Leitsatz (amtlich)
1. Die Formulierung "unerwartete und schwere" Erkrankung in den Bestimmungen einer Reiseversicherung (hier: B Reise-Rücktrittsversicherung Nr. 3.1, 3.15, 8 VB-RS 2014 (RRK/UG-D) und B Reiseabbruch-Versicherung Nr. 3.1, 7 VB-RS 2014 (RRK/UG-D)) verstößt nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
2. Als primäre Leistungsbeschreibung unterfällt die Regelung gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB im Übrigen nicht der Inhaltskontrolle. Eine gemäß § 32 Satz 1 VVG unwirksame Abweichung von den §§ 19 ff. VVG liegt nicht vor.
Normenkette
BGB § 305c Abs. 1, § 307 Abs. 1, 3 S. 1; VVG §§ 19, § 19 ff., § 32 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts - 9. Zivilsenat - vom 10. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 25.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger, ein als qualifizierte Einrichtung im Sinne von § 4 UKlaG eingetragener Verein, verlangt von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung einer Klausel in einer Reiseversicherung.
Rz. 2
Die "Versicherungsbedingungen für die Reiseversicherung VB-RS 2014 (RRK/UG-D)" (im Folgenden: VB) der Beklagten lauten auszugsweise wie folgt:
"In diesen Versicherungsbedingungen werden Versicherungsnehmer und versicherte Personen als „Sie" bezeichnet.
[…]
B: Besonderer Teil
(abhängig vom gewählten Versicherungsumfang)
Reise-Rücktrittsversicherung
[…]
2. Wann liegt ein Versicherungsfall vor?
Die H leistet, wenn Sie oder eine Risikoperson von einem versicherten Ereignis betroffen sind und der planmäßige Antritt der versicherten Reise dadurch für Sie nicht zumutbar ist.
3. Welche Ereignisse sind versichert?
1. Unerwartete und schwere Erkrankung, Tod, Unfallverletzung oder Schwangerschaft;
[…]
15. Unerwartete und schwere Erkrankung, schwere Unfallverletzung oder Impfunverträglichkeit eines zur Reise angemeldeten Hundes oder einer zur Reise angemeldeten Katze.
[…]
7. Welche Einschränkungen des Versicherungsschutzes sind zu beachten?
1. Vorerkrankungen
Nicht versichert sind Erkrankungen, die zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses bekannt und in den letzten 6 Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sind. […]
8. Wann fällt eine Selbstbeteiligung an?
Soweit nicht anders vereinbart gilt: Im Falle einer unerwarteten und schweren Erkrankung, die ambulant behandelt wird, beträgt der Selbstbehalt 20 % des erstattungsfähigen Schadens, mindestens 25,- EUR je versicherte Person bzw. Objekt.
[...]
Urlaubsgarantie (Reiseabbruch-Versicherung)
[…]
2. Wann liegt ein Versicherungsfall vor?
Die H leistet, wenn Sie oder eine Risikoperson von einem versicherten Ereignis betroffen sind und die planmäßige Beendigung der versicherten Reise dadurch für Sie nicht zumutbar ist.
3. Welche Ereignisse sind versichert?
1. Unerwartete und schwere Erkrankung, Tod, Unfallverletzung oder Schwangerschaft;
[…]
6. Welche Einschränkungen des Versicherungsschutzes sind zu beachten?
1. Vorerkrankungen
Nicht versichert sind Erkrankungen, die zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses bekannt und in den letzten 6 Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sind. […]
7. Wann fällt eine Selbstbeteiligung an?
Soweit nicht anders vereinbart gilt: Im Falle einer unerwarteten und schweren Erkrankung, die ambulant behandelt wird, beträgt der Selbstbehalt 20 % des erstattungsfähigen Schadens, mindestens 25,- EUR je versicherte Person bzw. Objekt. […]"
Rz. 3
Der Kläger hält die Formulierung "unerwartete und schwere" Erkrankung wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam. Er forderte die Beklagte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, was die Beklagte ablehnte.
Rz. 4
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft zu unterlassen, beim Abschluss von Verträgen über Reiserücktrittskostenversicherungen und/oder Reiseabbruchkostenversicherungen die Klausel "unerwartete und schwere" in Teil B Nr. 3.1, 3.15 und 8 VB zur Reise-Rücktrittsversicherung und in Teil B Nr. 3.1 und 7 VB zur Reiseabbruch-Versicherung oder eine inhaltsgleiche Klausel zu verwenden und/oder sich gegenüber Versicherungsnehmern bei der Abwicklung bereits abgeschlossener Verträge der vorgenannten Art auf diese oder inhaltsgleiche Klauseln zu berufen, sofern dies nicht gegenüber einem Unternehmen im Sinne des § 14 BGB geschieht. Ferner hat der Kläger beantragt, die Beklagte zur Zahlung außergerichtlicher Abmahnkosten in Höhe von 250 € nebst Zinsen zu verurteilen.
Rz. 5
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Dieses Urteil hat das Oberlandesgericht auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger im Wesentlichen die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision hat keinen Erfolg.
Rz. 7
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung unter anderem in RRa 2020, 240 abgedruckt ist, hat der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG hinsichtlich der in ihren Versicherungsbedingungen verwendeten Klauseln mit der Formulierung "unerwartete und schwere Erkrankung". Die Klauseln seien weder gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot noch im Übrigen gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam oder überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB. Aus § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB folge, dass das Transparenzgebot auch für das Hauptleistungsversprechen und das Preis-/Leistungsverhältnis gelte. Die beanstandete Formulierung "unerwartete und schwere Erkrankung" erweise sich nicht als intransparent. Entgegen der Auffassung des Klägers werde dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer durch diese Formulierung der Versicherungsschutz trotz des Beurteilungsspielraums im Falle einer Dauererkrankung sowie in Bezug auf die Intensität der Erkrankung verständlich und umfassend vor Augen geführt.
Rz. 8
Die beanstandete Formulierung benachteilige die Vertragspartner der Beklagten nicht unangemessen. Die Klauseln wichen nicht von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung in den §§ 19 ff. VVG ab (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Es könne offenbleiben, ob sie überhaupt einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterlägen oder ob die Tatbestandsmerkmale der Unerwartetheit sowie der Schwere der Erkrankung zum innersten Kern der Leistungsbeschreibung zählten. Eine unangemessene Benachteiligung folge nicht daraus, dass die Erreichung des Vertragszwecks durch die Einschränkung wesentlicher Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergäben, gefährdet werde (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Selbst wenn mit den beanstandeten Klauseln das Leistungsversprechen des Versicherers für Reisende mit einer chronischen und typischerweise schubweise verlaufenden Erkrankung eingeschränkt werde, würde eine unmittelbar wirkende Leistungsbegrenzung auf "unerwartete und schwere Erkrankungen" für sich genommen noch keine Vertragszweckgefährdung bedeuten, denn es müsse möglich sein, bestimmte Sachverhalte nicht zu versichern.
Rz. 9
Die beanstandeten Klauseln seien nicht überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB. Der Versicherungsnehmer einer Reise-Rücktrittsversicherung bzw. einer Reiseabbruch-Versicherung werde davon ausgehen, dass das allgemeine Leistungsversprechen, bei Unzumutbarkeit des planmäßigen Antritts der versicherten Reise bzw. der planmäßigen Beendigung der gebuchten Reise Deckung zu gewähren, einer näheren Ausgestaltung bedürfe, die auch Einschränkungen nicht ausschließe.
Rz. 10
Mangels Erfolgs der Klage in der Hauptsache habe der Kläger auch keinen Anspruch auf die geltend gemachten Abmahnkosten.
Rz. 11
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 12
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Unterlassung der beanstandeten Formulierung "unerwartete und schwere" Erkrankung aus § 1 UKlaG verneint.
Rz. 13
a) Dies gilt zunächst, soweit die Beklagte diese Formulierung jeweils in Teil B Nr. 3 VB sowohl für die Reise-Rücktrittsversicherung als auch die Reiseabbruch-Versicherung zur Bestimmung der versicherten Ereignisse verwendet.
Rz. 14
aa) Entgegen der Ansicht der Revision sind die Klauseln jeweils in Teil B Nr. 3 VB nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen einer unangemessenen Benachteiligung der Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unwirksam. Soweit das Berufungsgericht offengelassen hat, ob die Klauseln nach Maßgabe von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB überhaupt einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unterliegen, ist diese Frage zu verneinen.
Rz. 15
(1) § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB beschränkt die Inhaltskontrolle auf Klauseln, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Kontrollfrei bleiben bloße Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistungen festlegen. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit bleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 2022 - IV ZR 144/21, VersR 2022, 312 Rn. 25 m.w.N.).
Rz. 16
(2) Danach gehören die beanstandeten Klauseln jeweils in Teil B Nr. 3 VB zu dem engen Bereich, der durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB einer Inhaltskontrolle entzogen ist.
Rz. 17
(a) Dies kann der Senat selbst feststellen. Die formularmäßig gestalteten Vertragsbedingungen der Beklagten unterliegen der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Nachprüfung und können vom Revisionsgericht selbst ausgelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 2017 - III ZR 56/17, VersR 2018, 685 Rn. 16 m.w.N.). Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 26. Januar 2022 - IV ZR 144/21, VersR 2022, 312 Rn. 10; st. Rspr.).
Rz. 18
(b) Auf der Grundlage dieses Maßstabs legen die beanstandeten Klauseln jeweils in Teil B Nr. 3 VB nur die von der Beklagten geschuldete Leistung fest. Gemäß Teil B Nr. 2 VB leistet die Beklagte, wenn der Versicherungsnehmer, eine versicherte Person oder eine Risikoperson von einem versicherten Ereignis betroffen und - im Fall der Reise-Rücktrittsversicherung - der planmäßige Antritt oder - im Fall der Reiseabbruch-Versicherung - die planmäßige Beendigung der versicherten Reise dadurch für den Versicherungsnehmer oder Versicherten nicht zumutbar ist. Mit diesen Regelungen hat die Beklagte ihr Hauptleistungsversprechen aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers noch nicht so beschrieben, dass der wesentliche Vertragsinhalt bestimmt werden kann und ein wirksamer Vertrag anzunehmen ist. Wesentlich für den Vertragsinhalt ist - wie auch das Berufungsgericht erkennt - der von der Beklagten gewährte Versicherungsschutz (vgl. Senatsurteil vom 13. Juli 1994 - IV ZR 107/93, BGHZ 127, 35 unter 4 [juris Rn. 16]), der wiederum abhängig ist von den versicherten Ereignissen (vgl. Senatsurteile vom 26. März 2014 - IV ZR 422/12, VersR 2014, 625 Rn. 34; vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06, VersR 2007, 1690 Rn. 13 f.). Diese sind nicht in Teil B Nr. 2 VB, sondern erst in Teil B Nr. 3 VB angegeben. Zu ihnen zählt die unerwartete und schwere Erkrankung des Versicherungsnehmers, eines Versicherten oder einer Risikoperson sowie - im Fall der Reise-Rücktrittsversicherung - auch die eines zur Reise angemeldeten Hundes oder einer zur Reise angemeldeten Katze (vgl. LG München I NJW-RR 2001, 529 unter 1; Führich/Staudinger/Führich, Reiserecht 8. Aufl. § 31 Rn. 15; Looschelders/Pohlmann/Benzenberg, VVG 3. Aufl. Anhang N Rn. 117; Staudinger, DAR 2020, 566; Wandt, VersR 2012, 89, 90).
Rz. 19
Soweit die Revision ebenso wie das Landgericht und Teile der Literatur (vgl. Prölss/Martin/Dörner, VVG 31. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 6; Staudinger/Staudinger BGB (2016) § 651i Rn 68 f.; ders. in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl. 2 VB-Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 6; Roth in Tonner/Bergmann/Blankenburg, Reiserecht 2. Aufl. § 7 Rn. 38; Romahn, RRa 2020, 216 Fn. 21; Fajen, VersR 2015, 820, 821; Brüning, Probleme des Reisevertrags- und Reiseversicherungsrechts, 2008, S. 226 ff.) nur die "Erkrankung" zum innersten Kern der Leistungsbeschreibung zählen und in den Merkmalen der Unerwartetheit und Schwere lediglich Einschränkungen hiervon sehen, wird dies dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie nicht gerecht. Hiernach ist es den Vertragsparteien - vorbehaltlich einer Abweichung von gesetzlichen Regelungen - freigestellt, Leistung und Gegenleistung zu bestimmen (vgl. Senatsurteil vom 22. November 2000 - IV ZR 235/99, VersR 2001, 184 unter A II 1 a [juris Rn. 20]; BGH, Urteil vom 5. Oktober 2017 - III ZR 56/17, VersR 2018, 685 Rn. 15). Dies gilt auch für den vom Versicherer gewährten Versicherungsschutz und damit ebenfalls für die versicherten Ereignisse. Hier ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar, dass die Beklagte nicht schon bei jeder, sondern nur einer unerwarteten und schweren Erkrankung, die ersichtlich mit der Gefahr des Rücktritts von oder des Abbruchs der Reise verbunden ist, Versicherungsschutz gewährt. Wäre bereits jede Erkrankung vom Hauptleistungsversprechen umfasst, müsste die Beklagte im Übrigen unabhängig davon leisten, ob die Erkrankung dem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss bekannt war oder nicht. Dem widerspräche bereits, dass ein Versicherer auch nach der Vorstellung eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers regelmäßig nur Schutz gegen künftige ungewisse Ereignisse bietet. In diesem Verständnis wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dadurch bestärkt, dass ausdrücklich so bezeichnete Einschränkungen des Versicherungsschutzes für Vorerkrankungen in Teil B unter Nr. 7.1 VB (Reise-Rücktrittsversicherung) bzw. Nr. 6.1 VB (Reiseabbruch-Versicherung) im Einzelnen umschrieben werden.
Rz. 20
bb) Das so verstandene Leistungsversprechen der Beklagten weicht - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - nicht im Sinne von § 32 Satz 1 VVG von §§ 19 ff. VVG ab (vgl. im Ergebnis AG Kusel VersR 2014, 703 unter II 2 [juris Rn. 23]; LG Duisburg, Urteil vom 12. Oktober 2012 - 7 S 187/11, juris Rn. 7; Krawiec in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht 6. Aufl. 18. Kap. Rn. 58; Looschelders/Pohlmann/Benzenberg, VVG 3. Aufl. Anhang N Rn. 117; Roth in Tonner/Bergmann/Blankenburg, Reiserecht 2. Aufl. § 7 Rn. 39-42; Brüning, Probleme des Reisevertrags- und Reiseversicherungsrechts, 2008, S. 230 f.; Fajen, VersR 2015, 820, 821 f.). Soweit die Revision und Teile der Literatur (vgl. Staudinger/Staudinger BGB (2016) § 651i Rn. 70; ders. in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl. 2 VB-Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 9; Staudinger/Bauer, NJW 2015, 1485, 1489; Prölss/Martin/Dörner, VVG 31. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 22 f.; Führich/Staudinger/Führich, Reiserecht 8. Aufl. § 31 Rn. 15; Romahn, RRa 2020, 216, 217 f.) anderer Ansicht sind, sehen sie in dem Formulierungsteil "unerwartete" überwiegend schon keinen Bestandteil des Hauptleistungsversprechens selbst, sondern nur eine sekundäre Risikobegrenzung (vgl. nur Staudinger/Staudinger BGB (2016) aaO Rn. 68 f.; ders. in Staudinger/Halm/Wendt, aaO Rn. 6; Prölss/Martin/Dörner aaO Rn. 6; a.A. Führich/Staudinger/Führich, Reiserecht 8. Aufl. § 31 Rn. 15).
Rz. 21
Für Risikoausschlüsse, die dem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss unbekannte Gefahrumstände erfassen, hat der Senat zwar eine Abweichung - noch im Sinne von § 34a Satz 1 VVG a.F. von §§ 16 ff. VVG a.F. - bejaht (vgl. Senatsurteile vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06, VersR 2007, 1690 Rn. 26 ff.; vom 7. Februar 1996 - IV ZR 155/95, VersR 1996, 486 unter 3 [juris Rn. 18 ff.]; vom 2. März 1994 - IV ZR 109/93, VersR 1994, 549 unter 2 [juris Rn. 39 ff.]). Auch nach der von der Revision in Bezug genommenen Entscheidung vom 2. März 1994 beruhte dies aber darauf, dass der Versicherer durch den Ausschluss von einer dem Versicherungsnehmer versprochenen Hauptleistung frei geworden wäre, ohne dass zugleich die Anforderungen an eine Leistungsfreiheit nach §§ 16 ff. VVG a.F. (jetzt §§ 19 ff. VVG) vorgelegen hätten (vgl. Senatsurteil vom 2. März 1994 aaO). Hier wird die Beklagte durch die Klausel im Falle einer "erwarteten" Erkrankung - wie auch das Berufungsgericht erkennt - nicht von ihrer Hauptleistung frei. Diese hat sie vielmehr überhaupt nur für "unerwartete" Erkrankungen versprochen (vgl. Looschelders/Pohlmann/Benzenberg, VVG 3. Aufl. Anhang N Rn. 117; Wandt, VersR 2012, 89, 90). Ein weitergehendes Risiko - für "erwartete" Erkrankungen als mögliche Gefahrumstände im Sinne von § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG - hat sie entgegen der Ansicht der Revision nicht zunächst unbesehen übernommen (vgl. Senatsurteil vom 7. Februar 1996 - IV ZR 155/95 aaO unter 3 b [juris Rn. 22]).
Rz. 22
Dem Zweck der §§ 19 ff. VVG läuft ein solches Hauptleistungsversprechen ebenfalls nicht zuwider. Um eine Ausgewogenheit zwischen den Parteien bei der für beide wichtigen Abschätzung der jeweiligen Gefahrenlage vor Vertragsschluss zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber diese Regelungen geschaffen. Der Versicherungsnehmer soll gegen den Willen des Versicherers keinen Wissensvorsprung bezüglich derjenigen Umstände behalten dürfen, die für die Abschätzung von Bedeutung sind, ob sich ein Versicherungsfall im Lauf der Versicherung ereignen wird oder nicht (vgl. noch zu §§ 16 ff. VVG a. F., § 34a VVG a. F. Senatsurteil vom 26. September 2007 - IV ZR 252/06, VersR 2007, 1690 Rn. 28 m.w.N.). Umfasst das Hauptleistungsversprechen des Versicherers wie hier von vornherein keine "erwarteten" Erkrankungen, besteht für den Versicherer vorvertraglich schon kein Bedürfnis, abzuschätzen, wie häufig eine solche Erkrankung im Lauf der Versicherung auftreten wird. Dass der Gesetzgeber - wie die Revision zutreffend geltend macht - mit der Einführung der Frageobliegenheit des Versicherers in § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG das Risiko von Fehleinschätzungen des Versicherungsnehmers über diesem bekannte Gefahrumstände auf den Versicherer verlagern wollte (BT-Drucks. 16/3945, S. 64), ändert hieran nichts. Auch § 19 Abs. 1 Satz 1 VVG soll dem Versicherer nur eine zutreffende Risikoeinschätzung ermöglichen (BT-Drucks. 16/3945 aaO).
Rz. 23
cc) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass die beanstandeten Klauseln nicht gegen das - sich gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB auch auf das Hauptleistungsversprechen erstreckende (vgl. Senatsurteil vom 26. März 2014 - IV ZR 422/12, VersR 2014, 625 Rn. 35) - Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoßen.
Rz. 24
(1) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht (vgl. Senatsurteil vom 26. Januar 2022 - IV ZR 144/21, VersR 2022, 312 Rn. 29 m.w.N.). Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Insoweit gilt kein anderer Maßstab als derjenige, der auch bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen zu beachten ist (Senatsurteil vom 20. November 2019 - IV ZR 159/18, VersR 2020, 95 Rn. 8 m.w.N.).
Rz. 25
(2) Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht die beanstandete Formulierung "unerwartete und schwere" Erkrankung zutreffend nicht als intransparent angesehen.
Rz. 26
(a) Dies gilt zunächst für den Formulierungsteil "unerwartete …" (vgl. im Ergebnis Prölss/Martin/Dörner, VVG 31. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 21; Krawiec in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht 6. Aufl. 18. Kapitel Rn. 58; Roth in Tonner/Bergmann/Blankenburg, Reiserecht 2. Aufl. § 7 Rn. 37; van Bühren/Richter/Richter, Reiseversicherung 4. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 VB-Reiserücktritt Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 60; Fajen, VersR 2015, 820 f.; Brüning, Probleme des Reisevertrags- und Reiseversicherungsrechts, 2008, S. 233 ff.; a.A. AG Balingen RRa 2016, 299 unter II [juris Rn. 26 ff.]; Staudinger/Staudinger BGB (2016) § 651i Rn. 69; ders. in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl. 2 VB-Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 7; ders., DAR 2020, 564, 566 f.; Romahn, RRa 2020, 216, 217).
Rz. 27
(aa) Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer eine Erkrankung dem Wortlaut nach als "unerwartet" erachten, wenn sie überraschend, also plötzlich und unvorhergesehen auftritt (vgl. Duden, Das Bedeutungswörterbuch 5. Aufl. "unerwartet"). Ob dieses der Fall ist, hängt schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch - anders als etwa bei der Formulierung "unerwartbar" - allein von der positiven Kenntnis oder Vorstellung, nicht auch vom bloßen Kennenmüssen der Erkrankung ab (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - IV ZR 227/09, NJW-RR 2012, 362 Rn. 5 f.; OLG Karlsruhe VersR 2014, 1125 unter II 1 [juris Rn. 35]; LG Duisburg, Urteil vom 12. Oktober 2012 - 7 S 187/11, juris Rn. 8; Wandt, VersR 2012, 89, 91; Beckmann/Matusche-Beckmann/Staudinger, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 41 Rn. 102; Roth in Tonner/Bergmann/Blankenburg, Reiserecht 2. Aufl. § 7 Rn. 43; Fajen, VersR 2015, 820, 822; a.A. OLG Köln r+s 2013, 445 unter II 1 a [juris Rn. 29]; Looschelders/Pohlmann/Benzenberg, VVG 3. Aufl. Anhang N Rn. 116; Prölss/Martin/Dörner, VVG 31. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 12; Staudinger in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl. 2 VB-Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 8).
Rz. 28
Soweit die Revision geltend macht, der Begriff lasse nicht hinlänglich erkennen, ob vorhandene und bekannte (Dauer-)Erkrankungen, die schubweise verlaufen oder sich unerwartet schlecht entwickeln, vom Versicherungsschutz umfasst sind (vgl. auch AG Balingen RRa 2016, 299 unter II [juris Rn. 26 ff.]; Staudinger/Staudinger BGB (2016) § 651i Rn. 69; ders. in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl. 2 VB-Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 7; Romahn, RRa 2020, 216, 217), vermag sie hiermit nicht durchzudringen. Einen Schub oder eine schlechte Entwicklung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer ebenfalls als eine eigenständige "Erkrankung" ansehen. Dem allgemeinen Sprachgebrauch nach wird er hierunter - ebenso wie unter einer "Krankheit" - einen objektiv nach ärztlichem Urteil bestehenden anormalen, regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand verstehen, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt (vgl. Senatsurteil vom 17. Februar 2016 - IV ZR 353/14, NJW 2017, 88 Rn. 16 f. m.w.N.). Zu einem solchen Zustand wird er auch einen Schub oder die schlechte Entwicklung einer Dauererkrankung zählen.
Rz. 29
(bb) Darin wird sich der durchschnittliche Versicherungsnehmer durch den Vertragszweck ebenso bestätigt sehen wie in seiner Annahme, dass für das Vorliegen einer "unerwarteten" Erkrankung auf die Kenntnisse und Vorstellungen des konkreten Versicherungsnehmers oder Versicherten abzustellen ist (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - IV ZR 227/09, NJW-RR 2012, 362 Rn. 5; OLG Köln NJW-RR 1999, 824, 825 [juris Rn. 5-9]; LG Dortmund r+s 2022, 459 Rn. 4; LG Duisburg, Urteil vom 12. Oktober 2012 - 7 S 187/11, juris Rn. 8; Roth in Tonner/Bergmann/Blankenburg, Reiserecht 2. Aufl. § 7 Rn. 43). Durch den Abschluss einer Reise-Rücktrittsversicherung oder Reiseabbruch-Versicherung möchte der durchschnittliche Versicherungsnehmer vor den Kosten geschützt werden, die dadurch entstehen, dass er oder die versicherte Person eine gebuchte Reise krankheitsbedingt nicht planmäßig antreten oder fortsetzen können. Dabei wird er sich bewusst sein, dass ein Versicherer im Hinblick auf seine Prämiengestaltung - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - grundsätzlich keine Gefahren versichert, die bereits bei Vertragsschluss oder bei Antritt der Reise bekannt sind, im vorliegenden Fall also keinen versicherten Personen Schutz gewähren möchte, die schon bei Abschluss der Versicherung von ihrer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit wissen. Aus Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers greifen diese Erwägungen auch im Falle des Schubs einer Dauererkrankung. Ist einem Versicherungsnehmer oder Versicherten der Antritt oder die Fortsetzung einer Reise wegen eines solchen Schubs nicht zumutbar, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer diesen als "unerwartet" ansehen, wenn der Versicherungsnehmer oder Versicherte bei Vertragsschluss nicht mit ihm gerechnet hat.
Rz. 30
(cc) Anders als die Revision meint, hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen, dass für diese Auslegung auch der dem Versicherungsnehmer erkennbare Sinnzusammenhang der Leistungsbeschreibungen jeweils in Teil B Nr. 3 VB mit den Risikoausschlussklauseln in Teil B Nr. 7.1 VB zur Reise-Rücktrittsversicherung und Teil B Nr. 6.1 VB zur Reiseabbruch-Versicherung spricht (a.A. Staudinger, DAR 2020, 564, 566 f.).
Rz. 31
(α) Bei aufmerksamer Lektüre der - jeweils fett markierten - Fragen in Teil B Nr. 7 VB zur Reise-Rücktrittsversicherung und Teil B Nr. 6 VB zur Reiseabbruch-Versicherung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer bemerken, dass Teil B Nr. 7.1 VB zur Reise-Rücktrittsversicherung und Teil B Nr. 6.1 VB zur Reiseabbruch-Versicherung jeweils "Einschränkungen des Versicherungsschutzes" für Vorerkrankungen enthalten. Eine verständige Würdigung des Wortes "Einschränkungen" wird ihn einerseits annehmen lassen, dass der in diesen Nummern beschriebene Sachverhalt - ohne deren Geltung - grundsätzlich auch vom Versicherungsschutz umfasst wäre. Andererseits wird er von einem Versicherungsschutz für Sachverhalte ausgehen, die nicht in diesen Nummern geregelt sind.
Rz. 32
Nach den Ausschlussklauseln sind Erkrankungen nicht versichert, die zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses bekannt und in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sind. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird schon angesichts des Vertragszwecks davon ausgehen, dass es - auch - in dieser Klausel auf die Kenntnis des Versicherungsnehmers oder Versicherten von der Erkrankung ankommt, und hierin ein weiteres Argument dafür sehen, den Begriff "unerwartete" subjektiv auszulegen. Zugleich kann er der Ausschlussklausel entnehmen, dass Dauererkrankungen und deren schubweise Verschlechterungen grundsätzlich vom Versicherungsschutz umfasst sein können. Nur wenn der konkrete Versicherungsnehmer oder Versicherte wegen der (Dauer-)Erkrankung in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden ist, soll jedenfalls kein Versicherungsschutz bestehen.
Rz. 33
(β) Entgegen der Ansicht der Revision sind mit der vorgenannten subjektiven Auslegung des Begriffs "unerwartete" bei gleichzeitiger Geltung des - objektiven - Ausschlusskriteriums der Behandlung der Erkrankung in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss keine Unklarheiten darüber verbunden, unter welchen Voraussetzungen eine schubweise verlaufende (Dauer-)Erkrankung vom Versicherungsschutz umfasst ist. Wie die Revisionserwiderung zu Recht einwendet, widersprechen beide Voraussetzungen einander nicht, sondern betreffen - für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar - mit der Bestimmung des versicherten Ereignisses einerseits und der Einschränkung des Versicherungsschutzes andererseits unterschiedliche Regelungsgegenstände. Während die Regelung über das versicherte Ereignis den Zeitpunkt des Eintritts der unerwarteten und schweren Erkrankung betrifft, stellt der Ausschluss von bestimmten Vorerkrankungen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab. Einer Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB bedarf es insofern - anders als die Revision und das Landgericht meinen (vgl. auch Staudinger/Staudinger BGB (2016) § 651i Rn. 69; ders. in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl. 2 VB-Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 8; ders., DAR 2020, 566, 567) - nicht.
Rz. 34
(dd) Auf der Grundlage der vorgenannten Auslegung führt der Formulierungsteil "unerwartete…" dem verständigen Versicherungsnehmer- auch unter Berücksichtigung der von der Revision in Bezug genommenen Transparenzmaßstäbe nach der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 23. April 2015, Van Hove/CNP Assurances, C-96/14, VersR 2015, 605 Rn. 40 ff.) - bei Vertragsschluss deutlich vor Augen, was unter diesem Merkmal zu verstehen ist. Das Abstellen auf die Kenntnisse und Vorstellungen des konkreten Versicherungsnehmers oder Versicherten erlaubt - anders als das Landgericht meint (vgl. auch AG Balingen RRa 2016, 299 unter II [juris Rn. 29]) - eine klare Beurteilung, ob die Erkrankung aus dessen Sicht plötzlich aufgetreten ist oder nicht.
Rz. 35
(b) Auch den Formulierungsteil "… schwere" hat das Berufungsgericht - entgegen der Ansicht der Revision - zu Recht nicht für intransparent gehalten (vgl. im Ergebnis LG München I NJW-RR 2001, 529 unter 2 a; Prölss/Martin/Dörner, VVG 31. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 11; Krawiec in Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrecht 6. Aufl. 18 Kapitel Rn. 58; van Bühren/Richter/Richter, Reiseversicherung 4. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 VB-Reiserücktritt Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 60; Fajen, VersR 2015, 820 f.; Brüning, Probleme des Reisevertrags- und Reiseversicherungsrechts, 2008, S. 233 ff.; a.A. Staudinger in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl. 2 VB-Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 7; Führich/Staudinger/Führich, Reiserecht 8. Aufl. § 31 Rn. 13; Staudinger/Bauer, NJW 2015, 1485, 1489; Romahn, RRa 2020, 216, 217).
Rz. 36
(aa) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird erkennen, dass sich das Adjektiv "schwere" auf das Substantiv "Erkrankung" bezieht. Dem allgemeinen Sprachgebrauch nach wird er hierunter eine solche Erkrankung verstehen, die erheblich, gravierend oder - wie das Berufungsgericht meint - von einigem Gewicht ist (vgl. Duden, Das Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl. "schwer"). Zur Feststellung wird er eine vergleichende, objektive Betrachtung für erforderlich halten, bei der nicht die persönliche Befindlichkeit des einzelnen Versicherungsnehmers berücksichtigt wird.
Rz. 37
(bb) Angesichts des Wortlauts wird sich der durchschnittliche Versicherungsnehmer veranlasst sehen, zwischen schweren und nicht schweren, das heißt leichten Erkrankungen zu unterscheiden. Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, wird er sich hierzu - neben dem allgemeinen Sprachgebrauch - am Regelungszusammenhang und dem Vertragszweck orientieren.
Rz. 38
(α) Er wird das versicherte Ereignis der unerwarteten und schweren Erkrankung mit den sonstigen versicherten Ereignissen des Todes, der Unfallverletzung und der Schwangerschaft sowie - im Falle der Reise-Rücktrittsversicherung auch - der schweren Unfallverletzung oder Impfunverträglichkeit eines zur Reise angemeldeten Hundes oder einer zur Reise angemeldeten Katze vergleichen. Als Gemeinsamkeit wird er feststellen, dass diese Ereignisse jeweils das Risiko der Unzumutbarkeit eines Reiseantritts oder einer Reisefortsetzung erhöhen.
Rz. 39
(β) Bei verständiger Würdigung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass die Erheblichkeit der Erkrankung jeweils auch vom Leistungs- und Anforderungsprofil der Reise abhängt. In einer Erkrankung, die ihn im Alltag gravierend beeinträchtigt, wird er gleichwohl kein versichertes Ereignis sehen, wenn die Reise der Erholung von dieser Krankheit dient (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 3. November 2014 - 8 S 4293/14, juris Rn. 15). Umgekehrt wird ihm der Antritt oder die Fortsetzung der Reise trotz einer ihn im Alltag nur leicht einschränkenden Erkrankung nicht zumutbar erscheinen, falls er die Leistungen dieser Reise aufgrund deren besonderen Profils einschränkungsbedingt nicht in Anspruch nehmen kann. Im Hinblick auf den Vertragszweck wird der am Versicherungsschutz interessierte Versicherungsnehmer in diesem Fall einen Versicherungsfall annehmen.
Rz. 40
(γ) Mit dem weiten Wortlaut des Adjektivs "schwere" wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer diese Annahme für vereinbar halten. Vertragszweckorientiert wird er davon ausgehen, dass das Vorliegen einer "schweren" Erkrankung nicht allein vom Ausmaß der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen abhängt, sondern auch davon, welche Auswirkungen diese Beeinträchtigungen - aus der objektiven Sicht eines verständigen Dritten - auf die Durchführung einer Reise wie der versicherten haben (vgl. KG Berlin r+s 2018, 148 Rn. 11; OLG Koblenz NJW-RR 2010, 762 unter II [juris Rn. 30]; LG München I r+s 2003, 421, 422 [juris Rn. 5]; LG München I NJW-RR 2001, 529 unter 2 a; Looschelders/Pohlmann/Benzenberg, VVG 3. Aufl. Anhang N Rn. 115; Roth in Tonner/Bergmann/Blankenburg, Reiserecht 2. Aufl. § 7 Rn. 32; Prölss/Martin/Dörner, VVG 31. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 11; Staudinger/Staudinger BGB (2016) § 651i Rn. 76; ders. in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht 2. Aufl. 2 VB-Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 15; van Bühren/Richter/Richter, Reiseversicherung 4. Aufl. VBRR 2008/2018 Abs. 2 Ziff. 2 VB-Reiserücktritt Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 42; van Bühren, MDR 2015, 369, 371; Höra/Steinbeck, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht 4. Aufl. § 30 Rn. 45; Gebert/Steinbeck in Thume/de la Motte/Ehlers, Transportversicherungsrecht 2. Aufl. Teil 8 Rn. 73; Pietsch, DAR 2013, 608, 609). In dieser Ansicht wird er sich - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - jeweils durch Teil B Nr. 2 VB bestätigt sehen. Die Unzumutbarkeit des Reiseantritts oder der planmäßigen Beendigung der Reise - auch im Einzelfall - beurteilt sich demnach danach, welche Auswirkungen die Erkrankung ("und dadurch") auf die "versicherte Reise" hat.
Rz. 41
(δ) Entgegen der Ansicht der Revision kommt dem Merkmal "schwere" neben denen der "Erkrankung" und der dadurch verursachten Unzumutbarkeit des Reiseantritts oder der -fortsetzung auf der Grundlage einer solchen Auslegung eine eigenständige Bedeutung zu (vgl. auch LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 3. November 2014 - 8 S 4293/14, juris Rn. 15). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird schon angesichts des Wortlauts von Teil B Nr. 2 VB ("für Sie") annehmen, dass sich die Unzumutbarkeit des Reiseantritts oder der Reisefortsetzung nach sämtlichen Umständen des Einzelfalls richtet (vgl. Staudinger in Staudinger/Halm/Wendt, Fachanwaltskommentar Versicherungsrecht, 2. Aufl. VB Reiserücktritt 2008 - Versicherte Ereignisse und Risikopersonen Rn. 1; Beckmann/Matusche-Beckmann/Staudinger, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl. § 41 Rn. 98; Roth in Tonner/Bergmann/Blankenburg, Reiserecht 2. Aufl. § 7 Rn. 24), das heißt auch nach solchen, die in der Person des konkreten Versicherungsnehmers oder Versicherten begründet liegen. Würde dieser - anders als ein verständiger Dritter - an der versicherten Reise festhalten, etwa weil er bereit ist, sonstige Leistungen in Anspruch zu nehmen, denen die Erkrankung nicht entgegensteht, wäre ihm der planmäßige Antritt oder die planmäßige Beendigung der Reise - trotz schwerer Erkrankung - zumutbar.
Rz. 42
(ε) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird unter einer "schweren" Erkrankung schließlich nicht deshalb etwas anderes verstehen, weil die ebenfalls versicherten Ereignisse des Todes, der Unfallverletzung und der Schwangerschaft wegen ihres engeren Wortlauts keine vergleichbare vertragszweckorientierte Auslegung zulassen. Zumindest für die Erkrankung eröffnet das Adjektiv "schwere" erkennbar einen Auslegungsspielraum. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer würde es nicht einleuchten, falls dieser Spielraum nicht - vertragszweckorientiert - in seinem Interesse genutzt würde.
Rz. 43
(cc) Die vorgenannte Auslegung ermöglicht es dem Versicherungsnehmer, bei Vertragsschluss klar zu erkennen, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Zwar haben die Gerichte im Streitfall Feststellungen zu den Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Versicherungsnehmers oder des Versicherten auf die versicherte Reise und zu den sonstigen konkreten Umständen zu treffen. Das ist aber nicht unüblich und führt nicht zu Intransparenz. Die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, besteht nur im Rahmen des Möglichen. Weder bedarf es - wie das Berufungsgericht zu Recht ausführt - eines solchen Grades an Konkretisierung, dass alle Eventualitäten erfasst sind und im Einzelfall keinerlei Zweifelsfragen auftreten können, noch ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (vgl. Senatsurteil vom 20. November 2019 - IV ZR 159/18, VersR 2020, 95 Rn. 15 m.w.N.).
Rz. 44
Entgegen der Auffassung der Revision folgt nichts anderes aus dem Senatsurteil vom 10. Dezember 2014 (IV ZR 289/13, VersR 2015, 318) zu einer Ausschlussklausel, die den Versicherungsschutz einschränkt und deren Auslegung daher besonderen Regeln unterliegt (vgl. Senatsurteil vom 20. November 2019 - IV ZR 159/18, VersR 2020, 95 Rn. 16 m.w.N.). Rückschlüsse für die vorliegend in Rede stehende Klausel, mit der das Hauptleistungsversprechen der Beklagten definiert wird, kommen nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 20. November 2019 aaO).
Rz. 45
dd) Das Berufungsgericht hat die Klauseln zutreffend nicht als überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB angesehen (vgl. zum Begriff der überraschenden Klausel Senatsurteil vom 16. Januar 2013 - IV ZR 94/11, VersR 2013, 305 Rn. 15). Auch der Versicherungsnehmer einer Reise-Rücktrittsversicherung und/oder Reiseabbruch-Versicherung muss damit rechnen, Versicherungsschutz nur für künftige ungewisse Ereignisse und abhängig von deren Intensität zu erhalten. Hiergegen wendet sich die Revision - mit Recht - auch nicht.
Rz. 46
b) Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch kein Unterlassungsanspruch zu, soweit Teil B Nr. 8 VB für die Reise-Rücktrittsversicherung und Teil B Nr. 7 VB für die Reiseabbruch-Versicherung eine Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers für den Fall einer - ambulant behandelten - unerwarteten und schweren Erkrankung vorsehen. Die beanstandete Formulierung ist - auch an dieser Stelle - nur Ausdruck des Hauptleistungsversprechens der Beklagten, das durch die Klauseln zur Selbstbeteiligung eingeschränkt werden soll (vgl. Senatsurteil vom 14. Mai 2003 - IV ZR 140/02, VersR 2003, 897 unter 1 b [juris Rn. 10 m.w.N.]).
Rz. 47
2. Folgerichtig hat das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Zahlung von Abmahnkosten aus § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG (in der bis zum 1. Dezember 2020 geltenden Fassung) verneint. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen gemäß § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Rust |
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Fundstellen
Haufe-Index 15443369 |
BGHZ 2023, 352 |
NJW 2023, 208 |
WM 2022, 2273 |
ZAP 2022, 1258 |
DAR 2023, 451 |
MDR 2023, 41 |
VersR 2022, 1585 |
ZfS 2023, 26 |
r+s 2022, 695 |
r+s 2023, 695 |
SpV 2023, 5 |
r+s 2024, 732 |