Leitsatz (amtlich)
Zu den Sorgfaltsanforderungen, denen ein Bewachungsunternehmen bei der Einstellung eines Wachmannes, dem während des Dienstes eine Waffe ausgehändigt wird, zur Überprüfung der Zuverlässigkeit des Bewerbers genügen muß.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf |
LG Mönchengladbach |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Oktober 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin zu 1) und ihr minderjähriger Sohn, der Kläger zu 2), nehmen die Beklagte, ein bundesweit tätiges gewerbliches Bewachungsunternehmen, auf Zahlung von Schmerzensgeld, einer monatlichen Rente und auf Ersatz weiteren materiellen Schadens wegen des Todes ihres Ehemanns und Vaters in Anspruch.
Die Beklagte hatte auf der Grundlage eines Vertrages mit der zuständigen Standortverwaltung die Bewachung einer Kaserne der Bundeswehr in M. übernommen. Im Herbst 1991 bewarb sich der Bruder der Klägerin zu 1) und Onkel des Klägers zu 2), Anton F., unter Beifügung eines aktuellen polizeilichen Führungszeugnisses bei der Beklagten um den Posten eines Wachmannes. Die Beklagte führte mit ihm ein eineinhalbstündiges Gespräch, schaltete das Ordnungsamt der Stadt M. und die Standortverwaltung zur Sicherheits- und Zuverlässigkeitsprüfung ein und schloß sodann mit F. einen Arbeitsvertrag, aufgrund dessen er bei der Bewachung der Kaserne in M. eingesetzt wurde. Der Dienst fand innerhalb des umzäunten Kasernengeländes statt. F. wurde nur während des Dienstes eine Dienstwaffe ausgehändigt, die er nach Schichtende jeweils wieder abgeben mußte. Ihm war es zudem arbeitsvertraglich verboten, sie außerhalb des Dienstes zu tragen.
Am 21. Dezember 1993 verließ F. während der Dienstzeit das Kasernengelände und nahm die ihm ausgehändigte Pistole mit. Dabei benutzte er eine Fluchttür im Zaun, deren Schlüssel in der Wachstube aufgehängt war, in der sich mindestens ein Wachlokalposten der aus drei Personen bestehenden Schicht aufhielt. F. begab sich in die Wohnung der Kläger in M., wo er in deren Gegenwart seinen Schwager mit mehreren Schüssen aus der Dienstwaffe tötete. Hierbei war er aufgrund einer psychiatrischen Krankheit möglicherweise schuldunfähig. Der Beginn dieser Erkrankung reicht bis in das Jahr 1983 zurück. F. war bereits bei seiner Einstellung bei der Beklagten als Wachmann Ende 1991 für diese Tätigkeit deshalb geistig ungeeignet, was aber zu diesem Zeitpunkt nur bei einer Untersuchung durch einen Psychiater hätte festgestellt werden können.
Die Kläger werfen der Beklagten vor, bei der Auswahl, Schulung und Beaufsichtigung des F. Sicherungspflichten verletzt zu haben. Die Charaktereigenschaften von F. hätten in einer medizinisch-psychologischen und psychiatrischen Untersuchung und durch medizinische Tests überprüft werden müssen. Zudem hätte die Beklagte sich bei der Bundeswehr nach dem Grund erkundigen müssen, aus dem F. vom Wehrdienst befreit worden sei. Außerdem hätte die Beklagte eine Nachforschung beim früheren Arbeitgeber von F., den britischen Streitkräften, durchführen müssen. All dies, so behaupten die Kläger, hätte zur Aufdeckung der psychiatrischen Erkrankung des F. geführt und damit seine Einstellung als Wachmann verhindert. Auch sei der Beklagten vorzuwerfen, daß sie nicht durch organisatorische Vorkehrungen einen Waffenmißbrauch mit Sicherheit ausgeschlossen habe.
Das Landgericht hat die Klage zu einem kleinen Teil abgewiesen, sie im übrigen aber dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt. Sie habe die ihr möglichen und zumutbaren Vorkehrungen gegen das Verbringen einer Waffe durch einen Wachmann aus dem Kasernengelände nach draußen getroffen. Es sei jedem Wachmann arbeitsvertraglich verboten gewesen, die Dienstwaffe außerhalb des Dienstes zu tragen, die Rückgabe der Waffe nach Dienstende sei sichergestellt gewesen und der Wachmann habe das umzäunte Kasernengelände ordnungsgemäß nicht mit der Waffe verlassen können. Der Schlüssel zu der Fluchttür, die F. schließlich benutzt habe, sei in der Wachstube aufgehängt gewesen, in der sich nach dem eigenen Vortrag der Kläger zwei Wachhabende befunden hätten. Der Beklagten sei auch keine Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen, weil sie etwa gebotene Maßnahmen zur Feststellung der Unzuverlässigkeit des F. bei der Einstellung unterlassen hätte. Da die Verordnung über das Bewachungsgewerbe in der zur maßgeblichen Zeit gültigen Fassung vom 1. Juni 1976 (BGBl I S. 1341 ff.), nach deren § 5 bei der Bewachung nur „zuverlässige” Personen beschäftigt werden dürften, keine näheren Anweisungen darüber enthalte, wie die Zuverlässigkeit festzustellen sei, liege eine Orientierung an den Bestimmungen des Waffengesetzes nahe. Nach dessen § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sei entscheidend, ob „Tatsachen die Annahme rechtfertigen”, daß die Zuverlässigkeit nicht gegeben sei. Nach § 5 Abs. 4 Waffengesetz dürfe die Behörde die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses nur verlangen, wenn Tatsachen bekannt seien, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründeten. An die Beklagte dürften zum Schutze der Sicherheit des allgemeinen Verkehrs keine strengeren Maßstäbe angelegt werden. Da ihr keine Tatsachen bekannt gewesen seien, die die psychische Eignung des F. in Frage gestellt hätten, habe sie von ihm keine ärztliche Bescheinigung verlangen können. Die Beklagte habe auch keine zumutbaren Mittel gehabt, um solche Tatsachen in Erfahrung zu bringen. Damit seien die tatsächlich durchgeführten Maßnahmen der Beklagten, nämlich die Einholung eines Führungszeugnisses, die Meldung bei der Ordnungsbehörde, die Anfrage bei der Standortverwaltung sowie das eineinhalbstündige persönliche Gespräch bei der Einstellung mit anschließender Ausbildung zum Wachmann ausreichend zur Sicherung des Verkehrs gewesen.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht, denen die Beklagte genügen mußte, zu gering bemessen. Die Aushändigung einer Pistole an einen Dritten schafft eine besondere Gefahrenlage, die deren Urheber zu einem Höchstmaß an Schutzvorkehrungen verpflichtet. Je größer die Gefahren für die Sicherheit sind, um so höher müssen die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflichten sein. Die Verantwortungsträger der Beklagten hatten diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die sie als verständige, umsichtige, vorsichtige und gewissenhafte Fachleute des Bewachungsgewerbes für ausreichend halten durften, um andere Personen vor Schäden durch den Umgang mit der Pistole zu bewahren, und die den Umständen nach zumutbar waren (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1978 – VI ZR 98+99/77 – VersR 1978, 1163, 1165). Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt.
1. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, das Berufungsgericht habe zu geringe Anforderungen an die Sorgfaltspflichten der Beklagten gestellt, soweit es um die Möglichkeit geht, unbemerkt mit einer Dienstwaffe das Kasernengelände zu verlassen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war für einen Wachmann die Entfernung vom Gelände unter Mitnahme einer Waffe nur vorsätzlich pflichtwidrig während der Dauer einer Schicht unter Überwindung des Zaunes möglich, wobei eine Entdeckung des Vorgangs spätestens nach rund eineinhalb Stunden (Wechsel der Wachphase) drohte. Insoweit hatte die Beklagte dadurch Vorsorge getroffen, daß der Schlüssel zur Fluchttür in der ständig besetzten Wachstube aufgehängt war. Diese Sicherung war zwar ihrer Art nach nur bedingt zuverlässig, weil ihre Wirksamkeit von der Aufmerksamkeit des Personals in der Wachstube abhängig war. Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß der Beklagten eine zumutbare weitergehende Sicherung möglich gewesen wäre.
Zu Recht geht das Berufungsgericht auch davon aus, daß die Beklagte nicht routinemäßig ohne besondere Anhaltspunkte bei der Einstellung von Wachmännern eine psychiatrische Untersuchung oder vergleichbare Tests veranlassen oder entsprechende Bescheinigungen verlangen mußte. Eine solche Forderung würde die Grenze der Zumutbarkeit überschreiten. Dem kann entgegen der Auffassung der Revision nicht entgegen gehalten werden, daß auch Bewerber zum mit der Waffe ausgestatteten Polizeidienst umfassenden ärztlichen und testpsychologischen Untersuchungen unterzogen würden. Denn die Gefährdung ist nicht vergleichbar. F. erhielt lediglich innerhalb eines abgeschlossenen Geländes während seines Dienstes eine Waffe, während sich Polizisten im Dienst uneingeschränkt mit der Waffe in der Öffentlichkeit bewegen. Dabei kommt hinzu, daß für Polizisten eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit des Auftretens schwieriger Konfliktsituationen besteht, in denen eine besondere psychische und charakterliche Eignung für einen sachgerechten Umgang mit einer Waffe erforderlich ist.
2. Gleichwohl vermag der Senat nicht die Auffassung des Berufungsgerichts zu teilen, daß die Beklagte der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht in ausreichendem Maß gerecht geworden ist. Da die Gefahr einer Verbringung einer Waffe durch einen Wachmann aus dem Kasernengelände nach draußen trotz der getroffenen Vorkehrungen nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen war, mußte die Beklagte die ihr zumutbaren Möglichkeiten ausschöpfen, um sicherzustellen, daß die zum Wachdienst erforderlichen Waffen nur in die Hand von Personen gelangen konnten, die einen verantwortungsbewußten Umgang mit der Waffe gewährleisteten. Dies war nicht zuletzt auch mit Rücksicht auf das innerhalb des Kasernengeländes beschäftigte Personal geboten.
Die Kenntnisnahme vom (offenbar unauffälligen) Führungszeugnis und die Meldung bei der Ordnungsbehörde sowie die Einschaltung der Standortverwaltung waren im wesentlichen formale Maßnahmen, die zwar unter Umständen ein nachteiliges Ergebnis erbringen konnten, jedoch keine umfassende Auskunft über Auffälligkeiten erwarten ließen. Sie reichten daher nicht aus, um Zuverlässigkeitsdefizite eines Bewerbers aufzudecken. Auch das – sicherlich erforderliche – persönliche Gespräch mit dem Bewerber konnte naturgemäß allenfalls einen kleinen Ausschnitt möglicher Besonderheiten erfassen.
Erforderlich ist – wie die Revision zu Recht geltend macht – darüber hinaus jedenfalls, daß sich ein Bewachungsunternehmen vor der Einstellung vom Bewerber einen lückenlosen Lebenslauf mit entsprechenden Belegen, Bescheinigungen und Zeugnissen vorlegen läßt. Das ist ohne großen Aufwand realisierbar. Die Vorlage eines lückenlosen Lebenslaufs bietet zudem (anders als die von der Beklagten allein durchgeführten Maßnahmen) eine gewisse Gewähr, einen umfassenden Überblick über die Person des Bewerbers zu erlangen. Belege erschweren die Abgabe eines unzutreffenden („geschönten”) Lebenslaufes. Dabei ist das Bewachungsunternehmen aus seiner Verkehrssicherungspflicht zu einer sorgfältigen Überprüfung der vorgelegten Unterlagen verpflichtet. Insbesondere ist es gehalten, Auffälligkeiten nachzugehen. Die Vorlage eines lückenlosen Lebenslaufs ist in weiten Arbeitsbereichen üblich. Erst recht muß diese Absicherung verlangt werden, wenn es um die Verhinderung von Gefahren für Leib und Leben Dritter geht. Deshalb spielt es keine Rolle, daß für die Tätigkeit als Wachmann keine spezielle Aus- oder Vorbildung erforderlich sein mag. An ihre Stelle tritt als überragend wichtiges Kriterium die Zuverlässigkeit. Sie kann gerade nur aufgrund eines möglichst umfassenden Bildes vom Bewerber beurteilt werden.
Daß die Beklagte es versäumt hat, sich dies in der dargestellten Weise zu verschaffen, gereicht ihr zum Verschulden. Auf dem Boden der bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts ist nicht auszuschließen, daß bei Anforderung und kritischer Durchsicht eines Lebenslaufes des F. Umstände zu Tage getreten wären, die weitere Ermittlungen erfordert hätten, die schließlich auch eine Einstellung des F. wegen seiner psychischen Erkrankung verhindert hätten. Hierzu haben die Kläger unter Beweisantritt vorgetragen, daß eine Anfrage bei der Bundeswehr nach den Gründen der Befreiung des F. vom Wehrdienst zu Hinweisen auf erhebliche gesundheitliche Bedenken geführt hätte; weiter hätte eine Nachforschung bei dem vorherigen Arbeitgeber des F., den britischen Streitkräften, ergeben, daß F. dort bereits nicht als Wachmann eingesetzt bzw. versetzt worden sei; diese Auskunft hätte Anlaß für weitere Überprüfung gegeben. Entgegen der Auffassung der Revision obliegt den Klägern insoweit aber die volle Darlegungs- und Beweislast. Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte liegt im Unterlassen der bei der Einstellung des F. gebotenen Maßnahmen zur Überprüfung der Zuverlässigkeit. Ob dies für den geltend gemachten Schaden ursächlich geworden ist, haben nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung die anspruchstellenden Kläger darzulegen und zu beweisen.
III.
Danach war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses Feststellungen zur noch ungeklärten Kausalität der dargelegten Versäumnisse der Beklagten für die Tötung durch F. treffen kann. Die Kläger erhalten Gelegenheit, näheres zur Ursächlichkeit des dargestellten pflichtwidrigen Verhaltens der Beklagten für die Einstellung des F. und damit die Tötung ihres Ehemannes und Vaters vorzutragen und gegebenenfalls unter Beweis zu stellen.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Lepa, Dr. v. Gerlach, Dr. Greiner, Wellner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.03.2001 durch Böhringer-Mangold, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 584927 |
NJW 2001, 2023 |
BGHR 2001, 457 |
NZA 2001, 1025 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2001, 870 |
VersR 2001, 1121 |
Jb Sicherheitsgewerbe 2001 2001, 151 |