Leitsatz (amtlich)
Gesetz zu den Notenwechseln vom 25. September 1990 und vom 23. September 1991 über die Rechtsstellung der in Deutschland stationierten verbündeten Streitkräfte und zu dem Übereinkommen vom 25. September 1990 zur Regelung bestimmter Fragen in bezug auf Berlin vom 3. Januar 1994 (BGBl. II S. 26) – NotenwechselG – Art. 4; LBG § 38 Abs. 4
Die „Besitzeinweisungs”-Entschädigung für eine über den 3. Oktober 1990 hinaus fortdauernde Inanspruchnahme von Grundstücken für Zwecke der amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte in Berlin richtet sich nicht nach den Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers zum Zeitpunkt der erstmaligen Inanspruchnahme durch die frühere Besatzungsmacht, sondern nach den Nutzungsmöglichkeiten, die der Eigentümer ab dem 3. Oktober 1990 gehabt hätte.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Kammergerichts vom 23. Mai 2002 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts Berlin vom 7. November 2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die ausgeurteilte Hauptforderung mit 5,5 % zu verzinsen ist.
Die Kosten der Rechtsmittelzüge hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe einer von der beklagten Bundesrepublik Deutschland zu zahlenden „Besitzeinweisungsentschädigung” für die Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Juli 1994.
Die Klägerin ist Eigentümerin eines seit 1912 mit einer Villa bebauten Grundstücks in Berlin-S. , das im April/Mai 1945 von den sowjetischen und anschließend ab Juli 1945 von den britischen Streitkräften beschlagnahmt worden war und am 1. August 1994 zurückgegeben wurde. Die Villa hatte vor der Inanspruchnahme durch die Besatzungsmächte als Wohnung für die Familie der Klägerin und verschiedene Mieter und als Büro für einen auf dem Grundstück und angrenzenden Flächen geführten Gartenbaubetrieb gedient. Die britischen Behörden überließen die Nutzung der Methodist Church zum Zwecke der religiösen und sozialen Betreuung der britischen Streitkräfte, einschließlich einer Dienstwohnung des Pfarrers; außerdem wurde in dem Haus ein Verkaufsraum für Bücher und ein Proviantlager mit Küche für die mobile Truppenversorgung eingerichtet. Nach der Rückgabe vermietete die Klägerin das Anwesen zur gewerblichen Nutzung.
Während die Beklagte (Bundesvermögensamt Berlin) die Nutzungsentschädigung für den in Rede stehenden Zeitraum – unter Berufung auf entsprechend begrenzte Nutzungsmöglichkeiten vor der Beschlagnahme durch die Besatzungsmacht – überwiegend (mit Ausnahme eines kleinen als gewerblich eingeschätzten Teilbereichs) nach der ortsüblichen Wohnraummiete bemessen will, beansprucht die Klägerin im Hinblick auf die nach ihrer Aufassung „gewerbliche” Nutzung durch die Briten sowie die entsprechenden Nutzungsmöglichkeiten nach der Struktur des Umfeldes der Villa eine Nutzungsentschädigung nach dem üblichen Mietpreis für Gewerberaum.
Mit Bescheid vom 10. Mai 1996 hat die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr von Berlin als für Entschädigungsansprüche nach dem Landbeschaffungsgesetz zuständige Behörde Nachzahlungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte abgelehnt. Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid Klage auf Zahlung von – zuletzt – 364.932,90 DM nebst Zinsen erhoben. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 243.499,70 DM nebst 6 % Zinsen seit dem 16. Mai 1996 stattgegeben, das Kammergericht hat sie auf die Berufung der Beklagten insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und im wesentlichen zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts ist überwiegend zurückzuweisen, denn dieses hat mit Recht die Beklagte zu einer Nachzahlung in Höhe von 243.499,70 DM nebst Zinsen verurteilt; lediglich der Zinssatz des Nebenanspruchs verringert sich von 6 auf 5,5 % p.a.
I.
1. Rechtsgrundlage für die (weitere) Inanspruchnahme des Villengrundstücks der Klägerin durch die britischen Streitkräfte über den Zeitpunkt der Herstellung der Einheit Deutschlands – durch die zugleich die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in bezug auf Berlin ihre Bedeutung verloren – hinaus ist das Gesetz zu den Notenwechseln vom 25. September 1990 und vom 23. September 1991 über die Rechtsstellung der in Deutschland stationierten verbündeten Streitkräfte und zu dem Übereinkommen vom 25. September 1990 zur Regelung bestimmter Fragen in bezug auf Berlin vom 3. Januar 1994 (BGBl. II S. 26; im folgenden: Gesetz über den Notenwechsel – NotenwechselG). Die betreffenden Abkommen enthalten die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, unter anderem den britischen Streitkräften in Berlin während bestimmter Abwicklungszeiträume die fortgesetzte und kostenlose Verfügbarkeit von Einrichtungen und Liegenschaften zu gewährleisten, die bisher mit der Ausübung der Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte im Zusammenhang standen. Nach Art. 4 Abs. 1 NotenwechselG „gelten” die (u.a.) den britischen Streitkräften zur Verfügung stehenden Grundstücke, soweit sie für die in dem Notenwechsel genannten Zwecke weiterhin benötigt werden, „mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 als rechtlich in Anspruch genommen”. Die fortdauernde Inanspruchnahme gilt mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 als vorzeitige Besitzeinweisung im Sinne des § 38 des Landbeschaffungsgesetzes (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 NotenwechselG). Die Vorschriften des Landbeschaffungsgesetzes mit Ausnahme des § 42 gelten entsprechend (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 NotenwechselG).
2. Durch die Regelung der (fortdauernden) Inanspruchnahme der erwähnten Grundstücke in Anknüpfung an die Bestimmungen des Landbeschaffungsgesetzes (vom 23. Februar 1957, BGBl. I 134; bereinigte Fassung veröffentlicht in BGBl. III 54-3) wird zugleich klargestellt, daß der hoheitliche Zugriff auf die Grundstücke im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den betroffenen Eigentümern nach enteignungsrechtlichen Regeln (vgl. §§ 17 ff, 38 Abs. 4 LBG) entschädigt werden muß.
Die Besonderheit der vorliegenden „Enteignung” liegt allerdings darin, daß sie nicht – wie sonst bei der Verwirklichung der Ziele des Landbeschaffungsgesetzes – auf einen dauerhaften Eigentumsentzug abzielt, sondern sich in einer vorübergehenden, an den nur noch befristeten Verbleib der fremden Streitkräfte in Berlin gebundenen, Wegnahme des Besitzes erschöpft. Die Regelung in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 NotenwechselG, die ausdrücklich die Anwendung des § 42 LBG ausschließt, bestätigt diesen besonderen rechtlichen Zusammenhang der im Gesetz fingierten „vorzeitigen Besitzeinweisung”: Nach § 42 Abs. 1 LBG ist der Besitzeinweisungsbeschluß aufzuheben, wenn nicht binnen einer bestimmten Frist der Enteignungsbeschluß erlassen wird bzw. die Enteignungsbehörde feststellt, daß die für den Erlaß eines Besitzeinweisungsbeschlusses erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind. Eine solche Regelung „paßt” nur auf eine vorzeitige Besitzeinweisung im eigentlichen Sinne des Enteignungsrechts, nämlich als Vorstadium einer (dauerhaften) Enteignung, auf die die Regelung in Art. 4 NotenwechselG indessen, wie gesagt, gerade nicht abzielt.
II.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, zwar stehe der Klägerin während der Inanspruchnahme ihres Villengrundstücks durch die britischen Streitkräfte für die Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zum 31. Juli 1994 gemäß Art. 4 Abs. 2 NotenwechselG i.V.m. § 38 Abs. 4 LBG eine Besitzeinweisungsentschädigung zu, der Anspruch sei jedoch durch die von der Beklagten getätigten Zahlungen erfüllt. Aus dem Zusammenhang mit den Entschädigungsregeln der §§ 17 ff LBG und den allgemeinen Grundsätzen des Entschädigungsrechts ergebe sich, daß hier der Erlös zugrunde zu legen sei, den eine Nutzung des Grundstücks durch den Eigentümer diesem nachhaltig erbracht hätte. Dieser Erlös bestehe bei der bloßen Nutzung eines Grundstücks ohne spätere Enteignung in dem Mietzins, den der Eigentümer voraussichtlich erzielt hätte.
Die Höhe des danach maßgeblichen ortsüblichen Mietzinses werde allerdings, so führt das Berufungsgericht weiter aus, nach dem Zustand des Grundstücks zur Zeit der Beschlagnahme durch die britischen Streitkräfte und den damals gegebenen Nutzungsmöglichkeiten bestimmt. Dies ergebe sich aus dem auch in § 17 Abs. 3 Satz 2 LBG zum Ausdruck gebrachten entschädigungsrechtlichen Grundsatz, daß es für die Bemessung der „Qualität” eines beschlagnahmten Grundstücks auf den Zeitpunkt der tatsächlichen staatlichen Besitzerlangung ankomme. Die betroffenen Eigentümer sollten so gestellt werden wie sie vor der Beschlagnahme ihres Grundstücks standen; durch die militärische Nutzung eingetretene Wertminderungen oder -steigerungen wie auch zufällige Veränderungen des Zustandes sollten außer Betracht bleiben. Dieser Grundsatz habe insbesondere auch in § 64 Abs. 4 LBG seinen Niederschlag gefunden, wonach im Falle der weiteren Inanspruchnahme bestimmter, ursprünglich durch die Besatzungsmächte beschlagnahmter Grundstücke nach dem Wegfall des Besatzungsstatuts in den alten Bundesländern im Jahre 1955 für die Bemessung der Enteignungsentschädigung der Zustand der erstmaligen Inanspruchnahme maßgeblich sein sollte. Im vorliegenden Fall sei daher auf die überwiegende Nutzung des Grundstücks zu Wohnzwecken im Jahre 1945 abzustellen. Zwar seien für die Bemessung der Entschädigung auch alle weiteren wirtschaftlich vernünftigen und rechtlich zulässigen Nutzungsmöglichkeiten einzubeziehen, von denen der Eigentümer ohne die Beschlagnahme ernstlich hätte Gebrauch machen können. Vorliegend stehe jedoch nicht fest, es sei vielmehr eher unwahrscheinlich, daß ohne die Beschlagnahme eine Nutzung zu anderen als Wohnzwecken zulässig gewesen wäre. Die der Klägerin von der Beklagten für den hier in Rede stehenden Zeitraum gewährte Nutzungsentschädigung liege sogar geringfügig höher als die ortsübliche Miete für Wohnraum.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Zutreffend sieht das Berufungsgericht die Anspruchsgrundlage in dem gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 2 NotenwechselG entsprechend anwendbaren § 38 Abs. 4 LBG, wonach der Bund für die durch die Besitzeinweisung entstehenden Vermögensnachteile eine einmalige oder wiederkehrende Entschädigung (Besitzeinweisungsentschädigung) zu leisten hat.
a) Die Bemessung der Besitzeinweisungsentschädigung richtet sich nach den für die Enteignungsentschädigung geltenden Regeln (hier: §§ 17 ff LBG; vgl. Senatsurteile vom 7. Januar 1963 – III ZR 235/61 – LM LandbeschG Nr. 4 = MDR 1963, 479 und vom 24. November 1975 – III ZR 113/73 – LM LandbeschG Nr. 24 = MDR 1976, 474). Zu beachten ist hierbei, daß im Falle einer der Vollenteignung vorausgehenden Besitzeinweisung die Entschädigung des Eigentümers bis zur Entscheidung über die Enteignung durch die Verzinsung der Hauptentschädigung ab Wirksamkeit der Besitzeinweisung erfolgt (§ 17 Abs. 4 LBG). Der Eigentümer erhält durch den Zinsanspruch einen Ausgleich dafür, daß er das Grundstück nicht mehr und die Entschädigungssumme noch nicht nutzen kann. Für eine weitere Entschädigung für die Besitzeinweisung als solche ist dann nur Raum, wenn und soweit durch diese in zusätzliche „konkrete Werte” im Sinne des Enteignungsrechts eingegriffen worden ist (vgl. Senatsurteil BGHZ 37, 269).
b) Die bloße Verzinsung der eigentlichen Enteignungsentschädigung stellt sich jedoch nicht als geeignete Entschädigung für eine vorzeitige Besitzeinweisung dar, wenn es zur Enteignung des Grundstücks letztendlich nicht kommt (a.A. Jung NJW 1967, 231, 234 f) beziehungsweise – erst recht – wenn es sich, wie hier, bei dem als „vorzeitige Besitzeinweisung” fingierten (fortdauernden) Besitzentzug von vornherein nur um eine hoheitliche Inanspruchnahme von privatem Grund und Boden auf Zeit handelt. In solchen Fällen hat die Entschädigung nicht die Funktion, die fehlende Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich der noch nicht ausgezahlten Substanzentschädigung auszugleichen, sondern die, den vorübergehenden Entzug der Möglichkeit der Nutzung des Grundstücks abzugelten, etwa in Form einer „Bodenrente” – bei einem zeitlich begrenzten Bauverbot für ein bisher unbebautes Grundstück (vgl. Senatsurteile vom 19. Juni 1972 – III ZR 106/70 – WM 1972, 1226, 1229 und vom 8. November 1979 – III ZR 51/78 – WM 1980, 658, 660) – oder (bei der vorübergehenden Inanspruchnahme eines Gebäudes) in der Gestalt eines angemessenen Mietzinses (vgl. Senatsurteile vom 1. Oktober 1962 – III ZR 188/61 – NJW 1963, 248, allerdings im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme eines Grundstücks nach dem Bundesleistungsgesetz, und vom 24. November 1975 – III ZR 113/73 – LM LandbeschG Nr. 24 = MDR 1976, 474).
2. Aus dem dargestellten enteignungsrechtlichen Zusammenhang folgt andererseits aber auch, daß der Standpunkt des Berufungsgerichts, im Streitfall sei für die Bemessung des als Entschädigung geschuldeten „Mietzinses” auf die Nutzungsmöglichkeiten des Eigentümers im Juli 1945 abzustellen, nicht richtig ist. Maßgeblich sind vielmehr die Nutzungsmöglichkeiten ab 3. Oktober 1990.
a) Bei der Enteignung eines Grundstücks kommt es für die Bemessung der Entschädigung auf dessen Zustand zum Zeitpunkt des staatlichen Zugriffs an. Das ist, wenn dem Enteignungsbeschluß ein Besitzeinweisungsverfahren vorausgeht, der Zeitpunkt, in dem die vorzeitige Besitzeinweisung wirksam wird (hier: § 17 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 LBG), beziehungsweise im Falle weiterer „Vorwirkungen” der Enteignung durch vorausgehende hoheitliche Maßnahmen im Rahmen eines einheitlichen, auf den Eigentumsentzug gerichteten Vorgangs, durch den das Grundstück endgültig von jeder konjunkturellen Weiterentwicklung ausgeschlossen wird, der davor liegende Zeitraum (vgl. nur Senat BGHZ 141, 319, 320 f). Auf diese Weise richtet sich die Enteignungsentschädigung (Hauptentschädigung für die Substanz) nach der „Qualität” des dem betroffenen Eigentümer Genommenen. Dem Umstand, daß der Eigentümer die nach dieser Grundstücksqualität bemessene (Geld-)Entschädigung nicht zugleich mit dem eigentumsentziehenden Eingriff in Händen hält, wird durch die Berücksichtigung einer Änderung der Preisverhältnisse bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Enteignungsentschädigung (vgl. Senatsurteil vom 10. April 1997 – III ZR 111/96 – NJW 1997, 2119 f m.w.N.) sowie durch die Verzinsung der Entschädigung ab Wirksamkeit der vorzeitigen Besitzeinweisung Rechnung getragen.
aa) In folgerichtiger Ausgestaltung dieser Grundsätze sah § 64 Abs. 4 LBG vor, daß in bestimmten Fällen, in denen Grundstücke durch Besatzungsmächte beschlagnahmt worden waren und deren Inanspruchnahme auch nach dem Wegfall des Besatzungsstatuts in den alten Bundesländern (1955) nach den Vorschriften des Landbeschaffungsgesetzes aufrechterhalten blieb, für die Bemessung der Entschädigung der Zustand des Grundstücks in dem Zeitpunkt der (erstmaligen) Inanspruchnahme maßgebend sein sollte.
bb) Diese Übergangsvorschrift für sogenannte Altrequisitionen dürfte allerdings – wie die Revision geltend macht – im Streitfall schon deshalb außer Betracht bleiben, weil sie nur Fälle regelte, in denen von den Behörden einer beteiligten Macht nach der Inanspruchnahme Gebäude errichtet worden waren (§ 64 Abs. 1 LBG) bzw. Grundstücke zur Errichtung von nicht nur vorübergehenden Zwecken dienenden Bauwerken und Anlagen oder für Truppenübungsplätze, Flugplätze und ähnliche Vorhaben in Anspruch genommen worden waren (§ 64 Abs. 2 LBG). Im Streitfall handelt es sich dagegen – im wesentlichen – um die Inanspruchnahme eines bereits bebauten Grundstücks durch die britischen Streitkräfte (1945) mit dem Ziel der Nutzung des Gebäudes. Es spricht einiges dafür, daß auf solche Fallgestaltungen nicht § 64 Abs. 1 und Abs. 2 LBG anwendbar war, sondern eher Vorschriften des Bundesleistungsgesetzes in Betracht kamen (siehe auch den entsprechenden Vorbehalt in § 64 Abs. 2 Satz 2 LBG).
Hierauf kommt es jedoch letztlich ebensowenig an wie darauf, ob überhaupt die allgemeine Verweisung in Art. 4 Abs. 2 Satz 2 NotenwechselG auf die Vorschriften des Landbeschaffungsgesetzes eine Bezugnahme gerade auch auf die – speziell auf die Beendigung des Besatzungsregimes unter gleichzeitiger Einbettung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnis zugeschnittene – Übergangsvorschrift des § 64 LBG beinhaltet (unter anderem mit der Folge, daß der in Art. 4 Abs. 2 Satz 1 NotenwechselG als Stichtag für die „vorzeitige Besitzeinweisung” genannte 3. Oktober 1990 für die Bemessung der Entschädigung praktisch bedeutungslos und weitgehend durch das Datum der ursprünglichen Inanspruchnahme durch die Besatzungsmacht verdrängt wäre).
b) Denn der nach den dargelegten Zusammenhängen für die Bemessung der Hauptentschädigung im Falle der Enteignung maßgebliche – und nur auf diese zugeschnittene – „Qualitäts”-Stichtag ist kein entscheidender Anknüpfungspunkt bei der Entschädigung des Eigentümers für einen vorübergehenden Entzug des Besitzes und der Nutzung eines (bebauten) Grundstücks. Bei einer hierauf beschränkten hoheitlichen Maßnahme mit Enteignungscharakter sind dem Eigentümer als Ausgleich für das ihm auferlegte Sonderopfer die konkreten Nutzungen zu entschädigen, die dieser andernfalls hätte ziehen können und gezogen hätte (Senatsurteile vom 1. Oktober 1962 aaO und vom 24. November 1975 – III ZR 113/73 – LM LandbeschG Nr. 24). Die betreffenden Nutzungsmöglichkeiten können sich während der Zeit, in der das Grundstück dem Eigentümer vorenthalten wird, ändern. Was das angemessene Entgelt nach Art etwa eines Mietzinses angeht, besteht kein Grund, den Eigentümer durchgehend an ein und derselben „Qualität” des Objekts festzuhalten. Etwas anderes mag gelten, soweit sich nur der tatsächliche Zustand des Anwesens nach dessen Besitzübergang ohne Zutun des Eigentümers verändert oder sich Nutzungsmöglichkeiten für den in Besitz des Grundstücks gesetzten „Enteignungsbegünstigten” ergeben, die für den Eigentümer im Rahmen der Privatnützigkeit nie eröffnet gewesen wären. Dazu gehört jedenfalls nicht der Fall, daß die rechtlichen Verhältnisse des betroffenen Grundstücks, etwa – wie hier – in bezug auf die bauliche Nutzbarkeit, sich im Verlauf der Beschlagnahme verbessert haben. Es ist nach dem Grundgedanken der Enteignungsentschädigung geboten, dem Eigentümer für den jeweiligen Zeitraum, während dessen er – wäre ihm das Grundstück früher zurückgegeben worden – von den damit verbundenen besseren Nutzungsmöglichkeiten hätte Gebrauch machen können, auch eine entsprechend höhere Entschädigung zuzusprechen (Senatsurteil vom 24. November 1975 aaO).
Im Streitfall wäre, wie dem Zusammenhang der Feststellungen des Berufungsgerichts entnommen werden kann, das Villengrundstück K. Straße 18-20 in Berlin-S. in dem Zeitraum, um den es hier geht (3. Oktober 1990 bis 30. Juli 1994), in der Hand eines privaten Eigentümers außer zu Wohnzwecken auch gewerblich/freiberuflich nutzbar, d.h. auch für entsprechende Zwecke vermietbar gewesen. Danach hat sich die Entschädigung für die vorliegende „Besitzeinweisung” während dieses Zeitraums zu richten. Daß möglicherweise erst die von den britischen Streitkräften nach der Beschlagnahme über Jahrzehnte praktizierte tatsächliche „gewerbliche”) Nutzung der Villa bewirkt hat, daß das Anwesen nicht von dem Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in Berlin erfaßt wurde, ist unerheblich.
III.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben.
Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, daß der grundsätzliche Ansatz des Landgerichts für die Entschädigungsbemessung – nach dem ortsüblichen Mietzins für Gewerberaum – richtig ist. Die hieran anknüpfenden Berechnungen des Landgerichts über den von der Beklagten nachzuzahlenden Betrag (243.499, 70 DM) sind im Berufungsverfahren nicht mit Substanz angegriffen worden.
Der Klageanspruch ist in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 4 LBG (vgl. Senatsurteile vom 19. September 1963 – III ZR 107/62 – LM LandbeschG Nr. 5 und vom 28. Januar 1974 – III ZR 196/71 – LM LandbeschG Nr. 20) ab Fälligkeit, die hier spätestens zu dem von der Klägerin geltend gemachten Zeitpunkt (16.Mai 1996) gegeben war, mit dem für zuletzt ausgegebene Hypothekenpfandbriefe auf dem Kapitalmarkt üblichen Nominalzinsfuß zu verzinsen. Für einen weitergehenden Zinsanspruch gibt es keine Anspruchsgrundlage. Die Verzugsregeln des BGB (§§ 284 ff BGB a.F.) finden auf die Enteignungsentschädigung keine Anwendung (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1981 – III ZR 13/80 – WM 1981, 1312). Der Senat geht aufgrund der Kapitalmarkt-Statistik Juni 1996 der Deutschen Bundesbank (Statistisches Beiheft zum Monatsbericht 2, S. 33) davon aus, daß der Zinssatz für Pfandbriefe im Frühjahr 1996 durchschnittlich annähernd 5,5 % betrug.
Das landgerichtliche Urteil ist daher mit der Maßgabe wiederherzustellen, daß die ausgeurteilte Hauptforderung mit einem Zinssatz von 5,5 % (statt mit 6 %) zu verzinsen ist.
Unterschriften
Rinne, Streck, Schlick, Kapsa, Galke
Fundstellen
Haufe-Index 921685 |
BGHR 2003, 782 |
BGHR |
BauR 2003, 1086 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 1901 |
ZfIR 2003, 747 |
NJ 2003, 317 |
VersR 2004, 114 |
UPR 2003, 455 |