Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz gegen eine Enschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein von einer GmbH, die die Erlaubnis, Finanzkommissionsgeschäfte und Finanzportfolioverwaltungsleistungen zu erbringen besitzt, konzipiertes kollektives Anlagemodell kann dem Anwendungsbereich des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes unterfallen.
2. Die Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs setzt nicht den Erlass eines förmlichen Bescheids durch die Entschädigungseinrichtung voraus.
Normenkette
EAEG § 4 Abs. 1; KWG § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 4, Abs. 1a S. 2 Nr. 3; EAEG § 5 Abs. 4; InsO § 47 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Vorbehaltsurteil der Zivilkammer 51 des Landgerichts Berlin in Berlin-Mitte vom 27. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagten werden die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten ihrer Streithelferin, die diese selbst zu tragen hat, auferlegt.
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die beklagte Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen im Urkundenprozess auf Entschädigung nach dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz (im Folgenden: EAEG) in Anspruch.
Rz. 2
Die Klägerin beteiligte sich im Oktober 2002 mit einem Anlagebetrag von 3.000 EUR zuzüglich eines 5%-igen Agios in Höhe von 150 EUR an dem Phoenix Managed Account (im Folgenden: PMA), einer von der Phoenix Kapitaldienst GmbH (im Folgenden: P. GmbH) im eigenen Namen und für gemeinsame Rechnung der Anleger verwalteten Kollektivanlage, deren Gegenstand nach Nummer 1.4 der in den Geschäftsbesorgungsvertrag einbezogenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (im Folgenden: AGB) die Anlage der Kundengelder in „Termingeschäften (Futures und Optionen) für gemeinsame Rechnung zu Spekulationszwecken mit Vorrang von Stillhaltergeschäften” war.
Rz. 3
Die P. GmbH war bis Ende 1997 auf dem sogenannten Grauen Kapitalmarkt tätig. Ab dem 1. Januar 1998 wurde sie als Wertpapierhandelsbank eingestuft und der Aufsicht des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel unterstellt. Sie besaß die Erlaubnis, Finanzkommissionsgeschäfte und Finanzportfolioverwaltungsleistungen zu erbringen. Spätestens seit dem Jahr 1998 legte die P. GmbH nur noch einen geringen Teil der von ihren Kunden vereinnahmten Gelder vertragsgemäß in Termingeschäften an. Ein Großteil der Gelder wurde im Wege eines „Schneeballsystems” für Zahlungen an Altanleger und für die laufenden Geschäfts- und Betriebskosten verwendet. An die Klägerin wurden keine Auszahlungen geleistet.
Rz. 4
Im März 2005 untersagte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht der P. GmbH den weiteren Geschäftsbetrieb und stellte am 15. März 2005 den Entschädigungsfall fest. Am 1. Juli 2005 wurde über das Vermögen der P. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet.
Rz. 5
Mit Schreiben vom 14. April 2009 gewährte die Beklagte der Klägerin eine Teilentschädigung von 1.707,48 EUR. Unter Abzug des Agios und Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Gewinne und Verluste sowie der vertraglich vereinbarten Handels- und Bestandsprovisionen errechnete die Beklagte einen „Endstand der Beteiligung” der Klägerin von 2.816,53 EUR. Davon zog sie in Höhe von 919,33 EUR einen Einbehalt wegen eines möglichen Aussonderungsrechts der Klägerin an den auf den (Treuhand-)Konten noch vorhandenen Geldern und den gesetzlichen Selbstbehalt von 10% ab. Insoweit berief sie sich darauf, dass der Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. GmbH zur Frage des Bestehens von Aussonderungsrechten Rechtsgutachten eingeholt und Wirtschaftsprüfer beauftragt habe, die in ihren Gutachten zu unterschiedlichen Berechnungsmethoden mit unterschiedlichen Ergebnissen gekommen seien.
Rz. 6
Mit der im Urkundenprozess erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung des einbehaltenen Betrags von 919,33 EUR. Sie ist der Ansicht, der Einbehalt wegen eines etwaigen Aussonderungsrechts oder – hilfsweise – die Abzüge für Agio und Bestandsprovisionen seien nicht gerechtfertigt. Die Beklagte hat im Hinblick auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, WM 2011, 798) ihre Auffassung, der Klägerin stehe an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH ein Aussonderungs- oder Mitaussonderungsrecht zu, im Revisionsverfahren aufgegeben. Sie meint jedoch, dass der geltend gemachte Entschädigungsanspruch noch nicht fällig sei. Die erst im Laufe des Revisionsverfahrens beigetretene Streithelferin der Beklagten hält den Entschädigungsanspruch bereits dem Grunde nach für nicht gegeben, weil das von der P. GmbH konzipierte kollektive Anlagemodell nicht in den Anwendungsbereich des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes falle.
Rz. 7
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht der Klage in Höhe von 827,40 EUR stattgegeben, die weitergehende Berufung zurückgewiesen und der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten. Mit der – vom Berufungsgericht zugelassenen – Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Revision ist unbegründet.
I.
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 10
Es könne offen bleiben, ob die Einwendung etwaiger Aussonderungsrechte nach § 47 InsO als im Urkundenprozess unstatthaft zurückzuweisen sei, weil die Richtigkeit der zugrunde liegenden Tatsachen nur dem Zeugen- oder Sachverständigenbeweis zugänglich sei. Der Einbehalt wegen etwaig bestehender Aussonderungsrechte sei nämlich bereits aus Rechtsgründen unzulässig. Insolvenzrechtliche Aussonderungsrechte fielen nicht unter die Zurückbehaltungsrechte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG, weil diese nicht dem Institut zustehen würden. Soweit sich entgegenstehende Anhaltspunkte den Gesetzgebungsmaterialien entnehmen ließen, komme dem mangels Niederschlag im Gesetzeswortlaut keine Bedeutung zu. Zudem stünden gesetzessystematische und teleologische Erwägungen einem Einbehalt entgegen.
Rz. 11
Der Klägerin stehe daher die Auszahlung des einbehaltenen Betrages zu, von dem allerdings der gesetzliche Selbstbehalt von 10% abzuziehen sei, so dass sich der Zahlungsanspruch nur auf 827,40 EUR belaufe. Darüber hinaus habe die Klägerin keinen weitergehenden Entschädigungsanspruch. Die rechnerisch auf das Agio und die Bestandsprovisionen entfallenden Beträge würden nicht von § 4 Abs. 1 EAEG erfasst, weil diese Beträge von vornherein nicht für den Erwerb oder die Verschaffung von Wertpapieren bestimmt gewesen seien.
II.
Rz. 12
Diese Beurteilung hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Prüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist. Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 und 2, § 5 Abs. 1 und 4 EAEG ein fälliger Anspruch auf Zahlung einer weiteren Entschädigung in Höhe von 827,40 EUR zu.
Rz. 13
1. Die P. GmbH war ein der beklagten Entschädigungseinrichtung zugeordnetes Institut i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3 EAEG. Sie hatte eine Erlaubnis zum Betreiben von Finanzkommissionsgeschäften i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG und zum Erbringen der Finanzportfolioverwaltung i.S.d. § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG. Hierbei handelt es sich gemäß § 1 Abs. 3 EAEG um Wertpapiergeschäfte im Sinne dieses Gesetzes. Solche Geschäfte hatte die P. GmbH im Rahmen des von ihr konzipierten kollektiven Anlagemodells, das – entgegen der Auffassung der Streithelferin der Beklagten – dem Anwendungsbereich des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes unterfällt, auch der Klägerin gegenüber zu erbringen.
Rz. 14
a) Zwischen der Klägerin und der P. GmbH ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag über die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten (hier: Derivate, § 1 Abs. 11 Sätze 1 und 4 KWG) im eigenen Namen für fremde Rechnung geschlossen worden (Nr. 1.1 AGB). Die Klägerin beteiligte sich mit ihren Einzahlungen an der Kollektivanlage, dem PMA. Dieser sollte aus von verschiedenen Kunden herrührenden Einzahlungen bestehen, die miteinander in einem Ausführungskonto vermischt werden sollten. Das PMA sollte von der P. GmbH "als ein Ausführungskonto geführt und für gemeinsame Rechnung aller Kunden disponiert” werden (Nr. 1.1 Satz 3 und 4 AGB). Ein umfassendes Weisungsrecht des einzelnen Kunden bestand nicht. Vielmehr hatten die Kunden die P. GmbH ermächtigt, "alle Handlungen vorzunehmen und Erklärungen abzugeben, die im Rahmen einer ordnungsmäßigen Geschäftsbesorgung und Verwaltung notwendig und angemessen” waren (Nr. 1.3 AGB). Die P. GmbH hatte sich darüber hinaus das Recht ausbedungen, die Einzeldispositionen über die Poolkonten sachverständigen Dritten zu überlassen und diesen Personen „Ermessensvollmacht (discretionary power)" einzuräumen (Nr. 4 AGB). Die P. GmbH handelte im Rahmen der Besorgung der Termingeschäfte gegenüber Dritten im eigenen Namen auf Rechnung der Gemeinschaft der Beteiligten (Nr. 2.1 AGB). Zur Ausführung der Geschäftsbesorgung sollten bei den ausführenden Brokern und bei Instituten, bei denen die Gelder und Positionen des PMA deponiert bzw. gehalten wurden, Konten ausschließlich für dessen Gelder eingerichtet werden; diese Konten sollten als Treuhandkonten für das PMA ausgewiesen werden (Nr. 5.1 AGB).
Rz. 15
b) Das Anlagemodell der P. GmbH ist als Finanzkommissionsgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG zu qualifizieren. Dagegen sind eine Finanzportfolioverwaltung und -entgegen der Ansicht der Streithelferin der Beklagten -ein dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz nicht unterfallender sogenannter Organismus für gemeinsame Anlagen zu verneinen.
Rz. 16
aa) Ein Finanzkommissionsgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG ist die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten im eigenen Namen für fremde Rechnung. Das Institut muss daher für den Kunden im Wege der Kommission, wie sie in den §§ 383 ff. HGB geregelt ist, d.h. vor allem in sogenannter verdeckter Stellvertretung, tätig werden. Dabei müssen allerdings – wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 130, 262 Rn. 26 [BVerwG 27.02.2008 – BVerwG 6 C 11.07] und 51 = WM 2008, 1359; BVerwG, ZIP 2009, 1899 Rn. 30 [BVerwG 08.07.2009 – BVerwG 8 C 4.09]) in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur (Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 3. Aufl., § 1 Rn. 61a mwN; Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG, § 1 Rn. 44; Assmann in Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., § 2 Rn. 69) mit zutreffenden Gründen annimmt – nicht alle Merkmale des Kommissionsgeschäfts nach §§ 383 ff. HGB gegeben sein. Es ist grundsätzlich ohne Belang, ob die nach dem Gesetz bestehenden Rechte und Pflichten des Kommissionärs bzw. des Kommittenten – soweit sie nicht nach § 402 HGB unabdingbar sind – im Einzelfall abgeändert oder aufgehoben sind. Entscheidend ist vielmehr, dass das zwischen dem Institut und seinem Kunden abgeschlossene Rechtsgeschäft hinreichende Ähnlichkeit mit dem in §§ 383 ff. HGB geregelten Typus des Kommissionsgeschäfts aufweist, um noch diesem Typus zugeordnet werden zu können. Dagegen ist eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise bei der Auslegung des Merkmals „für fremde Rechnung” von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG nicht gedeckt (BVerwGE 130, 262 Rn. 51 = WM 2008, 1359 [BVerwG 27.02.2008 – BVerwG 6 C 11.07]).
Rz. 17
Diese Auslegung steht mit der Richtlinie 93/22/EWG des Rates vom 10. Mai 1993 über Wertpapierdienstleistungen (ABl. EG 1993 L 141 S. 27) und der – diese Richtlinie ablösenden – Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente (ABl. EU 2004 L 145 S. 1) in Einklang. Die Richtlinie 93/22/EWG definiert in Anhang Abschnitt A Nr. 1 Buchst. b als Dienstleistung unter anderem die Ausführung von Aufträgen für fremde Rechnung und umfasst insoweit die Anschaffung oder Veräußerung von Finanzinstrumenten (Anhang Abschnitt B der Richtlinie) für Kunden im Wege der Abschlussvermittlung (offene Stellvertretung) oder im Wege der Kommission (verdeckte Stellvertretung); entsprechendes ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2004/39/EG. Der Wortlaut dieser Definition („Ausführung von Aufträgen”) legt nahe, dass sich die Dienstleistung nur auf einzelne Aufträge über bestimmte Finanzinstrumente bezieht. Dies wird bestätigt durch die Systematik der Regelung der Wertpapierdienstleistungen in Anhang Abschnitt A der Richtlinie 93/22/EWG, die zwischen der Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten für Dritte (Nummer 1 Buchst. b und Nummer 2) und der Vermögensverwaltung (Nummer 3: „individuelle Verwaltung einzelner Portefeuilles mit einem Ermessensspielraum”) unterscheidet, und durch die Abgrenzung zu den Organismen für gemeinsame Anlagen, die von der Geltung der Richtlinie 93/22/EWG (Art. 2 Abs. 2 Buchst. h) ausgenommen sind (vgl. BVerwGE 130, 262 Rn. 49 = WM 2008, 1359 [BVerwG 27.02.2008 – BVerwG 6 C 11.07]). Entsprechendes ergibt sich aus der Richtlinie 2004/39/EG (siehe Art. 4 Abs. 1 Nr. 5, 6 und 9 sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. h).
Rz. 18
Unter Finanzportfolioverwaltung i.S.d. § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG ist die Verwaltung einzelner in Finanzinstrumenten angelegter Vermögen für andere mit Entscheidungsspielraum des Instituts zu verstehen. Dies ist eine auf die laufende Überwachung und Anlage von Vermögensobjekten gerichtete Tätigkeit, wobei die einzelnen Kundenvermögen nicht getrennt in einzelnen Portfolios angelegt werden müssen, sondern auch in einem Portfolio zusammengefasst werden können (vgl. BVerwGE 122, 29, 35 [BVerwG 22.09.2004 – 6 C 29.03] mwN unter Hinweis auf BT-Drucks. 13/7142, S. 66; BVerwG, ZIP 2010, 1170 Rn. 26 [BVerwG 24.02.2010 – BVerwG 8 C 10.09]). Nicht erforderlich ist, dass ein bereits in Finanzinstrumenten angelegtes Vermögen vorhanden ist; § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG erfasst auch Erstanlageentscheidungen (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2003 – 1 StR 24/03, BGHSt 48, 373, 385 = WM 2004, 69, 73; BVerwGE 122, 29, 35 f.). Falls das verwaltende Institut keine Befugnis zum Betreiben des Depotgeschäfts i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 KWG besitzt, darf es die in dem Portfolio enthaltenen Wertpapiere nicht selbst verwalten, sondern ist verpflichtet, diese auf einem Depotkonto des Kunden bei einem dazu befugten Unternehmen verwahren zu lassen. Der Finanzportfolioverwalter muss „für andere” tätig sein, d.h., er handelt regelmäßig nicht im eigenen Namen, sondern als Bevollmächtigter seiner Kunden (vgl. BVerwGE 130, 262 Rn. 58 = WM 2008, 1359 [BVerwG 27.02.2008 – BVerwG 6 C 11.07]; BVerwG, ZIP 2009, 1899 Rn. 34 [BVerwG 08.07.2009 – BVerwG 8 C 4.09]) und in deren Interesse (vgl. BVerwGE 122, 29, 37 [BVerwG 22.09.2004 – 6 C 29.03]), wobei ihm aber bei der Vermögensanlage ein Entscheidungsspielraum zusteht (vgl. BVerwGE 122, 29, 43 ff. [BVerwG 22.09.2004 – 6 C 29.03]; BVerwG, ZIP 2010, 1170 Rn. 28 [BVerwG 24.02.2010 – BVerwG 8 C 10.09]).
Rz. 19
Demgegenüber haben Organismen für gemeinsame Anlagen noch keine umfassende Regelung erfahren. Eine Sonderform dieser Organismen stellen Investmentfonds dar, die der Richtlinie 85/611/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. EG 1985 L 375 S. 3) bzw. ihrer Neufassung, der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 (ABl. EU 2009 L 302 S. 32), unterfallen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie „beim Publikum beschaffte Gelder für gemeinsame Rechnung nach dem Grundsatz der Risikostreuung in Wertpapieren” anlegen und ihre Anteile beim Publikum vertreiben (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinien 85/611/EWG und 2009/65/EG). Der deutsche Gesetzgeber hat diese Richtlinie(n) zunächst durch das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften und seit dem 1. Januar 2004 durch das Investmentgesetz in nationales Recht umgesetzt. Außerdem hat er aufgrund des Gesetzes zur Fortentwicklung des Pfandbriefrechts vom 20. März 2009 (BGBl. I S. 607) mit Wirkung vom 26. März 2009 in § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 11 KWG eine Regelung zum Tatbestand der Anlageverwaltung eingefügt, die sich nach der Gesetzesbegründung auf die sogenannten Organismen für gemeinsame Anlagen beziehen soll (vgl. BT-Drucks. 16/11130, S. 43).
Rz. 20
bb) Nach diesen Maßgaben hat das Bundesverwaltungsgericht das PMA als Finanzkommissionsgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG angesehen (vgl. BVerwGE 116, 198, 200 ff. = WM 2002, 1919, 1921 f. [BVerwG 24.04.2002 – 6 C 2/02]; bestätigt von BVerwGE 130, 262 Rn. 56 = WM 2008, 1359 [BVerwG 27.02.2008 – BVerwG 6 C 11.07]). Dies hat es damit begründet, dass Grundlage der Tätigkeit der P. GmbH Verträge über den Handel mit Finanzinstrumenten im eigenen Namen für Rechnung der Kunden gewesen seien. Die von der Aufsichtsbehörde beanstandete Vermischung der Gelder der Kunden in einem „Finanzpool” hat es wegen Verstoßes gegen das aus § 34a WpHG folgende Gebot zur getrennten Verwahrung der Kundengelder für unzulässig erklärt und die entsprechende aufsichtsrechtliche Untersagungsverfügung bestätigt (vgl. BVerwGE 116, 198, 200 ff. = WM 2002, 1919, 1921 ff. [BVerwG 24.04.2002 – 6 C 2/02]).
Rz. 21
Dieser Beurteilung hat sich der Senat in dem Verfahren XI ZR 26/10 – in Übereinstimmung mit den Parteien dieses Rechtsstreits – mit Urteil vom 23. November 2010 (BGHZ 187, 327 Rn. 13) angeschlossen. Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits halten ebenfalls ein Finanzkommissionsgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG für gegeben. Soweit nunmehr erstmals in der Revisionsinstanz von der Streithelferin der Beklagten das Vorliegen eines Finanzkommissionsgeschäfts oder eines anderen Wertpapiergeschäfts i.S.d. § 1 Abs. 3 EAEG in Frage gestellt wird, hat dies keinen Erfolg.
Rz. 22
(1) Entgegen der Auffassung der Streithelferin der Beklagten ist ein Finanzkommissionsgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG nicht bereits deshalb zu verneinen, weil der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, WM 2011, 798 Rn. 30, für BGHZ bestimmt) die Tatbestandsvoraussetzungen eines Kommissionsgeschäfts im Sinne von §§ 383 ff. HGB mangels eines Weisungsrechts der Anleger (§ 384 Abs. 1 Halbs. 2 HGB) verneint hat. Dessen rechtliche Würdigung ist zwar zutreffend, schließt aber das Vorliegen eines Finanzkommissionsgeschäfts i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG nicht aus, weil dieser Begriff -wie oben dargelegt -über denjenigen des handelsrechtlichen Kommissionsgeschäfts hinausgeht und nur eine hinreichende Ähnlichkeit mit dem in §§ 383 ff. HGB geregelten Typus des Kommissionsgeschäfts fordert.
Rz. 23
(2) In der Literatur ist umstritten, wie ein Anlagemodell, das nach den vertraglichen Vereinbarungen als Vermögensverwaltung in Form eines Treuhandmodells entworfen worden ist, rechtlich einzuordnen ist. Nach einer Auffassung (Sethe, Anlegerschutz im Recht der Vermögensverwaltung, S. 717 ff.; Balzer, EWiR 2005, 633, 634 [BGH 07.12.2004 – XI ZR 361/03]) liegt ein Finanzkommissionsgeschäft vor; dies wird vor allem damit begründet, dass der treuhänderisch tätige Vermögensverwalter die Finanzinstrumente im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung erwirbt und veräußert (Sethe aaO, S. 718). Nach anderer Ansicht unterfällt die Verwaltung fremder Vermögen – und zwar unabhängig davon, ob es sich um ein Treuhandmodell oder ein Vertretermodell handelt – der Finanzportfolioverwaltung (Assmann in Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl., § 2 Rn. 104; Fuchs/Fuchs, WpHG, § 2 Rn. 100; Versteegen in Kölner Kommentar zum WpHG, § 2 Rn. 150; jeweils mwN). Vorliegend kämen beide Auffassungen zu einer Entschädigungspflicht der Beklagten, weil die P. GmbH die Erlaubnis besaß, sowohl Finanzkommissionsgeschäfte als auch Finanzportfolioverwaltungsleistungen zu erbringen.
Rz. 24
(3) Der Senat hält an seiner Auffassung fest, dass das PMA als Finanzkommissionsgeschäft i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG anzusehen ist. Nach den vertraglichen Vereinbarungen hat es eine noch hinreichende Ähnlichkeit zu dem in §§ 383 ff. HGB geregelten Typus des Kommissionsgeschäfts.
Rz. 25
(a) Nach Nr. 2.1 AGB handelte die P. GmbH im Rahmen der Besorgung der Termingeschäfte gegenüber Dritten im eigenen Namen auf Rechnung der Gemeinschaft der Beteiligten. Diese – in der Überschrift zu Nr. 2 AGB auch als solche bezeichnete – verdeckte Stellvertretung ist das typische Merkmal eines Kommissionsgeschäfts (§ 383 Abs. 1 HGB).
Rz. 26
Die Tätigkeit der P. GmbH "für fremde Rechnung” wird durch Nr. 5.1 AGB bestätigt, wonach zur Ausführung der Geschäftsbesorgung bei den ausführenden Brokern und bei Instituten, bei denen die Gelder und Positionen des PMA deponiert bzw. gehalten wurden, Konten ausschließlich für dessen Gelder eingerichtet werden sollten; diese Konten sollten als Treuhandkonten für das PMA ausgewiesen werden, also für die – im Vertragswerk an mehreren Stellen genannte – Gemeinschaft der Beteiligten. Insoweit nimmt der einzelne Kunde – wie dies auch bei der Kommission der Fall ist – unmittelbar an Kurssteigerungen oder -verlusten der erworbenen Finanzinstrumente teil. Aufgrund der vertraglichen Vereinbarung hätte den Kunden bei vertragsgemäßer Durchführung der Auftragsabwicklung an den Einlagen- und Brokerkonten ein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO zugestanden, weil diese nach der vertraglichen Vereinbarung als Treuhandkonten eingerichtet werden sollten. Nach dem Urteil des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, WM 2011, 798, für BGHZ bestimmt), dessen Ausführungen sich der Senat anschließt, scheiterte ein Aussonderungsrecht der Anleger an den Einlagenkonten ausschließlich daran, dass die P. GmbH sich nicht an die vertraglichen Abreden hielt, sondern die Kundengelder vertragswidrig zu eigenen Zwecken verwandte und mit eigenem Geld vermischte (aaO, Rn. 14 ff.), während ein Aussonderungsrecht an den Brokerkonten deshalb nicht bejaht werden konnte, weil tatrichterliche Feststellungen dazu fehlten, ob die P. GmbH in Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtung gegenüber den Anlegern aus Nr. 5.1 AGB tatsächlich bei den ausführenden Brokern solche Treuhandkonten eingerichtet hatte (aaO, Rn. 24 ff.). Im Gegensatz zu der Sichtweise des Insolvenzrechts kommt es für die Frage der Einordnung eines Anlagemodells unter den Schutzbereich des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes indes auf die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien und nicht auf deren (möglicherweise vertragswidrige) Durchführung an. Denn das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz soll den Anleger gerade vor solchen Verletzungen einer vertraglichen Hauptpflicht schützen, durch die die Ansprüche des Kunden auf die Verschaffung von Rechten, Besitz oder Eigentum an Geldern oder Wertpapieren vereitelt werden (vgl. Senatsurteil vom 23. November 2010 – XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 24 mwN).
Rz. 27
(b) Entgegen der Auffassung der Streithelferin der Beklagten spricht gegen die Charakterisierung des PMA als Finanzkommissionsgeschäft nicht der Umstand, dass die P. GmbH nicht jeweils einzelne Aufträge ihrer Kunden abgewickelt, sondern diese gebündelt hat. Die tatsächliche Zusammenfassung mehrerer Kundenaufträge ändert nichts daran, dass Grundlage der Tätigkeit der P. GmbH einzelne Verträge über den Handel mit Finanzinstrumenten im eigenen Namen für Rechnung der Kunden waren.
Rz. 28
Die Vermischung der Gelder auf den Treuhandkonten verlangt ebenfalls keine andere Betrachtungsweise. Diese Handhabung ist vom Bundesamt für den Wertpapierhandel mit Bescheid vom 21. März 2000 beanstandet worden, weil sie gegen das Gebot der getrennten Verwahrung von Kundengeldern gemäß § 34a WpHG verstoßen und das Einvernehmen der Anleger mit der Verfahrensweise der P. GmbH die Anwendung dieser (zwingenden) Vorschrift nicht ausgeschlossen hat (vgl. BVerwGE 116, 198, 205 ff. = WM 2002, 1919, 1923 f. [BVerwG 24.04.2002 – 6 C 2/02]). Aufgrund dessen war die P. GmbH auch im Innenverhältnis zu ihren Kunden zu einer Trennung der Gelder verpflichtet.
Rz. 29
(c) Nach Nr. 10.3 AGB stand der P. GmbH des Weiteren eine Ausführungsprovision zu, was ebenfalls ein typisches Merkmal des Kommissionsgeschäfts ist (§ 396 Abs. 1 Satz 1 HGB).
Rz. 30
(d) Die Anleger hatten allerdings – worauf der IX. Zivilsenat mit Urteil vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, WM 2011, 798 Rn. 30, für BGHZ bestimmt) zu Recht hingewiesen hat – nach den vertraglichen Bestimmungen kein umfassendes Weisungsrecht i.S.d. § 384 Abs. 1 Halbs. 2 HGB. Dies hindert indes die Annahme eines Finanzkommissionsgeschäfts i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG nicht. Ein solches Weisungsrecht ist nach § 402 HGB abdingbar. Darüber hinaus haben die Anleger ihr Weisungsrecht auch nicht gänzlich aufgegeben. Vielmehr haben sie in Nr. 3.1 AGB eine Grundanweisung erteilt und die Befugnisse der P. GmbH auf den Handel mit Futures und Optionspositionen beschränkt. Der P. GmbH oblag damit (lediglich) die Auswahl der einzelnen Finanzinstrumente, die sie im Interesse der Kunden (§ 384 Abs. 1 Halbs. 2 HGB) vorzunehmen hatte.
Rz. 31
Das PMA weist zwar mit dem der P. GmbH eingeräumten Entscheidungsspielraum über den Abschluss der einzelnen Geschäfte (Nr. 1.3 AGB) auch Merkmale der Finanzportfolioverwaltung auf. Vom Finanzkommissionsgeschäft unterscheidet sich die Finanzportfolioverwaltung aber vor allem dadurch, dass der Finanzportfolioverwalter „für andere” tätig ist und daher regelmäßig nicht im eigenen Namen, sondern als Bevollmächtigter seiner Kunden handelt (vgl. BVerwGE 130, 262 Rn. 58 = WM 2008, 1359 [BVerwG 27.02.2008 – BVerwG 6 C 11.07]; BVerwG, ZIP 2009, 1899 Rn. 34 [BVerwG 08.07.2009 – BVerwG 8 C 4.09]). Dies ist hier nicht der Fall.
Rz. 32
(e) Anders als die Streithelferin der Beklagten meint, ist das PMA nicht als „Organismus für gemeinsame Anlagen” i.S.v. Art. 2 Abs. 2 Buchst. h der Richtlinie 93/22/EWG bzw. Art. 2 Abs. 1 Buchst. h der Richtlinie 2004/39/EG mit der Folge anzusehen, dass es vom System des europäischen Wertpapier- und Anlegerentschädigungsrechts ausgenommen sei.
Rz. 33
Dabei kann dahinstehen, ob der Anwendungsausschluss nach diesen Richtlinien nur eingreift, soweit das nationale Recht überhaupt eine Regelung für „Organismen für gemeinsame Anlagen” vorsieht (so BVerwGE 116, 198, 210 f. = WM 2002, 1919, 1925 [BVerwG 24.04.2002 – 6 C 2/02]; unklar BVerwG 130, 262 Rn. 49 = WM 2008, 1359). Das PMA ist nämlich bereits nach seiner Vertragskonstruktion nicht als ein solcher Organismus, sondern als Finanzkommissionsgeschäft einzuordnen. Gegen die Charakterisierung als Organismus für gemeinsame Anlagen spricht bereits formal, dass die P. GmbH keine „Anteile” an dem PMA ausgegeben hat, obwohl dies für solche Organismen – wie etwa Art. 1 Abs. 2 Spiegelstrich 2 der Richtlinie 85/611/EWG bzw. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2009/65/EG zeigen – ein typisches Merkmal ist. Entscheidend ist aber, dass das PMA – wie dargelegt – nach der vertraglichen Vereinbarung das zentrale Kriterium des Kommissionsgeschäfts aufweist und als Treuhandmodell konzipiert war sowie bei Beachtung des Gebots des § 34a WpHG auch (kunden-)individuelle Elemente hätte beinhalten müssen.
Rz. 34
(f) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht im Licht des neuen § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 11 KWG. Insbesondere ist danach keine einschränkende Auslegung des Begriffs des Finanzkommissionsgeschäfts i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG geboten. Nach § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 11 KWG sind Finanzdienstleistungen auch „die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten für eine Gemeinschaft von Anlegern, die natürliche Personen sind, mit Entscheidungsspielraum bei der Auswahl der Finanzinstrumente, sofern dies ein Schwerpunkt des angebotenen Produktes ist und zu dem Zweck erfolgt, dass diese Anleger an der Wertentwicklung der erworbenen Finanzinstrumente teilnehmen (Anlageverwaltung)".
Rz. 35
Mit dieser Regelung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers eine vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 130, 262 = WM 2008, 1359 [BVerwG 27.02.2008 – BVerwG 6 C 11.07]) beanstandete Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, den Betrieb bestimmter Anlagemodelle als erlaubnispflichtiges Finanzkommissionsgeschäft einzustufen, im Interesse des Anlegerschutzes legalisiert werden (vgl. BT-Drucks. 16/11130, S. 43). Die Neuregelung soll Angebote erfassen, bei denen Anleger über ihre Einbindung in gesellschaftsrechtliche Modelle, wie z.B. Treuhandkommanditmodelle, oder die Ausgabe von Genussrechten oder Schuldverschreibungen zusammengefasst werden (vgl. BT-Drucks. 16/11130, S. 43). Bei diesen Anlagemodellen handelte es sich jedoch ersichtlich um strukturell gänzlich andersartige Modelle als das PMA, das – wie oben dargelegt – als Finanzkommissionsgeschäft einzuordnen ist.
Rz. 36
(4) Nach alledem bedarf es – entgegen der Auffassung der Streithelferin der Beklagten – nicht einer Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV. Die Auslegung der Begriffe des Finanzkommissionsgeschäfts, der Finanzportfolioverwaltung und der Organismen für gemeinsame Anlagen durch den Senat weicht im Ergebnis nicht von derjenigen der Streithelferin ab. Vielmehr geht es allein um die Subsumtion eines konkreten Anlagemodells unter eine dieser Wertpapierdienstleistungen.
Rz. 37
2. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat am 15. März 2005 für die P. GmbH gemäß § 5 Abs. 1, § 1 Abs. 5 EAEG den Eintritt des Entschädigungsfalles festgestellt.
Rz. 38
3. Die Klägerin ist Gläubigerin der P. GmbH. Diese hat der Klägerin gegenüber eine Verbindlichkeit aus Wertpapiergeschäften nach § 1 Abs. 4 EAEG.
Rz. 39
Gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 EAEG in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2010; vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. November 2010 – XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 15) sind Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften Verpflichtungen eines Instituts zur Rückzahlung von Geldern, die Anlegern aus Wertpapiergeschäften geschuldet werden oder gehören und die für deren Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten werden. Wie der Senat mit Urteil vom 23. November 2010 (XI ZR 26/10, BGHZ 187, 327 Rn. 14 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, wird von dieser Vorschrift auch der von der Klägerin gegen die P. GmbH geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der von ihr eingezahlten Gelder, der seine Grundlage in § 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB hat, erfasst. Denn bei den vertragswidrig verwendeten Anlagegeldern handelt es sich um Gelder, die dem Anleger gehören und für dessen Rechnung im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften gehalten werden. Das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz bezweckt gerade auch den Schutz des Anlegers vor solchen Vertragsverletzungen eines Instituts, die den Anspruch des Kunden auf Rückzahlung der eingezahlten, aber vertragswidrig verwendeten Gelder vereiteln (Senatsurteil vom 23. November 2010, aaO, Rn. 28).
Rz. 40
4. Der Entschädigungsanspruch besteht – was die Beklagte mit Schreiben vom 14. April 2009 festgestellt und in der Klageerwiderung bekräftigt hat -in Höhe von 2.816,53 EUR abzüglich des gesetzlichen 10%-igen Selbstbehalts, mithin in Höhe von 2.534,88 EUR. Unter Berücksichtigung der Teilzahlung von 1.707,48 EUR steht der Klägerin somit noch der vom Berufungsgericht zuerkannte Restbetrag von 827,40 EUR zu. Ob der Klägerin darüber hinaus ein weitergehender Entschädigungsanspruch zusteht, weil die Beklagte – wie die Klägerin meint – den Ausgangsbetrag ihres Entschädigungsanspruchs nicht um das Agio und die Bestandsprovisionen kürzen durfte, bedarf keiner Entscheidung. Die Klägerin hat dies lediglich zur Stütze der Klageforderung hilfsweise geltend gemacht, ihr Teilunterliegen in der Berufungsinstanz aber nicht mit einer (Anschluss-)Revision angegriffen.
Rz. 41
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der zuerkannte Zahlungsanspruch allerdings nicht bereits deshalb zu bejahen, weil die Beklagte den rechnerisch ermittelten Ausgangsbetrag des Entschädigungsanspruchs grundsätzlich nicht in Höhe des der Klägerin etwaig nach § 47 Abs. 1 InsO zustehenden Aussonderungsrechts kürzen durfte. Ganz im Gegenteil gebietet § 4 Abs. 1 EAEG die Berücksichtigung von Aussonderungsrechten bei der Bemessung des Entschädigungsanspruchs.
Rz. 42
aa) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 1 EAEG. Danach richtet sich der Entschädigungsanspruch des Gläubigers, soweit hier von Interesse, nach Höhe und Umfang der ihm gegenüber bestehenden Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften unter Berücksichtigung etwaiger Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrechte des Instituts. Unter diese Gegenrechte des Instituts kann ein insolvenzrechtliches Aussonderungsrecht nicht subsumiert werden; hierunter fallen z.B. offene Provisions- oder Honorarforderungen. Anzuknüpfen ist vielmehr an den Begriff des Entschädigungsanspruchs.
Rz. 43
Eine Entschädigung setzt nach dem Wortsinn einen Schaden, d.h. einen Vermögensverlust, voraus. Dies folgt auch aus dem systematischen Zusammenhang mit § 4 Abs. 3 Satz 4 EAEG, in dem ausdrücklich auf den „durch den Entschädigungsfall eingetretene(n) Vermögensverlust” des Anlegers abgestellt wird. Ein solcher Vermögensverlust entsteht nicht, wenn und soweit dem Anleger ein Aussonderungsrecht nach § 47 Abs. 1 InsO zusteht. Der von dem Aussonderungsrecht erfasste Gegenstand gehört nicht zur Insolvenzmasse, sondern dem Gläubiger. Ein Vermögensverlust ist daher denklogisch nicht eingetreten, so dass in dem Umfang des Aussonderungsrechts auch kein Entschädigungsanspruch nach § 4 Abs. 1 EAEG besteht. Die möglichen Erschwernisse, die mit der Durchsetzung eines Aussonderungsrechts verbunden sein können, sollen dem Anleger durch das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz nicht abgenommen werden; hierfür fehlt es an jedem Anhalt im Gesetz oder der Gesetzesbegründung.
Rz. 44
bb) Diese Auslegung wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt. Danach soll das Anlegerentschädigungssystem (nur) eintreten, „wenn eine Wertpapierfirma nicht mehr in der Lage ist, die Gelder zurückzuzahlen, die sie Anlegern im Zusammenhang mit Wertpapiergeschäften schuldet, oder Wertpapiere oder andere Finanzinstrumente zurückzugeben, die Anlegern gehören und die die Firma für die Anleger verwahrt oder verwaltet” (BT-Drucks. 13/10188, S. 13). Ein Anleger soll „im Entschädigungsfall einen Anspruch gegen das Entschädigungssystem wegen Nichterfüllung von Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften … nur geltend machen (können), wenn das Institut ihm einen Anspruch auf Verschaffung von Besitz oder Eigentum an Finanzinstrumenten nicht erfüllen kann. Dies ist aufgrund der konkursrechtlichen Aussonderungsrechte nur für den Fall denkbar, dass die Finanzinstrumente unterschlagen oder veruntreut werden” (BT-Drucks. 13/10188, S. 17). Die Gesetzesbegründung ist eindeutig. Danach besteht im Umfang eines Aussonderungsrechts kein Entschädigungsanspruch nach § 4 Abs. 1 EAEG.
Rz. 45
cc) Die zwingende Berücksichtigung von Aussonderungsrechten bei der Bemessung des Entschädigungsanspruchs steht auch mit der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger (ABl. EG Nr. L 84 S. 22; im Folgenden: Anlegerentschädigungsrichtlinie) in Einklang. Die Richtlinie will dem Anleger einen Mindestschutz für den Fall gewährleisten, dass eine Wertpapierfirma nicht in der Lage ist, ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Anleger-Kunden nachzukommen (vierter Erwägungsgrund). Aufgrund dessen soll das Entschädigungssystem nur Gelder oder Instrumente abdecken, die von einer Wertpapierfirma im Entschädigungsfall nicht an den Anleger zurückgegeben werden können (achter Erwägungsgrund). Entsprechend sieht Art. 2 Abs. 4 der Richtlinie vor, dass die Höhe einer Anlegerforderung nach dem Betrag der Gelder oder dem Wert der Instrumente zu berechnen ist, die dem Anleger gehören und die die Wertpapierfirma nicht zurückzahlen oder zurückgeben kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Gelder oder Instrumente, die dem Anleger gehören und die ihm – wie im Falle eines Aussonderungsrechts – noch herausgegeben werden können, bei der Berechnung des Entschädigungsanspruchs anzurechnen sind.
Rz. 46
Auch die Anlegerentschädigungsrichtlinie gibt im Ansatz nichts dafür her, dass der Anleger die möglichen Erschwernisse, die mit der Durchsetzung eines Aussonderungsrechts verbunden sein können, auf die Entschädigungseinrichtung abwälzen könnte. Ganz im Gegenteil erkennt der Vorschlag der Europäischen Kommission vom 12. Juli 2010 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Systeme für die Entschädigung der Anleger (KOM(2010) 371 endgültig) ausdrücklich an, dass durch die Geltendmachung von Aussonderungsrechten zeitliche Verzögerungen bei der Entschädigung der Anleger entstehen können, die jedoch im Grundsatz von diesem zu tragen sind. Der Änderungsvorschlag sieht lediglich vor, dass der Anleger im Falle einer solchen, unter Umständen mehrjährigen Verzögerung einen Anspruch auf Auszahlung einer Teilentschädigung von einem Drittel erhalten soll.
Rz. 47
dd) Schließlich gebieten auch Sinn und Zweck des Einlagensicherungsund Anlegerentschädigungsgesetzes die Berücksichtigung von Aussonderungsrechten bei der Bemessung des Entschädigungsanspruchs. Das Gesetz dient unter anderem der Umsetzung der Anlegerentschädigungsrichtlinie und orientiert sich an deren Mindeststandards (siehe hierzu auch BT-Drucks. 13/10188, S. 13). Es will damit – wie die Richtlinie – dem Anleger nur einen Mindestschutz gewähren, um die Kostenbelastung für die zu beteiligenden Wertpapierfirmen möglichst gering zu halten (vgl. BT-Drucks. 13/10188, S. 2).
Rz. 48
Mit diesem Gesetzeszweck wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Entschädigungseinrichtung den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ohne Berücksichtigung bestehender Aussonderungsrechte erfüllen müsste. Denn in Höhe dieser Rechte ist dem Anleger keine Vermögenseinbuße entstanden, für die er entschädigt werden müsste.
Rz. 49
b) Das Berufungsgericht hat indes dem Klagebegehren im Ergebnis zu Recht in Höhe des zuerkannten Betrags entsprochen. Denn wie der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, WM 2011, 798 Rn. 12 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, scheidet eine Kürzung des Entschädigungsanspruchs der Klägerin aus, weil ihr an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH weder ein Aussonderungs- noch ein Mitaussonderungsrecht nach § 47 Abs. 1 InsO zusteht. Dies wird auch von der Revision nicht mehr in Frage gestellt.
Rz. 50
5. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Entschädigungsanspruch der Klägerin auch fällig.
Rz. 51
a) Der Begriff der Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, von dem an der Gläubiger die Leistung verlangen kann (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2007 – III ZR 159/06, WM 2007, 612 Rn. 16, in BGHZ 171, 33 nicht abgedruckt). Die Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs richtet sich nach § 5 Abs. 4 EAEG, der als spezielle Norm der allgemeinen Fälligkeitsregelung des § 271 Abs. 1 BGB vorgeht.
Rz. 52
aa) Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 EAEG in der Fassung des Gesetzes vom 21. Juni 2002 (BGBl. I S. 2010) hat die Entschädigungseinrichtung die angemeldeten Ansprüche unverzüglich zu prüfen und spätestens drei Monate, nachdem sie die Berechtigung und die Höhe der Ansprüche festgestellt hat, zu erfüllen. Damit sind die Ansprüche fällig. An dieser Rechtslage hat sich für den hier geltend gemachten und eine Verbindlichkeit aus Wertpapiergeschäften betreffenden Entschädigungsanspruch durch die am 30. Juni 2009 in Kraft getretene Neufassung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes und anderer Gesetze vom 25. Juni 2009 (BGBl. I S. 1528) nichts geändert. Danach hat die Entschädigungseinrichtung gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 EAEG die angemeldeten Ansprüche unverzüglich zu prüfen; nach § 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG hat sie Ansprüche, die auf die Entschädigung von Verbindlichkeiten des Instituts aus Wertpapiergeschäften gerichtet sind, spätestens drei Monate, nachdem sie die Berechtigung und die Höhe der Ansprüche festgestellt hat, zu erfüllen. Durch die Gesetzesänderung sind lediglich die der Einlagensicherung dienenden Entschädigungsansprüche einer beschleunigten Bearbeitung und Auszahlung durch die Entschädigungseinrichtung unterworfen worden.
Rz. 53
Entgegen der Auffassung der Revision setzt die Fälligkeit des Entschädigungsanspruchs nicht den Erlass eines förmlichen Bescheids durch die Entschädigungseinrichtung voraus. Dies ergibt sich aus einem Vergleich des § 5 Abs. 4 EAEG mit § 5 Abs. 1 EAEG. Bei der Feststellung des Entschädigungsfalles durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht gemäß § 5 Abs. 1 EAEG handelt es sich um einen Verwaltungsakt, gegen den – wie sich aus Satz 3 dieser Vorschrift ergibt – Widerspruch und Anfechtungsklage statthaft sind. Eine entsprechende Regelung fehlt in § 5 Abs. 4 EAEG. Vielmehr hat danach die Entschädigungseinrichtung den Entschädigungsanspruch schlicht zu prüfen, § 5 Abs. 4 Satz 1 EAEG. Soweit die Entschädigungseinrichtung nach § 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG die Berechtigung und die Höhe der Ansprüche „festzustellen” hat, kommt dem keine weitergehende Bedeutung zu. Hiergegen spricht auch, dass nach § 3 Abs. 4 EAEG für Streitigkeiten über Grund und Höhe des Entschädigungsanspruchs der Zivilrechtsweg gegeben ist und weder die Zivilprozessordnung noch das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz besondere Bestimmungen für die Anfechtung oder die Verpflichtung zum Erlass von Verwaltungsakten bereithalten.
Rz. 54
bb) Das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich” in § 5 Abs. 4 Satz 1 EAEG ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte wie in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu verstehen. Die Prüfung durch die Entschädigungseinrichtung hat daher ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen.
Rz. 55
(1) Dies bedeutet, dass die Entschädigungseinrichtung die zur Feststellung der Berechtigung und der Höhe des angemeldeten Anspruchs nötigen Erhebungen zügig durchführen muss. Zu diesem Zweck hat die Entschädigungseinrichtung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 EAEG geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Gläubiger innerhalb der in § 5 Abs. 4 EAEG genannten Frist zu entschädigen, und gemäß § 9 Abs. 2 EAEG die Erteilung von Auskünften und die Vorlage von Unterlagen einzufordern, die sie zur Prüfung der Entschädigungsansprüche benötigt. Diese Pflichten der Entschädigungseinrichtung sollen – in Umsetzung von Art. 9 Abs. 1 der Anlegerentschädigungsrichtlinie – ein einheitliches Entschädigungsverfahren für die geltend gemachten Ansprüche und eine möglichst rasche Entschädigung gewährleisten (vgl. BT-Drucks. 13/10188, S. 18).
Rz. 56
Dabei muss die Entschädigungseinrichtung die nötigen Erhebungen nicht stets selbst durchführen, sondern kann – wenn die Informationsbeschaffung aufgrund eigener Bemühungen nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand möglich wäre – auch auf ihr zugängliche Unterlagen und Auskünfte Dritter zurückgreifen, deren Ergebnisse ihr einschlägige Informationen liefern; dies sind hier insbesondere die Feststellungen des über das Vermögen des betroffenen Instituts bestellten Insolvenzverwalters.
Rz. 57
Auf dieser Grundlage hat die Entschädigungseinrichtung sodann über die Berechtigung der angemeldeten Ansprüche in eigener Verantwortung selbst zu entscheiden. Stellt sich allerdings eine schwierige, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärte, abgrenzbare, eine Vielzahl der angemeldeten Ansprüche betreffende und abschließend zu entscheidende Rechtsfrage, kann die Entschädigungseinrichtung diese in einem „Musterprozess” klären und die Regulierung in den anderen Entschädigungsverfahren zurückstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 1982 – III ZR 34/81, WM 1982, 564, 565 zu § 839 BGB). Dabei kann sie – gegebenenfalls nach Abtretung des materiellrechtlichen Anspruchs – einen solchen Musterprozess selbst führen oder von einem hierzu bereiten Anleger führen lassen und diesen im Rahmen der prozessualen Möglichkeiten begleiten. Dagegen darf sie nicht untätig bleiben oder abwarten, ob ein geschädigter Anleger einen solchen „Musterprozess” aus eigenem Antrieb betreibt. Erst recht darf sie nicht von ihm verlangen, ein solches Verfahren – möglicherweise gegen seine Überzeugung – einzuleiten. Eine solche Verpflichtung oder Obliegenheit des Anlegers lässt sich weder dem Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz noch der Anlegerentschädigungsrichtlinie entnehmen. Ganz im Gegenteil würde dies in Widerspruch zu dem beschriebenen Pflichtenkanon der Entschädigungseinrichtung stehen.
Rz. 58
(2) Bei der Beurteilung der „Unverzüglichkeit” sind ferner die Anzahl der geschädigten Anleger und der angemeldeten Ansprüche zu berücksichtigen. Dabei kann auch die außergewöhnliche Belastung der Entschädigungseinrichtung, auf die durch organisatorische Maßnahmen nicht kurzfristig reagiert werden kann, ein zureichender Grund für eine Verzögerung des Prüfungsverfahrens sein, wenngleich es grundsätzlich Aufgabe der Entschädigungseinrichtung ist, für eine Personalausstattung zu sorgen, mit der sie die ihr obliegenden Sachentscheidungen nach den gesetzlichen Vorgaben, hier also „unverzüglich”, treffen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 19 ff. zu § 839 BGB).
Rz. 59
(3) Der Zeitraum für die Prüfung der Berechtigung und der Höhe des angemeldeten Anspruchs schließt eine angemessene Überlegungszeit der Entschädigungseinrichtung ein (vgl. BGH, Urteile vom 24. Januar 2008 – VII ZR 17/07, WM 2008, 942 Rn. 18 mwN zu § 121 Abs. 1 BGB und vom 1. Februar 1974 – IV ZR 2/72, VersR 1974, 639, 640 zu § 11 Abs. 1 VVG aF). Erst mit Abschluss der Überlegungsfrist und nachfolgendem Ablauf der dreimonatigen Frist des § 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG tritt Fälligkeit ein. Die Überlegungsfrist richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles.
Rz. 60
cc) Bei einer schuldhaften Verzögerung des Abschlusses des Prüfverfahrens beginnt die Dreimonatsfrist (§ 5 Abs. 4 Satz 6 EAEG) in dem Zeitpunkt, in dem die Entschädigungseinrichtung die Berechtigung und die Höhe des angemeldeten Anspruchs bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang hätte feststellen müssen. Bleibt die Entschädigungseinrichtung allerdings untätig, indem sie weder eine abschließende Entscheidung über Grund und Höhe des angemeldeten Anspruchs trifft noch zur Klärung einer schwierigen Rechtsfrage einen „Musterprozess” führt, muss der geschädigte Anleger nicht das Verstreichen des danach zur Entscheidungsfindung erforderlichen – fiktiven – Zeitraums abwarten, bevor er selbst Zahlungsklage erhebt. Der Entschädigungseinrichtung ist dann nämlich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Berufung auf den Einwand fehlender Fälligkeit verwehrt, weil die Fälligkeit als eingetreten gilt. Andernfalls wäre der Anleger – jedenfalls für einen gewissen Zeitraum – rechtlos gestellt, weil er abwarten müsste, ob irgendwann in einem „Musterprozess” die maßgebliche Rechtsfrage – hier das Bestehen eines Aussonderungsrechts – geklärt werden würde. Ein solches Zuwarten auf unbestimmte Zeit wäre mit den Zielen des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes und der Anlegerentschädigungsrichtlinie unvereinbar. Ganz im Gegenteil eröffnet § 3 Abs. 4 EAEG für Streitigkeiten über Grund und Höhe des Entschädigungsanspruchs den Zivilrechtsweg.
Rz. 61
b) Der Entschädigungsanspruch der Klägerin ist danach fällig.
Rz. 62
Die Beklagte hatte spätestens zum Zeitpunkt ihres Schreibens vom 14. April 2009 – mit einer Ausnahme – alle einschlägigen Fragen geprüft und entschieden. Das gilt namentlich für den „Endstand der Beteiligung” der Klägerin, den die Beklagte unter Abzug des Agios und unter Berücksichtigung der tatsächlich erzielten Gewinne und Verluste sowie der vertraglich vereinbarten Handels- und Bestandsprovisionen mit 2.816,53 EUR errechnet hatte. Die eine Ausnahme betrifft die Frage der Berücksichtigung eines etwaigen Aussonderungsrechts.
Rz. 63
aa) Insoweit kommt es für die Fälligkeit entgegen der Auffassung der Revision nicht auf den Erlass des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 10. Februar 2011 (IX ZR 49/10, WM 2011, 798) an. Hierdurch ist zwar entschieden worden, dass den Anlegern an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH weder ein Aussonderungs- noch ein Mitaussonderungsrecht nach § 47 Abs. 1 InsO zusteht. Dieses von dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der P. GmbH gegen einen Großanleger mit einer Beteiligungssumme von 11.130.000 US-Dollar betriebene Verfahren stellt aber keinen „Musterprozess” im oben genannten Sinne dar. Dies folgt bereits daraus, dass die Beklagte – selbst wenn sie sich an dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin beteiligt hätte – nicht „Herrin” des Verfahrens gewesen wäre und z.B. eine nichtstreitige Erledigung des Rechtsstreits nicht hätte verhindern können. Aufgrund dessen hätte dieses Verfahren nur dann den Charakter eines „Musterprozesses” haben können, wenn die einzelnen Anleger hiermit einverstanden gewesen wären. Ein solches Einverständnis liegt aber nicht vor.
Rz. 64
bb) Die Beklagte war vielmehr verpflichtet, entweder die Frage des Bestehens eines Aussonderungs- oder Mitaussonderungsrechts nach § 47 Abs. 1 InsO in eigener Verantwortung selbst zu entscheiden oder diese Frage in einem „Musterverfahren” klären zu lassen. Hierzu bestand jedenfalls im Lauf des Jahres 2008 Anlass, nachdem in dem von dem Insolvenzverwalter aufgestellten und von den Gläubigern am 19. April 2007 beschlossenen, wenn auch später aus anderen Gründen gerichtlich aufgehobenen Insolvenzplan (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 5. Februar 2009 – IX ZB 230/07, WM 2009, 518 ff.) Aussonderungsrechte der Anleger an den Einzahlungs- und Brokerkonten der P. GmbH nicht berücksichtigt worden waren. Stattdessen ist die Beklagte indes untätig geblieben und hat keine Maßnahmen getroffen, um die Berechtigung der angemeldeten Ansprüche abschließend entscheiden zu können. Aufgrund dessen durfte die Klägerin den von ihr geltend gemachten weiteren Entschädigungsanspruch jedenfalls im Jahr 2009 gerichtlich einklagen, ohne dass ihr die Beklagte den Einwand fehlender Fälligkeit entgegenhalten kann.
Rz. 65
cc) Darüber hinaus ist der Beklagten auch aus einem weiteren Grund die Berufung auf den Einwand fehlender Fälligkeit nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt.
Rz. 66
Die Beklagte verhält sich widersprüchlich, wenn sie in den Tatsacheninstanzen und zuletzt noch in der Revisionsbegründung ihr Klageabweisungsbegehren nachdrücklich mit dem eventuellen Bestehen eines Aussonderungsrechts begründet, sodann aber – nachdem diese Frage zu ihren Lasten entschieden worden ist – den Einwand fehlender Fälligkeit mit der Behauptung erhebt, es seien noch weitere Erhebungen erforderlich. Dies scheitert bereits daran, dass eine einmal eingetretene Fälligkeit des Anspruchs nicht wieder rückwirkend entfallen kann. Darüber hinaus sind keine Ermittlungen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens erforderlich. Die von der Beklagten vorgebrachten offenen Fragen materiell-rechtlicher Art sind in dem gerichtlichen Verfahren zu klären. Die Entschädigungsberechtigung der Klägerin ist durch das Schreiben der Beklagten vom 14. April 2009 festgestellt worden. Für einen Übergang des Anspruchs auf Dritte ist kein Anhaltspunkt ersichtlich; zudem würden sich – aufgrund der Rechtshängigkeit des Anspruchs – die Folgen einer Änderung der materiellen Anspruchsinhaberschaft auf Klägerseite nach den dafür vorgesehenen verfahrensrechtlichen Vorschriften (§§ 239 ff., § 265 ZPO) bestimmen. Ebenso ist nicht erkennbar, dass die Klägerin Leistungen Dritter erhalten hat, welche ihren Entschädigungsanspruch mindern; dies hätte sie außerdem im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 1 ZPO obliegenden Wahrheitspflicht im laufenden Rechtsstreit offenbaren müssen. Die Beklagte hat nichts Substanzielles vorgetragen, aus dem sich etwas anderes ergeben könnte. Schließlich erfordert auch die Überprüfung der gespeicherten Adressen- und Kontodaten der Klägerin kein außergerichtliches Prüfungsverfahren, weil es sich dabei lediglich um die technische Abwicklung der Auszahlung handelt, die keinen Einfluss auf die materielle Anspruchsberechtigung der Klägerin und erst recht nicht auf die Fälligkeit ihres Anspruchs hat.
Rz. 67
dd) Die Beklagte kann sich schließlich nicht darauf berufen, dass die Klägerin durch die gerichtliche Geltendmachung ihres Entschädigungsanspruchs nicht besser gestellt werden dürfe als diejenigen Anleger, deren Ansprüche noch im außergerichtlichen Entschädigungsverfahren geprüft werden. Insoweit ist allein maßgeblich, ob der Anspruch der Klägerin fällig und damit einklagbar ist. Dies ist – wie dargelegt – der Fall. Aus diesem Grund kann sich die Revision auch nicht darauf stützen, dass – wie sie meint – die Beklagte zu der mit Schreiben vom 14. April 2009 erfolgten Teilentschädigung nicht verpflichtet gewesen sei und insoweit „überobligationsmäßig” gehandelt habe, so dass sie die Anspruchsberechtigung der Klägerin und die Höhe ihres Entschädigungsanspruchs auch dem Grunde nach erst nach Erlass eines rechtskräftigen „Musterurteils” zum Bestehen oder Nichtbestehen eines Aussonderungsrechts habe ermitteln müssen.
Fundstellen