Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 13.02.1990) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenates des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Februar 1990 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der jetzt 22 jährige Kläger beansprucht von der Beklagten eine seit 1. Juli 1988 zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente von monatlich 1.000,00 DM. Er unterhält bei ihr seit dem 1. August 1987 eine Risikolebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Der Kläger, der am 1. Oktober 1986 auf Widerruf zum Polizeihauptwachtmeister-Anwärter im Bundesgrenzschutz ernannt worden war, wurde durch Verfügung vom 13. April 1988 unter Widerruf des Beamtenverhältnisses wegen mangelnder körperlicher Eignung entlassen, da er unter anderem an einem Zustand nach Sequestrotomie und Discotomie rechts bei sequestriertem Bandscheibenprolaps L 5/S 1 leide. Er hat am 1. Juli 1988 eine Immobilienkaufmannslehre begonnen.
Seinen Antrag auf Gewährung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente lehnte die Beklagte unter Rücktritt vom Vertragsteil der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab mit der Begründung, der Kläger habe bei Antragstellung am 17. Juli 1987 und bis zur Vertragsannahme am 3. August 1987 Anzeigeobliegenheiten verletzt; er habe nämlich ärztlich behandelte Gesundheitsstörungen, die schließlich zu seiner Berufsunfähigkeit geführt haben sollen, nicht angegeben. Im Prozeß macht die Beklagte ferner geltend, der Kläger sei nicht zu mindestens 50 % berufsunfähig geworden, eine etwaige Berufsunfähigkeit sei überdies schon vor Versicherungsbeginn eingetreten. Der Kläger hat unter anderem vorgetragen, am 23. Juli 1987 sei von den ihn behandelnden Ärzten lediglich eine Muskelverspannung diagnostiziert worden, von der Schwere seiner Erkrankung, insbesondere einem Bandscheibenvorfall, habe er vor September 1987 nichts gewußt. Seine begonnene kaufmännische Lehre könne er wegen starker Konzentrationsschwäche nicht zu Ende führen.
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt er sein Klagebegehren unverändert weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1.
Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der Kläger schon am 23. Juli 1987 einen sequestrierten Bandscheibenvorfall erlitten hat oder erst um den 12. August 1987. Demnach ist für das Revisionsverfahren davon auszugehen, daß die Nichtanzeige eines Bandscheibenvorfalls im Antragsformular oder bis zur Antragsannahme seitens der Beklagten dem Kläger nicht als Verletzung einer Anzeigeobliegenheit angelastet werden kann.
2.
Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Kläger der Beklagten nur ihm bekannte, für die Übernahme der Gefahr erhebliche Umstände anzuzeigen hatte, § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG. In Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 2 und 3 VVG ist es davon ausgegangen, daß solche Gefahrumstände erheblich sind, die geeignet sind, den Entschluß des Versicherers über den Vertragsabschluß zu beeinflussen, und daß im Zweifel als erheblich gilt, was der Versicherer ausdrücklich und schriftlich erfragt. Als falsch beantwortet sieht es die Antragsformularfrage an, ob der Kläger in den letzten zehn Jahren von Ärzten oder Heilpraktikern wegen Krankheiten, Störungen oder Beschwerden unter anderem der Gelenke behandelt oder beraten worden ist; der Kläger hatte in der Rubrik Krankheit "keine" eingetragen und in den anderen Rubriken weder einen Behandlungszeitraum noch Namen oder Anschrift eines Arztes angegeben.
Die Revision beanstandet das Vorgehen des Berufungsgerichts bereits im Ansatz. Es sei zweifelhaft, ob die vom Berufungsgericht angeführte Vermutung des § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG überhaupt gelte, da nach § 6 der von der Beklagten für die Hauptversicherung (Risikolebensversicherung) verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Bl. 46 GA) als Voraussetzung eines Rücktrittsrechts der Beklagten nur die unterbliebene oder unrichtige Angabe von Umständen genannt werde, "die für die Übernahme des Versicherungsschutzes Bedeutung haben", die Beweiserleichterung für ausdrücklich oder schriftlich erfragte Umstände in dieser Klausel dagegen nicht angeführt werde. Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich hieraus nicht, daß die gesetzliche Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG abbedungen wäre. Die Beklagte hat in § 6 ihrer AVB lediglich - in zutreffender rechtlicher Wertung - klargestellt, daß ihr ein Rücktrittsrecht dann (und nur dann) zusteht, wenn der Versicherungsnehmer erwiesenermaßen (ihm bekannte) erhebliche Gefahrumstände im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG nicht oder nicht richtig angegeben hat. Wenn die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht auch eine ihr vom Gesetz eingeräumte Beweiserleichterung bezüglich eines Tatbestandsmerkmals für ihr gesetzlich begründetes Rücktrittsrecht anführt, so ergibt dies keinen Anhalt dafür, daß sie damit auf diese Beweiserleichterung verzichtet hätte.
3.
Das Berufungsgericht stellt fest, aus dem zu den Akten gereichten Schreiben des Kommandeurs des Grenzschutzkommandos West vom 31. Januar 1989 ergebe sich, daß der Kläger bereits am 12. Januar 1987 behandelt worden sei und am 9. März 1987 nach einem Verhebetrauma erstmalig an einer Lumbalgie gelitten habe, bei der zwar nach den ärztlichen Feststellungen Symptome einer Bandscheibenbeteiligung fehlten, deren Behandlung aber erst am 16. April 1987 beendet worden sei.
Nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Revision unangefochten gelassen hat, war dem Kläger nicht nur die Tatsache seiner ärztlichen Behandlung, sondern auch die gestellte Diagnose "Verhebetrauma, erstmalige Lumbalgie" bekannt. Die Annahme des Berufungsgerichts, damit habe die Beklagte die Nichtangabe eines im Antragsformular erfragten erheblichen Gefahrumstandes im Sinne des § 16 Abs. 1 VVG bereits bewiesen, ist indessen nach dem derzeitigen Verfahrensstand nicht haltbar. Der Kläger bezweifelt möglicherweise zu Recht, mit der Nichtangabe der Behandlung im Frühjahr 1987 und der dabei gestellten Diagnose "Verhebetrauma, erstmalige Lumbalgie" einen gefahrerheblichen Umstand nicht angegeben zu haben.
Der Senat hat bereits in seinen Urteilen vom 28. März 1984 - IVa ZR 75/82 - VersR 1984, 629 und vom 11. Juli 1984 - IVa ZR 157/82 - VersR 1984, 855 klargestellt, daß nicht jede frühere Erkrankung eines Antragstellers geeignet ist, einen Versicherer zu veranlassen, den Abschluß eines Vertrages über eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzulehnen oder sich auf einen Vertrag nur mit einem vom üblichen abweichenden Inhalt (z.B. mit erhöhter Prämie oder bestimmten Risikoausschlüssen) einzulassen. Dies kann gerade für gewöhnliche Sportverletzungen, wie sie der Kläger im Frühjahr 1987 laut dem Schreiben des Kommandeurs des Grenzschutzkommandos West erlitten hatte, in Betracht kommen. Die Vermutung des § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG kommt der Beklagten demnach hierfür nicht zugute.
Entscheidend ist vielmehr, ob die Beklagte bei Kenntnis der zeitweiligen ärztlichen Behandlung des Klägers und der seinerzeit gestellten Diagnose nach ihren Risikoprüfungsgrundsätzen Veranlassung gehabt hätte, den Vertragsschluß überhaupt abzulehnen oder den Vertrag zumindest zu anderen Bedingungen abzuschließen, als tatsächlich geschehen. Damit dies beurteilt werden kann, muß die Beklagte vortragen, von welchen Grundsätzen sie sich bei der dem Vertragsabschluß vorausgehenden Risikoprüfung leiten läßt. Darauf, ob der in Frage stehende Umstand allgemein nach den den Betrieb des betreffenden Versicherungszweiges beherrschenden Anschauungen dem Versicherer hätte Anlaß bieten können, den Vertragsabschluß schlechthin oder mit dem vom Versicherungsnehmer gewünschten Inhalt abzulehnen, kommt es nach der geltenden Fassung des § 16 Abs. 1 Satz 2 VVG nicht mehr an. Der Beklagten wird es demnach obliegen, den Beweis insbesondere für ihre Risikoprüfungspraxis bei Angabe einer erstmals im Gefolge von Sportverletzungen aufgetretenen Lumbalgie zu führen, falls sich nicht feststellen läßt, daß der Kläger bereits vor Versicherungsbeginn einen Bandscheibenvorfall erlitten und dies auch gewußt hat.
4.
Einen Bandscheibenvorfall - unzweifelhaft eine nicht unerhebliche Gesundheitsverschlechterung - hätte der Kläger der Beklagten auch dann anzeigen müssen, wenn er zwischen Antragstellung und Antragsannahme aufgetreten sein sollte, nicht dagegen jede Gesundheitsstörung.
5.
Sollte ein rechtswirksam ausgeübter Rücktritt der Beklagten nicht in Betracht kommen, wird ihr weiteres Verteidigungsvorbringen entscheidungserheblich, daß nämlich der Versicherungsfall (= mindestens 50 %ige Berufsunfähigkeit des Klägers) schon vor Vertragsbeginn eingetreten gewesen sei bzw. daß der Kläger nicht zu mindestens 50 % berufsunfähig geworden sei. Bei der gegebenenfalls notwendigen Prüfung einer Verweisbarkeit des Klägers auf Vergleichsberufe wird der Umstand zu berücksichtigen sein, daß sich der Kläger in dem Zeitpunkt, für den er den Eintritt von Berufsunfähigkeit geltend macht, noch in einer nicht abgeschlossenen beruflichen Ausbildung befand.
Fundstellen
Haufe-Index 3018885 |
NJW-RR 1991, 735-736 (Volltext mit red. LS) |
JurBüro 1991, 453 (Kurzinformation) |
VersR 1991, 578-579 (Volltext mit red. LS) |