Entscheidungsstichwort (Thema)
Inkongruente Deckung durch Direktzahlung des Endmieters auf Anweisung des zahlungsunfähigen Zwischenmieters
Leitsatz (amtlich)
Die auf Anweisung des zahlungsunfähigen Zwischenmieters erfolgte Direktzahlung des Endmieters an den Vermieter gewährt diesem eine inkongruente Deckung, welche die Gläubiger des Zwischenmieters objektiv benachteiligt.
Normenkette
InsO § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 17.03.2010; Aktenzeichen 3 S 38/09) |
AG Albstadt (Urteil vom 31.07.2009; Aktenzeichen 1 C 645/08) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Hechingen vom 17.3.2010 wird zurückgewiesen.
Die Revision des Beklagten gegen das vorgenannte Urteil wird als unzulässig verworfen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger 86 v.H. und der Beklagte 14 v.H. zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die T. mbH (fortan: Schuldnerin) schloss mit den Klägern als Vermietern im Januar 2005 einen Staffelmietvertrag, mit dem sie deren Wohnung in A. für die gewerbliche Weitervermietung bis Juni 2015 mietete. Im April 2007 vermietete die Schuldnerin diese Wohnung an die P. GmbH als Endmieterin weiter. Die von der Schuldnerin an die Kläger für Juli und Oktober 2007 zu entrichtenden Mieten blieben offen. Mit Schreiben vom 15.10.2007 wies die Schuldnerin die Endmieterin - nach entsprechender schriftlicher Mitteilung an die Kläger - an, die bislang an sie gezahlte Miete an die Kläger zu zahlen. Die Endmieterin überwies von Dezember 2007 bis Juni 2008 monatlich 530 EUR an die Kläger.
Rz. 2
Nachdem am 11.3.2008 ein Gläubiger einen Insolvenzantrag gestellt hatte, wurde am 28.7.2008 das Verfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Nach Eröffnung kündigte der Beklagte das Zwischenmietverhältnis mit den Klägern zum 31.10.2008.
Rz. 3
Die Kläger nehmen den Beklagten auf Zahlung der von August bis Oktober 2008 geschuldeten Mieten zzgl. Nebenkostenvorauszahlungen i.H.v. insgesamt 1.533 EUR in Anspruch. Der Beklagte macht geltend, die Direktzahlungen der Endmieterin seien als inkongruente Deckungen anfechtbar und begehrt Rückgewähr. In Höhe der Klageforderung rechnet er gegen diese auf. Den nach seiner Berechnung überschießenden Betrag von 3.237 EUR macht er im Wege der Widerklage geltend. Das AG hat die Klage abgewiesen und der Widerklage i.H.v. 2.177 EUR stattgegeben. Auf die Berufung der Kläger hat das LG das amtsgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Widerklage i.H.v. weiteren 530 EUR abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klage- und Abweisungsantrag weiter. Der Beklagte begehrt Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Im Hinblick auf die teilweise Abweisung der Widerklage ist die Revision des Beklagten unzulässig.
Rz. 5
1. Das Berufungsgericht hat die Revision nur beschränkt zugelassen. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Tenor, wohl aber, was nach der Rechtsprechung des BGH ausreicht (BGH, Urt. v. 29.1.2003 - XII ZR 92/01, BGHZ 153, 358, 360 f m.w.N.; v. 30.9.2010 - IX ZR 178/09, ZInsO 2010, 2089 Rz. 6), eindeutig aus den Gründen des Urteils. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision damit begründet, es sei eine abschließende höchstrichterliche Klärung zur Frage der Anfechtung von Direktzahlungen im Dauerschuldverhältnis wegen inkongruenter Deckung herbeizuführen. Diese Begründung betrifft nur den Widerklageanspruch über die Rückgewähr der durch Direktzahlung der Endmieterin vor Verfahrenseröffnung erlangten Beträge, aber nicht die Zuordnung der vom Berufungsgericht auf den Monat November 2008 verrechneten Überweisung der (früheren) Endmieterin vom 18.11.2008. Die Parteien hatten auch nur in diesem Umfang die Zulassung der Revision beantragt.
Rz. 6
2. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beschränkung der Revisionszulassung ist auch wirksam. Denn die Zulassung der Revision kann auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Streitstoffs beschränkt werden, welcher Gegenstand eines Teilurteils sein oder auf den der Revisionskläger seine Revision beschränken könnte (st.Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 27.1.2010 - VIII ZR 159/09, BGHZ 184, 138 Rz. 16 m.w.N.). So verhält es sich hier, weil es sich bei dem Anfechtungsanspruch wegen der vorausgegangenen Mietzahlungen um einen rechtlich selbständigen Teil des Streitgegenstands handelt.
Rz. 7
3. Die unzulässige Revision des Beklagten kann auch nicht als Anschlussrevision nach § 554 Abs. 2 ZPO weiter verfolgt werden, denn ihr Gegenstand steht nicht in einem unmittelbaren rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem von der Revision der Kläger erfassten Streitgegenstand (vgl. Hk-ZPO/Kayser, 4. Aufl., § 554 Rz. 5 m.w.N.).
II.
Rz. 8
Die Revision der Kläger ist unbegründet.
Rz. 9
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Beklagten stehe für den Zeitraum Januar bis einschließlich Juni 2008 ein Rückgewähranspruch gem. §§ 129 Abs. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 143 Abs. 1 InsO zu, mit dem er gegen die mit der Klage geltend gemachten Mietansprüche aufrechnen könne. Die Schuldnerin sei spätestens im November 2007 zahlungsunfähig gewesen. Die Direktzahlungen der Endmieterin an die Kläger hätten zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung geführt, weil hierdurch die Mietansprüche der Schuldnerin gegen die Endmieter erloschen seien und die Gläubiger damit nur noch Zugriff auf eine verminderte Aktivmasse gehabt hätten. Auf hypothetische Erwägungen zu einer möglichen Kündigung des Zwischenmietvertrages durch die Kläger komme es nicht an. Diese könnten die tatsächlich eingetretene Gläubigerbenachteiligung nicht beseitigen. Ob die Kläger ohne die Direktzahlungen den Mietvertrag bei Auftreten weiterer Zahlungsrückstände über die Monate Juli und Oktober 2007 hinaus tatsächlich zeitnah gekündigt hätten, sei offen. Die Direktzahlungen seien inkongruent, weil eine insolvenzfeste Vereinbarung zwischen Gläubiger und Schuldner - und damit ein Anspruch der Kläger auf diese Zahlungen - gefehlt habe. Wegen der Inkongruenz komme ein Bargeschäft nicht in Betracht. Der Anspruch des Beklagten i.H.v. 3.180 EUR sei i.H.v. 1.533 EUR durch Aufrechnung erloschen. In den Monaten August und September 2008 hätten die Kläger unstreitig nichts bekommen. Soweit die Endmieterin für Oktober 2008 am 15.10. 530 EUR überwiesen habe, sei dieser Betrag am 17.10. zurückgebucht worden. Eine Überweisung vom 18.11.2008 sei auf den Monat November zu verrechnen, in dem das Mietverhältnis schon zwischen den Klägern und der Endmieterin unmittelbar bestanden habe (§ 565 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Rz. 10
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision der Kläger stand.
Rz. 11
a) Der geltend gemachte Anfechtungsanspruch aus §§ 129 ff., 143 Abs. 1 InsO scheitert entgegen der Auffassung der Revision der Kläger nicht am Fehlen einer objektiven Gläubigerbenachteiligung.
Rz. 12
aa) Eine Gläubigerbenachteiligung im Sinne der insolvenzrechtlichen Anfechtungsvorschriften liegt vor, wenn eine Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert oder verzögert hat (BGH, Urt. v. 22.12.2005 - IX ZR 190/02, BGHZ 165, 343, 350; v. 16.10.2008 - IX ZR 2/05, ZInsO 2008, 1322 Rz. 9; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl., § 129 Rz. 37 m.w.N.). Eine Verkürzung der Masse kann insb. dann eintreten, wenn eine dem Schuldner zustehende Forderung durch Zahlung an einen Dritten getilgt wird, weil der Schuldner für die Befriedigung des Zahlungsempfängers einen Vermögensgegenstand aufgibt, der anderenfalls den Gläubigern insgesamt zur Verfügung gestanden hätte (BGH, Urt. v. 10.5.2007 - IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1162 Rz. 9; vom 16.10.2008, a.a.O.).
Rz. 13
bb) Die hier in Rede stehende Mietforderung der Schuldnerin aus dem mit der Endmieterin geschlossenen Mietvertrag vom April 2007 stand ausschließlich der Schuldnerin zu. Aus dem Mietvertrag für gewerbliche Zwischenvermietung vom Januar 2005 hatten die Kläger nur Ansprüche gegen die Schuldnerin, einen unmittelbaren Anspruch gegen die Endmieterin gab es nicht. Auf die Frage, ob die Schuldnerin überhaupt Einnahmen durch Weitervermietung erzielen konnte, sollte es im Hinblick auf die von ihr gegen Entgelt übernommene Mietgarantie gerade nicht ankommen. Nach § 2 der "Allgemeinen Bedingungen für die gewerbliche Zwischenvermietung" sollte die Schuldnerin das wirtschaftliche Risiko der Erstvermietung, Weitervermietung und des Mietausfalls der Kaltmiete tragen. Damit mussten ihr auch die Einnahmen aus der Weitervermietung zustehen. Eine Vereinbarung zwischen den Klägern und der Schuldnerin über die Änderung dieser Vertragsbedingungen, aufgrund derer die Zahlung unmittelbar von der Endmieterin an die Kläger zu leisten war, hat es unstreitig nicht gegeben.
Rz. 14
cc) Die in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung der Revision der Kläger, diese hätten ohne eine insolvenzfeste Übertragung der Ansprüche der Schuldnerin gegen die Endmieterin auf sie durch die Anweisung zur Direktzahlung vom 15.10.2007 nur die Möglichkeit gehabt, das Mietverhältnis mit der Schuldnerin wegen der offenen Mieten aus Juli und Oktober 2007 fristlos zu kündigen und damit die Krise der Schuldnerin noch zu verschärfen, ist im Rahmen der Prüfung, ob eine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, nicht erheblich. Die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Rechtshandlung und der Gläubigerbenachteiligung ist aufgrund des realen Geschehens zu beurteilen. Für hypothetische, nur gedachte Kausalverläufe ist insoweit kein Raum (BGH, Urt. v. 2.6.2005 - IX ZR 263/03, ZIP 2005, 1521, 1523; v. 29.9.2005 - IX ZR 184/04, ZIP 2005, 2025, 2026; HK-InsO/Kreft, a.a.O., § 129 Rz. 66; Kirchhof in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 129 Rz. 181; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 129 Rz. 123). Dass die Kündigung ohne die Anweisung zur Direktzahlung tatsächlich erfolgt wäre, konnte das Berufungsgericht ohnehin nicht feststellen. Die Kläger hätten mit der Kündigung die Mietgarantie verloren.
Rz. 15
dd) Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Gläubiger der Schuldnerin hätten infolge der Anweisung vom 15.10.2007 nur noch Zugriff auf eine verminderte Aktivmasse gehabt, ist entgegen der klägerischen Revisionsbegründung zutreffend. Die Schuldnerin hat durch ihre mittelbare Zuwendung den Klägern volle Deckung ihres Mietzahlungsanspruchs verschafft zu Lasten ihrer anderen Gläubiger. Denn was einem Gläubiger zugewendet wird, kann für die Befriedigung der anderen nicht mehr eingesetzt werden (Raebel in FS Ganter 2010, S. 339, 343 oben; vgl. auch BGH, Urt. v. 6.10.2009 - IX ZR 191/05, BGHZ 182, 317 Rz. 13).
Rz. 16
b) Auch die übrigen Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruchs aus §§ 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 143 Abs. 1 InsO sind erfüllt.
Rz. 17
aa) In der Rechtsprechung ist seit jeher anerkannt, dass Befriedigungen, die nicht in der Art erbracht werden, in der sie geschuldet sind, eine inkongruente Deckung i.S.v. § 30 Nr. 2 KO gewähren (vgl. für Direktzahlungen des Auftraggebers gem. § 16 Nr. 6 VOB/B an einen Nachunternehmer BGH, Beschl. v. 6.6.2002 - IX ZR 425/99, ZInsO 2002, 766; Urteil vom 16.10.2008, a.a.O., Rz. 13; OLG Dresden ZIP 1999, 2161, 2165 mit zustimmender Anmerkung von Schmitz EWiR 2000, 253 f.). Für § 131 Abs. 1 InsO gilt dieser Grundsatz wie schon unmittelbar dem Wortlaut der Bestimmung entnommen werden kann, gleichermaßen (vgl. Graf-Schlicker/Huber, InsO, 2. Aufl., § 131 Rz. 5; HK-InsO/Kreft, a.a.O., § 131 Rz. 9; Jaeger/Henckel, InsO, § 131 Rz. 15; Schoppmeyer in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 131 Rz. 59). Die Insolvenzgläubiger benachteiligende nicht geschuldete Direktzahlungen, die ein Dritter auf Anweisung des Schuldners erbringt, sind dem Empfänger gegenüber als inkongruente Deckung anfechtbar. Dies gilt auch für Mietzahlungen, die der Endmieter auf Anweisung des Zwischenmieters an den Vermieter entgegen der vertraglichen Vereinbarung leistet. Denn der Vermieter hat keinen Anspruch darauf, seine Forderung gegen den Zwischenmieter in dieser Art - aufgrund einer Zahlungsanweisung an den Endmieter - durch diesen als Dritten erfüllt zu bekommen. Darin liegt eine nicht unerhebliche Abweichung vom normalen Zahlungsweg des Zwischenmieters an den Vermieter. Derartige Direktzahlungen sind zudem besonders verdächtig, wenn sie - wie hier - an einen Zahlungsverzug des Zwischenmieters und damit typischerweise an dessen Liquiditätsschwierigkeiten anknüpfen (BGH, Urt. v. 16.10.2008, a.a.O., Rz. 13).
Rz. 18
bb) Aus den Besonderheiten des Mietverhältnisses als Dauerschuldverhältnis folgt hier nichts anderes. Ob das Mietverhältnis bei fristloser Kündigung durch die Kläger auf die Endmieterin übergegangen wäre, ist unerheblich, weil eine fristlose Kündigung unterblieben ist. Mieterschutzrechtliche Gesichtspunkte gebieten keine andere Sichtweise. Auch wenn gem. § 566c Satz 1 BGB Anweisungen des Zwischenmieters vom Endmieter zu befolgen sind, hat die fehlende Kongruenz der Anweisung keine mieterschädlichen Auswirkungen. Anfechtbar ist die von den vertraglichen Vereinbarungen abweichende Befriedigung ggü. dem Vermieter als Empfänger, nicht ggü. dem Endmieter als Leistendem. Der Schutz des Endmieters, der sich auf die Anweisung des Zwischenmieters berufen kann, bleibt gewahrt. Dass eine periodische Verpflichtung vorliegt und keine Einmalzahlung geschuldet wird, ändert nichts an der Inkongruenz der von den Vereinbarungen abweichenden Befriedigung. Der Einwand des Bargeschäfts kann schon wegen der Inkongruenz der Art der Leistungserbringung nicht greifen (BGH, Urt. v. 10.3.2007, a.a.O., Rz. 10 m.w.N.).
Rz. 19
cc) Die hier in Rede stehenden Zahlungen hat die Schuldnerin in den Monaten Januar bis Juni 2008 veranlasst. Sie gingen entweder im zweiten und dritten Monat vor der Antragstellung im März 2008 oder in diesem Monat und danach ein. Die Schuldnerin war nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts spätestens im November 2007 zahlungsunfähig. Die weiteren Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO liegen damit vor.
Fundstellen
DB 2011, 2915 |
DWW 2011, 185 |
EBE/BGH 2011 |
NJW-RR 2011, 630 |
EWiR 2011, 287 |
NZM 2011, 408 |
WM 2011, 371 |
WuB 2011, 481 |
ZAP 2011, 397 |
ZIP 2011, 438 |
ZfIR 2011, 265 |
DZWir 2011, 247 |
MDR 2011, 452 |
NZI 2011, 141 |
RdE 2012, 101 |
ZInsO 2011, 421 |
GuT 2011, 59 |
Info M 2011, 139 |
MietRB 2011, 145 |
RENOpraxis 2011, 153 |