Leitsatz (amtlich)

Der Abbruch eines Kellers kann eine Grundstücksvertiefung im Sinne des § 909 BGB zur Folge haben.

 

Normenkette

BGB § 909

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 23.11.1977)

LG Bonn

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 23. November 1977 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Klägerin war bis 1972 Eigentümerin des mit einem Hotel bebauten Grundstücks K. Straße … in B.-B.. Dem Beklagten gehört das Grundstück K. Straße …. Dazwischen befindet sich ein schmaler Grundstücksstreifen, der im Eigentum der Stadt B. steht und 1951/52 als Fußgängerdurchgang („Theaterpassage”) ausgebaut worden ist. Der Beklagte hatte auf seinem Grundstück im Jahre 1952 einen eingeschossigen Gebäudekomplex errichtet. Diesen Bau erhöhte er 1962 um drei Geschosse, und zwar in der Weise, daß der Aufbau über die Passage hinweg bis an die Grenze zum Grundstück der Klägerin geführt wurde. Die dort verlaufende Giebelmauer des Gebäudes wurde durch vier auf Betonfundamente gegründete Pfeiler gestützt. Drei dieser Pfeiler standen eng an der Außenmauer eines im vorigen Jahrhundert auf dem Grundstück der Klägerin angelegten Weinkellers. Die Unterkanten der Pfeilerfundamente lasen 3,10 Meter über dem Niveau der Kellersohle.

Als die Klägerin im Jahre 1967 eine Tiefgarage – oberhalb der Kellersohle – errichten und zu diesem Zweck das Kellergewölbe abreißen wollte, ergab sich für die benachbarte Giebelwand die Gefahr des Einsturzes, weil der von den Pfeilerfundamenten ausgehende seitliche Bodendruck nur von der Außenmauer des Weinkellers aufgefangen wurde. Die Klägerin ließ auf ihre Kosten die Giebelwand unterfangen, nachdem der Beklagte eine Kostenbeteiligung abgelehnt hatte. Ihre Forderung auf Ersatz eines Kostenaufwandes von 21.536,76 DM hat die Klägerin an ihre erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten abgetreten und mit deren Zustimmung eingeklagt.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 18.071,51 DM nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Die in den Vorinstanzen umstrittene Prozeßführungsbefugnis der Klägerin hat das Berufungsgericht mit zutreffender Begründung bejaht. Bedenken dagegen macht der Beklagte im Revisionsverfahren auch nicht geltend.

II.

In der Sache geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Beklagte die Giebelmauer seines Hauses statisch einwandfrei fundamentiert habe. Nach Auffassung des Berufungsgerichts war er nicht verpflichtet, auf etwaige spätere Umbauvorhaben der Klägerin Rücksicht zu nehmen; es sei allein deren Aufgabe gewesen, bei einer Vertiefung ihres Grundstücks, und als solche sei der Abbruch des Kellergewölbes anzusehen, die nötigen Maßnahmen zur Erhaltung der Standsicherheit des Nachbargebäudes zu treffen; die Klageforderung sei daher aus keiner denkbaren Anspruchsgrundlage berechtigt.

Dagegen sendet sich die Revision ohne Erfolg.

1. Aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 677 BGB), die hier als Anspruchsgrundlage in Betracht kommt (vgl. Senatsurteil vom 3. Mai 1968, V ZR 229/64, LM § 909 BGB Nr. 8 = NJW 1968, 1327, 1328), könnte die Klage nur dann Erfolg haben, wenn die Klägerin mit den Unterfangungsarbeiten am Hause des Beklagten eine an sich ihm obliegende Aufgabe wahrgenommen und nicht bloß ihre eigene Rechtspflicht erfüllt hätte. Eine solche Pflicht aber hatte die Klägerin nach Ansicht des Berufungsgerichts, weil der Abriß des Kellergewölbes zu einer Vertiefung ihres Grundstücks führte und dadurch dem Nachbargebäude die erforderliche Bodenstütze entzog (§ 909 BGB).

Zwar haben das Reichsgericht (RGZ 70, 200, 206) und auch der Bundesgerichtshof (Urteil des VI. Zivilsenats vom 27. März 1962, VI ZR 137/61, VersR 1962, 572) den Abbruch eines Gebäudes oder Gebäudeteiles nicht als Vertiefung im Sinne des § 909 BGB angesehen; in den dort entschiedenen Fällen ging es jedoch um die Auswirkungen oberirdischer Abbruchmaßnahmen auf ein angrenzendes Gebäude und nicht um einen Stützverlust für den Boden des Nachbargrundstücks. Auf den Fall, daß mit dem Abbruch eine Grundstücksvertiefung verbunden ist, bezog sich diese Rechtsprechung nicht (vgl. BGB-RGRK 12. Aufl. § 909 Rz. 24). Soweit im Schrifttum vereinzelt angenommen worden ist, der Abriß eines Kellers lediglich bis zur Sohle vertiefe das Grundstück deswegen nicht, weil § 909 BGB eine Bodenentnahme voraussetze (so Felix, NJW 1957, 1547 unter Hinweis auf Staudinger/Seufert, BGB 11. Aufl. § 909 Anm. 19), ist dieses Argument durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und die jetzt herrschende Lehre überholt. Danach erfordert eine Vertiefung im Sinne des § 909 BGB nicht die Herausnahme von Bodensubstanz; wesentlich ist nur, ob auf das Grundstück so eingewirkt wird, daß hierdurch der Boden des Nachbargrundstücks in der Senkrechten den Halt verliert oder daß die unteren Bodenschichten in ihrem waagerechten Verlauf beeinträchtigt werden (Senatsurteile BGHZ 44, 130; 63, 176 = LM § 909 BGB Nr. 15 mit Anm. Mattern; Urteil des III. Zivilsenats vom 10. November 1977, III ZR 121/75, NJW 1978, 1051; Soergel/Baur, BGB 11. Aufl. § 909 Rz. 4; Palandt/Bassenge, BGB 38. Aufl. § 909 Anm. 2 a; Meisner/Stern/Hodes, Nachbarrecht, 5. Aufl. § 20 I 3).

Wird das Mauerwerk eines Kellers aus dem Boden gerissen, so wird das Grundstück gleichsam wieder in den vor Errichtung des Kellers gegebenen Zustand einer Baugrube versetzt. Das war hier von der Klägerin auch beabsichtigt, weil sie die oberhalb der Kellersohle freigelegte Grube zum Bau einer Tiefgarage benötigte. Insoweit macht es keinen Unterschied, ob für das neue Bauvorhaben gewachsener Boden erst hätte ausgehoben werden müssen oder ob die schon vorhandene Vertiefung durch Beseitigung der sie ausfüllenden und befestigenden Bestandteile des Kellers freigelegt wurde. In dem einen wie dem anderen Falle wurde das Grundstück derart vertieft, daß der Boden des Nachbargrundstücks die notwendige Stütze verlor. Dieser Stützverlust beruht deshalb auch dann auf einer Vertiefung im Sinne des § 909 BGB, wenn dem bereits früher vertieften Grundstück durch den Abbruch der Umfassungswand des Kellers die Befestigung entzogen wird, welche bisher den Boden des Nachbargrundstücks abstützte und vor den schädlichen Folgen der Vertiefung schützte. Hierbei ist es unerheblich, daß der Keller nicht bis zur Sohle abgetragen wurde, da eine „Vertiefung” begrifflich nicht von ihrem Umfang abhängt. Es kommt auch nicht auf die von der Revision aufgeworfene Frage an, ob eine Ausschachtung in der Tiefe, wie sie im vorigen Jahrhundert zum Bau des Kellers vorgenommen worden war, bei der damaligen Beschaffenheit des – angeblich noch unbebauten – Nachbargrundstücks gefahrlos möglich war. Von Bedeutung ist nur, ob die Klägerin im Zuge der jetzigen Baumaßnahme ihr Grundstück so vertieft hat, daß dem Boden des Nachbargrundstücks die in diesem Zeitpunkt nötige Stütze entzogen worden ist.

Das Berufungsgericht hat dazu festgestellt, daß infolge des Abbruchs der unmittelbar an der Grundstücksgrenze befindlichen Außenwand des Kellers die Giebelfundamente des Nachbargebäudes abzusacken drohten, weil der von den Fundamenten ausgehende seitliche Bodendruck nun nicht mehr durch die Kellermauer aufgefangen wurde. Damit verlor das Gebäude im Boden den Halt, der ohne die Vertiefung oder bei Fortbestand der Kellermauer durch den Gegendruck auf die unteren Bodenschichten gewährleistet gewesen wäre. Die Klägerin hat daher durch den Abbruch des Kellers und die dadurch wieder unbefestigt freigelegte Vertiefung dem Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze genommen.

Die dem Haus des Beklagten durch den rechtswidrigen Entzug der Bodenstütze drohende Einsturzgefahr verpflichtete die Klägerin, entweder den Abbruch des Kellers zu unterlassen oder für eine anderweitige Abstützung des Nachbargrundstücks zu sorgen. Sie erfüllte mithin eine ihr selbst obliegende Rechtspflicht, wenn sie die gefährdeten Giebelfundamente in dem bei Fortgang der Abbrucharbeiten erforderlichen Maße unterfing.

2. Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung ohne Auftrag könnte der Klägerin allerdings auch dann zustehen, falls sie mit der Unterfangung der Fundamente nicht nur ein eigenes, sondern zugleich ein Geschäft des Beklagten ausgeführt haben sollte (vgl. BGHZ 16, 12; 40, 28, 31; Hagen, NJW 1966, 1893, 1897 f; im rechtlichen Ausgangspunkt teilw. abweichend: Schreiber, DB 1979, 1397). Dafür wäre aber Voraussetzung, daß der Beklagte mitverantwortlich für die Einsturzgefahr war. Eine ihm zurechenbare Ursache sieht die Revision darin, daß er beim Bau seines Hauses die Pfeilerfundamente bauordnungswidrig oberhalb des Niveaus der Kellersohle angelegt und dadurch die Standfestigkeit seines Hauses von der Existenz des Kellers abhängig gemacht habe.

Wie das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum dargelegt hat, war die Giebelmauer so gegründet, daß weder ihre eigene Standfestigkeit noch die des angrenzenden Weinkellers beeinträchtigt wurde. Nach den Urteilsfeststellungen wäre dem Beklagten zwar im Baugenehmigungsverfahren eine Gründung der Fundamente bis zur Tiefe der Kellersohle auferlegt worden, falls der Baubehörde das Vorhandensein des Weinkellers bekannt gewesen wäre; eine solche Auflage hätte jedoch nur verhindern sollen, daß die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen gefährdet und die Tragfähigkeit des Nachbargrundstücks beeinträchtigt werden könnte (§ 27 Abs. 2 BauO NW vom 27. Januar 1970 in der Fassung vom 15. Juli 1976 – GV NW S. 232; vgl. dazu Gädtke, BauO NW, 5. Aufl. Anm. zu § 27 Abs. 2). Nachteilige Auswirkungen dieser Art ergaben sich indessen hier nicht, da die damals auf dem Grundstück der Klägerin vorhandenen Bauten und der sie tragende Baugrund nicht beeinträchtigt wurden. Was die von der Revision angeführte Bestimmung des § 16 BauO NW anbelangt, so betrifft auch sie nur die Standsicherheit, die eine bauliche Anlage oder ein für mehrere Anlagen gemeinsam verwendeter Bauteil haben muß. Davon wird nicht der Fall erfaßt, daß einer an sich standsicheren Baugründung erst durch unzulässige Vertiefung des Nachbargrundstücks die Bodenstütze entzogen wird.

Entgegen der Revision war der Beklagte auch nicht verpflichtet, die Baufundamente von vornherein so abzustützen, daß deren Standfestigkeit nicht durch eine spätere Vertiefung des Nachbargrundstücks verlorengehen konnte. Da er nach Feststellung des Berufungsgerichts sein Bauwerk nicht anders gegründet hatte, als dies bei gewachsenem Boden des Nachbargrundstücks den zulässigen Bodendruckverhältnissen entsprochen hätte, und da in gleicher Weise auch die Umfassungswand des Kellers dem Bodendruck des Hauses standhielt, wurde die Klägerin in der bestimmungsgemäßen Nutzung ihres Grundstücks und der Aufbauten nicht gestört. Genommen wurde ihr nur die Möglichkeit, das Grundstück ohne Sicherungsmaßnahmen für die Bodenfestigkeit des Nachbargrundstücks zu vertiefen. Mit einem solchen nach § 909 BGB unerlaubten Vorhaben aber brauchte der Beklagte nicht zu rechnen.

Zwar sieht jetzt § 21 Abs. 2 des nordrhein-westfälischen Nachbarrechtsgesetzes vom 15. April 1969 vor, daß der Eigentümer eines zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks dem Eigentümer des Nachbargrundstücks (Klägerin) den beabsichtigten Bau einer Grenzwand anzeigt, damit der Nachbar auf etwaige Bedenken hinweisen und für den Fall der eigenen späteren Bebauung oder Bauänderung zusätzliche Kosten vermeiden kann; diese Bestimmung galt aber noch nicht, als der Beklagte die Fundamente seines Hauses im Jahre 1962 errichtete. Der Rechtsgedanke dieser Vorschrift zielt auch nicht etwa dahin, die schädlichen Folgen einer Grundstücksvertiefung (oder anderer Bauvorhaben) dem davon betroffenen Nachbarn anzulasten. Die Verantwortung bleibt auch nach dieser Regelung bei dem Eigentümer des Grundstücks, von dem die Gefährdung ausgeht. Er soll nur die Möglichkeit erhalten, schon im voraus die Maßnahmen zu treffen, die er sonst nachträglich, dann häufig mit höherem Kostenaufwand, zum Schütze der Nachbarbebauung ergreifen müßte. Das aber ist ein Gesichtspunkt, der erst mit Einführung des nordrhein-westfälischen Nachbarrechtsgesetzes – und beschränkt auf dessen Geltungsbereich – rechtlich Bedeutung erlangt hat und nicht auf die hier strittigen Vorgänge aus früherer Zeit zurückbezogen werden kann. Es war daher allein Sache der Klägerin, bei dem Abbruch des Kellergewölbes ein Abrutschen des Bodens und die sich daraus ergebende Gefährdung für das Haus des Beklagten zu verhindern (vgl. das schon erwähnte Senatsurteil vom 3. Mai 1968 = NJW 1968, 1327, 1328).

3. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch einen – vom Verschulden des Beklagten unabhängigen – nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch verneint. Ein derartiger Anspruch aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis könnte nur in Betracht gezogen werden, wenn der durch die Vertiefung notwendig gewordene Kostenaufwand zum Unterfangen des Nachbarhauses für die Klägerin ein im Verhältnis zu den Nutzungsvorteilen außergewöhnliches und unzumutbares Opfer bedeutet hätte (vgl. die Senatsurteile BGHZ 44, 130, 137; 28, 110, 114 sowie Urteile vom 19. Oktober 1965, V ZR 171/63, NJW 1966, 42 und vom 27. Juni 1969, V ZR 41/66, NJW 1969, 2140, 2141). Diese Voraussetzung hat das Berufungsgericht nicht als gegeben erachtet. Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken.

Demnach ist die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

Unterschriften

Hill, Offterdinger, Linden, Vogt, Räfle

 

Fundstellen

Haufe-Index 1722835

NJW 1980, 224

Nachschlagewerk BGH

Englert / Grauvogl / Maurer 2004 2004, 909

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