Leitsatz (amtlich)
Bei einer aus mehreren Teilpositionen zusammengesetzten Ersatzforderung kann eine die Zulässigkeit eines Rechtsmittels begründende Beschwer auch dann vorliegen, wenn den gestellten Anträgen zwar vollen Umfangs entsprochen wurde, in der angefochtenen Entscheidung einzelne der geltend gemachten Positionen entsprechend der vom Kläger vorgegebenen Reihenfolge geprüft, einzelne davon jedoch für nicht begründet erklärt worden sind.
Normenkette
ZPO § 511a
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Aktenzeichen 8 U 173/97) |
LG Osnabrück (Aktenzeichen 9 O 163/97) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 29. Januar 1998 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer eines in L. belegenen Grundstücks und der darauf stehenden Gebäude, in denen die H. -Klinik betrieben wird.
Gleichzeitig ist er geschäftsführender Gesellschafter der die Klinik betreibenden Gesellschaft. Er nimmt die Beklagten, eine Gesellschaft, die sich unter anderem mit der Reinigung und Pflege von Fußböden befaßt, und deren persönlich haftende Gesellschafterin aus eigenem und abgetretenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch. Seine Forderungen leitet er aus Schäden an dem Parkett in den Gebäuden her, in denen die Klinik betrieben wird. Diese Schäden führt er auf die Ausführung von Reinigungsarbeiten durch die Beklagte zu 1 zurück.
Die aufgetretenen Schäden hat der Kläger in erster Instanz mit insgesamt 403.298,33 DM beziffert. Von dieser Schadenssumme hat er mit der Klage zunächst einen Teilbetrag von 140.000,– DM geltend gemacht. Die Klagesumme entspricht den Kosten, die nach den in einem anderen Verfahren gemachten und im vorliegenden Verfahren wiederholten Angaben des gerichtlichen Sachverständigen für die Beseitigung der aufgetretenen Mängel in jedem Fall erforderlich sind.
Das Landgericht hat den Sachverständigen unter anderem zur Erläuterung seiner Schadensschätzung gehört. Dabei hatte dieser seine Angaben zur Schadenshöhe dahin ergänzt, daß bei Ausführung der Arbeiten eine Verlängerung der Lebensdauer der dann erneuerten und verbesserten Versiegelung zu erwarten sei, die zu einer Werterhöhung führe. Den nach Abzug dieser Werterhöhung verbleibenden Mindestschaden hat das Landgericht unter Berücksichtigung der Angaben des Sachverständigen mit 108.982,92 DM ermittelt.
Im Anschluß an die Anhörung des Sachverständigen im Verfahren erster Instanz hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers im Verhandlungstermin vor dem Landgericht erklärt, es werde insgesamt ein Betrag von 140.000,– DM geltend gemacht, und in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt:
„Soweit die Kosten gemäß Schätzung des Sachverständigen unter 140.000,– DM gehen, ist insoweit aus den Schadensbezifferungen gemäß Bl. 63-66 der Akte aufzufüllen bis auf einen Betrag von 140.000,– DM.”
Gestützt auf die Erklärung des Sachverständigen, dieser Betrag werde in jedem Fall erreicht, hat das Landgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 140.000,– DM nebst Zinsen unter teilweiser Abweisung eines Teils der Zinsforderung verurteilt. Bei der dieser Beurteilung zugrundeliegenden Berechnung ist es von den durch den Sachverständigen bezeichneten Kosten ausgegangen, hat diese um die von dem Sachverständigen geschätzte Wertsteigerung ermäßigt und zur Auffüllung bis zum Betrag der Klageforderung weitere Schadenspositionen in der vom Kläger bezeichneten Reihenfolge herangezogen. Dabei hat es in den Gründen die einzelnen Positionen in der vom Kläger bezeichneten Reihenfolge geprüft und einzelne Schadenspositionen als nicht berechtigt bezeichnet.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt und mit dem Rechtsmittel die Klage auf den gesamten seiner Ansicht nach entstandenen Schaden erweitert, den er bei dieser Gelegenheit mit insgesamt 396.698,33 DM beziffert hat. Das Berufungsgericht hat sein Rechtsmittel als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt. Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 547 ZPO mit Rücksicht auf die Verwerfung der Berufung ohne Einschränkung eröffnete Revision hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. In dem angefochtenen Urteil ist eine Beschwer des Klägers zu Unrecht verneint worden.
1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ansatz des Berufungsgerichts, die Zulässigkeit des Rechtsmittels setze eine Beschwer sowie das Bestreben voraus, diese mit dem Rechtsmittel zu beseitigen (vgl. BGHZ 85, 140, 142; BGH, Urt. v. 13.6.1996 - III ZR 40/96, BB 1997, 121; st. Rspr.). Ihm ist auch darin beizupflichten, daß für die Bestimmung dieser Beschwer regelmäßig darauf abzustellen ist, ob die angegriffene Entscheidung zum Nachteil des Rechtsmittelführers von den von ihm gestellten Anträgen abweicht (vgl. BGHZ 50, 261, 263; BGH, Urt. v. 9.10.1990 - VI ZR 89/90, VersR 1991, 359, 360). Eine solche Beschwer kann – was das Berufungsgericht in seinem rechtlichen Ansatz nicht verkannt hat – auch dann vorliegen, wenn den Anträgen vollen Umfangs entsprochen wurde. Das gilt insbesondere dann, wenn einer Teilklage mehrere Ansprüche oder Positionen zugrunde liegen, deren Summe über der Klageforderung liegt, und diese Ansprüche oder Positionen nach dem Inhalt der angefochtenen Entscheidung ganz oder teilweise aberkannt wurden. Zwar richtet sich die Beurteilung der Frage, ob eine Beschwer vorliegt, grundsätzlich nach dem Urteilstenor (vgl. BGHZ 50, 261, 263); eine Beschwer kann sich unter Umständen jedoch auch daraus ergeben, daß das Gericht nach der gegebenen Begründung einen Teil der ingesamt geltend gemachten Forderung hat abweisen wollen (vgl. BGH, Urt. v. 21.1.1986 - VI ZR 63/85, NJW 1986, 2703 = MDR 1986, 574). Für die Frage einer Beschwer kommt es daher – wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat – maßgebend darauf an, in welchem Umfang das angefochtene Urteil eine an seiner Rechtskraftwirkung teilhabende Entscheidung über diese Ansprüche oder Positionen trifft. Eine solche Wirkung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Gericht einzelne der geltend gemachten Positionen entsprechend der vom Kläger vorgegebenen Reihenfolge geprüft und als zur Begründung der Klageforderung ausdrücklich ungeeignet bezeichnet. In der Bezeichnung einzelner Schadenspositionen als nicht berechtigt in der erstinstanzlichen Entscheidung liegt zugleich eine Abweisung der nicht berücksichtigten Ansprüche und Positionen, die an der Rechtskraft der Entscheidung teilhat und eine Beschwer des Klägers mithin auch dann begründen kann, wenn nach dem Inhalt des Entscheidungsausspruchs seinem Klageantrag in vollem Umfang entsprochen worden zu sein scheint. Mit der Prüfung dieser Positionen und der Feststellung, daß sie den Klageanspruch nicht stützen können, werden sie aus dem Kreis der möglichen Grundlagen dieses Anspruchs ausgeschieden. Insoweit gilt nichts anderes als im Falle der Klage, die auf mehrere in einer vom Kläger bezeichneten Rangfolge geltend gemachte Ansprüche gestützt ist oder bei der Aufrechnung im Prozeß mit mehreren in ihrer Rangfolge bezeichneten Gegenforderungen, von denen das Gericht in den Entscheidungsgründen einzelne als nicht durchgreifend bezeichnet und daher insoweit die Wirkungen der Aufrechnung als nicht eingetreten ansieht.
2. Einen solchen Sachverhalt hat das Berufungsgericht hier zu Unrecht verneint.
a) Das Landgericht ist ausweislich der Entscheidungsgründe – in der Sache zu Recht – in eine sachliche Prüfung der durch den Kläger geltend gemachten Positionen seines insgesamt behaupteten Schadens eingetreten und hat diese zum Teil – unter Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigen – als unbegründet angesehen. Auf Bl. 10 der Entscheidungsgründe hat es eine Reihe von Schadenspositionen mit der Begründung zurückgewiesen, daß sie in der Schätzung des Schadens durch den Sachverständigen enthalten seien und deshalb nicht erneut berücksichtigt werden könnten. Weitere Kosten wie einen Teil der Leistungen aus dem Angebot der Firma L. und einen Teil der Architekten- und Mitarbeiterkosten sowie der Ausgaben für Ein- und Ausräumen, Aufräumen und Reinigung hat es im Anschluß an die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen als nicht notwendig und daher von der Ersatzpflicht der Beklagten nicht erfaßt angesehen. Im übrigen seien diese Positionen, soweit eine Notwendigkeit anzuerkennen sei, ebenfalls in die Aufstellung des Sachverständigen aufgenommen worden und deshalb schon bei der auf deren Grundlage ermittelten Ersatzansprüche berücksichtigt worden, was ihre erneute Einbeziehung ausschließe. Weiter hat es einen Abzug für die vom Sachverständigen bezeichnete Wertsteigerung infolge der Neuherstellung der Böden angenommen.
Diesen Überlegungen liegt eine sachliche Befassung mit den insoweit durch den Kläger geltend gemachten Schadenspositionen zugrunde und nicht – wie das Berufungsgericht zu meinen scheint – lediglich ihre Berücksichtigung im Rahmen einer größeren Abrechnung. Bei dieser Würdigung hat das Landgericht die einzelnen Schadenspositionen auf ihre materielle Berechtigung geprüft und einzelne von ihnen in der gegebenen Reihenfolge als zur Begründung der Klageforderung ungeeignet bezeichnet. Damit hat es diese in seine Entscheidung einbezogen und sie – soweit es sie als nicht berechtigt erklärt und deshalb nach dem Inhalt der Entscheidungsgründe als zur Ausführung der Klageforderung ungeeignet bezeichnet hat – abgewiesen mit der Folge, daß diese Abweisung vom Umfang der Rechtskraft erfaßt wird. Ihre Verwerfung mit der Begründung, insoweit stehe dem Kläger ein weiterer Anspruch nicht zu, nimmt daher an der Rechtskraft der Entscheidung teil und führt mit deren Eintritt zur endgültigen Abweisung der insoweit geltend gemachten Ansprüche bzw. Positionen mit der Folge einer entsprechenden Beschwer auf Seiten des Klägers.
b) Die infolge der nach alledem in der Zurückweisung einzelner Schadenspositionen liegende Beschwer des Klägers übersteigt den Betrag der für die Zulässigkeit seines Rechtsmittels erforderlichen Berufungssumme von 1.500,– DM (§ 511 ZPO). Dabei kann dahinstehen, ob in der Erklärung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers eine Klagerücknahme zu sehen ist, wie die Revision meint. Bereits der Kostenanschlag der Firma L., der nach Ansicht des Landgerichts lediglich zur Beseitigung von Schäden nicht notwendige Arbeiten zum Gegenstand hat, endet mit einem Aufwand von 22.002,43 DM ohne Mehrwertsteuer und liegt damit deutlich über der Berufungssumme, so daß es eines Eingehens auf die Frage, inwieweit diese auch bei den übrigen Positionen erreicht wird, nicht mehr bedarf.
Da die notwendige Beschwer mithin auch bei Unterstellung einer teilweisen Rücknahme der Klage mit Blick auf die vom Sachverständigen angenommene Wertsteigerung erreicht ist, erweist sich das Rechtsmittel jedenfalls als zulässig. Auch im Falle einer teilweisen Rücknahme der Klage in Höhe der Wertsteigerung wäre der Kläger im übrigen nicht gehindert gewesen, die entsprechenden Teilbeträge in der Berufungsinstanz im Wege der Klageerweiterung erneut in das durch die zulässige Berufung eröffnete Verfahren einzuführen. Ein Verzicht auf diese Ansprüche, der ihre Geltendmachung ausschließen könnte, ist in der Äußerung nicht zu sehen. Insoweit erweist sich die das Rechtsmittel zurückweisende Entscheidung des Berufungsgerichts daher auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
An die Annahme eines Verzichtes im Prozeß auf Rechte sind strenge Anforderungen zu stellen (BGH, Urt. v. 16.11.1993 - XI ZR 70/93, NJW 1994, 379; Urt. v. 22.6.1995 - VII ZR 118/94, MDR 1995, 1010 = ZIP 1995, 1195; Urt. v. 29.11.1995 - VIII ZR 293/94, NJW 1996, 588; Urt. v. 15.7.1997 - VI ZR 142/95, MDR 1997, 966 = NJW 1997, 3019). Dazu muß der Verzicht zwar nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden; er muß in der Erklärung, aus der er hergeleitet werden soll, aber eindeutig zum Ausdruck kommen (vgl. Sen.Beschl. v. 24.3.1987 - X ZB 23/89, GRUR 1987, 910 - Mittelohr-Prothese für die vergleichbare Problematik bei dem Verzicht auf technische Schutzrechte). Für die Annahme einer diesen Anforderungen genügenden Erklärung findet sich in den tatrichterlichen Feststellungen und in dem weiteren Akteninhalt keine tragfähige Grundlage. Ein derartiger Verzicht kann insbesondere nicht in der Erklärung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Termin vom 13. August 1997 vor dem Landgericht gesehen werden. Diese kann der Senat selbst auslegen, da sie eine Prozeßerklärung betrifft, deren Interpretation der uneingeschränkten Überprüfung im Revisionsverfahren unterliegt (vgl. BGH, Beschl. v. 13.5.1965 - Ia ZB 23/64, GRUR 1966, 146 - beschränkter Bekanntmachungsantrag; Urt. v. 18.6.1996 - VI ZR 325/95, MDR 1997, 94, 95; vgl. auch BGHZ 109, 19, 22; 115, 286, 290).
Die Äußerung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers war im Anschluß an die Anhörung des Sachverständigen gefallen. Als Ergebnis seiner Überlegungen hatte dieser auf der Grundlage der von ihm als berechtigt anerkannten Schadenspositionen einen Betrag in Höhe der Klageforderung als in jedem Fall eingetretenen Schaden bezeichnet, von dem allerdings eine bei Ausführung dieser Arbeiten notwendig eintretende, im einzelnen von ihm bezeichnete Werterhöhung abzusetzen sei. Angesichts dieses zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs konnten Gericht und Beklagte der unmittelbar darauf abgegebenen Erklärung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers nur entnehmen, daß dieser im Anschluß an die Äußerungen des Sachverständigen die Prüfungsreihenfolge bestimmen wollte, nach der jetzt zunächst der vom Sachverständigen in jedem Fall für berechtigt erklärte Teil in erster Linie bei der Prüfung der Klageforderung herangezogen werden sollte. Dabei kann offenbleiben, ob er auch die Angaben des Sachverständigen zur Höhe der Schadenspositionen übernehmen wollte. Auch wenn man hiervon ausgeht, läßt sich daraus ein Verzicht des Klägers auf weitergehende Ansprüche nicht herleiten. Für seinen Prozeßbevollmächtigten bestand aus der Sicht von Gericht und Gegner allenfalls Anlaß, im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen zur Erleichterung des weiteren Verfahrens die Schadenspositionen anzugeben, bei denen nach der Beweislage davon ausgegangen werden konnte, daß der Kläger den ihm obliegenden Nachweis eines Schadenseintrittes geführt hatte. Demgegenüber war auch für sie ein Grund nicht zu erkennen, der den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zum Verzicht auf weitergehende Ansprüche hätte veranlassen können. Eine solche Erklärung hätte allenfalls im Hinblick auf die Kostenverteilung für den Kläger von Vorteil sein können. Dem stand als Nachteil der endgültige Verlust der Ansprüche oder – soweit der Verzicht nur ihre Geltendmachung im vorliegenden Verfahren betreffen sollte – zumindest die Unmöglichkeit ihrer weiteren Geltendmachung in diesem Rechtsstreit gegenüber. Diese Nachteile wogen auch aus der Sicht der Beklagten ungleich schwerer als eine mögliche Belastung mit Kosten, die der Kläger ohnehin bereits mit dem Anhängigmachen seiner Klage eingegangen war. Daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers diese Nachteile gleichwohl hatte eingehen wollen, konnten Gericht und Gegner ohne zusätzliche, ein solches Verständnis erst ermöglichende Äußerungen nicht annehmen. Das schließt die Annahme eines konkludent erklärten Verzichtes aus.
Unterschriften
Rogge, Melullis, Jestaedt, Scharen, Keukenschrijver
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.07.1999 durch Schanz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 539426 |
BB 1999, 2103 |
NJW 1999, 3564 |
BauR 2000, 140 |
BauR 2000, 943 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2000, 349 |