Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 4. April 2001, soweit es die Angeklagten To, T. und M. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Von der Aufhebung ausgenommen sind die Feststellungen zum Geschehensablauf der Tat, zum Tötungsvorsatz und zur gemeinschaftlichen Tatbegehung der genannten drei Angeklagten; diese Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
2. Die Revisionen der Angeklagten To, T. und M. gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen.
3. Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.– Von Rechts wegen –
Gründe
I.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen zwischen 13 und 15 Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten decken keinen zu ihrem Nachteil wirkenden Rechtsfehler auf. Dagegen haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge die Verurteilung der Angeklagten wegen Totschlags anstelle wegen Mordes beanstandet, Erfolg.
II.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen sind die in der Türkei geborenen Angeklagten kurdischer Volkszugehörigkeit. Während die Angeklagten M. und To seit 1985 in Deutschland leben und als Asylberechtigte anerkannt sind, ist der Asylantrag des seit 1997 in Deutschland lebenden Angeklagten T. abgelehnt worden. Alle Angeklagten wie auch die beiden späteren Tatopfer hielten sich in den vergangenen Jahren in Bremen im wesentlichen im kurdischstämmigen Umfeld auf und entwickelten unterschiedlich starke Aktivitäten für die in Deutschland vereinsrechtlich verbotene „Arbeiterpartei Kurdistans” (Partya Karkeren Kurdistan, PKK).
A. nahm als Kurde an dem bewaffneten Kampf der PKK in der Türkei teil. Er erlitt bei einem Schußwechsel eine Querschnittslähmung, so daß er beide Beine nicht mehr bewegen konnte und an den Rollstuhl gebunden war. Er kam 1994 im Alter von 18 Jahren nach Bremen, wurde als Asylbewerber anerkannt und war für die dortigen Sympathisanten der PKK ein Kriegsheld. Ende 1998 lernte er die damals 17 Jahre alte D. kennen, die 1996 mit ihren kurdischen Eltern und Geschwistern nach Bremen gekommen war. Beide wollten heiraten, hielten dies aber zunächst vor den Eltern D. geheim. Entgegen den herkömmlichen Regeln der kurdischen Gesellschaft teilte A. der Mutter mit, daß er beabsichtige D. zu heiraten. Als deren Vater davon erfuhr, lehnte er ein solches Ansinnen kategorisch ab. Er betrachtete A. vor allem „als Behinderten, der schon daher nicht der richtige Mann für seine Tochter” sei. Außerdem war er der Auffassung, daß A. als PKK-Mitglied nicht heiraten dürfe. Der Vater machte deshalb dem Verantwortlichen der PKK für das Gebiet Bremen Vorwürfe. Er fühlte sich in seiner Ehre verletzt und verlangte von der PKK die Wiederherstellung seiner Ehre, da nach seinem Verständnis A. ein „Kader” der PKK war und diese auch für dessen Verhalten verantwortlich war.
Mehrere Versuche des Vaters und von ihm beauftragter Personen, die Beziehung zu beenden, scheiterten. Vielmehr zog D. im Mai 1999 sogar zu A. in dessen Wohnung. In der kurdischen Gemeinschaft wurde das Vorgehen der beiden jungen Leute ebenfalls nicht gutgeheißen. Insbesondere A. wurde zunehmend ausgegrenzt. Dennoch heirateten A. und D. Anfang Juni 1999 heimlich in einer Moschee nach islamischem Recht.
Da die als unehrenhaft empfundene Beziehung zwischen A. und D. in den kurdischen Kreisen weiterhin Gesprächsstoff war, fühlte sich der Gebietsverantwortliche der PKK zur Lösung des Problems aufgerufen. In den Morgenstunden des 24. August 1999 befahl er zunächst den Angeklagten To und M. und kurz darauf auch dem Angeklagten T., den A. und die D. zu töten. Die Angeklagten waren zwar „konsterniert über den ihnen gegebenen Tötungsbefehl”. Sie versuchten den Tötungsbefehl abzuwenden, unterwarfen sich diesem aber schließlich.
Die Angeklagten fuhren unter einem Vorwand mit den beiden Opfern zu einer einsam gelegenen Stelle am Außendeich der Weser. Nachdem alle Personen aus dem Fahrzeug ausgestiegen waren, begannen die Angeklagten mit der Tötung der beiden Opfer, ohne auf deren Flehen zu reagieren. Zunächst packten die Angeklagten T. und To die D. an den Armen und zogen sie über die Deichkrone etwa 75 Meter weit in Richtung des Weserufers. Sodann wurde ihr Kopf mehrere Minuten in den Schlick gedrückt, bis sie erstickte. Um ihren Tod sicherzustellen, wurde auf ihren Kopf noch Schlick aufgehäuft. Die Angeklagten T. und To wendeten sich nun dem A. zu, der sich in der Nähe des Autos befand. Einer der beiden Angeklagten schlug mit einem Radmutterschlüssel elfmal mit Wucht auf dessen Kopf ein. Außerdem wurde weitere Gewalt gegen ihn angewendet, so daß er unter anderem mehrere Schädelbrüche erlitt. Zusätzlich fuhr der Angeklagte M. mit dem Fahrzeug zweimal gegen das auf dem Boden liegende Opfer und schleifte es mit. Nach etwa 15 bis 30 Minuten verstarb A.
III. Revisionen der Angeklagten
Die Sachrügen sind unbegründet. Die Verurteilung der Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Totschlags in zwei Fällen enthält keinen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil. Die Einwendungen der Revisionen sind offensichtlich unbegründet.
IV. Revisionen der Staatsanwaltschaft
1. Das Landgericht hat die Tat rechtsfehlerfrei als gemeinschaftlich begangene vorsätzliche Tötung in jeweils zwei Fällen beurteilt. Es hat auch angenommen, daß „die Tötung von zwei sich liebenden Personen letztlich allein der Zuneigung dieser Personen zueinander wegen, die sie nicht bereit sind aufzugeben, regelmäßig und objektiv als besonders verwerflich und sozial rücksichtslos anzusehen” ist. Der Tatrichter hat aber das Vorliegen einer Tötung aus niedrigen Beweggründen verneint, weil in der gegebenen Situation „nach den archaischen Sitten- und Wertvorstellungen aller beteiligten Personen eine Schlichtung nicht mehr möglich” war, die „Tötung der Beziehungspartner selbst in diesem extremen Fall danach erlaubt” sei, für die Angeklagten „Fragen der Ehre und Angst vor der sozialen Ausgrenzung im Vordergrund” standen und es „den Angeklagten aufgrund ihrer stark verinnerlichten heimatlichen Wertvorstellungen nicht bewußt war, daß ihre Beweggründe objektiv als besonders verwerflich und sozial rücksichtslos anzusehen” sind; letzteres beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht.
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig” sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212). Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt, zu entnehmen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 29; BGH, Beschl. vom 24. April 2001 – 1 StR 122/01; Jähnke in LK 10. Aufl. § 211 Rdn. 39). Nur ausnahmsweise, wenn dem Täter bei der Tat die Umstände nicht bewußt waren, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, oder wenn es ihm nicht möglich war, seine gefühlsmäßigen Regungen, die sein Handeln bestimmen, gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 2, 4, 10, 12, 15, 24, 28), kann anstatt einer Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen lediglich eine Verurteilung wegen Totschlages in Betracht kommen. Dieser Anforderung werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
Allerdings hat das Landgericht sich mit der Frage, welche Motive der Tat zugrunde liegen, durchaus auseinandergesetzt. Es hat aber innerhalb dieser Prüfung nicht alle Umstände bedacht, die für die Beurteilung der Beweggründe als insgesamt niedrig von Bedeutung sein können. Es hat dabei nicht in Betracht gezogen, daß der von A. nach Auffassung der drei Angeklagten durch die „Entführung” als solcher begangene Verstoß gegen die Regeln ihrer Gesellschaft und der Partei „aus Sicht der Angeklagten durchaus eine Maßregelung, aber nicht eine Tötung” rechtfertigte. Über den Tötungsbefehl waren die Angeklagten hiernach aufgrund ihrer eigenen Wertvorstellungen entsetzt.
Zu Unrecht hat das Landgericht bei der Bewertung der Beweggründe der Angeklagten zudem nicht ausdrücklich erwogen, daß – wie an anderer Stelle des Urteils ausgeführt wird – den Angeklagten „im Fall einer Befehlsverweigerung keinesfalls eine Bestrafung in Form von körperlichen Übergriffen oder gar einer Tötung” drohte. Schlimmstenfalls mußten sie „mit einem Ansehens- und Ehrverlust innerhalb der kurdischen Gemeinschaft, eventuell auch mit einer Ausgliederung aus dem Leben der kurdischen Gemeinschaft” rechnen. Die den Angeklagten vom Landgericht bei der rechtlichen Würdigung zugute gehaltene Motivation kann vor dem Hintergrund der befohlenen Tat nicht abstrakt und losgelöst von den Beweggründen der Befehlsgeber beurteilt werden. Die hochgradige Verwerflichkeit des Tötungsbefehls war den Angeklagten bekannt. Sie führten den Befehl gleichwohl aus, ohne daß ihnen für den Fall der Verweigerung verglichen mit dem furchtbaren Tatgeschehen auch nur annähernd gleichermaßen schlimme Konsequenzen gedroht hätten. Unter diesen Voraussetzungen liegt es nahe, ihre eigenen Beweggründe als niedrig zu bewerten.
Zudem hat das Landgericht weitere Umstände nicht bedacht, die gegen die Annahme sprechen, daß die Angeklagten nicht erfaßt hatten, daß ihre eigenen Wertvorstellungen, die ihnen die Wiederherstellung der Ehre aufgaben, in dieser Form in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland keine Billigung finden. Gegen die bereits seit 1985 in Deutschland lebenden Angeklagten To und M. ist 1991 ein Strafverfahren wegen versuchten Totschlags geführt worden, weil sie mit weiteren Mittätern auf einer Kurdenhochzeit daran mitgewirkt haben sollen, daß ein türkischer Asylbewerber aus Blutrache niedergeschlagen und mit einem Messer in die Brust gestochen wurde. Der Angeklagte T. lebt zwar erst seit 1997 in Deutschland. Er hat nach den getroffenen Feststellungen aber ein „ambivalentes Verhältnis zum kurdischen Verein und zur PKK”. Der Sache des „Volkes” fühlte er sich durchaus verbunden, war aber nicht gewillt, stärkere Aktivitäten für den Verein bzw. die PKK zu entfalten.
2. Die Verneinung weiterer Mordmerkmale – angesichts der insoweit hinreichenden Feststellungen zur Motivlage auch das Merkmal der Grausamkeit betreffend – erweist sich hingegen letztlich als rechtsfehlerfrei.
3. Die Feststellungen des Tatrichters, die den bisherigen Schuldspruch wegen gemeinschaftlichen Totschlags tragen, sind rechtsfehlerfrei getroffen worden; sie können sämtlich bestehen bleiben. Aufzuheben sind mit dem Schuldspruch und dem gesamten Strafausspruch daher lediglich die bislang mangelhaften Feststellungen zum Motiv, wegen des Zusammenhangs auch die zur Schuldfähigkeit. Die maßgeblichen Feststellungen im Zusammenhang mit der Tatplanung sind unter Berücksichtigung der Auffassung des Senats von einem neuen Tatrichter zu treffen, der danach zu entscheiden haben wird, ob die Angeklagten wie bislang oder aber wegen gemeinschaftlichen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu verurteilen sind.
Unterschriften
Harms, Basdorf, Gerhardt, Brause, Schaal
Fundstellen
Haufe-Index 707609 |
NStZ 2002, 369 |
JA 2002, 749 |
StV 2003, 21 |
JURAtelegramm 2003, 101 |