Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 01.12.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das oben benannte Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen.
Tatbestand
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. An einem Schuldspruch wegen versuchten Totschlags sah sich die Strafkammer wegen Rücktritts des Angeklagten gehindert. Die Darlegungen hierzu beanstandet die Staatsanwaltschaft unter Erhebung der Sachrüge mit Erfolg. Der Angeklagte rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Die Strafkammer habe insbesondere zu Unrecht davon abgesehen, bei dem zur Tatzeit alkoholbedingt nicht ausschließbar erheblich vermindert schuldfähigen Angeklagten den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabzusetzen. Der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Strafkammer hat festgestellt:
Am Abend des 23. Dezember 2002 begab sich der damals 39jährige Angeklagte nach dem Besuch einer Pilsbar in Nürnberg nach R. in die ihm vertraute Gaststätte „F.” und „nervte” dort die Gäste mit seinen Sprüchen. Mit dem späteren Geschädigten, dem Zeugen W., den er lange kannte und neben den er sich schließlich gesetzt hatte, unterhielt er sich über alte Zeiten. Dabei – es war inzwischen 23.30 Uhr geworden – bezeichnete der Angeklagte den Zeugen W. wegen eines ca. zwanzig Jahre zurückliegenden Vorfalls in der Jugendgruppe, der beide angehörten, als Verräter, ohne daß der Zeuge W. dies jedoch sonderlich ernst nahm. Da der Angeklagte der Aufforderung, damit aufzuhören, nicht nachkam, und stattdessen weiter insistierte, drehte sich W. mit den Worten „laß mich doch in Ruhe” und mit einer abwehrenden Handbewegung, die das Gesicht des Angeklagten streifte, einfach weg. Über dieses Desinteresse geriet der Angeklagte in Wut. Er nahm W., zunächst noch sitzend, mit dem linken Arm in den „Schwitzkasten”, aus dem dieser sich vergeblich herauszuwinden versuchte. Als der Angeklagte im Verlauf der Rangelei mit dem Geschädigten im Arm aufstand, fiel – auch – das Weizenbierglas des Angeklagten um und zerbrach. Schließlich zog der Angeklagte den nach wie vor im „Schwitzkastengriff” gehaltenen, wegen Ausrutschens kurzzeitig weggesackten Geschädigten mit dem linken Arm unter dem Kinn erneut hoch – dessen Hals war deshalb gestreckt –, ergriff mit der rechten Hand den scharfkantigen Fuß des zerbrochenen Weizenbierglases und stieß ihm den Glasstumpf von unten mit Wucht vorne in die freie Halsregion. Der Angeklagte fügte dem Zeugen W. eine tiefe, 15 cm lange und stark blutende Stich-Schnittverletzung zu. Dies hätte, obwohl kein großes Halsgefäß verletzt wurde, ohne schnellen Wundverschluß zu einem tödlichen Blutverlust führen können. „Ohne daß er von dem Geschädigten durch Abwehrbewegungen oder durch die anderen Anwesenden oder sonst durch einen Umstand am weiteren Zustechen gehindert worden wäre, stach der Angeklagte nicht mehr auf den Geschädigten ein, sondern ließ den Glasstumpf fallen. Er hielt den Geschädigten jedoch weiterhin im ‚Schwitzkasten’, wobei der verletzte Halsbereich verdeckt war. Dem Angeklagten war bei der Ausführung des Stiches mit dem Glasstumpf klar, daß er mit dem von ihm geführten Stich in den Hals den Geschädigten auch tödlich verletzen konnte. Diese Folge nahm er billigend in Kauf. Der Angeklagte, der zwar wußte, daß er den Geschädigten am Hals verletzt hatte, ging jedoch zu diesem Zeitpunkt, als er die Wunde noch nicht sah, nicht davon aus, daß die Verletzung des Geschädigten lebensgefährlich oder gar tödlich war.” Von der Wirtin am linken Arm gezogen, ließ der Angeklagte den Geschädigten dann los. Andere Gäste ergriffen erste Hilfsmaßnahmen. Die Wirtin rief den Notarzt. Der Geschädigte wurde ins Krankenhaus verbracht und sofort operiert. Wegen Verletzung der entsprechenden Muskelpartien hat er nach wie vor Schluck- und Sprechbeschwerden. Die Narbe am Hals wird den Geschädigten dauerhaft entstellen.
Im Verlauf des Abends hatte der Angeklagte vier Pils, fünf Gläser Weizenbier und drei Schnäpse getrunken. Seine Blutalkoholkonzentration betrug zur Tatzeit maximal 2,25 Promille. Der vereinsamte, arbeitslose Angeklagte ist trinkgewohnt. Er, so stellt die Strafkammer seinen Angaben folgend fest, hat vor der Tat ein bis zweimal wöchentlich – jedoch immer nach der Arbeit – Alkohol in größeren Mengen zu sich genommen. Im Zeitraum von 1998 bis 2002 befand er sich insgesamt sechs Mal zur Ausnüchterung in Polizeigewahrsam. Nach dem Tatgeschehen hat der Angeklagte seinen Alkoholkonsum eingeschränkt, was ihm, so ließ er sich ein, nicht schwer gefallen sei, da er keinen Alkohol brauche. Die sachverständig beratene Strafkammer konnte alkoholbedingte erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausschließen. Eine Alkoholabhängigkeit, einen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, verneint sie. Vorbestraft ist der Angeklagte nicht.
III.
1. Zur Revision der Staatsanwaltschaft:
Der Senat verkennt nicht, daß sich die Strafkammer von dem Bemühen leiten ließ, der Tat und dem Täter bei der Bewertung des Geschehens und insbesondere im Rechtsfolgenausspruch gerecht zu werden. Die Darlegungen der Strafkammer zum strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Tötungsversuch tragen gleichwohl nicht.
Zutreffend hat die Strafkammer für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts gemäß § 24 Abs. 1 1. Alt. StGB – denn zur Rettung des Geschädigten beizutragen, hatte der Angeklagte nichts beigetragen (§ 24 Abs. 1 2. Alt. StGB) und sich darum auch nicht bemüht (§ 24 Abs. 2 StGB) – darauf abgestellt, ob der Angeklagte nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hielt – sogenannter Rücktrittshorizont – (seit BGHSt 31, 170; vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 24 Rdn. 15). Das Landgericht hat dies verneint. Die Strafkammer hat dabei nicht verkannt, daß bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täter Umstände festgestellt werden müssen, welche die Wertung des Gerichts rechtfertigen, der Täter habe bei Beendigung der Tathandlung einen tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (BGH – Senat – NStZ 1999, 299). Die Feststellungen hierzu sind jedoch nicht frei von Widersprüchen.
Die fehlende Vorstellung des Angeklagten von möglicherweise lebensgefährlichen Verletzungen nach der Beifügung des Stichs hat die Strafkammer allein daraus gefolgert, daß der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt die Wunde noch nicht gesehen hatte. Der allein hieraus gezogene Schluß steht aber im Widerspruch zu den Feststellungen der Strafkammer zum übrigen Tatgeschehen. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde, um beim Angeklagten das Bewußtsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seines dem Geschädigten beigefügten Stichs zu wecken beziehungsweise aufrechtzuerhalten.
Wenn der Angeklagte – wie die Strafammer festgestellt hat – den Glasstumpf, gefährlich wie ein Messer, mit Wucht von vorne gegen den von ihm gestreckten Hals des Geschädigten in dem Bewußtsein, diesen mit dem Zustechen tödlich verletzen zu können, also mit bedingtem Tötungsvorsatz führte, leuchtet es nicht ein, ist es – jedenfalls ohne weitere Darlegungen – nicht ohne weiteres nachvollziehbar, warum der Angeklagte, nachdem er wie beabsichtigt zielgenau getroffen hatte, mit einer tödlichen Folge seines Stichs nun plötzlich nicht mehr gerechnet haben soll. Nach dem Stich mag der Angeklagte über sich selbst erschrocken sein, möglicherweise hielt er deshalb inne. Er mag gewünscht und gehofft haben, daß sein Verhalten doch keine ernsthaften Verletzungen zeitigte. Ein möglicher negativer Ausgang stand ihm gerade dann aber klar vor Augen.
Der Blick auf die Wunde und den am Boden liegenden Geschädigten verschaffte ihm Gewißheit über die tatsächliche Gefahr. Für die Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch hat dies im vorliegenden Fall allerdings keine Relevanz mehr. Zu diesem Zeitpunkt war die für die Entscheidung der Frage, ob aus Sicht des Angeklagten ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorlag, maßgebende Zeitspanne bereits abgelaufen, denn der Angeklagte hatte keine Angriffsmöglichkeit mehr (vgl. BGHSt 31, 170 [176]; 36, 224 [225]). Der Geschädigte war durch die Umstehenden geschützt. Den Glasstumpf hatte der Angeklagte gleich nach dem ersten Stich fallen lassen. Auf die Frage der – umgekehrten – „Korrektur des Rücktrittshorizonts” (vgl. BGH NStZ 1998, 614) kann es deshalb hier nach den bisherigen Feststellungen der Strafkammer nicht mehr ankommen.
Da neue widerspruchsfreie Feststellungen, die einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags entgegenstehen, nicht ausgeschlossen sind, kann der Senat den Schuldspruch nicht selbst ändern. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Zur Revision des Angeklagten:
a) Es mag dahinstehen, ob die Feststellungen des Landgerichts die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit tragen. Denn dies belastet ihn nicht.
Es ist frei von Rechtfehlern, daß die Strafkammer trotz verminderter Schuldfähigkeit davon abgesehen hat, den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu verschieben. Dies steht in Einklang mit Tendenzen der neueren Rechtsprechung zur Bewertung zu verantwortender Trunkenheit in diesem Zusammenhang (vgl. BGH NStZ 2003, 480; BGHR § 21 Strafrahmenverschiebung 32; BGH, Beschluß vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04 –).
Der Tatrichter entscheidet über die fakultative Strafrahmenverschiebung aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte. Beruht die erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit, spricht dies allerdings auch ohne einschlägige Vorverurteilungen in der Regel gegen eine Verschiebung des Strafrahmens. Einer umfassenden Darstellung aller in die Abwägung einzubeziehenden Umstände in den schriftlichen Urteilsgründen bedarf es nur in Ausnahmefällen. Es genügt die Mitteilung der ausschlaggebenden Aspekte. Revisionsrechtlicher Überprüfung ist die Entscheidung über die fakultative Strafrahmenverschiebung nur eingeschränkt zugänglich; insoweit steht dem Tatrichter ein weiter Ermessensspielraum zu. Diesen respektiert der Senat.
Die knappe, auf die Mitteilung der wesentlichen Umstände beschränkte Begründung der Strafkammer zur Ablehnung der fakultativen Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genügt hier zur revisionsrechtlichen Bewertung, daß ein Ermessensfehlgebrauch auszuschließen ist.
b) Auch im übrigen ergab die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
Unterschriften
Nack, Kolz, Hebenstreit, Elf, Graf
Fundstellen
Haufe-Index 2557527 |
NStZ 2005, 151 |
NJW-Spezial 2005, 186 |