Leitsatz (amtlich)
a) Die Behörden im Freistaat Bayern haben nicht dadurch in hinreichend qualifizierter Weise gegen Unionsrecht verstoßen, dass sie bis zum 31.12.2007 den Vertrieb von Sportwetten durch andere Anbieter als die im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammen geschlossenen Lotterieunternehmen der Länder untersagt haben. Auch ein Amtshaftungsanspruch gem. § 839 Abs. 1, Art. 34 Satz 1 GG scheidet insoweit aus, weil die Untersagungsverfügungen zwar objektiv rechtswidrig waren, es jedoch am Verschulden der Amtsträger fehlt.
b) Die bayerischen VG, die die Untersagungsverfügungen und die Anordnung ihrer sofortigen Vollziehbarkeit nicht aufgehoben haben, haben ebenfalls nicht in hinreichend qualifizierter Weise gegen Unionsrecht verstoßen.
c) Auch der bayerische Gesetzgeber hat nicht in hinreichend qualifizierter Weise gegen Unionsrecht verstoßen, indem er das Sportwettenmonopol bis zum 31.12.2007 aufrechterhalten hat.
Normenkette
AEUV Art. 56; AEUV § 340; BGB § 839
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG München vom 15.7.2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin, eine in Gibraltar ansässige Anbieterin von Sportwetten, macht gegen die Stadt P. (Beklagte zu 1) sowie gegen den Freistaat Bayern (Beklagter zu 2) aus eigenem und aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung europäischen Rechts geltend.
Rz. 2
Die Klägerin verfügt über eine Erlaubnis der gibraltarischen Behörden für die Veranstaltung von Sportwetten. Die von ihr u.a. in Bayern angebotenen Wetten vertrieb sie - neben ihrer Präsenz im Internet - auch über Wettbüros, welche von selbständigen Geschäftsbesorgern geführt wurden. Ein solcher Geschäftsbesorger (im Folgenden: Zedent) betrieb im Gebiet der Beklagten zu 1) ein Wettbüro und trat der Klägerin später seine Schadensersatzansprüche ab.
Rz. 3
Mit Verfügung vom 21.4.2005 untersagte die Beklagte zu 1) dem Zedenten die Vermittlung von Sportwetten und ordnete die sofortige Vollziehung ihres Verwaltungsakts gem. § 80 Abs. 4 VwGO an. Sie stützte sich auf die Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes i.V.m. § 284 StGB und §§ 3, 5 Abs. 2 des Staatsvertrages zum Lotteriewesen in Deutschland (gültig vom 1.7.2004 bis 31.12.2007) und führte an, dem Zedenten fehle die notwendige staatliche Erlaubnis zum Vermitteln von Sportwetten.
Rz. 4
Auf den gegen diese Verfügung gerichteten Widerspruch des Zedenten hob die Beklagte zu 1) zwar die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit auf, half dem Rechtsmittel jedoch im Übrigen nicht ab und legte den Vorgang der Regierung von N. als zuständiger Widerspruchsbehörde vor. Mit Bescheid vom 9.6.2006 wies die Regierung von Niederbayern den Widerspruch des Zedenten gegen die Untersagungsverfügung zurück und ordnete deren sofortige Vollziehung wieder an.
Rz. 5
Der Zedent erhob daraufhin Klage gegen die Verfügung der Beklagten zu 1) vor dem VG R. und stellte den Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen. Mit Beschluss vom 22.8.2006 wies das VG diesen Antrag zurück. Zum 1.10.2006 stellte der Zedent die Vermittlung von Sportwetten der Klägerin ein. Mit Beschluss vom 1.12.2006 wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des Zedenten gegen die Abweisung seines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zurück.
Rz. 6
Die Klägerin sieht in dem Erlass der behördlichen Untersagungsverfügung, den im Folgenden ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sowie in der Schaffung bzw. Aufrechterhaltung der Vorschriften des Staatsvertrags jeweils qualifizierte Verstöße gegen das Recht der Europäischen Union. Sie hat von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung von zunächst 30.000 EUR als Ersatz eigenen Schadens und solchen des Zedenten im Jahr 2006 verlangt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre Klageforderung um 120.000 EUR (Schadensersatz für 2007) erhöht hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt sie ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Rz. 8
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin Schadensersatz weder nach den Grundsätzen des gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs noch aus § 839 BGB, Art. 34 GG oder aus enteignungsgleichem Eingriff verlangen.
Rz. 9
Im Hinblick auf einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hat sich das Berufungsgericht die Auffassung des LG zu eigen gemacht, die Beklagten hätten zwar objektiv die europarechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit der Klägerin und des Zedenten verletzt. Das LG hat hierzu ausgeführt, nach Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8.9.2010 genüge das in den deutschen Ländern bestehende Sportwettenmonopol nicht der für einen gerechtfertigten Eingriff in die europäische Dienstleistungsfreiheit erforderlichen Kohärenz, da Pferdewetten und bestimmte andere Glückspiele (z.B. Automatenspiele) der Gewerbefreiheit unterlägen, obgleich sie ein höheres Suchtpotential beinhalteten, als die dem Monopol unterfallenden Sportwetten. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz hat das Berufungsgericht gemeint, es fehle jedoch an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht. Bis zu den Urteilen des Gerichtshofs vom 8.9.2010 sei die Rechtsfrage, ob das Sportwettenmonopol gegen europäisches Recht verstoße, nicht in dem Maße geklärt gewesen, als dass die Maßnahmen der Beklagten als offenkundige Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht einzustufen gewesen seien.
Rz. 10
Auch durch das das bayerische Sportwettenmonopol betreffende Urteil des BVerfG vom 28.3.2006 sei der Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Beklagten nicht entfallen oder auf Null reduziert worden. Weder habe das BVerfG darin ausdrücklich die Verletzung unionsrechtlicher Vorschriften festgestellt, noch beinhalteten die Feststellungen denknotwendig eine solche. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union habe ausgeführt, dass sich das BVerfG in seiner Entscheidung vom 28.3.2006 sowie in einem Beschluss vom 2.8.2006 nicht zur Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Unionsrecht geäußert habe. Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, das BVerfG habe ausdrücklich festgestellt, dass die maßgebliche bayerische Norm nicht nichtig sei und während der eingeräumten Übergangsfrist Eingriffe in das Grundrecht nach Art. 12 GG rechtfertige. Dass eine solche Übergangsfrist auch auf europarechtlicher Ebene gerechtfertigt sein könne, habe der Gerichtshof der Europäischen Union erstmals in seiner Entscheidung vom 8.9.2010 in Sachen "Winner Wetten" verneint.
Rz. 11
Soweit die Klägerin den VG vorwerfe, eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union unterlassen zu haben, stelle dies ebenfalls keinen offenkundigen Verstoß gegen europäisches Recht dar, da eine Vorlagepflicht nach Art. 234 EGV (nunmehr Art. 267 AEUV) für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht bestehe.
Rz. 12
Ansprüche aus § 839 BGB, Art. 34 GG und enteignungsgleichem Eingriff schieden ebenfalls aus.
II.
Rz. 13
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Rz. 14
1. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin als (gibraltarische) Veranstalterin von Sportwetten und die für sie auf der Grundlage von Geschäftsbesorgungsverträgen tätigen (deutschen) Vermittler Dienstleistungen i.S.v. Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) angeboten haben (EuGH, Urt. v. 8.9.2010 - C 316/07 u.a. - Stoß u.a., NVwZ 2010, 1409 Rz. 56 ff.). Weiterhin steht aufgrund der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8.9.2010 (C-46/08 - Carmen Media, NVwZ 2010, 1422; Stoß, a.a.O.; C-409/06 - Winner Wetten - NVwZ 2010, 1419) fest, dass das in Bayern bis 2008 gemäß dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland vom 20.6.2004 (BayGVBl. S. 230) geltende Sportwettenmonopol, aufgrund dessen ausschließlich die im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammengeschlossenen Lotterieunternehmen der Länder Sportwetten ("ODDSET") anbieten und (über die Lottoannahmestellen sowie über das Internet) vertreiben durften, und damit die darauf beruhenden Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen der Bediensteten zu 1 und 2 objektiv mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar waren: Die Regelungen, die der Eindämmung der Spielsucht dienen sollten, verstießen gegen das in den Urteilen des Gerichtshofs statuierte Kohärenzgebot, da eine Reihe von Glückspielen (insb. Automatenspiele), die nicht unter das staatliche Monopol fielen, ein höheres Suchtpotential aufweisen als jene, für die das Monopol galt. Zudem beanstandete der Gerichtshof in den die Rechtslage in Schleswig-Holstein und Hessen betreffenden Entscheidungen Carmen Media und Stoß die Durchführung intensiver Werbekampagnen durch den Inhaber des staatlichen Monopols auf Sportwetten.
Rz. 15
2. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Verletzung der Dienstleistungsfreiheit durch die Beklagten stelle keinen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das europäische Recht dar, wie er für einen gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch erforderlich sei (so auch zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen OLG Köln, Urt. v. 3.5.2012 - 7 U 194/11, juris, Rz. 20 ff.), ist im Ergebnis gleichfalls nicht zu beanstanden.
Rz. 16
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnisse die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat (z.B. EuGH, Urt. v. 13.3.2007 - Rs. C-524/04 - Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg. 2007, I-2157 Rz. 118; vom 8.10.1996 - Rs. C-178/94 u.a. - Dillenkofer u.a., Slg. 1996, I-4867 Rz. 25; vom 26.3.1996 - Rs. C-392/93 - British Telecommunications, Slg. 1996, I-1654 Rz. 42; vom 5.3.1996 - Rs. C-46/93 u.a. - Brasserie du Pêcheur Slg. 1996, I-1131 Rz. 45, 55; s. auch BGH vom 26.4.2012 - III ZR 215/11, juris Rz. 12; BGH v. 24.6.2010 - III ZR 140/09, NJW 2011, 772 Rz. 7; BGH, Urt. v. 22.1.2009 - III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rz. 22; v. 24.10.1996 - III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 38). Diesem restriktiven Haftungsmaßstab liegt die Erwägung zugrunde, dass die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit, insb. bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen, nicht jedes Mal durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden darf, wenn Allgemeininteressen den Erlass von Maßnahmen gebieten, die die Interessen des Einzelnen beeinträchtigen können (EuGH, Urteile in Sachen British Telecommunications, a.a.O., Rz. 40 und Brasserie du Pêcheur, a.a.O., Rz. 45; Senatsbeschluss vom 26.4.2012, a.a.O.). Nur wenn der Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, kann schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen (EuGH, Urteile in Sachen Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation und Dillenkofer jew., a.a.O.; Senat, a.a.O.).
Rz. 17
Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, die für den dem nationalen Gericht vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insb. das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen bzw. zugefügt wurde oder nicht, die Frage, ob ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldbar ist oder nicht, und die Frage, ob möglicherweise das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen hat, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt oder aufrechterhalten wurden (z.B. EuGH, Urteile in Sachen Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, a.a.O., Rz. 119; Brasserie du Pêcheur, a.a.O., Rz. 56 sowie vom 4.12.2003 - Rs. C-63/01 - Evans, Slg. 2003, I-14492 Rz. 86; Senat, a.a.O., m.w.N.).
Rz. 18
Die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze zur Haftung eines Mitgliedstaats für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht gelten dabei für alle Staatsgewalten unabhängig davon, ob der schadensverursachende Verstoß dem Gesetzgeber, den Gerichten oder der Verwaltung des Mitgliedstaats anzulasten ist (vgl. EuGH, Urt. v. 30.9.2003 - Rs. C-224/01 - Köbler, Slg. 2003, I-10290 Rz. 31 f.).
Rz. 19
b) Ob an den vorstehenden Kriterien gemessen ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, haben die Tatsachengerichte unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, insb. an Hand der vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Leitlinien zu beurteilen (BGH, Urt. v. 22.1.2009 - III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rz. 23). Die insoweit eingeschränkte revisionsrechtliche Überprüfung des Berufungsurteils lässt im Ergebnis Rechtsfehler nicht erkennen.
Rz. 20
aa) Da die Klägerin der Beklagten zu 1) keine über den bloßen Vollzug der vom Beklagten zu 2) getroffenen Regelungen hinausgehenden Verstöße vorwirft, hat sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung des exekutiven und legislativen Handelns der Beklagten sowie des materiell-rechtlichen Inhalts der Entscheidungen des VG R. und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit Recht auf die Frage der Vereinbarkeit der in Bayern im maßgeblichen Zeitraum geltenden Regelungen zum Sportwettenmonopol mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht beschränkt.
Rz. 21
bb) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass vorliegend eine einfache Verletzung des Gemeinschaftsrechts zur Annahme eines qualifizierten Verstoßes nicht ausreicht. In Ermangelung einer abschließenden gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung auf dem Gebiet des Glücksspielrechts verblieb dem Beklagten zu 2) ein erheblicher Gestaltungsspielraum.
Rz. 22
cc) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass in dem in Rede stehenden Zeitraum die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Grenzen zulässiger staatlicher Glückspielmonopole noch nicht so präzise geklärt hatte, dass die in Bayern seinerzeit geltende Rechtslage aufgrund der Judikatur des Gerichtshofs als offenkundig mit dem europäischen Recht unvereinbar gewertet werden musste.
Rz. 23
Erst in seinen Entscheidungen vom 8.9.2010 (C-46/08 - Carmen Media, NVwZ 2010, 1422; C-316/07 u.a. - Stoß u.a. - NVwZ 2010, 1409; C-409/06 - Winner Wetten - NVwZ 2010, 1419) hat sich der Gerichtshof mit der Rechtfertigung des deutschen Sportwettenmonopols und dessen konkreter Ausgestaltung befasst. In den vorangegangenen Entscheidungen zur staatlichen Regulierung und Monopolisierung von Sportwetten (Urt. v. 6.11.2003 - Rs. C-243/01 - Gambelli Slg. 2003, I-13076 = NJW 2004, 139; vom 21.10.1999 - Rs. C-67/98 - Zenatti, Slg. 1999, I-7304 = EuZW 2000, 151; vom 21.9.1999 - Rs. C-124/97 - Läärä, Slg. 1999, I-6104 = EuZW 2000, 148; v. 24.3.1994 - Rs. C-275/92 - Schindler, Slg. 1994, I-1078 = NJW 1994, 2013) hat der Gerichtshof zwar abstrakte Grenzen für solche Reglementierungen aufgezeigt. Jedoch hat er zugleich betont, dass den Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen sittlichen, religiösen, kulturellen und soziokulturellen Besonderheiten ein Ermessen zustehe, festzulegen, welche Erfordernisse sich insb. bezüglich der Art und Weise der Veranstaltung von Lotterien ergäben (Urteile in Sachen Gambelli, a.a.O., Rz. 63; Zenatti, a.a.O., Rz. 14 f, 33f.; Läärä, a.a.O., Rz. 13 f, 35f, 39; Schindler, a.a.O., Rz. 60 f.). Nähere Vorgaben zur Ausübung dieses Ermessens enthalten die Entscheidungen nicht. Dies trifft insb. auch auf die von der Revision angeführten Urteile in den Sachen Zenatti und Gambelli (jew., a.a.O.) zu, die sich mit der Rechtslage in Italien befassen.
Rz. 24
(1) In dem Fall Zenatti hat der Gerichtshof ausgeführt, die Begrenzung des Glückspielbetriebs zu den Zwecken, die Spiellust und den Betrieb der Spiele in geordnete Bahnen zu lenken, die Risiken eines solchen Betriebs im Hinblick auf Betrug und andere Straftaten auszuschalten und die sich daraus ergebenden Gewinne gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, diene europarechtlich legitimen Zielen (a.a.O. Rz. 35). Der Gerichtshof hat die Zulässigkeit von Beschränkungen des Wettbetriebs negativ dahingehend abgegrenzt, dass sie wirklich dem Ziel dienen müssten, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und dass die Erzielung von Einnahmen für soziale Aktivitäten nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik sein dürfe (a.a.O. Rz. 36). Schließlich hat der Gerichtshof betont, es sei Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften gerechtfertigten Zielen dienten und die in ihnen enthaltenen Beschränkungen verhältnismäßig seien (a.a.O. Rz. 37). Nähere inhaltliche Vorgaben, welche (weiteren) Ziele im Bereich der Regulierung von Wetten eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können und welche Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele zulässig sind, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Im Gegenteil hat der Gerichtshof, ebenso wie im Urteil in der Sache Lärää (a.a.O., Rz. 35 f, 39), den weiten Ermessens-, Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Zulassung von Lotterie- und Glückspielangeboten unterstrichen (Stein, Anmerkung zu dem BGH in der Sache Zenatti, EuZW 2000, 153, 154). Insbesondere auch die Monopolisierung bei einem Anbieter hat der Gerichtshof nicht für unzulässig gehalten (s. Urteil in der Sache Zenatti, a.a.O., Rz. 32 f.; Urteil in der Sache Lärää, a.a.O., Rz. 34 f.). Die Unvereinbarkeit der bayerischen Rechtslage betreffend die Sportwetten mit der Dienstleistungsfreiheit ließ sich damit aus dem Urteil in der Sache Zenatti nicht ableiten.
Rz. 25
(2) Dies gilt in gleicher Weise für das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in der Sache Gambelli. Darin hat der Gerichtshof zunächst unter Bezugnahme auf seine Entscheidungen in den Sachen Schindler, Lärää und Zenatti bekräftigt, dass den Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer jeweiligen sittlichen, religiösen, kulturellen und soziokulturellen Besonderheiten ein Ermessen zustehe, Beschränkungen des Betriebs von Spielen und Wetten zu statuieren (a.a.O. Rz. 63). Weiterhin hat er betont, dass solche Beschränkungen durch zwingende Gründe, wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein können (a.a.O. Rz. 67). Allerdings hat er weiter ausgeführt, die Reglementierungen, die auf solche Gründe sowie auf die Notwendigkeit gestützt seien, Störungen der sozialen Ordnung vorzubeugen, müssten auch geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie "kohärent" und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitrügen (a.a.O.).
Rz. 26
Obgleich zur Begründung der Europarechtswidrigkeit der im maßgeblichen Zeitraum in Bayern geltenden Rechtslage angeführt wurde, sie genüge nicht den Anforderungen der Kohärenz, konnte aus der "Gambelli-Entscheidung" noch nicht mit der notwendigen Klarheit abgeleitet werden, dass die in Rede stehenden Regelungen zu Sportwetten einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit beinhalteten. Der Gerichtshof hat sich in diesem Urteil mit der Kohärenz, d.h. mit der Stimmigkeit, der dort maßgeblichen italienischen Rechtsvorschriften nur unter dem Gesichtspunkt befasst, dass der italienische Staat im Fiskalinteresse eine Politik der Ausweitung des Spielens und Wettens verfolge und sich in diesem Fall als Rechtfertigung seiner Reglementierungen nicht auf die öffentliche Sozialordnung und die Notwendigkeit berufen könne, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern (a.a.O. Rz. 68 f.). Die Kohärenz unter dem für den vorliegenden Sachverhalt maßgebenden Aspekt, dass Glücksspiele, die nicht unter das staatliche Monopol fallen, ein höheres Suchtpotential aufweisen als jene, für die das Monopol gilt, war in der "Gambelli-Entscheidung" hingegen auch nicht andeutungsweise angesprochen. Dieser Gesichtspunkt hat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erst in den Urteilen vom 8.9.2010 (Carmen Media, a.a.O., Rz. 67 f.; Stoß, a.a.O., Rz. 100 ff., 106) Bedeutung erlangt. Dementsprechend ließ sich dem "Gambelli-Urteil" kein - zumindest kein einen qualifizierten Verstoß begründender - Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die fraglichen Regelungen einen ungerechtfertigten Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit beinhalteten.
Rz. 27
dd) Der Revision ist allerdings im Ausgangspunkt darin beizupflichten, dass die Würdigung des Berufungsgerichts, aus dem Urteil des BVerfG vom 28.3.2006 (BVerfGE 115, 276) habe sich ebenfalls nicht mit der für einen gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch erforderlichen Deutlichkeit die Unvereinbarkeit des bayerischen Monopols für Sportwetten mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit ergeben, nicht mehr vom tatrichterlichen Beurteilungsspielraum gedeckt ist. Das BVerfG hat dort unter Bezugnahme auf Rz. 62 der "Gambelli-Entscheidung" des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urt. v. 6.11.2003 - Rs. C-243/01, Slg. 2003, I-13076) ausgeführt, die - durch die seinerzeitigen bayerischen Regelungen nicht erfüllten - Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts liefen parallel zu den vom Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben, nach denen die Erzielung von Einnahmen zur Finanzierung sozialer Aktivitäten nur nützliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund einer restriktiven Politik im Bereich von Wetten und Glückspielen sein dürfe (BVerfGE 115, 276, 316 f.). Zuzugeben ist der Revision weiterhin, dass der Generalanwalt beim Gerichtshof Mengozzi in seinem Schlussantrag in der Sache "Stoß u.a." unter Bezugnahme auf das Urteil des BVerfG vom 28.3.2008 ausgeführt hat, die Lektüre dieser Entscheidung lasse es als "unzweifelhaft" erscheinen, dass das (mit dem bayerischen übereinstimmende hessische und baden-württembergische) Sportwettenmonopol nicht die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt habe, um als kohärent und systematisch eingestuft zu werden (C-316/07, juris Rz. 64). Dies ist richtig. Zwar stellt die von der Revision angeführte Passage aus dem Urteil des BVerfG lediglich ein obiter dictum dar. Ferner hat das BVerfG hervorgehoben, ihm fehle die Zuständigkeit, einen möglichen Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht zu prüfen (a.a.O. S. 299 f.). Gleichwohl hat es sich ausdrücklich dahingehend festgelegt, dass die von ihm festgestellten verfassungsrechtlichen Mängel der bestehenden Regelungen zum Sportwettenmonopol in gleicher Weise mit den vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten europarechtlichen Vorgaben unvereinbar seien. Damit konnte für die Rechtsanwender in der Judikative und der Exekutive sowie für den Gesetzgeber auch der europarechtliche status quo nicht mehr zweifelhaft sein.
Rz. 28
Dennoch haben die Beklagten nicht in hinreichend qualifizierter Weise gegen das europäische Recht verstoßen.
Rz. 29
(1) Zwar hat die Verwaltung der Beklagten auch nach Bekanntwerden des Urteils des BVerfG die Untersagungsverfügung aufrechterhalten und es der Klägerin bzw. ihrem Geschäftsbesorger nicht - etwa durch Erteilung einer entsprechenden Genehmigung - ermöglicht, Sportwetten zu vertreiben. Ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist ihr gleichwohl nicht anzulasten. Denn die Bediensteten der Beklagten durften annehmen, dass es bis zu der vom BVerfG dem Gesetzgeber aufgegebenen Neuregelung des Wett- und Glückspielrechts, die spätestens zum 1.1.2008 erfolgen musste, auch mit dem materiellen europäischen Gemeinschaftsrecht in Einklang stand, das Angebot von Sportwetten den bisherigen Monopolinhabern vorzubehalten. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob insoweit die Rechtsauffassung vertretbar war, während der vom BVerfG zugestandenen Übergangszeit bis zum 31.12.2007 sei ein an sich materiell europarechtswidriger Regelungszustand aus zwingenden Gründen der Rechtssicherheit (vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 8.9.2010 - Rs. C-409/06 - Winner Wetten, NVwZ 2010, 1419, Rz. 66 m.w.N.) gemeinschaftsrechtlich hinnehmbar, wie dies in dem Verfahren "Winner Wetten" vor dem Gerichtshof offenbar alle Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, geltend gemacht haben (vgl. EuGH, a.a.O., Rz. 63; Schlussanträge des Generalanwalts Bot, juris, Rz. 79 ff.; s. ferner VGH Kassel NVwZ 2006, 1435, 1439; OVG NW NVwZ 2006, 1078, 1080).
Rz. 30
Das BVerfG hat während der von ihm zugestandenen Übergangsfrist nicht die uneingeschränkte Fortgeltung der als verfassungswidrig - und aufgrund der Parallelität der Kohärenzanforderungen zugleich als gemeinschaftsrechtswidrig - erkannten Rechtslage gebilligt. Vielmehr hat es für die Anwendbarkeit der bislang geltenden Normen Maßgaben statuiert, nach denen unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits und der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols andererseits herzustellen war (BVerfGE 115, 276, 319). Danach durften zwar - vor dem Hintergrund, dass die Errichtung eines staatlichen Wettmonopols für sich genommen weder verfassungs- noch europarechtswidrig ist (vgl. BVerfGE, a.a.O., S. 309) - das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Unternehmen und die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Beklagten zu 2) veranstaltet wurden, weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden, wobei das BVerfG sogar eine Aufrechterhaltung der Strafbewehrung nicht für ausgeschlossen erachtete (a.a.O. S. 319). Jedoch war damit zu beginnen, das Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten. Der Staat durfte insb. die Übergangszeit nicht zu einer expansiven Vermarktung von Wetten nutzen. Daher waren bis zu einer Neuregelung die Erweiterung des Angebots staatlicher Wettveranstaltungen sowie eine Werbung, die über sachliche Informationen zur Art und Weise der Wettmöglichkeit hinausgehend gezielt zum Wetten aufforderte, untersagt. Ferner hatte die staatliche Lotterieverwaltung umgehend aktiv über die Gefahren des Wettens aufzuklären (a.a.O.).
Rz. 31
Das BVerfG hat die in der gesetzlichen Regelung angelegten und dementsprechend in der Praxis realisierten Defizite bei der Verwirklichung der das Wettmonopol grundsätzlich rechtfertigenden, vorgenannten Ziele darin gesehen, dass es an einer aktiven Prävention fehlte (a.a.O. S. 311 f.) und vor allem, dass die Geschäftspraxis des Monopolanbieters nach ihrem tatsächlichen Erscheinungsbild dem einer wirtschaftlich effektiven Vermarktung einer grundsätzlich unbedenklichen Freizeitbeschäftigung entsprach (a.a.O. S. 314 ff.). Das BVerfG hat insoweit die breit angelegte Werbung, in der das Wetten als sozialadäquate, wenn nicht sogar positiv bewertete Unterhaltung dargestellt wurde (a.a.O. S. 314), die breiten Vertriebswege und die fehlende aktiv kommunizierte Prävention beanstandet (a.a.O. S. 315 f.).
Rz. 32
Der Behebung eben jener Defizite dienten die im Vorgriff auf entsprechende gesetzliche Neuregelungen für die Übergangszeit aufgestellten Maßgaben. Ihr Inhalt zielte darauf ab, genau die Mängel der bestehenden Rechtslage abzustellen, die maßgeblich zu deren Verfassungswidrigkeit führten. Da das BVerfG bei seiner Entscheidung nicht nur der Sache nach die Kriterien der "Gambelli-Entscheidung" angewandt, sondern zugleich - wie ausgeführt - die Parallelität der Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten betont hatte (a.a.O. S. 316 f.), lag für die Verwaltung der Beklagten die Annahme nahe, dass, sofern diese Maßgaben beachtet werden, auch vor dem formellen Erlass der entsprechenden (Änderungs-)Gesetze in der Praxis ein Zustand hergestellt werden kann, der nicht nur mit dem Grundgesetz, sondern auch mit dem Europarecht in Einklang steht (so vor allem VGH Bay., Beschl. v. 23.8.2006 - 24 CS 06.1881, juris Rz. 53, 64; die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde durch Kammerbeschluss des BVerfG vom 19.10.2006, WM 2006, 2326, nicht zur Entscheidung angenommen). Im Übrigen wäre wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts die Einräumung einer Übergangszeit durch das BVerfG nicht nur ins Leere gegangen, sondern sogar für den Rechtsanwender irreführend gewesen. Dass die vom BVerfG eingeforderten Maßgaben tatsächlich zügig und vollständig umgesetzt wurden, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, vom BVerfG gebilligt, der bayerischen Verwaltung in ständiger Rechtsprechung attestiert (z.B. VGH Bay., Beschlüsse vom 3.8.2006, NVwZ 2006, 1430, 1431 f.; vom 23.8.2006 - 24 CS 06.1881, juris Rz. 35 f, 52; vom 2.10.2007 - 24 CS 07.1986, juris Rz. 30; v. 15.11.2007 - 24 CS 07.2792, juris Rz. 29 f.; BVerfG WM 2006, 2326, 2327 zum Beschluss des VGH Bay. vom 23.8.2006; s. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 31.3.2006 - 1 BvR 1840/05, juris Rz. 5).
Rz. 33
(2) Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für die mit dem Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung der Beklagten zu 1) befassten VG des Beklagten zu 2). Anders als die Revision geltend macht, liegt auch kein hinreichend qualifizierter Verstoß von Bediensteten des Beklagten zu 2) gegen europäisches Gemeinschaftsrecht vor, weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof es unterlassen hat, das von dem Zedenten angestrengte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Untersagungsverfügung der Beklagten zu 1) gem. Art. 234 Abs. 3 EG (jetzt Art. 267 Abs. 3 AEUV) auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage der Vereinbarkeit der in Bayern seinerzeit geltenden Regelungen über das Sportwettenmonopol mit dem europäischen Recht vorzulegen. Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO letztinstanzlich entscheidendes Gericht (s. § 152 Abs. 1 VwGO), das nach den genannten Bestimmungen zur Vorlage an den Gerichtshof grundsätzlich verpflichtet ist, wenn über die Auslegung von Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht zu befinden ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs entfällt die Vorlageverpflichtung jedoch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, sofern es, wie hier, jeder Partei unbenommen bleibt, ein Hauptverfahren entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen, in dem jene im summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage bilden kann, (EuGH, Urt. v. 24.5.1977 - 107/76 - Hoffmann-La Roche, Slg. 1977, 957 Rz. 5 f; v. 27.10.1982 - 35 und 36/82 - Morson u.a., Slg. 1982, 3723 Rz. 8 ff.; s. auch BVerfG NJW 2007, 1521, 1522).
Rz. 34
Das hiernach bestehende Ermessen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs war entgegen der Auffassung der Klägerin schon deshalb nicht auf Null reduziert, weil aus den zuvor dargestellten Gründen ein offenkundiger Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht vorlag.
Rz. 35
(3) Soweit die Legislative des Beklagten zu 2) betroffen ist, ist ein solcher Verstoß ebenfalls auszuschließen. Dabei kann dem Gesetzgeber insb. nicht vorgehalten werden, er habe schnellstmöglich, also noch vor Ablauf der vom BVerfG eingeräumten Übergangszeit, eine "auch dem Buchstaben nach" gemeinschaftsrechtskonforme Gesetzeslage schaffen müssen. Zunächst durfte auch der Gesetzgeber davon ausgehen, dass schon vor Anpassung des Gesetzeswortlauts an die Vorgaben des Bundesverfassungsrechts die Exekutive willens und in der Lage ist, für die Übergangsphase einen Zustand herzustellen, der europarechtlich keinen durchgreifenden Bedenken (mehr) ausgesetzt ist. Zudem war ausreichende Zeit vonnöten, um den aus den Vorgaben des BVerfG folgenden (national- wie europarechtlichen) Anpassungsbedarf sorgfältig zu ermitteln, die hieraus folgenden Handlungsoptionen herauszuarbeiten und sich - ggf. auch nach Abstimmung mit den Rechtssetzungsorganen des Bundes - unter Abwägung der jeweils in Rede stehenden Belange für eine Lösung zu entscheiden. So gab es für die Schaffung einer im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kohärenten Lösung für den Bereich der Sportwetten und Glücksspiele eine Vielzahl von denkbaren Lösungen, da den Mitgliedstaaten insoweit ein weiter Ermessensspielraum zusteht (EuGH, Urt. v. 6.11.2003 - Rs. C-243/01 - Gambelli, Slg. 2003, I-13076 Rz. 63 m.w.N.). Hinzu kommt, dass die hier maßgeblichen Regelungen nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes von den Ländern zu schaffen waren und diese Regelungen, um einen - sinnvollen - bundeseinheitlichen Standard zu gewährleisten, in einem Staatsvertrag aller deutschen Länder enthalten waren. Aufgrund dieser Ausgangslage ist dem Beklagten zu 2) insb. nicht anzulasten, dass sie auf einen gesetzgeberischen "Alleingang" verzichtete und zusammen mit den übrigen Ländern wiederum eine - nunmehr den europarechtlichen Vorgaben entsprechende - bundeseinheitliche Regelung anstrebte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände war es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte zu 2) - ebenso wie alle anderen Bundesländer - die bis zum 31.12.2007 eingeräumte Übergangsfrist ausschöpfte.
Rz. 36
ee) Der weitere Hinweis der Revision auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 27.4.2005 (WM 2005, 1141) ist für ihre Rechtsauffassung unbehelflich. Das BVerfG hat darin unter Bezugnahme auf die "Gambelli-Entscheidung" lediglich geäußert, "erhebliche Zweifel" an der Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Gemeinschaftsrecht könnten "nicht ... ausgeschlossen" werden (a.a.O. S. 1142 f.). Ein offenkundiger Verstoß der Beklagten gegen das Gemeinschaftsrecht lässt sich angesichts dieser zurückhaltenden Formulierung hieraus nicht ableiten.
Rz. 37
ff) Die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens 2003/4350 durch die Europäische Kommission mit dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben vom 4.4.2006 ist für die Rechtsposition der Klägerin ebenfalls unbehelflich. Zwar mag sich hieraus ebenso wie aus der Entscheidung des BVerfG vom 28.3.2006 die Unvereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Gemeinschaftsrecht ergeben haben. Aus den vorstehenden Gründen scheidet jedoch gleichwohl ein hinreichend qualifizierter Verstoß der Beklagten gegen das europäische Recht aus. In dem Schreiben äußerte die Kommission Zweifel an der Vereinbarkeit der in den einzelnen Bundesländern geltenden Regelungen zum Sportwettenmonopol mit der Dienstleistungsfreiheit nur unter den in der "Gambelli-Entscheidung" des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urt. v. 6.11.2003 - Rs. C-243/01, Slg. 2003, I-13076) angesprochenen Aspekten. Die Kommission bemängelte, dass nach ihr vorliegenden Erkenntnissen die Monopolveranstalter in Deutschland einen erheblichen Werbeaufwand für die Sportwetten betrieben. Unter Bezugnahme auf Rz. 69 des "Gambelli-Urteils" (a.a.O.) wies sie darauf hin, dass sich die Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung von Reglementierungen von Wetten nicht auf die Notwendigkeit berufen dürften, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, wenn ihre Behörden die Verbraucher zugleich dazu anreizten und ermunterten, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zuflössen. Eben diese Defizite wurden jedoch abgestellt, so dass die Beklagten die Rechtspraxis vertretbar als gemeinschaftskonform ansehen konnten.
Rz. 38
c) Eine Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union gem. Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV ist nicht erforderlich. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als vorlagebedürftig angesehene Frage, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht mit der Erwägung verneint werden könne, die Mitgliedstaaten hätten sich für berechtigt halten dürfen, für eine Übergangszeit einen europarechtswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten, stellt sich aus den unter b, dd (1) ausgeführten Gründen nicht. Auch im Übrigen besteht keine Notwendigkeit, eine Vorabentscheidung gem. Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV einzuholen. Die Feststellung, ob die Voraussetzungen für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch im konkreten Einzelfall erfüllt sind, obliegt entsprechend den vom Gerichtshof hierfür entwickelten Leitlinien grundsätzlich den nationalen Gerichten (EuGH, Urt. v. 13.3.2007 - Rs. C-524/04 - Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation - Slg. 2007, I-2157 Rz. 116; v. 12.12.2006 - Rs. C-446/04 - Test Claimants in the FII Group Litigation, Slg. 2006, I-11814, Rz. 210 m.w.N.). Unionsrechtliche Fragen, die über die bloße Anwendung der Grundsätze des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs auf den konkreten Sachverhalt hinausgehen, wirft der Fall nicht auf.
Rz. 39
3. Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG bestehen gleichfalls nicht.
Rz. 40
Zwar handelten die Verwaltungsbediensteten der Beklagten objektiv pflichtwidrig, weil die Untersagungsverfügung mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar war. Jedoch fällt ihnen insoweit aus den oben (2b dd (1)) genannten Gründen keine Fahrlässigkeit zur Last, zumal sie sich bei ihrer Einschätzung der Rechtslage im Einklang mit der Rechtsprechung des für sie zuständigen Verwaltungsgerichtshofs befanden (vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1995 - III ZR 160/94, NJW 1995, 2918, 2920).
Rz. 41
Eine Haftung des Beklagten zu 2) wegen legislativen Unrechts kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber lediglich Aufgaben der Allgemeinheit wahrnimmt, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt, ihm daher grundsätzlich keine drittschützenden Amtspflichten i.S.d. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB obliegen (vgl. z.B. BGH v. 12.10.2006 - III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362 Rz. 23; BGH, Urt. v. 24.10.1996 - III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 32; v. 7.6.1988 - III ZR 198/87, NJW 1989, 101). Die Amtshaftung für die Richter des Beklagten zu 2) scheitert an § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB.
Rz. 42
4. Zu Recht haben die Vorinstanzen auch Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff verneint. Insoweit erhebt die Revision ebenfalls keine Rügen.
Fundstellen
Haufe-Index 3469139 |
NJW 2013, 168 |
EBE/BGH 2012 |
CR 2012, 827 |
WM 2013, 2041 |
DÖV 2013, 164 |
GewArch 2013, 175 |
JZ 2012, 720 |
MDR 2013, 28 |
RIW 2013, 391 |
VR 2013, 138 |
VersR 2013, 188 |
BayVBl. 2013, 639 |
GRUR-Prax 2012, 562 |
K&R 2012, 819 |
LL 2013, 203 |
ZfWG 2012, 409 |