Leitsatz (amtlich)
Die „informatorische Anhörung” eines in erster Instanz vernommenen Zeugen durch das Berufungsgericht kann eine nach § 398 Abs. 1 ZPO gebotene erneute Zeugenvernehmung nicht ersetzen.
Normenkette
ZPO § 398 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 22.01.1996) |
LG Frankfurt am Main |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Januar 1996 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Bezahlung von Transportleistungen und Erstattung von Müllentsorgungsgebühren in Anspruch.
Die Beklagte hatte im Mai 1992 die H.- und W. GmbH in F. (im folgenden: H.) mit der Durchführung eines Bauvorhabens in M. beauftragt. In Nr. 1.2 des Bauvertrages wurde u.a. folgendes vereinbart:
„Die Vergütung für die Arbeiten beträgt als Pauschalvergütung und Festpreis …
In diesem Preis sind sämtliche Kosten enthalten mit Ausnahme der Kosten für Planung und Bauüberwachung sowie die Kosten für Bauschuttcontainer”.
Der Bauleiter der H. erteilte 1992 zunächst der Firma P., deren Inhaber der Geschäftsführer der Klägerin war, namens und in Vollmacht der Beklagten den Auftrag, die Bauschuttcontainer abzutransportieren und deren Inhalt zu entsorgen. Hierfür berechnete die Firma P. der Beklagten bis Ende 1992 insgesamt 58.820,58 DM, die auch bezahlt wurden. In zwei der insgesamt vier Rechnungen wurde zwischen „Abfuhr von Bauschutt”, „Abfuhr von Bauschutt und Müll gemischt” und „Abfuhr von Müll” differenziert.
Ob ab 1. Januar 1993 die Klägerin, die an die Stelle der Firma P. getreten ist, über die H. namens der Beklagten den Auftrag erhielt, Bauschutt und Müll abzutransportieren und zu entsorgen, ist offengeblieben. Im äußeren Ablauf der Transporte trat jedenfalls keine Änderung ein. Die Klägerin fuhr ebenfalls „Bauschutt”, „Bauschutt mit Müll gemischt” und auch nur „Müll” ab und kennzeichnete dies auch in den der Beklagten erteilten Rechnungen. Sie stellte der Beklagten für die von ihr erbrachten Leistungen insgesamt 128.397,74 DM in Rechnung. Diesen Betrag nebst Zinsen macht sie im vorliegenden Rechtsstreit geltend.
Die Klägerin hat vorgetragen, die in Rechnung gestellten Transporte seien ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die mit „Bauschutt und Müll” bezeichneten Container hätten tatsächlich Bauschutt enthalten. Eine Änderung der abfallrechtlichen Vorschriften habe für diese Container jedoch eine Deklaration als „Bauschutt” nicht mehr zugelassen. Hierauf habe sie – die Klägerin – den Ehemann der Beklagten, der für die Beklagte in Erscheinung getreten sei, ausdrücklich hingewiesen. Sie habe die Beklagte auch über die mit der Änderung des Kommunalabfallgesetzes verbundene Preiserhöhung per Rundschreiben informiert.
Die Beklagte ist dem Klagebegehren nach Grund und Höhe entgegengetreten. Sie hat behauptet, ihr Ehemann habe dem Geschäftsführer der Klägerin sowohl mündlich als auch schriftlich mitgeteilt, daß sie nur verpflichtet sei, die Kosten für die Entsorgung von „Bauschutt” zu bezahlen. In ihrem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 10. Januar 1993 habe sie ausdrücklich darauf hingewiesen, daß künftig nur noch die reine Bauschuttentsorgung bezahlt werde. Dieses Schreiben habe die Klägerin auch erhalten.
Soweit die Klägerin in den drei Rechnungen aus dem Jahre 1993 den Abtransport von „Bauschutt” berechnet hat, hat die Beklagte hiergegen mit einer behaupteten Gegenforderung, die sie aus einer Überzahlung der Transporte aus dem Jahre 1992 herleitet, die Aufrechnung erklärt.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung zur Zahlung von 84.383,– DM nebst Zinsen verurteilt.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt die Beklagte die vollständige Wiederherstellung des die Klage abweisenden landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin die für Abtransport und Entsorgung von „Bauschutt” und „Bauschutt gemischt mit Müll” geltend gemachten Forderungen weitgehend zugesprochen und die von der Beklagten erklärte Aufrechnung nicht durchgreifen lassen. Dazu hat es ausgeführt:
Die Vergütungsforderung für den Abtransport des reinen Bauschutts sei begründet, weil die Beklagte sich in dem Bauvertrag mit der H. zur Bezahlung dieser Leistung verpflichtet habe. Die H. habe die Klägerin mit Einverständnis der Beklagten beauftragt, die Transporte durchzuführen. Die verlangte Vergütung für den Abtransport von „Bauschutt gemischt mit Müll” sei ebenfalls weitgehend gerechtfertigt. Die Klägerin habe – von der Beklagten nicht hinreichend bestritten – überzeugend dargelegt, daß die mit „Bauschutt und Müll” bezeichneten Container Bauschutt enthalten hätten, zu dem neben Mauerwerk beispielsweise auch Holzbohlen, Gipsplatten, Leitungsrohre, Steigleitungen und Kunststoffe gehörten, sofern sie aus der Baumasse stammten. Da das Bauwerk nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten schon im Mai 1992 weitgehend entkernt gewesen sei, habe sich die Vereinbarung in Nr. 1.2 des Bauvertrages hauptsächlich auf die Baumasse als solche bezogen. Die später bei der Entsorgung erforderlich gewordene Unterscheidung zwischen Mauerwerk und sonstigen Bauwerksbestandteilen dürfte den Vertragsparteien nicht gegenwärtig gewesen sein.
Die H. sei von der Beklagten unstreitig bevollmächtigt gewesen, die Firma P. mit dem Abtransport des Bauschutts in der genannten Mischung für Rechnung der Beklagten zu beauftragen. Ob die Klägerin in gleicher Weise beauftragt worden sei oder wegen erfolgter Abtretung nur die Rechtsposition der Einzelfirma eingenommen habe, könne offenbleiben. Entgegen der Annahme des Landgerichts sei es nicht überzeugend, daß der Ehemann der Beklagten den ursprünglich der Firma P. erteilten Auftrag rechtswirksam abgeändert habe mit der Folge, daß die Beklagte nur noch den Transport des in den Rechnungen als „Bauschutt” bezeichneten Materials zu bezahlen habe. Der Senat habe sowohl den Ehemann der Beklagten als auch den Geschäftsführer der Klägerin kurz informatorisch angehört, die beide ein etwa gleichwertiges Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hätten. Aufgrund des persönlichen Eindrucks könne nicht mit Sicherheit beurteilt werden, auf wessen Seite die Wahrheit zu finden sei. Die Bekundungen des Ehemannes der Beklagten in erster Instanz, auf deren Richtigkeit er sich auch bei seiner informatorischen Anhörung in zweiter Instanz berufen habe, erschienen dem Senat nicht glaubhaft.
Dem Beweisantritt der Beklagten für ihre Behauptung, spätestens ab Oktober 1992 sei die H. über ihren Bauleiter beauftragt worden, für die Separierung der verschiedenen Abfallteile zu sorgen und die Container entsprechend separat zu füllen, brauche nicht nachgegangen zu werden, weil er auf eine Ausforschung des benannten Zeugen hinauslaufe.
Die Klägerin habe für den Abtransport von „Bauschutt gemischt mit Müll” einen Betrag von 71.862,92 DM in Rechnung gestellt. Die einzelnen Transporte habe sie durch unterzeichnete Lieferscheine nachgewiesen. Es könne allerdings nicht mehr festgestellt werden, in welchem Verhältnis sich das transportierte Gemisch aus Bauschutt und Müll zusammengesetzt habe. Den Prozentsatz des „reinen” Mülls habe die Klägerin mit etwa 10 % angegeben. Diese Schätzung halte das Gericht für angemessen. Der für den Transport von „Bauschutt gemischt mit Müll” in Rechnung gestellte Gesamtbetrag sei mithin um 10 % zu reduzieren. Unter Anrechnung von Mehrwertsteuer ergebe sich danach eine begründete Forderung der Klägerin von 74.378,– DM, zu der die Vergütung für die Abfuhr des reinen Bauschutts in Höhe von 10.005,– DM hinzuzurechnen sei.
Für den Abtransport der Container, die nur Müll enthalten hätten, könne die Klägerin keine Vergütung verlangen, weil dafür nicht die Beklagte, sondern die H. einzustehen habe.
Die von der Beklagten hilfsweise zur Aufrechnung gestellte angebliche Gegenforderung sei nicht gerechtfertigt. Die Beklagte müsse auch den Transport von „Müll” und „Bauschutt gemischt mit Müll” bezahlen. Ihr stehe daher kein Rückzahlungsanspruch hinsichtlich der im Jahre 1992 an die Firma P. geleisteten Zahlungen zu.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Ohne Erfolg bleibt allerdings die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, es sei unstreitig, daß die H. bevollmächtigt gewesen sei, die Klägerin namens und für Rechnung der Beklagten mit dem Abtransport von „Bauschutt gemischt mit Müll” zu beauftragen. Die Revision meint, das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft den erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten, sie bestreite „die Beauftragung der Klägerin zum Abtransport von gemischtem Müll”, unberücksichtigt gelassen. Dem kann nicht beigetreten werden.
a) Die Revision übersieht, daß sich die beanstandete Annahme des Berufungsgerichts (BU 10) allein auf das frühere Einzelunternehmen des jetzigen Geschäftsführers der Klägerin bezieht und im unstreitigen Teil des Tatbestandes die Feststellung enthalten ist, daß der damalige Bauleiter der H. die Firma P. namens und in Vollmacht der Beklagten beauftragt hatte – jedenfalls bis Ende 1992 –, die Bauschuttcontainer abzutransportieren. Aufgrund der Bindungswirkung des Tatbestandes gemäß § 314 ZPO ist in der Revisionsinstanz von den darin getroffenen Feststellungen auszugehen. Etwaigen Unrichtigkeiten hätte die Beklagte mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO begegnen müssen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 29.4.1993 – IX ZR 215/92, NJW 1993, 1851, 1852; Urt. v. 7.12.1993 – VI ZR 74/93, NJW 1994, 517, 519).
Ob die Klägerin ab Januar 1993 in gleicher Weise wie die Firma P. beauftragt wurde oder sich ihre Anspruchsberechtigung aus einer Abtretung der Firma P. ergibt, hat das Berufungsgericht ausdrücklich offengelassen. Es hat es aber aufgrund der von der Klägerin vorgelegten unterzeichneten Lieferscheine als erwiesen angesehen, daß die in Rechnung gestellten Transporte von „Bauschutt gemischt mit Müll” tatsächlich durchgeführt wurden. Diese Beurteilung läßt einen revisiblen Rechtsfehler nicht erkennen.
b) Auch die Erwägungen des Berufungsgerichts zum Umfang der der H. eingeräumten Vollmacht sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat dem eigenen Vorbringen der Beklagten – von der Revision unbeanstandet – entnommen, die Vertretungsbefugnis der H. habe im Umfang der Verpflichtung der Beklagten bestanden, die Kosten für Bauschuttcontainer gesondert zu tragen (Nr. 1.2 des Bauvertrags). Diese tatrichterliche Würdigung einer Vertragsbestimmung ist durch das Revisionsgericht nur in beschränktem Umfang nachprüfbar. Die Prüfung muß sich darauf beschränken, ob das Berufungsgericht gegen Verfahrensvorschriften, gesetzliche Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat und ob wesentlicher Prozeßstoff unberücksichtigt geblieben ist. Solche Rechtsfehler läßt das Berufungsurteil im Zusammenhang mit der Feststellung der Vertretungsmacht der H. nicht erkennen.
Die Revision beanstandet insoweit ohne Erfolg, das Berufungsgericht hätte dem Vorbringen der Beklagten nachgehen müssen, der Klägerin seien die vertraglichen Beziehungen zwischen der H. und der Beklagten – einschließlich der im Bauvertrag für die Bauschuttcontainer getroffenen Kostenregelung – bekannt gewesen. Selbst wenn dies zutreffend wäre, was für die Revisionsinstanz zu unterstellen ist, ergäbe sich daraus kein Rechtsfehler des Berufungsgerichts. Die Revision verkennt nämlich, daß die Parteien im Kern um die Auslegung des Bauschuttbegriffs streiten, der in Nr. 1.2 des Bauvertrags vorausgesetzt wird.
Die Annahme des Berufungsgerichts, zu dem Bauschutt, dessen Abtransport und Entsorgung die Beklagte bezahlen müsse, gehörten neben Mauerwerk auch die aus der Baumasse stammenden Holzbohlen, Gipsplatten, Versorgungsleitungen und Kunststoffe, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Verständnis des Berufungsgerichts ist unter den gegebenen Umständen ohne weiteres nachvollziehbar und deshalb in der Revisionsinstanz hinzunehmen. Die Revision greift das Berufungsurteil in diesem Punkt auch nicht ausdrücklich an.
2. Die Revision rügt dagegen mit Erfolg einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 398 Abs. 1 ZPO, weil es die Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen B. abweichend vom Landgericht gewürdigt hat, ohne die Beweisaufnahme wiederholt zu haben.
a) § 398 Abs. 1 ZPO stellt es zwar in das Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen in erster Instanz vernommenen Zeugen erneut vernimmt. Dieses Ermessen ist jedoch pflichtgebunden. Eine erneute Vernehmung ist nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht nur dann erforderlich, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders beurteilen will, sondern auch dann, wenn es die protokollierte Aussage anders verstehen oder würdigen will als die Vorinstanz (vgl. BGH, Urt. v. 6.12.1990 – I ZR 25/89, NJW 1991, 1183; Urt. v. 20.6.1991 – I ZR 277/89, NJW-RR 1991, 1318; Urt. v. 16.10.1997 – IX ZR 10/97, EBE/BGH 1997, 396, 397). Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verstoßen.
Der Zeuge B. hat vor dem Landgericht unter anderem folgendes ausgesagt:
„Ich denke, ich habe dem Geschäftsführer der Klägerin schon gesagt, daß wir von seiten der Bauherrenschaft nur für den Abtransport von Bauschutt aufkommen, wenn dagegen Bauschutt mit anderem Müll vermischt sei, wäre dies ein Problem der Generalunternehmerin …”.
Das Landgericht hat diese Aussage für glaubhaft gehalten und ist deshalb davon ausgegangen, daß der Zeuge den Geschäftsführer der Klägerin, der 1992 Inhaber der Einzelfirma P. war, darauf hingewiesen hat, daß die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin mit gemischtem Bauschutt gefüllte Container stehenlassen sollte.
Das Berufungsgericht hat demgegenüber gemeint, durch die Worte „Ich denke, ich habe …” werde das Gewicht der Bekundung eingeschränkt. Der Zeuge habe damit keine Tatsache, sondern lediglich eine Meinung wiedergegeben. Es hat die Bekundungen des Zeugen B. zudem ausdrücklich für unglaubhaft erachtet und ist daher zu der vom Landgericht abweichenden Annahme gelangt, es sei nicht erwiesen, daß der Ehemann der Beklagten den ursprünglich der Firma P. erteilten Auftrag rechtswirksam abgeändert habe mit der Folge, daß die Beklagte nur den Abtransport des reinen Bauschutts zu bezahlen brauche.
Bei diesem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Verständnis der Aussage hätte es den Zeugen B. erneut vernehmen müssen.
b) Es konnte hiervon nicht deshalb absehen, weil es den Geschäftsführer der Klägerin und den Zeugen B. in der mündlichen Berufungsverhandlung „kurz informatorisch gehört” hat. Diese Verfahrensweise genügt nicht den Anforderungen, die an eine erneute Zeugenvernehmung i.S. von § 398 Abs. 1 ZPO zu stellen sind. Die Art und Weise der Anhörung von Zeugen wird – auch bei deren erneuter Vernehmung – durch die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über den Zeugenbeweis (§§ 373–401 ZPO) zwingend vorgegeben. Eine informatorische Anhörung sehen diese Vorschriften nicht vor. Sie kann nur insoweit erfolgen, als sich der Richter die Überzeugung vom Vorhandensein bestimmter prozeßrechtlich bedeutsamer Tatsachen von vorneherein im Wege des Freibeweises verschaffen darf, was beispielsweise bei den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels der Fall sein kann (vgl. BGH, Beschl. v. 9.7.1987 – VII ZB 10/86, NJW 1987, 2875 f.). Die Beweiserhebung über materiell-rechtlich maßgebliche Vorgänge – um die es im Streitfall geht – ist auf die gesetzlich vorgegebenen Beweismittel beschränkt. Dementsprechend hätte das Berufungsgericht die von dem Ehemann der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gewonnenen subjektiven Eindrücke zu Zwecken der Beweiswürdigung nur verwerten dürfen, wenn dieser ordnungsgemäß belehrt und förmlich zur Sache vernommen worden wäre. Das ist ausweislich des Protokolls über die mündliche Berufungsverhandlung (§ 165 Satz 1 ZPO) indes nicht geschehen.
Eine informatorische Anhörung steht einer erneuten Zeugenvernehmung nach § 398 Abs. 1 ZPO aber auch inhaltlich nicht gleich. Das Sitzungsprotokoll enthält über die Anhörung keinerlei Vermerke. Ebensowenig kann den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils entnommen werden, zu welchem Thema und in welchem Umfang der Ehemann der Beklagten befragt wurde und wie er sich geäußert hat. Es ist zudem nicht ersichtlich, ob der Tatrichter ihn auf die seiner Auffassung nach unklare Äußerung in der erstinstanzlichen Aussage „Ich denke, ich habe …” angesprochen hat. Demzufolge kann nicht angenommen werden, daß das Berufungsgericht dem Ehemann der Beklagten gehörige Vorhalte gemacht und ihn auf – möglicherweise nur vermeintliche – Widersprüche zwischen seinen erstinstanzlichen Bekundungen und den im Prozeßverlauf zutage getretenen objektiven Umständen hingewiesen hat. Es fehlt damit an konkreten Feststellungen, welche die vom Landgericht abweichende Beweiswürdigung des Berufungsgerichts rechtfertigen.
Der aufgezeigte Verfahrensverstoß hat sich auch auf die angefochtene Entscheidung ausgewirkt. Das Berufungsgericht hat – anders als das Landgericht – die Aussage des Zeugen B. für unglaubhaft und den Zeugen überdies für unglaubwürdig gehalten und der Klage infolgedessen teilweise stattgegeben.
3. Mit Erfolg rügt die Revision auch, daß das Berufungsgericht den Beweisantritt der Beklagten für ihren Vortrag, die H. sei spätestens ab Oktober 1992 über ihren Bauleiter K. beauftragt gewesen, für die Separierung der verschiedenen Abfallteile zu sorgen und die Container entsprechend separat zu füllen, nicht hätte zurückweisen dürfen. Der Auffassung des Berufungsgerichts, das Beweisangebot der Beklagten laufe mangels hinreichender Bestimmtheit auf eine Ausforschung des benannten Zeugen K. hinaus, weil nicht dargetan sei, daß der Geschäftsführer der Klägerin von der angeblichen Beauftragung Kenntnis gehabt habe, was allein entscheidungserheblich sein könnte, kann nicht beigetreten werden.
Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß der in Rede stehende Vortrag der Beklagten deshalb entscheidungserheblich sei, weil ihm eine Indizwirkung für die Richtigkeit der Aussage des Zeugen B. zukomme, er habe den Geschäftsführer der Klägerin angewiesen, Container, die gemischten Bauschutt enthielten, nicht abzutransportieren. Unter diesem Blickwinkel ist das Beweisangebot weder zu unbestimmt noch läuft es auf eine unzulässige Ausforschung hinaus. Von letzterem könnte nur dann die Rede sein, wenn die Beklagte die zur Konkretisierung ihres Sachvortrags benötigten Tatsachen erst durch die Beweisaufnahme in Erfahrung bringen wollte, um sie anschließend zur Grundlage neuen Vorbringens zu machen (vgl. BGH, Urt. v. 23.10.1986 – I ZR 97/84, BGHR ZPO § 373 – Ausforschungsbeweis 1; Urt. v. 4.3.1991 – II ZR 90/90, BGHR ZPO § 373 – Ausforschungsbeweis 5). Das ist jedoch ersichtlich nicht der Fall, da die Beklagte für ihr Hauptverteidigungsvorbringen selbst, nämlich der Anweisung an den Geschäftsführer der Klägerin, mit gemischtem Bauschutt gefüllte Container nicht abzutransportieren, Beweis angetreten hatte. Unter diesen Umständen durfte das Berufungsgericht von der Erhebung des Indizienbeweises nicht absehen (vgl. BGHZ 53, 245, 261; BGH, Urt. v. 4.7.1989 – VI ZR 309/88, NJW 1989, 2947).
4. Die Revision beanstandet ferner mit Erfolg, daß das Berufungsgericht die von der Beklagten wegen behaupteter Überzahlung der Leistungen des Jahres 1992 zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung mit unzureichender Begründung verneint hat. Sie weist insoweit zutreffend darauf hin, daß die Urteilsbegründung des Berufungsgerichts teilweise widersprüchlich ist. Soweit die Klägerin in den 1993 erteilten Rechnungen auch eine Vergütung für den Abtransport von Müll allein verlangt, hat das Berufungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen, weil hierfür nicht die Beklagte, sondern die H. einzustehen habe. Darüber hinaus hat es die Forderungen der Klägerin für den Abtransport von „Bauschutt gemischt mit Müll” wegen des in dem Abfall enthaltenen Müllanteils um 10 % gekürzt. Die Berechtigung der von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung, die sie aus behaupteten Überzahlungen der im Jahre 1992 erhaltenen Rechnungen herleitet, hat das Berufungsgericht hingegen mit der Begründung verneint, die Beklagte schulde – wie schon ausgeführt worden sei – auch für den Abtransport von Müll und „Bauschutt gemischt mit Müll” eine Bezahlung. Diese Begründungen sind nicht miteinander in Einklang zu bringen. Auf der Grundlage der bisher vom Tatrichter getroffenen Feststellungen kann der Senat jedoch nicht abschließend beurteilen, ob und in welchem Umfang die Forderungen der Klägerin möglicherweise durch Aufrechnung erloschen sind. Insoweit ist auf folgendes hinzuweisen:
a) Dem von der Beklagten geltend gemachten Bereicherungsanspruch könnte – was das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus ungeprüft lassen konnte – § 814 BGB entgegenstehen. Das wäre der Fall, wenn sie im Zeitpunkt der Zahlung nicht nur die Tatumstände kannte, aus denen sich ergab, daß sie nicht verpflichtet war, sondern auch wußte, daß sie nach der Rechtslage nichts schuldete (BGHZ 113, 62, 70). Hierzu fehlt es bislang an tatrichterlichen Feststellungen.
b) Ungeklärt ist ferner, ob sich die streitgegenständlichen Forderungen und die Gegenforderung der Beklagten gemäß § 387 BGB aufrechenbar gegenüberstehen. Das Berufungsgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob die Ansprüche für die im Jahre 1993 durchgeführten Transporte unmittelbar zugunsten der Klägerin oder in der Person ihres jetzigen Geschäftsführers entstanden sind. Sofern die Klägerin Anspruchsinhaberin geworden ist, wird zu prüfen sein, ob sie gemäß § 419 BGB für eventuelle Verbindlichkeiten der Einzelfirma P. aus Überzahlungen auf die im Jahre 1992 erteilten Rechnungen einzustehen hat. Das wäre der Fall, wenn die Klägerin die Einzelhandelsfirma ihres jetzigen Geschäftsführers übernommen und dieser danach lediglich wirtschaftlich bedeutungsloses Vermögen behalten hätte (vgl. BGHZ 27, 257, 261). Auch insoweit fehlt es bislang an tatrichterlichen Feststellungen.
5. Die Revision beanstandet schließlich auch zu Recht, daß das Berufungsgericht der Klägerin für sämtliche in der Rechnung vom 21. Januar 1993 aufgeführten Transporte von „Bauschutt gemischt mit Müll” 15 % Mehrwertsteuer zuerkannt hat, obwohl sie teilweise noch im Dezember 1992 durchgeführt worden waren. Für diese Umsätze sind nach § 12 Abs. 1 UStG 1983 lediglich 14 % Mehrwertsteuer angefallen. Die Erhöhung des Steuersatzes auf 15 % ist gemäß Art. 40 Abs. 2 Satz 5 StÄndG 1992 (BGBl. I, S. 297) erst zum 1. Januar 1993 in Kraft getreten und findet nach § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG auf die erst nach diesem Zeitpunkt getätigten Umsätze Anwendung. Auf den Zeitpunkt der Abrechnung oder Bezahlung der erbrachten Leistungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
III. Danach war das angefochtene Urteil auf die Revision der Beklagten teilweise aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Im wiedereröffneten Berufungsrechtszug kann zu berücksichtigen sein, daß in den Jahren 1992 und 1993, in denen die streitgegenständlichen Transportleistungen erbracht wurden, die Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen sowohl im Fern- (§ 22 GüKG a.F.) als auch im Nahverkehr (§ 84 GüKG a.F.) noch dem Tarifzwang unterlag. Hiervon waren nur Güterbeförderungen ausgenommen, die einen Tatbestand der Freistellungsverordnung zum GüKG in der seinerzeit geltenden Fassung erfüllten. Auch insoweit fehlt es bislang an tatrichterlichen Feststellungen. Dem Wegfall des Tarifzwangs zum 1. Januar 1994 kommt – wie der Senat inzwischen entschieden hat – keine Rückwirkung zu (vgl. zum Güterfernverkehr BGH, Urt. v. 12.10.1995 – I ZR 118/94, TranspR 1996, 66 = VersR 1996, 259 und zum Güternahverkehr BGH, Urt. v. 5.6.1997 – I ZR 27/95, TranspR 1997, 420).
Unterschriften
Erdmann, Mees, Ullmann, Starck, Pokrant
Fundstellen
Haufe-Index 1237573 |
NJW 1999, 62 |
BGHR |
NJW-RR 1998, 1601 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1998, 704 |
AP, 0 |
MDR 1998, 1497 |
SGb 1999, 252 |
VRS 1998, 188 |