Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 09.07.1964) |
LG Köln (Urteil vom 29.03.1963) |
Tatbestand
Am 2 August 1961 kurz nach 17 Uhr befuhr der belgische Soldat B mit einem Sanitätskraftwagen der belgischen Streitkräfte die A.-Straße in K. in Richtung A. Kurz hinter dem von rechts einmündenden M.-Weg erfasste er den damals 61 jährigen Kläger, der auf einem 4 m breiten Fußgängerüberweg die A.-Straße überqueren wollte. Die Verkehrsampel an dem Fußgängerüberweg stand auf grün. Sie ist von der Ampel, die vor der Einmündung des M.-Wegs den Fahrzeugverkehr auf der A.-Straße regelt, etwa 60 m entfernt. Der Kläger, der sich auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstelle befand, wurde auf die Fahrbahn geschleudert und erlitt u.a. einen schweren offenen Verrenkungsbruch des linken Fußes.
Die Bau-Berufsgenossenschaft Wuppertal hat ihm für die Zeit vom 1. Februar 1962 bis 11. Februar 19 eine Rente von 100 %, für die Folgezeit aber nur eine solche von 50 % zugesprochen. Hiergegen hat der Kläger Klage zum SG erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Den am 10. August 1961 angemeldeten Schaden hat das Amt für Verteidigungslasten in Köln durch Bescheid vom 29. Mai 1962 dem Grunde nach zu 80 als Stationierungsschaden anerkannt. Über die Höhe der Ersatzansprüche hat es noch nicht entschieden, jedoch bisher 5.000 DM an den Kläger gezahlt und zwar am 19. April 1962 3.000 DM und am 30. Juli 1962 weitere 2.000 DM.
Der Kläger hält die Beklagte für verpflichtet, ihm den vollen Unfallschaden zu ersetzen, da der Unfall ausschließlich durch das Verhalten des belgischen Fahrers verschuldet worden sei. Dieser habe die Verkehrsampel auf der A.-Straße bei Rotlicht überfahren. Er selbst habe sich verkehrsgerecht verhalten. Nach Aufleuchten des Grünlichts an der Fußgängerampel habe er nicht damit zu rechnen brauchen, dass noch Fahrzeuge seinen Weg kreuzten, zumal der belgische Fahrer bei der weiträumigen Kreuzung hinreichend Zeit gehabt habe, sein Fahrzeug vor dem Fußgängerüberweg zum Halten zu bringen.
Der Kläger hat seinen Schaden wie folgt beziffert:
1. Kleiderschäden 195,40 DM
2. Schmerzensgeld 5.000 DM
3. Verdienstausfall vom 2.8.1961 - 1.8.1962 7.214,56 DM
4. Stärkungsmittel pp 587,63 DM
5. Fahrtkosten 360 DM
6. Kosten für ärztliche Gutachten 48 DM
7. sonstige Auslagen 30 DM
Gesamt: 13.435759 DM
Auf den angeblichen Verdienstausfall von 7.214,56 DM hat der Kläger 3.520,46 DM angerechnet, nämlich
1. Lohnausgleich durch den Arbeitgeber 245,52 DM
2. Krankengelder der AOK 1.805 94 DM
3. Leistungen der Berufsgenossenschaft in der Zeit vom 12.2. bis 1.8.1962 1.085 DM
4. Verpflegungsersparnis vom 2.8. bis 8.12.1961 384 DM.
Nach Abzug der vom Amt für Verteidigungslasten gezahlten 5.000 DM hat der Kläger den ihm einschließlich des Verdienstausfalls bis 1. August 1962 entstandenen Schaden auf 3.915,13 DM beziffert, wobei er sich zu seinem Nachteil um 1.000 DM verrechnet hat.
Der Kläger hat weiter zum Ausgleich seines durch die Rente der Berufsgenossenschaft nicht gedeckten Verdienstausfalls die Zahlung einer Rente vom 1. August 1962 bis 18. Mai 1965 (Vollendung des 65. Lebensjahres) verlangt und zwar - jeweils nach Abzug einer Monatsrente der Berufsgenossenschaft von 217 DM monatlich - für die Zeit vom 1. August 1962 bis 30. September 1962 von monatlich 427,28 DM und für die Zeit vom 1. Oktober 1962 bis 18. Mai 1965 von monatlich 491,28 DM.
Schließlich hat der Kläger wegen der weiteren Schäden Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten begehrt. Er hat demgemäß beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen an ihn 3.915,13 nebst 4 % Zinsen von 5.915,13 DM, für die Zeit vom 7. Juli bis 14. August 1962 und von 3.913 13 DM ab 15. August 1962 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine monatliche Rente in Höhe von 427,28 DM für die Zeit vom 1. August bis 30. September 196; und in Höhe von 491,28 DM vom 1. Oktober 196 bis 18. Mai 1965 zu zahlen,
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab 19. Mai 1965 bis zu seinem Lebensende die Differenz zu zahlen, die sich aus der dann an ihn zu erbringenden Rente aus der Arbeiterrentenversicherung zu der Rente ergibt, die er erhalten würde, wenn er bis zum 65. Lebensjahr gearbeitet haben würde;
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche noch entstehenden Zukunftsschäden aus dem Verkehrsunfall vom 2. August 1961 zu ersetzen.
Die Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Klage noch nicht zulässig sei.
Ferner hat sie vorgetragen: Dem Grunde nach seien die Ansprüche des Klägers nur zu 80 % gerechtfertigt. Der Kläger habe es versäumt, vor dem Betreten der Fahrbahn nach links zu schauen. Hätte er das, wozu er verpflichtet gewesen sei, getan, so hätte er den als Nachzügler die Kreuzung befahrenden belgischen Wagen rechtzeitig gesehen und den Unfall vermieden. Der belgische Fahrer sei bei Grünlicht auf die Verkehrsampel vor der Einmündung des M.-Wegs zugefahren. Als er die Ampel erreicht habe, sei diese auf gelb umgesprungen. Er habe daher nicht mehr vor der Ampel halten können und weiterfahren dürfen. Die Beklagte hat vorsorglich die Höhe des geltend gemachten Schadens bestritten.
Das Landgericht hat nach Beiziehung der Akten 8 Js 3809/61 der Staatsanwaltschaft Köln zu Beweiszwecken durch ein Grund- und Teilurteil die Klaganträge zu 1) und 2) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsantrag zu 4) stattgegeben. Die Entscheidung über den Peststellungsantrag zu 3) und über die Kosten hat es sich vorbehalten.
Der Berufung der Beklagten folgend ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger müsse 20 % seines Schadens selbst tragen, weil er sich nach dem Einsetzen des Grünlichts sofort auf die Fahrbahn begeben habe, ohne nach links in die Kreuzung zu schauen, und dadurch den Unfall schuldhaft mitverursacht habe. Dementsprechend hat das Berufungsgericht den Anspruch auf Schmerzensgeld und Erstattung des Kleiderschadens dem Grunde nach zu 80 % für gerechtfertigt erklärt, ebenso die weiteren Zahlungsansprüche einschließlich des Anspruchs auf Zahlung einer Rente vom 1 August 1962 bis 18. Mai 1965, hier jedoch mit der Beschränkung, dass auf den Bruchteil von 80 % die Beträge anzurechnen seien, in deren Höhe die Ersatzansprüche des Klägers auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger übergegangen seien. Ferner hat es mit derselben Einschränkung festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche künftigen Schäden aus dem Unfall zu 80 % zu ersetzen, sowie ausgesprochen, dass die geleisteten Zahlungen von 5.000 DM auf die Zahlungsansprüche anzurechnen seien.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch auf vollen Schadensersatz weiter. Mit ihrer Anschlussrevision hat die Beklagte zuletzt lediglich beantragt, die Beklagte nur insoweit zu verurteilen, als nicht ein Sozialversicherungsträger zu gleichartigen Leistungen verpflichtet ist. Beide Parteien bitten um Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Beklagte dem Kläger gemäß Art. 8 Abs. 2, 4 des Finanzvertrags vom 26. Mai 1952 i.d.F. der Bekanntmachung vom 30. März 1955 (BGBl II, 381) i.V.m. §§ 839, 847 BGB und Art. 34 GG zum Schadensersatz verpflichtet ist. Nicht zu folgen ist jedoch seiner Ansicht, den Kläger treffe ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden.
Die nach § 254 erforderliche Abwägung, inwieweit ein Schaden von dem einen oder anderen Teil verursacht und verschuldet worden ist, fällt zwar im wesentlichen in den Rahmen der dem Tatrichter obliegenden Tatsachenwürdigung. Sie kann jedoch vom Revisionsgericht daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter von zutreffenden rechtlichen Erwägungen ausgegangen ist und alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Stellen sich insoweit Rechtsfehler heraus, dann kann nach gefestigter Rechtsprechung das Revisionsgericht, statt zurückzuverweisen, selbst in der Sache entscheiden, wenn der Tatbestand hinreichend geklärt ist.
Das Berufungsgericht hat einerseits einen Umstand nicht erörtert, der bei der Beurteilung der Verantwortlichkeit des Kraftfahrers ins Gewicht fällt, andererseits zu hohe Anforderungen an die Sorgfaltspflicht gestellt, die Fußgängern obliegt, wenn sie einen geschützten Fußgängerüberweg bei Grünlicht benutzen.
Der beklagte Fahrer hat sich, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt grob verkehrswidrig verhalten.
Unrichtig ist allerdings der Vortrag der Revision, nach den Feststellungen des Berufungsurteils habe ein Personenkraftwagen vor der roten Ampel gehalten, als das belgische Fahrzeug diese überfahren habe. Das Berufungsgericht hat sich vielmehr mit den einzelnen Zeugenaussagen, insbesondere der des Zeugen W., befasst und ist (BU S. 11) zu dem Ergebnis gelangt, es sei gerade nicht festzustellen, dass der belgische Wagen bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren sei. Ebensowenig ist die Rüge begründet, das Berufungsgericht habe aufgrund der Zeugenaussagen zu diesem Ergebnis gelangen müssen, weil der belgische Fahrer mit hoher Geschwindigkeit gefahren sei und das Grünlicht für die Fußgänger erst 3 1/2 Sekunden nach dem Einsetzen des Rotlichts für die Kraftfahrer aufgeleuchtet habe. Der Weg, den der Sanitätswagen von der Ampel bis zur Unfallstelle zurücklegte, betrug etwas über 60 m.
Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h oder 13,88 m/se von der das Berufungsgericht ausgeht, legte ihn das Kraftfahrzeug in rund 4,5 Sekunden zurück. Es brauchte dazu also länger als die Zeit von 3,5 Sekunden, die zwischen dem Aufleuchten des Rotlichts für den Kraftwagen und des Grünlichts für den Kläger lag. Zwar spricht der Umstand, dass der Kläger nicht am Fahrbahnrande, sondern erst nach einem Weg von mehreren Metern auf der Fahrbahn (nach dem eigenen Vortrag der Beklagten erst nach sieben Metern), angefahren wurde, dafür, dass der Unfall erst einige, mindestens 2 Sekunden erfolgte, nachdem das Grünlicht für den Kläger aufgeleuchtet war. Denn ein Fußgänger legt bei rascher Gangart (6 km/h) in der Sekunde 1,66 Meter zurück und i.d.R. etwas weniger. Dann müsste der Kraftwagen die für ihn maßgebende Ampel bereits bei Rotlicht passiert haben, wenn er entsprechend den Feststellungen des Berufungsurteils mit ca. 50 km/h fuhr (nämlich 4,5 minus 2 = 2,5 Sekunden vor dem Einsetzen des Grünlichts für den Kläger). Indessen ist angesichts der Unsicherheit, die sich für solche Berechnungen aus dem Mangel genügend sicherer Grundlagen ergibt, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht nicht zu einer Feststellung darüber gelangt ist, ob der belgische Kraftwagen die Ampel bei gelbem oder rotem Licht passierte.
Daraus kann die Beklagte aber nichts herleiten. Auch bei Gelblicht hätte der belgische Fahrer vor der Ampel halten müssen (§ 2 Abs. 3 StVO). Diese Verpflichtung wäre allerdings entfallen, wenn das Kraftfahrzeug beim Aufleuchten des Gelblichts schon so nahe an die Ampel herangekommen gewesen wäre, dass es nicht mehr vor ihr hätte zum Halten gebracht werden können. Indessen hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Wagen die Ampel, wenn nicht bei Rotlicht so in der letzten Phase des 3,5 Sekunden dauernden Gelblichts passierte. Der Fahrer hätte daher vor der Ampel anhalten können und müssen. Er hat jedoch nicht nur gegen diese Pflicht verstoßen, sondern darüber hinaus den Unfall weiter dadurch verursacht und verschuldet, dass er seine Fahrt mit unverminderter Geschwindigkeit fortsetzte und über den Überweg fuhr, obwohl er die Fußgänger sehen musste, die erst am Überweg gewartet hatten und dann begannen, ihn zu überschreiten, und es ihm möglich gewesen wäre, den Unfall durch Abbremsen seines Wagens zu verhindern oder abzumildern. Denn wenn er die Ampel noch bei Gelblicht passierte, dann muss dies mindestens 6 Sekunden vor dem Unfall gewesen sein, da die Ampel 3,5 Sekunden Rotlicht für die Kraftfahrer zeigte, bevor Grünlicht für die Fußgänger gegeben wurde, und sich der Unfall frühestens 2 Sekunden nach dem Aufleuchten des Grünlichts ereignete. Wenn er die Ampel bei Rotlicht passierte, war die Zeit bis zum Unfall allerdings kürzer. Auf jeden Fall aber hätte er auf einer Strecke von über 60 m und bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h entweder noch vor dem Fußgängerüberweg anhalten oder wenigstens die Geschwindigkeit wesentlich herabsetzen können. Dieser vom Berufungsgericht nicht erörterte Umstand muss zum Nachteil der Beklagten ins Gewicht fallen.
Zum Verhalten des Klägers ist zu sagen:
Der Fußgänger darf die Fahrbahn nur mit der nötigen Vorsicht überschreiten. Dieser Grundsatz war in § 37 Abs. 2 StVO in der zur Zeit des Unfalls geltenden Fassung ausdrücklich festgelegt. An seiner Geltung hat sich nichts geändert, obwohl die Neufass des § 37 Abs. 2 StVO durch die VO vom 30. April 1964 (BGBl I, 305) ihn nicht mehr ausspricht. Das Gebot der nötigen Vorsicht ergibt sich nämlich bereits daraus, dass diese bei allen Verkehrsvorgängen beachtet werde: muss (Amtl. Begründung zur Neufassung des § 37 StVO in VKBl 1964, 221 und bei Floegel/Hartung, Straßenverkehrsrecht, 15. Aufl., 1965 § 37 Rdn. 11 StVO). Wenn ein Fußgänger die Fahrbahn nicht an einem geschützten Übergang überschreitet, ist er nach gefestigter Rechtsprechung verpflichtet, sich vor dem Betreten der Fahrbahn zu vergewissern, ob diese frei ist; er muss auch, während er die Fahrbahn überschreitet, auf etwa herannahende Kraftfahrzeuge achten. Diese Pflicht entfällt nicht schlechthin, wenn der Fußgänger einen geschützten Übergang benützt; auch hier muss er Vorsicht walten lassen, wenn auch nicht die angespannte Aufmerksamkeit, die beim Überschreiten der Straße an anderen Stellen während des ganzen Vorgangs erforderlich ist. Zwar gilt auch zugunsten des Fußgängers der Vertrauensgrundsatz. Auch der Fußgänger darf, sofern nicht besondere Umstände dagegen sprechen, damit rechnen, dass andere Verkehrsteilnehmer die für sie geltenden Vorschriften beachten und nicht durch pflichtwidriges Verhalten den Verkehr gefährden (Floegel/Hartung, Straßenverkehrsrecht, 15. Aufl., § 1 StVO Rdn. 20). Der Kläger musste daher nicht damit rechnen, dass ein Kraftfahrzeug die Ampel an der A.-Straße entgegen der Regel des § 2 Abs. 3 StVO in den letzten Augenblicken des Gelblichts oder gar bei Rotlicht passieren könne. Es ist jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nicht auszuschließen, dass sich bei Einsetzen des Grünlichts in einer Kreuzung noch Nachzügler befinden können, ohne dass diese ein Verschulden zu treffen braucht. Es kann auch vorkommen, dass technische Einrichtungen einer Ampelanlage versagen, z.B. das Rotlicht ausfällt. Schon aus diesen Gründen muss der Fußgänger selbst an einem durch Ampeln geschützten Übergang durch einen beiläufigen Blick nach den Seiten sich vergewissern, ob er die Fahrbahn gefahrlos überschreiten kann. Indessen sind die Gefahren, denen sich der Fußgänger aussetzt, wenn er einen beampelten Übergang bei Grünlicht überschreitet, ohne sich umgesehen zu haben, nicht hoch einzuschätzen. Das Versagen der Lichtanlage kommt selten vor. Bei Nachzüglern handelt es sich regelmäßig um langsame Fahrzeuge, wie nicht motorisierte oder motorisierte mit begrenzter Geschwindigkeit, die notfalls vor dem Fußgängerübergang zu halten vermögen und von denen keine große Gefahr ausgeht. Dagegen muss der Fußgänger an einem Übergang mit ordnungsgemäß arbeitender Ampelanlage regelmäßig nicht damit rechnen, dass noch schnell fahrende Kraftfahrzeuge als Nachzügler auftauchen nachdem für ihn das Grünlicht aufgeleuchtet hat. Denn der Phasenplan muss so gestaltet sein, dass ein mit verkehrsüblicher Geschwindigkeit fahrendes Kraftfahrzeug den Übergang hinter sich gelassen hat, bevor dieser den Fußgängern freigegeben wird. Das traf auch für die hier in Betracht kommende Kreuzung zu. Für die Kraftfahrer, die die A.-Straße in Richtung Aachen benutzten, wurde die Kreuzung durch das Aufleuchten des Gelblichtes sieben Sekunden bevor das Grünlicht den Fußgängern das Überschreiten der Fahrbahn gestattete, gesperrt. Fahrzeuge, die sich im Augenblicke des Aufleuchtens des Gelblichts in der Kreuzung oder so kurz vor der Ampel befanden, dass sie nicht mehr vor der Kreuzung anhalten konnten, mussten daher bei einer Geschwindigkeit von etwa 30 bis 40 km/h über den Überweg hinaus gelangen, bevor dieser den Fußgängern frei gegeben wurde. Bei einer solchen Geschwindigkeit hätte ein Nachzügler außerdem noch rechtzeitig vor dem Fußgängerüberweg anhalten können, wenn er bemerkte, dass sich bereits Fußgänger auf diesem befanden oder sich anschickten, ihn zu betreten. Nach den örtlichen Verhältnissen war dies ohne wesentliche Behinderung der Fahrzeuge möglich, die die A.-Straße auf der Fahrbahn des M.-Wegs etwa kreuzen wollten.
Der VI. Senat des BGH hat in seinem Urteil vom 20. September 1960 - VI ZR 187/59, NJW 1960, 2235 einem Fußgänger ein Mitverschulden angelastet, der auf das Zeichen des Verkehrspostens "Straße frei" sofort die Fahrbahn betreten hatte, obwohl er bei den gegebenen örtlichen Verhältnissen hätte erkennen können, dass die Teilnehmer des bisher fließenden Verkehrs das für sie gegebene Zeichen "Halt" leicht übersehen konnten. In der Begründung ist ausgeführt, der Vertrauensgrundsatz könne jedenfalls dann nicht gelten, wenn eine besondere Verkehrslage dem Fußgänger erkennbar mache, dass ein sofortiges Betreten der Fahrbahn ihn gefährden könne. Eine solche besondere Situation lag in jenem Falle vor: Die Verkehrslage war nicht übersichtlich. Es herrschte Dunkelheit und die Straße war schlecht beleuchtet. Die Straße verengte sich in einer Richtung stark. Es handelte sich um erheblichen und schnellen Verkehr. Der verkehrsregelnde Polizeibeamte stand mitten im Fahrzeugverkehr. Seine Zeichen konnten von einem Teilnehmer dieses schnellfließenden Verkehrs leicht übersehen werden. Das alles war den Fußgängern erkennbar.
Von einer derartigen Lage kann, im vorliegenden Fall keine Rede sein. Besondere Gründe, die den Kläger zur Vorsicht veranlassen mussten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dem Kläger kann nur vorgeworfen werden, dass er eine Vorsichtsmaßnahme unterlassen hat, die zum Schutze gegen Gefahren dient, mit denen an einem durch Ampeln geschützten Übergang nur ganz ausnahmsweise zu rechnen ist. Ihm fällt daher nur eine leichte Fahrlässigkeit zur Last.
Der belgische Fahrer hat dagegen nach den Feststellungen des Berufungsurteils die Ampel in der letzten Phase des Gelblichts, wenn nicht bei Rotlicht, überfahren und ist ungeachtet der Fußgänger, die sich schickten, die Fahrbahn zu überqueren, mit unveränderter Geschwindigkeit weitergefahren. Er hat damit gegen die grundlegenden Bestimmungen der §§ 1, 2 Ab 3, 9 Abs. 1 StVO verstoßen und die Verletzung des Klägers grob fahrlässig verursacht. Dazu hat die Beklagte die erhebliche Betriebsgefahr des schnell fahrenden Sanitätswagens zu vertreten. Unter diesen Umständen kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf den geringen Fehler des Klägers berufen. Vielmehr muss die Schadensabwägung bei Berücksichtigung der Umstände, die anders zu würdigen sind als im Berufungsurteil geschehen, dazu führen, dem Kläger vollen Schadensersatz zuzubilligen. Dementsprechend ist das Berufungsurteil teilweise aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil zurückzuweisen.
Da die Rechtsgrundlage der Klagansprüche in Art. 8 des Finanzvertrag i.V.m. §§ 839, 847 BGB und Art. 34 GG zu finden ist und dem belgischen Fahrer lediglich fahrlässiges Verhalten zur Last gelegt wird, ist - wie die Anschlussrevision zutreffend geltend macht und auch die Revision vorträgt - nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB für einen Amtshaftungsanspruch kein Raum, soweit ein Sozialversicherungsträger zu Leistungen verpflichtet ist, die den Schadensersatzleistungen aus Amtshaftung entsprechen (gleichartige Leistungen). Denn die Ansprüche gegen Sozialversicherungsträger sind nach gefestigter Rechtsprechung (BGHZ 31, 148, 150) anderweite Ersatzansprüche im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB. Soweit sie den Schaden decken, ist kein Amtshaftungsanspruch gegeben und folglich auch der Übergang eines solchen Anspruchs auf den leistenden Sozialversicherungsträger nicht möglich. Bei dem Ausspruch in Nr. 2 und 4 seines Urteils, dass auf den zugesprochenen Bruchteil die Beträge anzurechnen seien, in deren Höhe die Ersatzansprüche des Klägers auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger übergegangen sind, hat das Berufungsgericht dies übersehen. An Stelle dieser Fassung ist im Urteilssatze zum Ausdruck zu bringen, dass ein Anspruch gegen die Beklagte nur besteht, soweit nicht ein Sozialversicherungsträger zu gleichartigen Leistungen verpflichtet ist. Darin liegt keine sachliche Änderung des Urteilsausspruchs, sondern lediglich eine Richtigstellung: Die hier gewählte Formel erfasst sowohl den Fall des Forderungsübergangs nach § 1542 RVO als auch den Fall, dass ein Ersatzanspruch gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB entfällt. Es besteht kein Anlass im vorliegenden Rechtsstreit zu prüfen, ob etwa mit den Amtshaftungsansprüchen zusammentreffende Ansprüche des Klägers nach dem Straßenverkehrsgesetz auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind; deshalb erscheint es zweckmäßig, die angeführte neutrale Formel zu gebrauchen.
Dementsprechend ist das landgerichtliche Urteil richtigzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2992667 |
NJW 1966, 1211 |