Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 08.02.2016) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 8. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Betrugs unter Einbeziehung der Strafe aus der Verurteilung durch das Landgericht Mönchengladbach vom 26. Januar 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Den Angeklagten K. hat es wegen Betrugs unter „Einbeziehung” der im Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. Mai 2015 gebildeten Gesamtstrafe und Einbeziehung der dort erkannten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Rz. 2
Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.
I.
Rz. 3
1. Nach den Feststellungen errichteten die Angeklagten zusammen mit dem früheren Mitangeklagten H. nach einem gemeinsamen Tatplan eine Organisationsstruktur, mittels derer sie im Tatzeitraum zwischen Februar und Dezember 2011 Telefonverkäufer in Callcentern einsetzten, um potentiellen Anlegern telefonisch den vorbörslichen Erwerb von Aktien eines Schweizer Unternehmens, der E. AG, anzubieten. Bei der dem H. gehörenden E. AG handelte es sich um eine Vorratsgesellschaft, die nie eine Geschäftstätigkeit entfalten sollte und für die auch kein Börsengang geplant war. Die von den Angeklagten instruierten Telefonverkäufer, die sich unter Verwendung von Alias-Namen als Mitarbeiter eines international tätigen Finanzdienstleisters ausgaben, erklärten den Anlegern jedoch unter Herausstellung hoher Gewinnerwartungen bewusst wahrheitswidrig, dass die E. AG mit seltenen Erden aus China handele und an die Börse gehen werde.
Rz. 4
Die Anleger vertrauten auf die Angaben der Telefonverkäufer, unterschrieben deswegen Zeichnungsscheine der E. AG und überwiesen den vermeintlich fälligen Kaufpreis auf vom früheren Mitangeklagten H. eröffnete vermeintliche Treuhandkonten in der Schweiz. Einen Gegenwert in Form von Aktien erhielten die geschädigten Anleger nicht.
Rz. 5
Zwischen dem 8. Februar und 6. Dezember 2011 wurden auf diese Weise vier Anleger in 15 Fällen zur Zahlung von insgesamt 540.891 Euro auf die angeblichen Treuhandkonten veranlasst. Die eingezahlten Beträge wurden vom früheren Mitangeklagten H. abgehoben. Nach Abzug seines eigenen Anteils in Höhe der Hälfte der eingezahlten Beträge, zahlte er den Rest an die Angeklagten aus. Die Angeklagten beglichen damit die eigenen Kosten, insbesondere die Provisionen der Telefonverkäufer, in Höhe von fünf bis 20 Prozent des eingegangenen Betrags. Den Rest behielten sie für sich und verwendeten ihn, wie geplant, als regelmäßige Einnahme für ihren Lebensunterhalt.
Rz. 6
2. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat die Strafkammer ihre Feststellungen zum Tatgeschehen auch auf die Angaben von drei im Tatzeitraum durch die Zeichnung von Aktien der E. AG ebenfalls geschädigten Zeugen – S., G. und F. (UA S. 47, 48) – gestützt und insoweit Schadenshöhen von 74.000 Euro, 88.000 Euro und 19.000 Euro genannt.
Rz. 7
3. Das Landgericht hat – während die Anklage noch von 15 tatmehrheitlich begangenen Taten ausgegangen war – angenommen, dass die Angeklagten sich jeweils des Betrugs „in der Form des uneigentlichen Organisationsdelikts” schuldig gemacht haben. Im Rahmen der Strafzumessung ist es vom Vorliegen eines besonders schweren Falles gemäß § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB ausgegangen und hat zu Lasten der Angeklagten die aus 15 Fällen resultierende Gesamtschadenshöhe von 540.891 Euro berücksichtigt.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 8
Die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwalt hat Erfolg.
Rz. 9
1. Der Schuldspruch nur wegen Betrugs hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da die Strafkammer bei beiden Angeklagten eine Verurteilung wegen des – nach den Feststellungen hier naheliegenden – Qualifikationstatbestandes des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges (§ 263 Abs. 5 StGB) nicht erwogen hat.
Rz. 10
a) Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Abrede verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige Taten des Betruges zu begehen (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 263 Rn. 211). Dabei ist es unschädlich, wenn diese Taten für einzelne Tatbeteiligte auf Grund eines einheitlichen Organisationsbeitrages in Tateinheit zueinander stehen (BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 – 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 183).
Rz. 11
b) Die Feststellungen der Strafkammer weisen auf eine ausdrückliche Bandenabrede im Sinne des § 265 Abs. 5 StGB zwischen den Angeklagten und dem gesondert verfolgten H. hin. Während die Angeklagten entsprechend der bei einem Treffen in der Schweiz getroffenen Vereinbarung für die Organisation des Callcenters – Einrichtung, Verwaltung und Überwachung – sowie die Beschaffung der Unternehmensunterlagen (Verkaufsprospekte, Zeichnungsscheine und Internetauftritt) verantwortlich waren und hierfür mit einem Anteil von 50 Prozent der betrügerisch erlangten Gelder „entlohnt” werden sollten, oblag dem gesondert verfolgten H. die Lenkung der Geschäfte in der Schweiz, namentlich die Bereitstellung des emittierenden Unternehmens und die Einrichtung der vermeintlichen Treuhandkonten. Hierfür sollte er 50 Prozent der betrügerisch erlangten Summen erhalten. Sowohl für die Angeklagten als auch für H. sollten die mit den Betrugshandlungen erlangten Gelder eine dauerhafte Einnahmequelle in erheblicher Höhe bilden (UA S. 34 unten, 36 unten).
Rz. 12
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem Strafausspruch die Grundlage. Die Sache bedarf hinsichtlich beider Angeklagter neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neu zu treffenden Feststellungen wird der neue Tatrichter zu prüfen haben, ob und inwieweit weitere – von der Anklage umfasste – Schadensfälle einzubeziehen sind, um der Kognitionspflicht aus § 264 StPO zu genügen.
Rz. 13
Die umfassende gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff vollständig erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222, 223 mwN). Die Tat als Gegenstand der Urteilsfindung ist der geschichtliche Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen Begriff; er ist weiter als derjenige der Handlung im sachlichen Recht. Zur Tat im prozessualen Sinne gehört – unabhängig davon, ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt – das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang darstellt. Somit umfasst der Lebensvorgang, aus dem die zugelassene Anklage einen strafrechtlichen Vorwurf herleitet, alle damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse, auch wenn diese in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt sind. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Entscheidend ist, ob zwischen den in Betracht kommenden Verhaltensweisen – unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung – ein enger sachlicher Zusammenhang besteht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 542/11, NStZ-RR 2012, 355, 356 mwN).
Rz. 14
Nach diesen Maßstäben wird der neu entscheidende Tatrichter zu erwägen haben, ob auch die in der Anklage erwähnten und im Urteil skizzierten, die drei weiteren Zeugen S., G. und F. betreffenden Vorgänge, bei denen es auch um den Erwerb von Aktien der E. AG ging, Verfahrensgegenstand sind und damit der Aburteilung unterliegen.
Unterschriften
Appl, Eschelbach, Bartel, Wimmer, Grube
Fundstellen
Haufe-Index 10871764 |
wistra 2017, 406 |
NStZ-RR 2017, 248 |