Verfahrensgang
LG Kempten (Urteil vom 21.10.2003) |
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Kempten vom 21. Oktober 2003 mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die der Nebenkläger. Die von den Nebenklägern erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig, weil sie nicht ausgeführt wurde (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge beanstanden die Revisionen die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke und erstreben eine Verurteilung wegen Mordes. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gab es zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin, Frau B., wie schon häufiger zuvor, Streit. Sie verließ die Wohnung, schlug die Tür zu und ging bis zum Beginn der in das Erdgeschoß führenden Treppe. Der Angeklagte folgte ihr und holte sie ein. Sie sagte nun zu ihm, daß er gut im Bett sei und ihr im Haushalt helfe, jedoch in der Gesellschaft unmöglich sei. Sie sei etwas Besseres und er nichts. Danach drehte sie sich um und begann, die Treppe hinunterzugehen. Mit einem Angriff des Angeklagten rechnete sie nicht. In der Beziehung war es nie zu Gewalttätigkeiten gekommen. Der ca. 1,85 m große und 90 kg schwere Angeklagte war durch die Worte seiner Lebensgefährtin erregt und wollte diese zunächst zurückhalten. Er packte mit der linken Hand die ca. 1,60 m große Frau, die ihm den Rücken zugedreht hatte, am Hals und würgte sie. Gleichzeitig hielt er ihr mit der rechten Hand den Mund zu und preßte ihren Hinterkopf gewaltsam gegen seine Brust. Als der Angeklagte seine Lebensgefährtin in den Würgegriff genommen hatte, entschloß er sich, sie solange zu würgen, bis sie tot sei. Unter Ausnutzung seiner körperlichen Überlegenheit würgte er sie mindestens eine Minute lang, bis sie entsprechend seiner Absicht verstorben war. Abwehrverletzungen wurden beim Tatopfer nicht festgestellt.
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe sie nur festhalten und nicht töten wollen.
2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere von Heimtücke, hat es ausgeschlossen. Zwar sei die Frau objektiv arglos gewesen und habe mit einem Angriff des Angeklagten nicht gerechnet, als sie die Treppe hinuntergehen wollte. Es gebe jedoch keinen Nachweis dafür, daß der Angeklagte diese Arglosigkeit bewußt zur Tötung ausgenutzt habe. Vielmehr sei die Kammer überzeugt, daß der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt habe, als er die Frau gepackt hatte. Zu diesem Zeitpunkt sei sie dann nicht mehr arglos gewesen. Die Hauptverhandlung habe auch nicht ergeben, daß es vor der Tat zu keinem Wortwechsel gekommen, der Angeklagte der arglosen Frau von der Wohnung bis zur Treppe nur nachgeschlichen sei und diese dann, ohne irgendeine Vorwarnung, erwürgt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewußtes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch den Angeklagten verneint hat.
1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, daß der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.Nachw.). Das Opfer muß gerade aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, daß keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs.
2. An diesen Maßstäben gemessen, hält die Bewertung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Der erste Angriff auf das Opfer war hier ein Würgegriff von hinten an den Hals. Ein solcher verbunden mit dem gleichzeitigen Zuhalten des Mundes und gewaltsamen Pressen des Hinterkopfes gegen die Brust stellt nach seinem objektiven Erscheinungsbild einen tätlichen Angriff auf das Leben dar. Beweisanzeichen dafür, daß der Angeklagte diese Vorgehensweise gewählt hat, um Frau B. zurückzuhalten, lediglich am Weggehen zu hindern, hat das Landgericht nicht festgestellt. Das äußere Tatgeschehen, das in Fallgestaltungen der vorliegenden Art besonderen Beweiswert für die subjektive Tatseite hat, legt vielmehr den Schluß nahe, daß dieser Angriff mit Tötungsvorsatz erfolgte, zumal der Angeklagte Frau B. dann auch tatsächlich erwürgt hat. Sich dazu aufdrängende Darlegungen fehlen.
Ferner sieht das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er habe seine Lebensgefährtin nur festhalten und nicht töten wollen, insoweit als widerlegt an, als er ab Beginn des Würgevorgangs mit direktem Tötungsvorsatz handelte, nicht aber beim Setzen des Würgegriffes. Bei einem derart massiven einheitlichen tätlichen Angriff hätte erörtert werden müssen, warum das Landgericht nicht von einer einheitlichen Motivation ausgegangen ist.
Im übrigen läßt der festgestellte Geschehensablauf eine zeitliche Zäsur dahingehend nicht erkennen, daß das Opfer den Angriff auf sein Leben erkannt hätte, als der Angeklagte den Tötungsvorsatz faßte, und ihm deshalb auch noch hätte ausweichen können, somit nicht arglos gewesen sei.
b) Selbst wenn der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt haben sollte, als er Frau B. in den Würgegriff genommen hatte, so schließt dies die Arglosigkeit seines Opfers nicht von vornherein aus. Wie bereits oben ausgeführt, ist das Merkmal der Arglosigkeit auch dann gegeben, wenn bei offen feindseligem Verhalten das Opfer die Tötungsabsicht noch im letzten Augenblick erkennt, aber nicht mehr reagieren kann. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der überraschende Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird, oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, daß der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3). Der vorausgegangene Wortwechsel beseitigte hier nach der Überzeugungsbildung des Landgerichts die Arglosigkeit des Opfers nicht. Es wurde vielmehr durch den ersten tätlichen Angriff von hinten in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran gehindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen, was die fehlenden Abwehrverletzungen bestätigen.
c) Für das bewußte Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535). Wenn der Angeklagte seine Lebensgefährtin in der beschriebenen Art und Weise von hinten packte, der gegenüber er trotz vieler Streitigkeiten noch nie Gewalt ausgeübt hatte, liegt die Annahme nahe, daß er sich des überraschenden Angriffs bewußt war. Die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es ein Ausnutzungsbewußtsein verneint, sind nur auf dem Hintergrund der zeitlichen Einordnung des Tötungsvorsatzes und der daraus folgenden rechtsfehlerhaften Bewertung der Arglosigkeit nachvollziehbar. Daraus hat das Landgericht nicht tragfähige Schlüsse auf das Ausnutzungsbewußtsein gezogen. Der Annahme eines solchen steht auch die Erregung des Angeklagten nicht entgegen. Das Landgericht hat nicht festgestellt, daß der Angeklagte die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erregung nicht in sein Bewußtsein aufgenommen hat.
3. Bei dieser Sachlage liegt Mord in der Begehungsform der Heimtücke nahe. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben.
Unterschriften
Nack, Wahl, Kolz, Hebenstreit, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2557505 |
JuS 2004, 1017 |
BA 2005, 161 |