Leitsatz

Für das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen Nichtanzeige von Gefahrumständen kann entscheidend sein, ob der Versicherer bei Kenntnis der Gefahrumstände nach seinen Risikoprüfungsgrundsätzen Veranlassung gehabt hätte, den Vertragsabschluss überhaupt abzulehnen oder den Vertrag zumindest zu anderen Bedingungen abzuschließen, als tatsächlich geschehen.

 

Normenkette

§ 16 VVG

 

Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer, der auf Widerruf zum Polizeihauptwachtmeister-Anwärter im Bundesgrenzschutz ernannt worden war, wurde 11/2 Jahre später unter Widerruf des Beamtenverhältnisses wegen mangelnder körperlicher Eignung entlassen, da er u. a. an einem Zustand nach Sequestrotomie und Discotomie rechts bei sequestriertem Bandscheibenprolaps leide. Er beansprucht von dem beklagten Versicherer Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente aus einer Risikolebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Der Versicherer lehnte diesen Antrag unter Rücktritt vom Vertragsteil der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung ab mit der Begründung, der Versicherungsnehmer habe ärztlich behandelte Gesundheitsstörungen, die schließlich zu seiner Berufsunfähigkeit geführt haben, nicht angezeigt. Klage und Berufung des Versicherungsnehmers sind erfolglos geblieben; seine Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

 

Entscheidung

Das Berufungsgericht hatte offengelassen, ob der Versicherungsnehmer schon bei Antragstellung oder erst nach Vertragsannahme einen sequestrierten Bandscheibenvorfall erlitten hat. Demnach war nach der Feststellung des BGH für das Revisionsverfahren davon auszugehen, dass die Nichtanzeige eines Bandscheibenvorfalls im Antragsformular dem Versicherungsnehmer seitens des Versicherers nicht als Verletzung einer Anzeigenobliegenheit angelastet werden könne. Das Berufungsgericht stellte fest, dass der Versicherungsnehmer bereits sechs Monate vor der Antragstellung behandelt worden sei und zwei Monate später nach einem Verhebetrauma erstmalig an einer Lumbalgie gelitten habe, bei der zwar nach den ärztlichen Feststellungen Symptome einer Bandscheibenbeteiligung fehlten, deren Behandlung aber erst einen Monat später beendet worden sei. Dem Versicherungsnehmer sei die Diagnose "Verhebetrauma, erstmalige Lumbalgie" bekannt gewesen.

Die Annahme des Berufungsgerichts, damit habe der Versicherer die Nichtangabe eines im Antragsformular erfragten erheblichen Gefahrenumstands i. S. d. § 16 Abs. 1 VVG bereits bewiesen, ist nach der Auffassung des BGH nach dem Verfahrensstand nicht haltbar. Der Versicherungsnehmer bezweifle möglicherweise zu Recht, mit der Nichtanzeige der Behandlung und der gestellten Diagnose einen gefahrerheblichen Umstand nicht angegeben zu haben. Nicht jede frühere Erkrankung sei geeignet, einen Versicherer zu veranlassen, den Abschluss eines Vertrags über eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzulehnen oder sich auf einen Vertrag nur mit einem vom üblichen abweichenden Inhalt (z. B. mit erhöhter Prämie oder bestimmten Risikoausschlüssen) einzulassen. Dies könne gerade für gewöhnliche Sportverletzungen, wie sie der Versicherungsnehmer erlitten habe, in Betracht kommen. Die Vermutung des § 16 Abs. 1 S. 3 VVG komme dem Versicherer demnach hierfür nicht zugute. Entscheidend sei vielmehr, ob der Versicherer bei Kenntnis der jeweiligen ärztlichen Behandlung und der seinerzeit gestellten Diagnose nach seinen Risikoprüfungsgrundsätzen Veranlassung gehabt hätte, den Vertragsschluss überhaupt abzulehnen oder den Vertrag zumindest zu anderen Bedingungen abzuschließen, als tatsächlich geschehen. Dem Versicherer obliege es, den Beweis insbesondere für seine Risikoprüfungspraxis bei Angabe einer erstmals im Gefolge von Sportverletzungen eingetretenen Lumbalgie zu führen, falls sich nicht feststellen lasse, dass der Versicherungsnehmer bereits vor Versicherungsbeginn einen Bandscheibenvorfall erlitten und dies auch gewusst habe.

 

Link zur Entscheidung

BGH, Urteil vom 20.02.1991, IV ZR 77/90

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