit auf Grund eines Affekts hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. Eine affektive Erregung stellt bei den meisten vorsätzlichen Tötungsdelikten den Normalfall dar. Ob der Affekt einen solchen Grad erreicht hat, daß er zu einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung, die im Rahmen von § 21 StGB relevant wäre, geführt hat, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (vgl. Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 54 ff.; 57 m. w. N.). Dem wird das Urteil noch gerecht.
Diese notwendige Gesamtwürdigung, die hier insbesondere das – gegen einen Affekt sprechende (vgl. u. a. BGH NStZ 1995, 539; 1999, 508; NStZ-RR 1997, 296) – Nachtatverhalten einschließen mußte, hat das Landgericht, das sich insoweit den Ausführungen eines psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen hat, im Ergebnis ausreichend vorgenommen. Der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt, daß die Schwurgerichtskammer alle in Betracht kommenden tatsächlichen Gesichtspunkte, auch solche, die gegen einen Affekt sprechen könnten, in seine Überlegungen einbezogen hat. Das Landgericht ist davon ausgegangen, mit ausschlaggebend für die Bejahung einer affektbedingten tiefgreifenden Bewußtseinsstörung sei eine beim Angeklagten festgestellte „Bewußtseinseinengung” gewesen, die sich darin gezeigt habe, daß einige Tatumstände nicht in sein Bewußtsein aufgenommen worden seien. Eine zeitlich eng begrenzte totale Erinnerungslücke oder inselhaft erhalten gebliebene Erinnerungsreste stellen Kennzeichen für mögliche affektbedingte Beeinträchtigungen der Schuldfähigkeit dar, ohne daß es auf Erinnerungsverluste ankommt, welche die Vorgeschichte der Tat oder das Nachtatverhalten umfassen. Die Unterscheidung eines solchen Symptoms von Schutzbehauptungen und Ergebnissen psychischer Verdrängungsvorgänge ist allerdings schwierig (BGH NStZ 1997, 296). Das Landgericht sieht die tatsächlichen Grundlagen dieser „Bewußtseinseinengung” darin, daß der von Angeklagten geschilderte Tathergang, wonach das Tatopfer direkt nach dem Zustechen tot umgefallen sei, aus rechtsmedizinischer Sicht so nicht möglich gewesen sei. Zwischen dem Stich und dem Eintritt des Todes habe ein Sterbevorgang des Opfers gelegen, der mehrere Minuten gedauert habe. Da dem Angeklagten die Erinnerung daran fehle, ohne daß er insoweit unwahre Angaben gemacht habe (UA S. 40), sei davon auszugehen, daß bei ihm eine – wenn auch kurzzeitige – Bewußtseinseinengung vorgelegen habe, die durch eine intensive Gefühlsaufwallung ausgelöst worden sei (UA S. 40, 41 i.V.m. UA S. 42). Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß das Landgericht den Angaben des Angeklagten Glauben schenkte, ein Vortäuschen einer Erinnerungslücke durch ihn ausschließt und deshalb als festgestellt ansieht, daß bei ihm „eine Bewußtseinsstörung im Minutenbereich” vorgelegen habe und andere tatsächliche Feststellungen nicht möglich gewesen seien. Der Senat kann auch ausschließen, daß die Schwurgerichtskammer nicht bedacht hat, der Angeklagte könnte die Situation verkannt und deshalb geglaubt haben, seine Ehefrau sei sofort tot gewesen. Denn diese Möglichkeit wird im Urteil ausdrücklich erwähnt (UA S. 33 unten/34 oben), ohne daß sie aber als erwiesen angesehen wird. Dafür spricht auch, daß der Angeklagte nach seinen glaubhaften Angaben das Tatopfer nach dem Stich auf den Schoß genommen hat, bei dieser Gelegenheit hätte er, wenn sein Bewußtsein nicht getrübt gewesen wäre, Lebenszeichen, wie Herzschlag oder Atembewegungen, bemerkt. Ein Irrtum auf seiner Seite lag deshalb fern.
b) Daß das Landgericht sich zur Frage der Erheblichkeit des Affekts den gutachterlichen Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen Dr. M. „aufgrund eigener Meinungs- und Überzeugungsbildung angeschlossen” hat, ist unter den gegebenen Umständen im Ergebnis nicht zu beanstanden (BGHSt 7, 238, 240; 34, 29, 31; vgl. auch Kleinknecht/Meyer-Goßner 45. Aufl. § 267 Rdn. 13 m. w. N.).
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Otten, Rothfuß, RiBGH Fischer ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Rissing-van Saan
Fundstellen
Haufe-Index 2559497 |
NStZ-RR 2003, 8 |