Entscheidungsstichwort (Thema)
Mord
Tenor
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25. Juli 1997 aufgehoben.
Die Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Die Entscheidung über die Entschädigung der Angeklagten wegen der erlittenen Strafvollstreckungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Von Rechts wegen
Gründe
Nach Aufhebung einer früheren Verurteilung durch Senatsurteil vom 31. Juli 1996 - 1 StR 247/96 - (StV 1997, 62 f.) und Zurückverweisung der Sache hat das Landgericht die Angeklagte erneut wegen Mordes an ihrer sieben Jahre alten Nichte Anna B. zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachbeschwerde und Verfahrensrügen gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
1. Zum äußeren Geschehensablauf hat das Tatgericht folgendes festgestellt:
Die Angeklagte kam am 20. Januar 1993 gegen 16.20 Uhr zur Familie ihres Bruders Dr. B. zu Besuch. Sie brachte eine 750 ml-Packung Pistazieneis mit, das sie ihrer Nichte versprochen hatte. Von 17.30 bis 18.30 Uhr besuchte das Kind den Ballettunterricht, dann aß es ein Stück Leberkäse und ein Laugenbrötchen zu Abend. Gegen 19.30 Uhr kam der Vater nach Hause, verließ aber schon gegen 19.45 Uhr zusammen mit seiner Ehefrau wieder das Haus, um eine Veranstaltung zu besuchen. Die Angeklagte war dann bis 22.00 Uhr mit dem Kind allein im Haus. Das Kind führte zunächst die Hunde der Angeklagten aus. Dann gab ihm die Angeklagte zwei Portionen des Pistazieneises mit einer Schokoladensauce, die im Hause B. in einer angebrochenen Flasche vorhanden war, zu essen. Sie selbst aß eine Portion des Eises ohne Sauce. Gegen 21.00 Uhr brachte die Angeklagte das Kind zu Bett. Eine Stunde später mußte es sich erstmals erbrechen. Um diese Zeit brachte Dr. B. seine Ehefrau nach Hause, holte in einem Restaurant Pizza und kehrte seinerseits gegen 22.15 Uhr zurück. Dann rief ihn das Kind in sein Zimmer und berichtete ihm vom Erbrechen, weil es „zuviel Eis” gegessen habe. Bis 23.15 Uhr saß Anna B. deshalb bei den Erwachsenen im Wohnzimmer und trank Tee. Dann wurde sie erneut zu Bett gebracht. Gegen Mitternacht erbrach sich das Kind erneut, diesmal wiederholt im Abstand von fünfzehn Minuten, und hatte Durchfall. Der Vater gab ihm dagegen Medikamente, worauf die Brechdurchfälle langsam nachließen. Gegen 06.00 Uhr am folgenden Morgen kam es jedoch erneut zu heftigem Erbrechen und schließlich zum Zusammenbruch des Kindes. Der Vater brachte es daraufhin in Begleitung seiner Ehefrau und der Angeklagten ins Krankenhaus. Dort wurde das Kind intensivmedizinisch behandelt, verstarb aber um 11.32 Uhr. Als Todesursache wurde eine Vergiftung mit Arsenik festgestellt.
2. Der Verurteilung der Angeklagten durch das Landgericht liegt die Annahme zugrunde, sie habe das Arsenik in der Absicht das Kind zu töten dem Pistazieneis beigefügt.
II.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung auf die Sachbeschwerde nicht stand. Auf die zusätzlich erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an.
1. Das sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, ein Tatmotiv der – zur Tatzeit psychisch und physisch gesunden – Angeklagten sei nicht festzustellen, weshalb die Tatbegehung durch sie „kaum verständlich” sei. Gleichwohl sei von der Tötung des Opfers durch die Angeklagte auszugehen, die sich „spätestens Mitte Januar” zur Tat entschlossen habe. Die Angeklagte habe in Kenntnis der Gefährlichkeit von Arsenik ein Vielfaches der tödlichen Dosis des Giftes eingesetzt, „da sie sichergehen wollte, daß der Giftanschlag zum Tode” des Opfers führe. Ihre Täterschaft folge daraus, daß sie dem Opfer das allein als „Vehikel” für die Giftbeibringung in Frage kommende Eis zu essen gab und selbst folgenlos eine weitere Eisportion konsumierte. Sie habe durch auffälliges Verhalten am Vormittag des 21. Januar 1993 und bei der Trauerfeier nach dem Tod des Opfers erkennen lassen, daß ihre Liebe zu dem Patenkind tatsächlich nur vorgetäuscht gewesen sei. Durch Bemerkungen gegenüber den Eltern des Opfers und einer ermittelnden Kriminalbeamtin habe sie eine „Vorwärtsverteidigung” vorgenommen. Zudem komme sie allein als Täterin in Frage, nachdem die Eltern des Kindes oder ein unbekannter Produkterpresser auszuschließen seien. Nach dem Tod des Opfers beim Hersteller des Pistazieneises und der Vertriebsfirma eingegangene Erpresserbriefe stünden nicht im Zusammenhang mit der Tötung des Opfers.
2. Diese Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Das Landgericht schließt auf die Täterschaft der Angeklagten, indem es andere Personen innerhalb der Familie als Täter ausschließt. Mangels greifbaren Tatmotivs in diesem Personenkreis war aber keine der in Betracht kommenden Personen in den Vordergrund gerückt. Der Senat hat dazu in seinem Urteil vom 31. Juli 1996 - 1 StR 274/96 - ausgeführt: „Hatten aber mehrere Personen ohne (feststellbares) Motiv die Möglichkeit zur Vergiftung, so sind an jede die gleichen Prüfungsanforderungen zu stellen.” Das Tatgericht legt gleichwohl in einseitiger Weise verschiedene Maßstäbe an die Prüfung der Täterschaft der Eltern des Tatopfers einerseits und der Angeklagten andererseits an. Da Motive und tatnahe Indizien fehlen, zieht das Landgericht aus zahlreichen Verhaltensweisen und allgemeinen, aber nicht unmittelbar tatbezogenen Äußerungen der Angeklagten Folgerungen zu ihren Lasten. Demgegenüber wird Gleichartiges auf Seiten der Eltern als plausibel, nachvollziehbar u. ä. qualifiziert. Dabei handelt es sich jedoch nur um zahlreiche Spekulationen über innere Vorgänge oder Vermutungen zu allenfalls möglichen (oder auch näher liegenden) Sachverhalten, ohne daß dies durch (wesentlich) mehr als die „Überzeugung” des Landgerichts gestützt wird.
aa) Dies wird beispielhaft an folgendem deutlich:
(1) Um darzutun, daß die Angeklagte entgegen allem äußeren Anschein das Kind doch nicht geliebt habe, beurteilt das Landgericht die Reaktion der Eltern und der Angeklagten am Morgen des 21. Januar 1993 darauf, daß der behandelnde Arzt ihnen unter Hinweis auf die kritische Lage eröffnete, das Kind sei in die Intensivstation verlegt worden, unterschiedlich. Die Eltern hätten dies aus Zweckoptimismus als gutes Anzeichen gewertet, die Angeklagte habe dagegen wegen ihrer generell kritischen Haltung gegenüber Ärzten die Bedrohlichkeit der Situation genau erkannt. Daher sei das Verlassen des Krankenhauses durch die Angeklagte zur Wahrnehmung eines vorher vereinbarten Tierarztbesuches auffällig; auch habe sie sich anschließend „betont unauffällig” verhalten und dem Tierarzt nichts von der kritischen Lage des Kindes berichtet.
(2) Zudem habe sich die Angeklagte nach dem Tod des Opfers auf der Trauerfeier unangemessen lautstark geäußert und sei nach Erzählung von Episoden aus dem Leben des Kindes rasch „zur Tagesordnung übergegangen”; die Sachlichkeit der Trauerrede des Vaters des Kindes sei dagegen dadurch zu erklären, daß sich dieser Mann wegen seiner tief religiösen Haltung seinen Schmerz nicht habe anmerken lassen wollen. Fehlerhaft hinsichtlich der Beurteilung des Verhaltens der Angeklagten (Kleidung, Sprache, Distanzlosigkeit), geht das Landgericht hierbei vom Eindruck von Zeugen aus, welche die Angeklagte zuvor nicht kannten. Maßgebend wäre aber gewesen, ihr Verhalten an dem bei ihr Üblichen zu messen. Da aber ergaben sich nach Aussagen von Zeugen, die sie bereits länger kannten, gerade keine Unterschiede.
(3) Die Mutter des Opfers habe sich, so erwägt das Landgericht weiter, gegenüber einer ermittelnden Kriminalbeamtin „kooperativ” verhalten, indem sie dieser angeboten habe, sie könne alle Lebensmittel, von denen ihr Kind gegessen hatte, mitnehmen; dagegen wertet das Landgericht die bei derselben Gelegenheit von der Angeklagten gemachte Äußerung, die Beamtin könne auch ihre Handtasche durchsuchen, als auffällige „Vorwärtsverteidigung”.
bb) Diese unterschiedliche Bewertung vergleichbarer und jeweils für die konkrete Beweisfrage kaum aussagekräftiger Verhaltensweisen von Personen, die – jeder für sich – kein erkennbares Tatmotiv hatten, ist nur so zu erklären, daß das Landgericht die Täterschaft der Angeklagten bei der Bewertung der einzelnen Geschehnisse jeweils gedanklich bereits vorausgesetzt, bei anderen Personen aber ausgeschlossen hat.
b) Ähnliches gilt für die Annahme einer absichtlichen, vorausgeplanten Tötung des Opfers durch die Angeklagte. Das Landgericht erkennt zwar, daß die Angeklagte kein feststellbares Motiv hatte. Es führt dann aber aus, sie habe das Kind zur Tatzeit „nicht geliebt”; ihre Zuneigung sei – trotz Erbeinsetzung und allem äußeren Anschein, wie er sich allen Zeugen, auch den Eltern des Kindes darstellte – nur vorgespiegelt gewesen. Dagegen sei die Liebe der Mutter zu ihrem Kind unzweifelhaft, obwohl diese das Kind streng erzogen hatte und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erkrankung an multipler Sklerose „nörglerisch” erscheinen konnte.
Diese in sich schon fragwürdige Überlegung greift insofern zu kurz, als – abgesehen von der einseitigen, nur auf Täterschaft zielenden Betrachtungsweise – fehlende Liebe der Angeklagten zum Tatopfer noch kein Tatmotiv ergibt und die Tat dadurch auch nicht zu erklären ist. Wiederum werden aber auch an die Prüfung der inneren Tatsachen bei der Kindesmutter einerseits und der Angeklagten andererseits unterschiedliche Maßstäbe angelegt, die in der Annahme gipfeln, die Tatbegehung durch die Mutter sei „geradezu absurd”. Damit wird vernachlässigt, daß die Tatbegehung durch die Angeklagte ebenfalls „kaum verständlich” erscheint.
c) Der Ausschluß der Eltern als Täter – und dies wiederum als Indiz für die Täterschaft der Angeklagten – ist auch im übrigen zu beanstanden.
aa) Das Landgericht geht davon aus, „Vehikel” für die Giftbeibringung könne nur das Pistazieneis gewesen sein. Ein erstes Erbrechen („Spuckerchen”) des Kindes gegen 22.15 Uhr am 20. Januar 1993 sei bereits auf die Vergiftung und nicht auf übermäßigen Eisgenuß zurückzuführen gewesen. Das aber widerspricht den Gutachten der beiden toxikologischen Sachverständigen. Insbesondere Prof. Dr. von C. hält es für eine realistische Möglichkeit und für eher wahrscheinlich, daß das Gift erst nach 22.00 Uhr zugeführt wurde, womit das Eis als „Vehikel” für die Giftbeibringung stark in Frage gestellt war. Das Landgericht schließt diese Möglichkeit gleichwohl aus, weil dann die Eltern als Täter in Betracht kämen, was das Landgericht jedoch (als „absurd”) verneint.
bb) Das Präparieren des Eises in einer Weise, daß ausschließlich das Kind vergiftet wurde, sei für die Eltern nicht möglich beziehungsweise zu aufwendig gewesen. Auch das Risiko der Vergiftung weiterer Personen außer dem Kind wären die Eltern des Opfers nicht eingegangen.
Diese Überlegung greift wiederum zu kurz. Da ein Tatmotiv irgendeiner Person aus dem familiären Umfeld des Opfers nicht erkennbar ist, geht bereits die Annahme einer bestimmten Vorsatzrichtung des Täters zur Tötung ausschließlich des Kindes ohne Inkaufnahme einer Gefährdung anderer Personen fehl.
cc) Ist deshalb eine Giftbeibringung nach 22.15 Uhr am 20. Januar 1993 nicht lückenlos ausgeschlossen, läßt das Tatgericht auch eine weitere Begehungsmöglichkeit im Zeitraum ab 22.15 Uhr unbeachtet. Nach den Feststellungen trank das Kind im Anschluß an sein erstes Erbrechen am 20. Januar 1993 nach 22.15 Uhr Tee. Einzelheiten darüber, wann und von wem der Tee zubereitet worden war, wieviel das Opfer davon getrunken hat und ob auch weitere Personen den Tee (folgenlos) getrunken haben, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Das Tatgericht hätte aber bei der gegebenen Sachlage prüfen müssen, ob dieses Getränk als weiteres „Vehikel” für die Giftbeibringung gedient haben konnte.
d) Soweit das Landgericht aus dem Verhalten der Angeklagten im Krankenhaus und unmittelbar danach auf fehlende Anteilnahme schließt und dies als Indiz gegen die Angeklagte verwertet, bleibt das letztlich folgenlos gebliebene mehrfache krampfartige Erbrechen des Kindes nach Teegenuß am 3. November 1992, das auch die Angeklagte selbst zu einem Zeitpunkt vor dem vom Landgericht festgestellten Tatentschluß miterlebt hatte, unberücksichtigt.
Die Angeklagte hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, sie habe am Morgen des 21. Januar 1993 mit einem gravierenden, aber nicht lebensbedrohlichen Brechdurchfall gerechnet und deshalb das Krankenhaus in der Annahme verlassen, die erneute Erkrankung des Kindes werde mit den angekündigten intensivmedizinischen Maßnahmen erfolgreich behandelt. Das Landgericht geht dagegen von der Widerlegung dieser Einlassung aus und sieht im Verlassen des Krankenhauses trotz der Hinweise des behandelnden Arztes auf einen kritischen Zustand des Kindes eine Verhaltensauffälligkeit der Angeklagten, die es als Hinweis auf ihre Täterschaft wertet. Da das Landgericht seine Überzeugung – gegen die Äußerungen zweier psychologischer Sachverständiger, die das Verhalten der Angeklagten als ohne weiteres „normalpsychologisch erklärbar” bezeichnet hatten – allein auf den äußeren Eindruck des Geschehens stützt, ist die Nichtberücksichtigung des markanten Vorerlebnisses der Angeklagten auch insofern eine Lücke in der Beweiswürdigung.
e) Im Hinblick darauf, daß ein Giftmord der Angeklagten mangels feststellbaren Motivs „kaum verständlich” erscheint, hätte für das Landgericht Bedeutung gewinnen müssen, daß die Eheleute Dr. B. „in der Hauptverhandlung (lediglich) keine Angaben zu der persönlichen Entwicklung der Angeklagten und deren Rolle und Stellung im Familienverband gemacht haben, weshalb sich die familiäre Gesamtsituation nicht umfassend aufklären ließ.” Auch verweigerte Benedikte B. ihre Untersuchung durch einen psychiatrischen Sachverständigen und die Entbindung ihres Hausarztes von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit. Damit blieb dem Gericht ein wesentliches Aufklärungsmittel für die Erforschung eines möglichen Motivs, insbesondere bei der Angeklagten oder aber bei der Zeugin Benedikte B., zwischen denen ein nicht näher feststellbares „Spannungsverhältnis” bestanden hatte, verschlossen. Das Landgericht hätte danach prüfen müssen, ob diese Lücke im Tatbild mit den verbleibenden Beweismitteln geschlossen werden konnte. Tragfähige Ausführungen dazu finden sich im Urteil jedoch nicht. Das Landgericht durfte insbesondere einen psychotischen Schub der Erkrankung von Benedikte B. infolge ihrer multiplen Sklerose, der zu einem für Laien unerkennbaren „geordneten Wahn” geführt haben konnte, nicht allein mit dem Hinweis darauf verneinen, daß wegen der Weigerung der Zeugin, sich durch einen psychiatrischen Sachverständigen untersuchen zu lassen, keine weiteren Anhaltspunkte zu finden waren. Die Erwägung des Landgerichts, ein psychotischer Schub hätte doch zu Wahrnehmungen durch die Personen im Umfeld der Zeugin führen müssen, welche aber von allen dazu vernommenen Zeugen verneint wurden, wird dem Grundsatz „in dubio pro reo” nicht voll gerecht. Zwar waren nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte, zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen. Ihr durfte aber auch kein Nachteil daraus erwachsen, daß die Nebenkläger von ihrem Zeugnis- beziehungsweise Untersuchungsverweigerungsrecht Gebrauch machten (vgl. BGHR StGB § 213 Beweiswürdigung 1).
f) Die Beweiswürdigung enthält ferner einen Kreisschluß, wenn das Landgericht annimmt, die Angeklagte habe bewußt das einzige objektive Beweismittel vernichtet, indem sie am Morgen des 21. Januar 1993 die Eisschale, von der das Opfer gegessen hatte, in der Spülmaschine reinigte. Daß sie am Abend des 20. Januar 1993 in Abwesenheit der Eltern des Opfers unschwer die Möglichkeit gehabt hatte, die Eisschale im Spülbecken zu reinigen, – was bei Täterschaft höchst nahegelegen hätte und wahrscheinlich war – stehe nicht entgegen; sie habe durch Einsatz der Spülmaschine „sichergehen” wollen, daß alle Spuren des Giftes beseitigt seien. Diese Überlegung ist jedoch nur dann richtig, wenn sich Giftspuren nur auf der Eisschale befanden, von der das Kind gegessen hatte, nicht aber in der Eispackung, die nach dem Spülvorgang noch vorhanden war und erst später von der Mutter des Opfers weggeworfen wurde. Dies galt es jedoch erst zu beweisen.
g) Schließlich ist auch die Ablehnung einer Tatbegehung durch einen Produkterpresser nicht fehlerfrei. Dafür hatten sich erstmals in der erneuten Hauptverhandlung konkrete Hinweise durch die festgestellten Erpresserbriefe an den Hersteller des Eises und das Vertriebsunternehmen, in dessen Filiale das Eis von der Angeklagten erworben wurde, ergeben. Bei solcher Sachlage gewinnt die Möglichkeit der Vergiftung durch einen Dritten mehr Bedeutung, als die einer bloßen – so das Landgericht – „denktheoretischen” Fallgestaltung. Zwar mochte die Tatbegehung durch einen Produkterpresser fernliegen; aber sie durfte nicht als bloß theoretische Möglichkeit außer Betracht gelassen werden, wenn – wie hier – für die Täterschaft anderer Personen unmittelbar tatbezogene Beweise fehlen. Die Tat eines Dritten mußte dann vielmehr mit Fakten ausgeschlossen werden, um dadurch umgekehrt die Angeklagte belasten zu können. Dies hat das Landgericht weder getan noch vermocht.
Das Landgericht verneint nach Erörterung bekanntgewordener Erpressungsfälle die Möglichkeit einer Vergiftung des Opfers durch einen Produkterpresser bereits vor der Absendung der festgestellten Drohbriefe und ohne Bezugnahme auf die Lebensmittelvergiftung in den Briefen wie folgt: „Daß das Pistazieneis durch einen Produkterpresser vergiftet wurde, ist … mit Sicherheit auszuschließen. Dem Erpresser kommt es allein auf das Geld an, die Schädigung oder gar Tötung von Personen durch vergiftete Lebensmittel will er vermeiden, weshalb folgerichtig keine Fälle in Deutschland bekannt sind, bei denen jemand durch ein von einem Erpresser vergiftetes Produkt zu Schaden kam.” Damit wird – trotz Vorliegens eines Erpresserbriefes – einer kriminologischen Erfahrung Allgemeinverbindlichkeit zugemessen, die ihr nicht zukommen kann (vgl. zur fehlerhaften Annahme der Allgemeinverbindlichkeit von Umständen aus der Lebenserfahrung BGH StV 1993, 116, 117).
III.
Die Verurteilung der Angeklagten kann nach alledem keinen Bestand haben. Eine Zurückverweisung der Sache zu erneuter tatrichterlicher Prüfung ist aber nicht angebracht. Der Senat kann durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO; vgl. BGHSt 36, 316, 319).
Der Senat schließt aus, daß bei einer Zurückverweisung in einer erneuten (dritten) Hauptverhandlung Tatsachen festgestellt werden könnten, die für eine Verurteilung tragfähig wären. Gegen die vorsätzliche Tötung des Kindes durch die Angeklagte spricht, daß auch in der zweiten Hauptverhandlung – von theoretischen Möglichkeiten, die keinen Schluß zum Nachteil der Angeklagten gestatten, abgesehen – kein Motiv für die Tatbegehung festgestellt werden konnte, kein unmittelbar tatbezogenes Indiz gegen die Angeklagte vorhanden ist und nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts auch kein „geordneter Wahn” vorlag, der ein Handeln durch die Angeklagte erklären könnte. Die Tatbegehung durch sie ist immer noch „kaum verständlich”, während umgekehrt andere Ursachen für den Tod des Kindes nicht ausgeschlossen werden können. Bei dieser Sachlage fehlt endgültig eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch die Angeklagte, die aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Voraussetzung für eine Verurteilung wäre (BGHR StPO § 261 Identifizierung 6; BGH StV 1993, 510, 511; 1995, 453; NStZ 1988, 236, 237; BGH bei Kusch NStZ 1997, 377; BGH, Beschl. vom 29. Juli 1991 - 5 StR 278/91; Urt. vom 13. August 1991 - 5 StR 231/91; Urt. vom 14. April 1993 - 3 StR 604/92) und nicht allein durch die, für die Verurteilung freilich zusätzlich erforderliche, subjektive richterliche Überzeugung ersetzt werden kann. Deshalb kann von Rechts wegen eine sichere Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten nicht gewonnen werden.
IV.
Die Entscheidung über eine Entschädigung der Angeklagten wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht überlassen (vgl. BGH, Urt. vom 11. April 1995 - 1 StR 64/95; Urt. vom 21. April 1995 - 1 StR 699/94; Beschl. vom 26. September 1994 - 5 StR 453/94; Beschl. vom 21. März 1995 - 5 StR 89/95). Denn die Prüfung, ob eine Entschädigung zu gewähren ist, muß sich auf den gesamten Sachverhalt erstrecken, der die Strafverfolgungsmaßnahmen ausgelöst hat (BGH NJW 1988, 2483, 2485). Dazu gehören hier auch diejenigen Verfahrensabschnitte, die nicht Gegenstand des erneuten Revisionsverfahrens waren.
Unterschriften
Schäfer, Ulsamer, Maul, Brüning, Wahl
Fundstellen
Haufe-Index 539991 |
NJW 1999, 1562 |
NStZ 1999, 420 |
JA 1999, 925 |
StraFo 1999, 158 |