Leitsatz (amtlich)
Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
KG Berlin (Entscheidung vom 15.07.2021; Aktenzeichen 10 U 68/19) |
LG Berlin (Entscheidung vom 04.06.2019; Aktenzeichen 27 O 23/19) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 15. Juli 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Klägers erkannt worden ist. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 4. Juni 2019 wird insgesamt zurückgewiesen.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger - zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts Botschafter der Republik Armenien in Deutschland - nimmt die Beklagten auf Unterlassung von Wortberichterstattungen sowie Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
Rz. 2
Die streitgegenständlichen Berichterstattungen haben folgenden Hintergrund: Nach einer Schießerei vor einer Spielothek im Jahr 2014 setzte das Bundeskriminalamt (BKA) zusammen mit mehreren Landeskriminalämtern eine Projektgruppe mit dem Namen FATIL ("Fight against Thieves in Law", also "Kampf gegen 'Diebe im Gesetz'") ein, welche gegen armenische Gruppen der organisierten Kriminalität ermitteln sollte. Als "Diebe im Gesetz" werden Führungspersonen innerhalb mafiöser Strukturen bezeichnet, die an der unmittelbaren Ausführung von Aktivitäten nicht beteiligt sind, aber maßgeblichen Einfluss innerhalb der Organisation haben. Das Projekt FATIL wurde im Sommer 2018 beendet. Am 8. März 2018 übersandte das BKA an einige Landeskriminalämter ein Schreiben mit dem Betreff "KOK-Projekt FATIL, hier: Informationen zum aktuellen Botschafter der Republik Armenien". Darin werden zum einen die Informationen übermittelt, die im Jahr 2015 aus Anlass der Entsendung des Klägers als Botschafter über diesen gesammelt wurden. Dabei wird der Inhalt eines dem BKA durch den Bundesnachrichtendienst (BND) im Jahr 2008 zur Verfügung gestellten, nur für den Dienstgebrauch bestimmten Behördengutachtens wiedergegeben und bewertet. Zum anderen wird eine Stellungnahme des BKA zu einem Gespräch des Klägers mit Vertretern des Bundesinnenministeriums mitgeteilt.
Rz. 3
Am 2. November 2018 veröffentlichte die Beklagte zu 1 auf der Website des "SPIEGEL" einen Artikel mit der Überschrift "Wie die armenische Mafia in Deutschland vorgeht" und der Unterüberschrift: "Armenische Mafiagruppen gelten als besonders brutal. Es ist ihnen gelungen, in Deutschland ein breites Netzwerk aufzubauen. Ihre Kontakte reichen in die Welt des Profiboxens und mutmaßlich in diplomatische Kreise." Darin wird ausgehend von dem Vorfall im Jahre 2014 über die eingesetzte Projektgruppe und deren Ergebnis berichtet sowie im letzten Drittel unter namentlicher Nennung über den Kläger. Dort wird auszugsweise ausgeführt (Kursivsetzungen und Unterstreichungen nur hier):
"Klassische Mafiagruppen sind nicht nur kriminell, sie suchen auch Kontakt zur Politik. Das gelte teilweise auch für russisch-eurasische Gruppen, sagt der Kriminologe Federico Varese. 'Es gibt eine Verzahnung zwischen Kriminalität und Politik.'
In Deutschland reicht diese möglicherweise bis in diplomatische Kreise. Der derzeitige Botschafter der Republik Armenien, A. S. [voller Name des Klägers], stand bereits vor zehn Jahren in Verdacht, in internationale Schleuseraktivitäten verwickelt gewesen zu sein.
So steht es in einem vertraulichen Gutachten, das 2008 der Bundesnachrichtendienst angefertigt hat. S. [Name des Klägers], damals noch in untergeordneter Position an der Botschaft in Berlin beschäftigt, wird in dem Dokument sogar als 'Dieb im Gesetz' bezeichnet. Zum damaligen Zeitpunkt soll er in Eriwan, der Hauptstadt Armeniens, ein hochpreisiges Anwesen besessen haben, was den Verdacht illegaler Aktivitäten unterstreiche, wie es in der Einschätzung heißt.
Das Bundeskriminalamt hat keine Hinweise darauf, dass der Botschafter noch immer ein 'Dieb im Gesetz' ist. Er werde bei Interpol auch nicht als solcher gelistet, heißt es in einem Dokument der Ermittlungskommission Fatil.
Allerdings zog der Diplomat immer wieder das Interesse von Behörden auf sich, weil er offenbar häufiger Bargeld bei einer deutschen Bank einzahlte. 2005 ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft erstmals wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen S. [Name des Klägers]. Damals soll der damalige Botschaftsangehörige laut der BKA-Dokumente den Behörden mitgeteilt haben, die zahlreichen Auslandsüberweisungen und Gutschriften gehörten zur 'gängigen Praxis' der armenischen Botschaft. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Wie auch ein späteres Verfahren, bei dem die Tochter eines früheren armenischen Ministers und reichen Geschäftsmanns eine Rolle spielte."
…
"A[…] W[…], Bundestagsabgeordneter der CDU aus Thüringen, hat das Deutsch-Armenische Forum ins Leben gerufen. Er ist erstaunt, als er von den Vorwürfen gegen den Botschafter hört. 'Ich kann es mir nicht vorstellen, dass er da irgendetwas Unrechtes macht, aber das würde mein Menschenbild schon etwas zurückwerfen.'"
Rz. 4
Gleichfalls am 2. November 2018 erschien auf der Website des zweitbeklagten MDR ein Artikel mit der Überschrift "Bundesweite Ermittlungen gegen armenische Mafia" und folgender Unterüberschrift: "Nach der Mafia-Schießerei in Erfurt 2014 startete eine geheime Arbeitsgruppe aus BKA und Landeskriminalämtern Ermittlungen. Dabei führen auch mutmaßliche Spuren in Berliner Diplomatenkreise. Das zeigen Recherchen eines Teams aus SPIEGEL- und MDR THÜRINGEN-Reportern." Auch in diesem Beitrag wird über die Ermittlungskommission FATIL und deren Ergebnis sowie unter namentlicher Nennung über den Kläger berichtet. Der Text lautet auszugsweise wie folgt (Kursivsetzungen und Unterstreichungen nur hier):
"Geheimes BND-Dossier über Botschafter
Nach Informationen des SPIEGEL und MDR THÜRINGEN bot der armenische Botschafter A. S. [voller Name des Klägers], in Deutschland den Behörden an, sie im Kampf gegen die armenische Mafia zu unterstützen. Ein Angebot, das mit großer Zurückhaltung bei den Innenministerien in Bund und Ländern gesehen wurde. Denn der Botschafter stand selber im Fokus von Geldwäscheermittlungen durch deutsche Fahnder. Das Verfahren gegen ihn ist inzwischen eingestellt worden. Doch einer anderen Behörde liegen noch weitere brisante Informationen zu S. [Name des Klägers] vor. Der Bundesnachrichtendienst (BND) schrieb bereits 2008 in einem geheimen Dossier, dass S. [Name des Klägers] im Verdacht steht, ein 'Dieb im Gesetz' zu sein, also eine Mafia-Autorität. Er soll, so der BND, auch in Schleuseraktivitäten verwickelt gewesen sein. Zu diesem Zeitpunkt war er in der Botschaft in Berlin tätig, aber noch nicht der armenische Botschafter in der Bundesrepublik."
Rz. 5
In dem Artikel des Beklagten zu 2 war ein Audio-Beitrag des Beklagten zu 2 mit dem Titel "Wie gegen die armenische Mafia ermittelt wird" verlinkt. Dort ist ab Minute 01.03 zu hören:
(Reporter:) ".... Der Verdacht ist, dass die armenische Mafia ihre Millionen aus kriminellen Geschäften beim Immobilienkauf wäscht, und mutmaßlich führen auch Spuren in diplomatische Kreise in Berlin".
(Sprecher:) "Welche Spuren sind das, die ihr da gefunden habt?"
(Reporter:) "Es geht um den derzeitigen armenischen Botschafter A. S. [voller Name des Klägers]. Nach Recherchen unseres Teams stand er im Fokus von Ermittlungen wegen des Verdachts der Geldwäsche. Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt, aber deutschen Sicherheitsbehörden liegen weitere Informationen zu S. [Name des Klägers] vor. In einem geheimen Dossier des Bundesnachrichtendienstes von 2008 wird er als ein 'Dieb im Gesetz', also eine Mafia-Autorität, verdächtigt, und gleichzeitig hat der Diplomat beim Thüringer Innenministerium im März dieses Jahres um eine Sicherheitskooperation im Kampf um die Mafia geworben".
(Sprecher:) "Und..., wie hat man dort auf das Angebot reagiert?"
(Reporter:) "Naja, mit großer Zurückhaltung, denn laut dem Bundeskriminalamt könnten Verstrickungen von armenischen Regierungskreisen und der armenischen Mafia nicht ausgeschlossen werden..."
Rz. 6
Ein weiterer Link unter dem Artikel des Beklagten zu 2 führte zu einem Video-Beitrag mit dem Titel "Armenische Mafia auch in Deutschland aktiv". Dieser Ausschnitt aus dem "MDR Thüringen Journal" vom 2. November 2018 war ebenfalls unter der Website des Beklagten zu 2 abrufbar. Darin wird unter Namensnennung ab Minute 01.42 über den Kläger wie folgt berichtet:
"Im März 2018 besuchte der armenische Botschafter Thüringen. Er hat sich nicht nur beim Ministerpräsidenten eingeladen, sondern auch beim Innenminister. Hier wurde eine Sicherheitskooperation geschlossen. Dies sorgte für Nervosität beim BKA und bei FATIL. Denn der umtriebige Mann wurde 2008 vom Bundesnachrichtendienst als 'Dieb im Gesetz' verdächtigt, als Pate der armenischen Mafia. A. S. [voller Name des Klägers] bezeichnet das als, Zitat, 'Unsinn'. Widerlegen kann das BKA das nicht. FATIL empfiehlt, die Ermittlungen fortzusetzen. Denn wirklich aufgeklärt ist die armenische Mafia längst noch nicht."
Rz. 7
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß zur Unterlassung der Veröffentlichung der in der obigen Darstellung kursivgesetzten Passagen der Berichterstattung und zur Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert, einen Unterlassungsanspruch nur hinsichtlich der Berichtspassagen zur angeblichen Stellung des Klägers als "Dieb im Gesetz" bejaht und die Klage hinsichtlich der unterstrichenen Passagen (betreffend Ermittlungen zu Schleuseraktivitäten und Geldwäsche) und eines Teils der Abmahnkosten abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die vollständige Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, die Beklagten verfolgen im Wege der Anschlussrevision ihre Anträge auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision des Klägers hat Erfolg, die Anschlussrevision der Beklagten ist dagegen unbegründet.
I.
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, soweit die Berufung der Beklagten Erfolg habe, richte sich die Zulässigkeit der angegriffenen Äußerungen in den Beiträgen der Beklagten nach den "allgemeinen Voraussetzungen" und nicht nach den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an eine zulässige Verdachtsberichterstattung. Diese bediene das legitime Interesse der Öffentlichkeit, über Verfehlungen und Missstände auch in einem Stadium informiert zu werden, in dem lediglich ein Verdacht bestehe. Der Verdacht, dass der Kläger der armenischen Mafia angehöre, werde in der Berichterstattung, die sich mit der Verbreitung von kriminellen Strukturen befasse, so schon nicht geäußert. Anliegen der Berichte sei es auch nicht, die Öffentlichkeit über lange zurückliegende Vorwürfe gegen den Kläger aufzuklären, die sich nicht hätten erhärten lassen. Wäre dies der Fall, dürfte über die damaligen Vorwürfe ungeachtet des Inhalts des vertraulichen Gutachtens des Bundesnachrichtendienstes zweifellos nicht mehr anlasslos berichtet werden. Vielmehr befassten sich die Berichterstattungen mit einem aktuellen Missstand, nämlich dem Scheitern der Sicherheitsbehörden bei gemeinsamen Ermittlungen gegen die armenische Mafia in Deutschland und den Ursachen des Fehlschlags, zu denen unter anderem auch Verzahnungen zwischen organisierter Kriminalität und Politik gerechnet würden. Dieser Sachverhalt bilde den Ausgangspunkt und den Kern der Berichterstattung. Die in der Begründung des BKA-Schreibens von 2018 angegebenen Hintergründe der Warnung vor der Annahme des Angebots des Klägers würden von den Beklagten - wie auch im Schreiben von 2018 selbst - unter ausdrücklichem Hinweis auf deren Nichterweislichkeit mitgeteilt. Sie seien damit Bestandteil einer vollständigen Darstellung und dienten dem Verständnis des Lesers/Hörers, dem sich anderenfalls nicht erschließen würde, warum eine oberste Bundesbehörde vor einer Kooperation mit dem höchsten Repräsentanten der Republik Armenien warne. Damit sei die Mitteilung zu den - lange zurückliegenden - Ermittlungsverfahren ebenso wie der damalige Verdacht, der Kläger sei ein "Dieb im Gesetz", nicht das Thema einer Berichterstattung, sondern notwendiger Bestandteil des recherchierten Sachverhalts, der sich dahin zusammenfassen lasse, dass das BKA einer Annahme des Kooperationsangebots des Klägers durch die Sicherheitsbehörden kritisch gegenübergestanden habe.
Rz. 10
Die Berichterstattungen der Beklagten griffen zwar ungeachtet der Unanwendbarkeit der für Verdachtsberichterstattung geltenden Grundsätze in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers ein. Die vorzunehmende Abwägung des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs mit dem Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit falle jedoch zugunsten der Beklagten aus. An der Mitteilung der wahren Tatsachenbehauptungen bestehe ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse. Dieses ergebe sich bereits aus dem Interesse der Öffentlichkeit an der Bekämpfung krimineller Organisationen, aber auch aus der in den Raum gestellten Infiltration von Strukturen, die wegen der Herkunft der ihr zuzurechnenden Personen einen Bezug zu Armenien hätten. Die Berichterstattungen ließen dem Leser/Hörer die Möglichkeit, aus den mitgeteilten Umständen (Warnung vor der angebotenen Kooperation und deren Gründe) eigene Schlüsse zu ziehen. Gegenüber dem öffentlichen Informationsinteresse falle die für den Kläger verbleibende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts jedenfalls in Bezug auf die eingestellten Ermittlungsverfahren nicht wesentlich ins Gewicht. Denn die Berichterstattungen enthielten ausdrückliche Angaben dazu, dass die Verfahren mangels irgendwelcher Belege für die Täterschaft längst eingestellt worden seien und gesicherte Erkenntnisse nicht vorlägen. Eine solche (schonende) Berichterstattung müsse der Kläger bereits aufgrund seiner Funktion und Stellung im öffentlichen Raum hinnehmen.
Rz. 11
Erfolglos wendeten sich die Beklagten jedoch mit ihrer Berufung gegen die Untersagung derjenigen Passagen der Berichterstattung, die sich mit dem geäußerten Verdacht befassten, der Kläger sei ein "Dieb im Gesetz". Bezüglich dieser Behauptungen überwiege das Schutzinteresse des Klägers an der Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte das öffentliche Informationsinteresse an Spekulationen über mögliche weitere Hintergründe der vom BKA ausgesprochenen Warnung. Der Verdacht der Zugehörigkeit zur Führungsebene innerhalb einer kriminellen Vereinigung stelle zweifellos eine erhebliche Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Denn es sei gerade diese Zuordnung, die dem Kläger eine aktuelle Verwicklung in kriminelle Strukturen anlaste, die aufgrund des verdeckt agierenden Netzwerks nur schwer oder gar nicht aufgedeckt werden könne. Für eine solche weitreichende Aussage fehle es - auch unter Berücksichtigung des BKA-Schreibens - an hinreichenden Anknüpfungstatsachen.
II.
Rz. 12
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand, soweit das Berufungsgericht unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abgewiesen hat. Dem Kläger steht gegen die Beklagten hinsichtlich aller streitgegenständlichen und vom Landgericht untersagten Äußerungen ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und damit auch ein Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten vorgerichtlichen Abmahnkosten zu. Wie das Landgericht zu Recht angenommen hat, handelt es sich nicht nur bei dem Bericht über den Verdacht, ein sogenannter "Dieb im Gesetz" zu sein, sondern auch bei den Informationen über den Verdacht der Beteiligung an Schleuser- und Geldwäschehandlungen und damit bei allen noch streitgegenständlichen Äußerungen über den Kläger um unzulässige Verdachtsberichterstattungen.
Rz. 13
1. Nach dem - im Revisionsverfahren in vollem Umfang überprüfbaren (vgl. nur Senatsurteile vom 29. November 2021 - VI ZR 248/18, FamRZ 2022, 311 Rn. 25; vom 26. Januar 2021 - VI ZR 437/19, VersR 2021, 856 Rn. 11; jeweils mwN) - Aussagegehalt der angegriffenen Äußerungen ist Gegenstand der streitgegenständlichen Berichterstattungen der Verdacht, der Kläger sei mit der armenischen Mafia zumindest in der Vergangenheit verbunden gewesen und habe strafbare Handlungen begangen.
Rz. 14
a) In der streitgegenständlichen Passage des Artikels der Beklagten zu 1 wird - als Ergebnis einer eigenen, gemeinsam mit dem Beklagten zu 2 durchgeführten Recherche - der namentlich genannte Kläger als mutmaßliches (und einziges) Beispiel der "Verzahnung" von Mafiagruppen und Politik genannt, die möglicherweise bis in diplomatische Kreise reiche. Als Beleg hierfür wird zum einen der in dem vertraulichen Gutachten des Bundesnachrichtendienstes (BND) aus dem Jahr 2008 geäußerte Verdacht herangezogen, der Kläger sei in internationale Schleuseraktivitäten verwickelt gewesen. Auch wenn nichts Näheres zu den angeblichen Tatumständen mitgeteilt wird, ist nach dem Verständnis des für die Ermittlung des Aussagegehalts maßgeblichen unbefangenen Durchschnittslesers (vgl. nur Senatsurteil vom 17. Mai 2022 - VI ZR 123/21, MDR 2022, 1023 Rn. 41 mwN) mit dem Begriff "internationale Schleuseraktivitäten" der Vorwurf eines illegalen und auch strafrechtlich relevanten (vgl. § 96 AufenthG) Kernsachverhalts verbunden. Als weiterer Hinweis auf die Verbindung des Klägers mit der armenischen Mafia wird in dem Artikel sodann die Tatsache angeführt, dass der Kläger in dem Gutachten des BND "sogar" als "Dieb im Gesetz" bezeichnet werde, womit nach der zuvor im Artikel gegebenen Definition ein Krimineller gemeint ist, der den Kurs einer Mafiagruppe bestimmt. Damit wird der Verdacht einer durch den Kläger begangenen Straftat nach § 129 StGB geäußert (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 231/11, BGHSt 57, 14 ff.). Anschließend wird als weiterer möglicher Hinweis auf die Verbindung des Klägers zur Mafia auf frühere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Kläger eingegangen, wobei nicht nur über die Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens an sich, sondern auch über den zugrundeliegenden Verdacht der Geldwäsche berichtet wird.
Rz. 15
Auf all diese gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe wird in der vom Landgericht ebenfalls untersagten Textpassage, die sich mit der Reaktion eines mit den Vorwürfen konfrontierten Bundestagsabgeordneten befasst, Bezug genommen, womit sie dem Leser erneut vor Augen geführt werden. In entsprechender Weise wird auch in den angegriffenen Äußerungen in den Berichterstattungen des Beklagten zu 2 der Verdacht in den Raum gestellt, der Kläger sei - zumindest früher - eine Mafia-Autorität und am illegalen Einschleusen von Ausländern sowie an Geldwäsche beteiligt gewesen. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Trennung zwischen den Ausführungen zur angeblichen Stellung des Klägers als "Dieb im Gesetz" einerseits und zu den Ermittlungen zu Schleuser- und Geldwäschehandlungen andererseits überzeugt aufgrund des aufgezeigten Zusammenhangs zwischen diesen Äußerungen nicht.
Rz. 16
b) Dieser Aussagegehalt der angegriffenen Äußerungen geht - anders als das Berufungsgericht meint - nicht dadurch verloren, dass sie im Kontext mit der Berichterstattung über die Ergebnisse der Ermittlungsgruppe FATIL und die bei deutschen Behörden bestehenden Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit dem Kläger im Kampf gegen die Mafia erfolgen. Der hiermit gegebene aktuelle Anlass für die Berichterstattung ändert nichts daran, dass mit ihr - erstmalig - öffentlich über den Verdacht strafbarer Handlungen durch den Kläger berichtet wird. Für die Bestimmung des Aussagegehalts der Äußerungen ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht maßgeblich, ob sie den Kern der Berichterstattung bilden.
Rz. 17
2. Die mit den angegriffenen Aussagen verbundenen, den Kläger identifizierenden Verdachtsäußerungen greifen in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers ein. Der Vorwurf, strafbare Handlungen begangen zu haben und Teil der armenischen Mafia (gewesen) zu sein, beeinträchtigt ihn in erheblichem Maße in seiner Ehre und sozialen Anerkennung.
Rz. 18
An dem Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass in den Beiträgen auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Geldwäsche hingewiesen wird. Denn allein der Umstand, dass über vergangene Ermittlungen gegen den Kläger wegen des Verdachts der Geldwäsche berichtet wird, birgt die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und trotz der späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens vom Schuldvorwurf "etwas hängenbleibt" (vgl. Senatsurteil vom 16. Februar 2016 - VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 16 mwN), zumal in den streitgegenständlichen Textpassagen der Grund für die Einstellung nicht mitgeteilt wird.
Rz. 19
Hinsichtlich des durch Wiedergabe des Inhalts des BND-Gutachtens aus dem Jahr 2008 geäußerten Verdachts der Beteiligung des Klägers an illegalen Schleuseraktivitäten und seiner prominenten Stellung innerhalb der armenischen Mafia sind die in den Berichten erfolgten Mitteilungen der Beklagten, das BKA habe keine Hinweise darauf, dass der Kläger "noch immer" ein "Dieb im Gesetz sei", das BKA könne dies "aktuell bisher nicht bestätigen" bzw. könne die Auffassung des Klägers, dies sei "Unsinn", "nicht widerlegen", ebenfalls nicht geeignet zu verhindern, dass von den ehrverletzenden Vorwürfen bei der Leserschaft "etwas hängenbleibt". Denn abgesehen davon, dass die Formulierungen in den Artikeln der Beklagten ("noch immer", "aktuell bisher nicht") den Schluss zulassen, es gebe durchaus Beweistatsachen dafür, dass der Kläger zumindest in der Vergangenheit ein "Dieb im Gesetz" gewesen sei, lassen alle Berichte nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers Raum für die Annahme, an den vom BND erhobenen Vorwürfen könne trotz der "Beweisnot" des BKA - auch nach Ansicht der Behörde - "etwas dran" sein. Eine solche Schlussfolgerung wird dem Leser bzw. Hörer durch die unmittelbar anschließenden Textpassagen sogar nahegelegt. Im Artikel der Beklagten zu 1 vom 2. November 2018 heißt es: "Allerdings zog der Diplomat immer wieder das Interesse von Behörden auf sich, weil er häufiger Bargeld bei einer deutschen Bank einzahlte. 2005 ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft erstmals wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen S. [Name des Klägers]." Im Artikel des Beklagten zu 2 vom 2. November 2018 wird ausgeführt: "Doch es [das BKA] empfahl im Frühjahr dieses Jahres, das Kooperationsangebot des armenischen Botschafters nicht anzunehmen." Im Videobeitrag des Beklagten zu 2 vom 2. November 2018 ist zu hören: "FATIL empfiehlt, die Ermittlungen in den Ländern fortzusetzen. Denn wirklich aufgeklärt ist die armenische Mafia längst noch nicht."
Rz. 20
3. Der mit den angegriffenen Äußerungen verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist rechtswidrig.
Rz. 21
a) Über den Unterlassungsantrag ist aufgrund einer Abwägung des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit zu entscheiden. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, VersR 2022, 1168 Rn. 17; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, VersR 2022, 386 Rn. 15; vom 17. Dezember 2019 - VI ZR 249/18, AfP 2020, 143 Rn. 18; vom 18. Juni 2019 - VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 20; vom 16. Februar 2016 - VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 18; jeweils mwN).
Rz. 22
b) Nach den im vorliegenden Fall im Rahmen der Abwägung heranzuziehenden Grundsätzen zu den Voraussetzungen einer zulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung überwiegt hier das Schutzinteresse des Klägers.
Rz. 23
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats und des Bundesverfassungsgerichts darf eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheitsgehalt ungeklärt ist und die eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betrifft, demjenigen, der sie aufstellt oder verbreitet, solange nicht untersagt werden, wie er sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für erforderlich halten darf (Art. 5 GG, § 193 StGB). Eine Berufung hierauf setzt voraus, dass vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Allerdings ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an derartigen Äußerungen zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteile vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, VersR 2022, 386 Rn. 18; vom 16. Februar 2016 - VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 22; vom 18. November 2014 - VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 15; vom 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 26; vom 22. April 2008 - VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 35; vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 203 f., juris Rn. 20 f.; vom 30. Januar 1996 - VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13, 23 f., juris Rn. 31 f.; jeweils mwN; BVerfG, Beschluss vom 18. März 2020 - 1 BvR 34/17, BeckRS 2020, 9600 Rn. 5).
Rz. 24
Diese Grundsätze gelten auch für die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren unter namentlicher Nennung des Beschuldigten. In diesem Verfahrensstadium steht lediglich fest, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, in der Regel ist aber nicht geklärt, ob der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Straftat begangen hat. Zwar gehört es zu den legitimen Aufgaben der Medien, Verfehlungen - auch konkreter Personen - aufzuzeigen (Senatsurteile vom 18. Dezember 2018 - VI ZR 439/17, AfP 2019, 236 Rn. 12; vom 30. Oktober 2012 - VI ZR 4/12, NJW 2013, 299 Rn. 12; BVerfG, AfP 2012, 143 Rn. 39; jeweils mwN). Dies gilt auch für die Berichterstattung über eine Straftat, da diese zum Zeitgeschehen gehört und die Verletzung der Rechtsordnung und die Beeinträchtigung von Rechtsgütern der betroffenen Bürger oder der Gemeinschaft grundsätzlich ein anzuerkennendes Interesse der Öffentlichkeit an näherer Information über Tat und Täter begründet (vgl. Senatsurteile vom 30. Oktober 2012 - VI ZR 4/12, NJW 2013, 299 Rn. 13; vom 7. Juni 2011 - VI ZR 108/10, BGHZ 190, 52 Rn. 19; vom 15. Dezember 2009 - VI ZR 227/08, BGHZ 183, 353 Rn. 14; vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 204, juris Rn. 21; BVerfG, AfP 2009, 46 Rn. 11; AfP 2009, 365 Rn. 18; EGMR, NJW 2012, 1058 Rn. 96 - Axel Springer AG gg. Deutschland; jeweils mwN). Besteht allerdings - wie im Ermittlungsverfahren - erst der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12, aaO Rn. 28 mwN; vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 203, juris Rn. 19; vom 30. Januar 1996 - VI ZR 386/94, BGHZ 132, 13, 24, juris Rn. 34). Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf "etwas hängenbleibt" (vgl. Senatsurteile vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, VersR 2022, 386 Rn. 19; vom 16. Februar 2016 - VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 23 mwN; BVerfG, AfP 2009, 46 Rn. 15). Eine solche Gefahr kann auch bestehen, wenn die Berichterstattung zwar kein von der Staatsanwaltschaft geführtes Ermittlungsverfahren, aber das mit dem Vorwurf der Begehung von Straftaten verbundene Ergebnis von Ermittlungen anderer staatlicher Sicherheitsbehörden - wie im Streitfall des BND - betrifft.
Rz. 25
Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen. Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 31. Mai 2022 - VI ZR 95/21, VersR 2022, 1168 Rn. 24; vom 22. Februar 2022 - VI ZR 1175/20, VersR 2022, 830 Rn. 29; vom 16. November 2021 - VI ZR 1241/20, VersR 2022, 386 Rn. 20; jeweils mwN).
Rz. 26
bb) Nach diesen Maßstäben war die angegriffene Berichterstattung unzulässig. Die Beklagten sind ihren publizistischen Sorgfaltspflichten nicht im gebotenen Umfang nachgekommen. Allerdings handelt es sich bei den gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen um Vorgänge von gravierendem Gewicht. Hinsichtlich des Verdachts, dass der Botschafter eines Landes in Deutschland in enger Verbindung mit der organisierten Kriminalität steht oder gestanden hat und in diesem Zusammenhang an illegalen Schleuseraktivitäten und Geldwäsche beteiligt war, besteht ein herausragendes Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Hinsichtlich sämtlicher angegriffenen Verdachtsäußerungen, also nicht nur, wie das Berufungsgericht meint, bezüglich der Aussage, der Kläger werde verdächtigt, ein "Dieb im Gesetz" (gewesen) zu sein, fehlt es jedoch bereits an dem erforderlichen Mindestmaß an Beweistatsachen (1). Im Übrigen ist die Darstellung auch nicht hinreichend ausgewogen (2).
Rz. 27
(1) Soweit die Beklagte zu 1 in ihrem Artikel vom 2. November 2018 als Hinweis auf die mögliche "Verzahnung" des Klägers mit der organisierten Kriminalität anführt, der Kläger habe laut des vertraulichen Gutachtens des BND aus dem Jahr 2008 bereits vor zehn Jahren im Verdacht gestanden, in internationale Schleuseraktivitäten verwickelt gewesen zu sein, und werde vom BND sogar als "Dieb im Gesetz" bezeichnet, wird als einziger tatsächlicher Anhaltspunkt für diese Verdächtigungen auf den Umstand verwiesen, der Kläger solle in Eriwan, der Hauptstadt Armeniens, ein hochpreisiges Anwesen besessen haben, was nach der Einschätzung des BND den Verdacht illegaler Aktivitäten unterstreiche. Diese Tatsache ist jedoch - selbst wenn sie als richtig unterstellt wird - für sich genommen offensichtlich unzureichend, um eine hinreichende Grundlage für die Veröffentlichung der den Kläger schwer belastenden Vorwürfe zu bilden.
Rz. 28
Weitere aussagekräftige tatsächliche Anhaltspunkte sind insoweit auch den streitgegenständlichen Beiträgen des Beklagten zu 2, die entsprechende Verdachtsäußerungen enthalten, und dem von den Beklagten vorgelegten Schreiben des BKA vom März 2018, in dem der Inhalt des Behördengutachtens des BND aus dem Jahr 2008 zusammengefasst und bewertet wird, nicht zu entnehmen. Im Gegenteil stellt das BKA in diesem Schreiben fest, die ihm - unabhängig von dem Behördengutachten des BND - vertraulich bekannt gewordenen Informationen hinsichtlich einer angeblichen Beteiligung des Klägers an Schleuseraktivitäten hätten durch das zuständige Fachreferat des BKA nicht verifiziert werden können und stammten teilweise vom Hörensagen. Der Vorgang sei deshalb geschlossen worden. Dem BKA lägen keine Erkenntnisse vor, welche die angebliche Rolle des Klägers als sogenannter "Dieb im Gesetz" bestätigen würden. In Unkenntnis über die Quellen des Gutachtens des BND könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese zumindest zum Teil mit denen des BKA übereinstimmten und insofern möglicherweise keine unabhängige Bestätigung des geäußerten Verdachts gegeben sei.
Rz. 29
Damit bleibt als Grundlage für die in Richtung des Klägers ausgesprochenen Verdächtigungen allein der in tatsächlicher Hinsicht unergiebige Inhalt des Behördengutachtens des BND. Dieses stellt jedoch keine privilegierte Quelle dar, auf deren Richtigkeit die Beklagten ohne weitere Nachforschungen hätten vertrauen dürfen. Zwar ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass den Verlautbarungen amtlicher Stellen ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden darf (vgl. Senatsurteile vom 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 30; vom 11. Dezember 2012 - VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 Rn. 29 ff.; BVerfG, NJW-RR 2010, 1195 Rn. 35 jeweils mwN; EGMR, NJW 2018, 3083 Rn. 44 und NJW 2018, 3768 Rn. 46 ff.). Um eine derartige für die Öffentlichkeit bestimmte Verlautbarung handelt es sich bei dem Bericht des BND aber gerade nicht. Er war ausdrücklich nur für den Dienstgebrauch bestimmt. Dass das BKA seinerseits in seinem - ebenfalls nur für den Dienstgebrauch bestimmten - Schreiben an die Landeskriminalämter vom März 2018 im Hinblick auf die vom BND erhobenen und vom BKA als weder bestätig- noch widerlegbar eingeschätzten Vorwürfe Vorbehalte gegen eine vertiefte Zusammenarbeit mit Armenien im Zusammenhang mit einem Unterstützungsangebot des Klägers formuliert hat, befreit die Beklagten ebenfalls nicht von ihrer publizistischen Sorgfaltspflicht, die Verdachtsäußerungen nur bei Vorliegen eines Mindestmaßes an Beweistatsachen zu veröffentlichen.
Rz. 30
Was die in den streitgegenständlichen Beiträgen enthaltene Berichterstattung über die wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen den Kläger geführten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft angeht, genügt die bloße Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens als solche nicht für die Annahme des Vorliegens eines Mindestbestands an Beweistatsachen (vgl. Senatsurteil vom 16. Februar 2016 - VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 26 mwN). Als einziger möglicher tatsächlicher Anhaltspunkt für eine Beteiligung des Klägers an einer entsprechenden Straftat wird im Artikel der Beklagten zu 1 der wenig aussagekräftige Umstand genannt, dass der Kläger häufiger Bargeld bei einer deutschen Bank eingezahlt habe. Das BKA teilt insoweit in seinem Schreiben vom März 2018 mit, ein Ermittlungsverfahren der Gemeinsamen Finanzermittlungsgruppe von LKA Berlin und Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg im Jahr 2005 wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen den Kläger mit Tatzeit vom 1. Juli 2004 bis 23. Juni 2005 sei mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Berlin am 19. August 2005 gemäß § 170 StPO eingestellt worden. Der Tatverdacht bezüglich mehrerer Auslandsüberweisungen bzw. -gutschriften habe nicht konkretisiert werden können. Somit ergeben sich auch aus den Angaben des BKA keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die es rechtfertigen würden, die mit dem Bericht über das Ermittlungsverfahren verbundene Verdachtsäußerung erstmals öffentlich zu machen.
Rz. 31
(2) Die angegriffenen Berichterstattungen stellen den Inhalt des den Beklagten bekannten Schreibens des BKA vom März 2018, soweit darin die seitens des BND in seinem Behördengutachten aus dem Jahr 2008 gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe bewertet werden und das Ergebnis der gegen den Kläger geführten Ermittlungen wegen des Verdachts der Geldwäsche mitgeteilt wird, verkürzend und verfälschend dar. Dem Publikum werden relevante Umstände, die die geäußerten Verdächtigungen in Frage stellen, vorenthalten. Zur erforderlichen Ausgewogenheit einer zulässigen Verdachtsberichterstattung gehört es aber, bewusst einseitige oder verfälschende Darstellungen zu unterlassen und die zur Verteidigung des Betroffenen sprechenden Tatsachen und Argumente zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 51/99, BGHZ 143, 199, 203 f., juris Rn. 20 mwN).
Rz. 32
Im Artikel der Beklagten zu 1 vom 2. November 2018 wird zwar ausgeführt, das BKA habe keine Hinweise darauf, dass der Kläger "noch immer" ein "Dieb im Gesetz" sei. Er werde bei Interpol auch nicht als solcher gelistet. Hinsichtlich der Ermittlungen wegen des Verdachts der Geldwäsche solle der Kläger laut der BKA-Dokumente den Behörden mitgeteilt haben, die zahlreichen Auslandsüberweisungen und Gutschriften gehörten zur "gängigen Praxis" der armenischen Botschaft. Unerwähnt bleibt aber, dass dem BKA - wie sich aus dessen Schreiben vom März 2018 ergibt - nicht nur hinsichtlich einer aktuellen, sondern auch einer früheren Rolle des Klägers als "Dieb im Gesetz" keine die Verdächtigungen des BND bestätigenden Erkenntnisse vorlagen und insbesondere die angebliche Beteiligung des Klägers an der illegalen Schleusung von Ausländern seitens des BKA trotz der durchgeführten eigenen Ermittlungen nicht verifiziert werden konnte. Ebenfalls geht aus dem Artikel nicht hinreichend deutlich hervor, dass das gegen den Kläger wegen des Verdachts der Geldwäsche geführte Ermittlungsverfahren deshalb eingestellt wurde, weil sich der Tatverdacht nicht konkretisieren ließ, wie im Schreiben des BKA mitgeteilt wird.
Rz. 33
In den angegriffenen Beiträgen des Beklagten zu 2 wird ebenfalls lediglich mitgeteilt, das BKA könne die BND-Informationen zum Kläger "aktuell nicht bestätigen" (Artikel vom 2. November 2018) bzw. die Auffassung des Klägers, diese seien "Unsinn", "nicht widerlegen" (Videobeitrag vom 2. November 2018). Warum die Ermittlungen wegen Geldwäsche eingestellt wurden, bleibt auch in der Berichterstattung des Beklagten zu 2 offen. Damit wird der Inhalt des Schreibens des BKA vom März 2018 auch in den Veröffentlichungen des Beklagten zu 2 nicht hinreichend bei der Darstellung der angeblichen Verdachtsmomente berücksichtigt.
Rz. 34
4. Aufgrund der Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch die angegriffene Berichterstattung kann der Kläger nach § 823 Abs. 1 BGB Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen, soweit sie zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. Senatsurteil vom 19. Oktober 2010 - VI ZR 237/09, AfP 2010, 573 Rn. 11 f. mwN). Gegen die Berechnung der Kosten seitens der Instanzgerichte haben die Beklagten keine Einwendungen erhoben.
III.
Rz. 35
Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der erkennende Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO auch in der Sache zu entscheiden.
Seiters |
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Oehler |
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Müller |
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Klein |
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Böhm |
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Fundstellen
Haufe-Index 15826279 |
NJW 2023, 3233 |
GRUR 2023, 1391 |
JZ 2023, 574 |
WRP 2023, 1532 |
ZUM 2023, 767 |
K&R 2023, 680 |
MMR 2023, 836 |