Leitsatz (amtlich)
Zur Pflicht des Eigentümers und Vermieters eines Mehrfamilienhauses, Abdeckroste eines Lichtschachtes gegen unbefugtes Abheben zu sichern, wenn der Schacht sich über die volle Breite des Hauseingangs erstreckt.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 28.04.1989) |
LG Osnabrück |
Tenor
Die Revision des Beklagten zu 1) gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 28. April 1989 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen dem Beklagten zu 1) zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Sie bewohnte im Jahre 1987 mit ihrem Ehemann, einem Angehörigen der britischen Streitkräfte, und ihren drei Kindern eine von sieben Wohnungen in einem Haus des Erstbeklagten, das dieser an die Bundesrepublik Deutschland vermietet hatte, von der es dem Vereinigten Königreich von Großbritannien zur Deckung des Wohnbedarfs der in Deutschland lebenden Soldatenfamilien zur Verfügung gestellt worden war.
Die Klägerin behauptet, sie sei am 1. Februar 1987 nachts gegen 1.30 Uhr vor der Eingangstür des Hauses in den dort befindlichen 1,20 m tiefen Lichtschacht gestürzt, als sie mit ihrem Ehemann von einer Party zurückgekehrt sei. Ein Unbekannter habe den vorderen linken Rost der insgesamt sechs jeweils 39 cm × 69 cm großen Gitterroste entfernt gehabt, mit denen in der vollen Breite des vorflurähnlichen Eingangsbereichs eine Schachtöffnung von 137 cm × 120 cm abgedeckt gewesen sei. Dies habe sie nicht erkennen können, da die Außenbeleuchtung des Hauses defekt gewesen sei. Die Roste hätten gegen eine Wegnahme gesichert werden müssen. Durch den Sturz habe sie sich so schwer verletzt, daß sie auf Lebenszeit arbeitsunfähig sei.
Das Landgericht hat die von der Klägerin zunächst auch gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete Klage, mit der sie Ersatz ihres materiellen und immateriellen Schadens sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden verlangt hat, abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Klageabweisung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland bestätigt, die Zahlungsklage gegen den Erstbeklagten jedoch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und auch seine Verpflichtung festgestellt, der Klägerin jeglichen Zukunftsschaden zu ersetzen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die (zugelassene) Revision des Erstbeklagten (künftig: des Beklagten), mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht meint, der Beklagte habe fahrlässig gegen seine Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Es stehe fest, daß die Klägerin in den Lichtschacht gestürzt sei, weil dessen vorderer linker Abdeckrost entweder vollständig aus seiner Auflage entfernt oder jedenfalls in seiner Lage derart verändert worden sei, daß er der Klägerin keinen Halt mehr geboten habe. Dieser Zustand sei allein so zu erklären, daß jemand den Rost mutwillig herausgenommen habe, was bei den jeweils nur 5,18 kg schweren Gitterrosten ohne spezielle Hilfsmittel und ohne besonderen Kraftaufwand möglich gewesen sei. Der Beklagte sei als Hauseigentümer und Vermieter verpflichtet gewesen, die Abdeckroste fest zu verankern oder in anderer Weise gegen eine mutwillige Wegnahme zu sichern. Denn jeder der zahlreichen Bewohner, Besucher und sonstigen Berechtigten, der das Haus betreten oder verlassen wolle, müsse unausweichlich über den Lichtschacht hinweggehen und könne sich durch einen Sturz in das 1,20 m tiefe Loch schwerste Verletzungen zuziehen. In den von britischen Soldaten bewohnten Mehrfamilienhäusern komme es häufig zu einem Mieterwechsel, was erfahrungsgemäß dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner und dem Bewußtsein einer gewissen sozialen Mitverantwortung des einzelnen für das Wohl der anderen Hausbewohner nicht selten abträglich sei. Auch zeige die Erfahrung, daß sich durchaus nicht selten im sozialen Umfeld solcher Wohnunterkünfte Aggressionen entwickelten, die bei passender Gelegenheit in Aktionen gegen die Bewohner oder ihre Behausungen umgesetzt werden könnten. Deshalb lägen für den Eigentümer oder Vermieter Handlungen an oder in solchen Häusern, die über groben Unfug weit hinausgingen, und Gefahren für die Allgemeinheit schafften, keineswegs fern. Zu solchen Überlegungen habe den Beklagten zusätzlich der Umstand veranlassen müssen, daß der Hauseingang weder von den Hausbewohnern noch von den von der Straße sich nähernden Besuchern direkt habe eingesehen werden können. Von der Pflicht, auf dieser Grundlage für die Verkehrssicherheit seines Hauses zu sorgen, habe der Beklagte sich auch nicht durch die Vereinbarungen mit der Bundesrepublik Deutschland befreit, zumal er nach dem Mietvertrag weiterhin für die Instandhaltung und Sicherung der Außenanlagen verantwortlich gewesen sei. Die Klägerin treffe an dem Unfall kein Mitverschulden; sie habe, da das Außenlicht nicht gebrannt habe, die gefährliche „Falle” nicht erkennen können und auch nicht vorsorglich eine Taschenlampe mitführen müssen.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.
1. Verfahrensfehlerfrei stellt das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit dem Landgericht aufgrund der Aussagen der Zeugen Keith B. und Karen G. fest, daß die Klägerin am 1. Februar 1987 gegen 1.30 Uhr in den nicht ordnungsgemäß abgedeckten Lichtschacht gestützt ist und daß zu dieser Zeit die Außenbeleuchtung des Hauses nicht gebrannt hat. Die dagegen gerichtete Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe zwei vom Beklagten angebotene Zeugen zu dessen Behauptung hören müssen, daß nachts um 1.00 Uhr alle Roste noch ordnungsgemäß in den dafür vorgesehenen Metallrahmen gelegen hätten und daß in der Zeit zwischen 0.30 Uhr und 1.00 Uhr auch die Beleuchtung des Hauseingangs noch funktioniert habe, greift nicht durch. Denn dieses Vorbringen vermag, selbst wenn es bewiesen würde, die Feststellungen des Berufungsgerichts für den Unfallzeitpunkt um 1.30 Uhr nicht in Frage zu stellen.
Den Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unfallhergang steht auch nicht der Umstand entgegen, daß die Klägerin Epileptikerin ist. Denn nach der rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist der Sturz der Klägerin nicht hierauf, sondern auf die nicht ordnungsgemäße Abdeckung des Lichtschachtes zurückzuführen.
Ohne Erfolg muß ferner die Rüge der Revision bleiben, das Berufungsgericht habe aufgrund der vorliegenden Arztzeugnisse nicht davon ausgehen dürfen, daß die von der Klägerin behaupteten erheblichen Verletzungen auf den Sturz in den Lichtschacht zurückzuführen seien. Über die Frage, welche konkreten Verletzungen die Klägerin bei dem Unfall davongetragen hat, hat das Berufungsgericht bisher nicht befunden. Daß sie sich bei dem Sturz in einer Weise verletzt hat, die auch Folgeschäden wahrscheinlich macht, hat das Berufungsgericht aufgrund der Zeugenaussagen rechtsfehlerfrei festgestellt. Dies reicht sowohl für die Entscheidung über den Grund des Anspruchs als auch für den Feststellungsausspruch aus.
2. Zutreffend sind weiter die allgemeinen rechtlichen Erwägungen, von denen das Berufungsgericht zu der Frage ausgeht, wann Lichtschachtabdeckungen gegen eine unbefugte Wegnahme zu sichern sind.
Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutze anderer Personen zu treffen (BGHZ 103, 338, 340; Senatsurteile vom 22. Oktober 1974 – VI ZR 149/73 – VersR 1975, 88, 89 und vom 18. Oktober 1988 – VI ZR 94/88 – VersR 1989, 155, 156). Diese Sicherungspflicht wird freilich nicht schon durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst. Da eine jeglichen Schadensfall ausschließende Verkehrssicherung nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen Schutz vor allen nur denkbaren Gefahren ausgerichtet sind, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren. Haftungsbegründend wird demgemäß die Nichtabwendung einer Gefahr erst dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, daß Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (vgl. u.a. Senatsurteile vom 16. September 1975 – VI ZR 156/74 – VersR 1976, 149, 150; vom 10. Oktober 1978 – VI ZR 98+99/77 – VersR 1978, 1163, 1164 f und vom 17. Oktober 1989 – VI ZR 258/88 – zur Veröffentlichung bestimmt). Unter dieser Voraussetzung umfaßt die Pflicht eines Eigentümers und Vermieters, wie hier des Beklagten, die von seinem Grundstück oder einem darauf befindlichen Gebäude ausgehenden Gefahren abzuwenden, prinzipiell auch solche Gefährdungen, die sich erst aus dem vorsätzlichen Eingreifen eines Dritten ergeben (Senatsurteile vom 16. September 1975 = a.a.O. und vom 2. Oktober 1979 – VI ZR 245/78 – VersR 1980, 87).
3. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht auf dieser Grundlage an, daß Lichtschachtabdeckungen, die nicht schon versehentlich, sondern nur bewußt aus ihrer Auflage gelöst werden können, durch besondere Vorkehrungen gegen ein Abheben gesichert werden müssen, wenn aufgrund besonderer Umstände ein solches Abheben durch Unbefugte naheliegt und deshalb für die Rechtsgüter anderer Personen eine konkrete erhebliche Gefahrenlage besteht und wenn dem Verkehrssicherungspflichtigen eine Beseitigung dieser Gefahrenläge durch zumutbare Maßnahmen möglich ist. Daß diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, bejaht das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht.
a) Allerdings mögen, wie die Revision rügt, gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts Bedenken bestehen, daß aus der besonderen Mieterstruktur, d.h. aus der Eigenschaft der Bewohner des Hauses als britische Soldatenfamilien sowie aus ihrem Umfeld, im Streitfall eine gesteigerte Gefahrenlage für eine mutwillige Wegnahme der Lichtschachtroste im Hauseingang herzuleiten sei. Auf diese Erwägungen des Berufungsgerichts kommt es jedoch für die Beurteilung nicht entscheidend an. Denn die Verkehrssicherungspflicht des Beklagten setzt keine erhöhte, sondern lediglich eine konkrete Gefahrenlage voraus, und die Feststellung, daß eine solche Lage hier gegeben war, wird von den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts getragen.
b) Wie das Berufungsgericht feststellt, mußten alle Bewohner und Besucher des Hauses vor dem Betreten und beim Verlassen des Gebäudes unausweichlich über den mit Gitterrosten abgedeckten Lichtschacht hinweggehen, der die gesamte Breite des Hauseingangs ausfüllte. Die Gefahr, daß einer oder mehrere der 5,18 kg schweren Abdeckroste von erwachsenen oder jugendlichen Personen, die heimkehrenden Hausbewohnern einen bösen „Streich” spielen wollten, oder auch von spielenden Kindern herausgenommen oder jedenfalls aus der sicheren Lage gebracht werden konnten, war nicht von der Hand zu weisen. Sie war für den Beklagten auch erkennbar, zumal er als Architekt in Bausachen nicht unerfahren und ihm zudem bekannt war, daß spielende Kinder zuvor bereits Abdeckroste vor Kellerlichtschächten des Hauses entfernt hatten, mag es sich dabei nach dem Vortrag des Beklagten auch um kleinere Roste gehandelt haben. Die örtlichen Gegebenheiten ließen es zu, daß eine gefahrenträchtige Manipulation an den Abdeckrosten im Hauseingang unbemerkt erfolgen konnte; denn der Eingang lag 10 bis 15 m von der Straße entfernt und war weder von dort noch von den im Hause befindlichen Bewohnern direkt einzusehen. Die Gefahr, daß nach einer Herausnahme von Gitterrosten jemand in den Lichtschacht stürzen würde, war nicht gering. Denn das Haus wurde von 7 Familien mit einer größeren Anzahl von Personen bewohnt, so daß die Benutzung des Hauseingangs auch in der Nacht nahe lag. Zudem wurde die Unfallgefahr dadurch vergrößert, daß, wie dem Beklagten bekannt war, infolge unbefugter Herausnahme der Glühbirnen häufig die Außenbeleuchtung des Hauses nicht funktionierte, so daß ein nicht ordnungsgemäß abgedeckter Lichtschacht sich als nicht erkennbare „Falle” darstellte. Wenn sich die davon ausgehende Gefahr realisierte, so konnte sich derjenige, der in den Lichtschacht stürzte, erhebliche Verletzungen zuziehen, was bei der Tiefe von 1,20 m ebenfalls auf der Hand lag.
c) Setzt man die dargelegte erhebliche Gefahr schwerer Körperverletzungen in Relation zu der vom Berufungsgericht festgestellten und von der Revision nicht angegriffenen Möglichkeit des Beklagten, die Roste ohne besonderen technischen Aufwand und mit zumutbaren Mitteln gegen eine unbefugte Herausnahme zu sichern, so ist dem Berufungsgericht dahin zu folgen, daß der Beklagte durch das Unterlassen solcher Vorkehrungen gegen die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen hat. Dem steht auch nicht entgegen, daß die Vorschriften der hier einschlägigen Niedersächsischen Bauordnung eine besondere Sicherung von Abdeckrosten nicht vorschreiben, sondern sich auf das allgemeine Gebot zur verkehrssicheren Abdeckung von Lichtschächten beschränken (§ 23 Abs. 1 NBauO, § 4 Abs. 1 Nr. 3 DVNBauO; Nieders. GVBl. 1973, S. 259 und 507) und daß für die vorliegende Fallgestaltung auch die zum Teil konkreter gefaßten Bauordnungen anderer Bundesländer (vgl. die Nachweise im Senatsurteil vom 16. September 1975 = aaO) eine Sicherung von Abdeckrosten gegen unbefugtes Abheben nur dann gebieten, wenn die Abdeckungen, anders als im Streitfall, in oder an öffentlichen Verkehrsflächen liegen. Auf diese baurechtlichen Pflichten kommt es nach den zutreffenden Erwägungen des Berufungsgerichts nicht entscheidend an, denn das zivilrechtliche Verbot der Gefährdung des Verkehrs ist nach seiner Zielsetzung häufig umfassender als die der staatlichen Bauaufsicht gestellte Aufgabe (vgl. Senatsurteil vom 16. September 1975 = aaO). Dies kann dazu führen, daß die Abdeckung eines Lichtschachtes auch über die sich aus dem Baurecht ergebenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen hinaus gegen ein unbefugtes Abheben gesichert werden muß. So liegen, wie ausgeführt, die Dinge hier.
4. Mit rechtsfehlerfreien Erwägungen verneint das Berufungsgericht schließlich ein Mitverschulden der Klägerin an ihrem Unfall. Die Gefahrenstelle war im Dunkeln nicht zu erkennen, und der Beklagte kann die Klägerin nicht darauf verweisen, sie hätte vorsorglich eine Taschenlampe mit sich führen müssen.
Unterschriften
Dr. Steffen, Dr. Kullmann, Dr. Macke, Dr. Lepa, Bischoff
Fundstellen
Haufe-Index 1134355 |
NJW 1990, 1236 |
Nachschlagewerk BGH |