Leitsatz (amtlich)
Eine Verfügung von Todes wegen, mit der Eltern ihr behindertes, auf Kosten der Sozialhilfe untergebrachtes Kind nur als Vorerben auf einen den Pflichtteil kaum übersteigenden Erbteil einsetzen, bei seinem Tod ein anderes Kind als Nacherben berufen und dieses zum Vollerben auch des übrigen Nachlasses bestimmen, verstößt nicht gegen § 138 Abs. 1 BGB, auch soweit dadurch der Träger der Sozialhilfe Kostenersatz nicht erlangt.
Normenkette
BGB § 138; BSHG §§ 2, 92c
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Urteil vom 08.10.1992) |
LG Konstanz |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 9. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. Oktober 1992 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger leistet Sozialhilfe für die unheilbar psychisch kranke Frau X, die in einem Pflegeheim untergebracht ist. Für ihren Unterhalt war ihre Mutter bis zu deren Tod am 9. Februar 1987 aufgekommen; die Behinderte war beim Erbfall 52 Jahre alt. Im Hinblick auf den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs … vom 8. Dezember 1989 – … – erhält die Behinderte Sozialhilfe gemäß § 89 BSHG als Darlehen; zu dessen Sicherung hat sie im voraus eventuelle Ansprüche auf ihren Anteil am Nachlaß ihrer Mutter abtreten müssen, die ihr zustehen würden, wenn der Erbvertrag nichtig wäre, den die Mutter mit ihrem einzigen weiteren Kind, dem Bruder der Behinderten, am 2. Februar 1984 geschlossen hat. Der Kläger hat Klage erhoben auf Feststellung der Nichtigkeit des Erbvertrages.
Darin ist der Sohn mit einer Quote von 72% zum Erben eingesetzt worden. Hinsichtlich der restlichen 28% ist die behinderte Tochter als (nicht befreite) Vorerbin eingesetzt worden; Nacherbe beim Tod der Vorerbin ist der Sohn. Weiter hat die Erblasserin angeordnet, daß die Tochter ihren Erbteil in Gestalt von Wertpapieren und Bargeld erhält. In diesem Zusammenhang ist bestimmt, daß der Sohn, dem die Erblasserin nach dem Tod des vorverstorbenen Vaters das elterliche Apothekengrundstück gegen Rentenzahlungen übertragen hatte, hierfür eine Ausgleichung zu leisten habe. Für die Verwaltung des Erbteils der Tochter hat die Erblasserin Testamentsvollstreckung bis zum Tod ihrer Tochter angeordnet. Der Testamentsvollstrecker hat der Behinderten ein monatliches Taschengeld zu gewähren, mindestens vier Wochen Urlaub im Jahr in einem Behinderten- oder sonstigen Erholungsheim zu ermöglichen, Anschaffungskosten für Kleidung, Einrichtungsgegenstände und andere Güter des persönlichen Bedarfs zu bestreiten und, soweit es der Gesundheitszustand der Tochter erfordert, für ihre Unterbringung in einem Einzelzimmer zu sorgen. Nach dem Willen der Erblasserin entfallen diese Zahlungsverpflichtungen jedoch, wenn sie auf Sozialhilfeleistungen angerechnet werden. Zum Testamentsvollstrecker hat sie den Beklagten bestimmt.
Nach dem Tod der Mutter haben die Tochter, vertreten durch ihren Ergänzungspfleger, der Sohn und der Beklagte den mit weniger als 460.000 DM zu bewertenden Nachlaß mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts auseinandergesetzt. Dabei erhielt die Tochter Wertpapiere und Bankguthaben im Wert von rund 114.000 DM. Der Ergänzungspfleger hat mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts davon abgesehen, die Erbschaft auszuschlagen und Pflichtteilsansprüche geltend zu machen.
Der Kläger hält den Erbvertrag für sittenwidrig. Er benachteilige die Tochter gegenüber dem Sohn, entziehe ihren Erbteil dem Zugriff des nachrangig verpflichteten Trägers der Sozialhilfe und erhalte ihn statt dessen für den Sohn. Nach Auffassung des Landgerichts ist lediglich die Anordnung der Nacherbfolge nichtig, weil dadurch der Zugriff des Klägers auf den Erbteil der Tochter auch nach deren Tod vereitelt werde; im übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen; auf die Anschlußberufung des Beklagten hat es die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils; er verfolgt seine eigene Berufung nicht weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger mit Zustimmung des Beklagten klargestellt, daß sich die Klage von Anfang an sowohl gegen den Beklagten persönlich als auch in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker gerichtet hat.
Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen auch nach Beschränkung der Revision auf die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Wirksamkeit der Nacherbfolge keine durchgreifenden Bedenken. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO), ob der Beklagte als Testamentsvollstrecker zu Lebzeiten der Behinderten bei der Verwaltung ihres Erbteils auf Rechte ihres Bruders als Nacherben Rücksicht nehmen und an wen er den Nachlaß herausgeben muß, wenn sein Amt beim Tod der Behinderten endet. Die Zulässigkeit der Klage war in den Vorinstanzen unter dem Gesichtspunkt des § 256 Abs. 1 ZPO nicht zweifelhaft; sie ist insoweit jedenfalls im Revisionsverfahren nicht entfallen.
II. Abgesehen von der Frage nach der Wirksamkeit der Nacherbfolge ist das Berufungsurteil durch die Beschränkung der Revision rechtskräftig geworden. Damit steht die Wirksamkeit des Erbvertrages im übrigen fest. Soweit die Anordnung der Nacherbfolge mit der Begründung als sittenwidrig angesehen wird, sie benachteilige die behinderte Tochter gegenüber dem Sohn, verneint das Berufungsgericht einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB mit Recht. Dabei geht es zutreffend vom Grundsatz der Testierfreiheit aus, die unter dem Schutz der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG steht (BGHZ 111, 36, 39). Die damit im Erbrecht gewährleistete Privatautonomie findet ihre sozialstaatlich und durch Art. 6 GG legitimierte Grenze am Pflichtteilsrecht, das den nächsten Angehörigen des Erblassers einen Mindestanteil an seinem Vermögen sichert.
1. Angesichts der im Erbvertrag getroffenen letztwilligen Verfügungen der Erblasserin blieb der Tochter das Recht unbenommen, gemäß § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB den Pflichtteil zu verlangen. Sie hätte dazu den ihr zugedachten, durch Testamentsvollstreckung und Nacherbfolge beschränkten Erbteil ausschlagen müssen. Der Nachlaß der Erblasserin ist hier zwar nicht so bescheiden wie in dem Fall, der der Senatsentscheidung BGHZ 111, 36ff., zugrunde lag. Er ist aber auch nicht so groß, daß die Versorgung der Behinderten allein mit ihrem Pflichtteil auf Lebenszeit sichergestellt wäre. Sie wäre vielmehr mit dem Pflichtteil nur „eine Zeitlang” in der Lage gewesen, für sich selbst zu sorgen, wie der Verwaltungsgerichtshof … in seinem Beschluß vom 8. Dezember 1989 – … –, Umdruck S. 8, festgestellt hat. Das lag jedoch nach Auffassung ihres Ergänzungspflegers und des Vormundschaftsgerichts nicht in ihrem wohlverstandenen Interesse. Durch die im Erbvertrag getroffene Regelung gelangt die Behinderte dagegen auf Dauer sowohl in den Genuß der Sozialhilfeleistungen als auch zusätzlicher Annehmlichkeiten und Vorteile, die als Schonvermögen im Sinne von § 88 Abs. 2 BSHG nicht dem Zugriff des Klägers unterliegen. Damit verschafft der Erbvertrag der behinderten Tochter im vorliegenden Fall also eine günstigere Rechtsstellung, als sie durch das Pflichtteilsrecht gewährleistet wird.
2. a) Dieses Ziel, die Lebensbedingungen der Behinderten über die von der Sozialhilfe gewährleistete Versorgung hinaus durch zusätzliche Annehmlichkeiten und Vorteile zu verbessern, wäre indessen schon allein durch die Anordnung der Testamentsvollstreckung bezüglich des Erbteils der Tochter zu erreichen gewesen. Damit war gemäß § 2214 BGB ein Zugriff des Klägers als Eigengläubigers der Erbin auf die der Verwaltung des Testamentsvollstreckers unterliegenden Nachlaßgegenstände ausgeschlossen (vgl. BGHZ 111, 36, 43). Die Verwaltung durch einen Testamentsvollstrecker kann auf Lebenszeit des Erben, insoweit also auch über die Dauer von 30 Jahren hinaus, angeordnet werden (§ 2210 Satz 2 BGB). Der Kläger hätte sich dann aber nach dem Tod der behinderten Sozialhilfeempfängerin an ihren Nachlaß halten können.
Dies wird erst durch die Nacherbfolge verhindert, die beim Tod der Vorerbin deren Rechte am Nachlaß erlöschen läßt. Von diesem Zeitpunkt an wird der Nacherbe zum Erben der Erblasserin. Damit entgeht der Nachlaß den Eigengläubigern der Vorerbin und ihren Erben endgültig.
b) Mit dem Erbvertrag hat die Erblasserin damit neben einer Begünstigung ihrer Tochter noch weitere Zwecke verfolgt (vgl. zu Mustervorschlägen für Behindertentestamente Nieder, Handbuch der Testamentsgestaltung, 1992, Rdn. 1048; Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 2. Aufl. D Rdn. 276ff.; Reithmann/Röll/Geßele, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, 6. Aufl. Rdn. 1112ff.). Im vorliegenden Fall ist aber nicht ersichtlich, daß mit diesen weiteren Zwecken eine für die behinderte Tochter ins Gewicht fallende Benachteiligung verbunden wäre. Nachkommen hat sie nicht. Daß Eltern bei der Erbfolge das gesunde Kind und seinen Stamm bevorzugen, wie dies im vorliegenden Fall schon durch die größere Erbquote und zusätzlich durch die Nacherbfolge des Sohnes auch in den der behinderten Schwester hinterlassenen Erbteil zum Ausdruck kommt, reicht für sich genommen angesichts der lebzeitigen Versorgung der Tochter und des Grundsatzes der Testierfreiheit nicht aus, das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu rechtfertigen.
c) Dies gilt unabhängig davon, ob die Erblasserin zu ihren Lebzeiten der Tochter für die Heimunterbringung mehr hat zukommen lassen als dem Sohn für seine akademische Ausbildung und ob der Sohn zusätzlich zu den bei Übernahme der Apotheke vereinbarten Zahlungen zum Unterhalt der Erblasserin und seiner behinderten Schwester und damit zum Erhalt der Substanz des Familienvermögens beigetragen hat. Die gegen diese Feststellungen des Berufungsgerichts erhobenen Verfahrensrügen der Revision können daher auf sich beruhen.
Die Nacherbfolge benachteiligt die Behinderte auch nicht etwa dadurch unzumutbar, daß unter Umständen die Zustimmung ihres Bruders zur Veräußerung von Nachlaßgegenständen erforderlich sein könnte. Im vorliegenden Fall hat sie aufgrund der Erbauseinandersetzung kein Immobiliarvermögen erhalten, so daß die Verfügungsbeschränkung des § 2113 Abs. 1 BGB nicht eingreift. Sie muß den aus Wertpapieren und Bankguthaben bestehenden Nachlaß aber in der Substanz erhalten und dazu auf Verlangen des Nacherben gemäß §§ 2116ff. BGB sichern. Wenn die Leistungen, die der Testamentsvollstrecker nach dem Erbvertrag zugunsten der Behinderten zu erbringen hat, nicht aus den Nutzungen der Vorerbschaft bestritten werden können, dürfte der Testamentsvollstrecker jedoch wie, für die Erfüllung anderer Nachlaßverbindlichkeiten gemäß §§ 2126, 2124 Abs. 2 Satz 1 BGB berechtigt sein, Nachlaßgegenstände zu veräußern. Die der Behinderten im Erbvertrag zugedachten Leistungen können insoweit (auch) als Vermächtnis gewertet werden, das die Nacherbschaft beschwert.
III. Mit Recht hält das Berufungsgericht die Anordnung der Nacherbfolge auch nicht deshalb für nichtig, weil sie den Zugriff des Klägers auf den Nachlaß nach der Mutter vereitelt.
1. Dabei ist von dem Gedanken auszugehen, daß die behinderte Tochter durch den Erbvertrag über die Sozialhilfe hinaus auf Lebenszeit nicht unerhebliche zusätzliche Vorteile und Annehmlichkeiten erhält, die bei einem Absinken des heute erreichten Standes der Sozialleistungen für Behinderte noch wichtiger werden könnten. Der Senat hat bereits in seinem Urteil BGHZ 111, 36, 42 darauf hingewiesen, daß Eltern auf diese Weise gerade der zuvörderst ihnen zukommenden sittlichen Verantwortung für das Wohl ihres Kindes Rechnung tragen und nicht verpflichtet sind, diese Verantwortung dem Interesse der öffentlichen Hand an einer Teildeckung ihrer Kosten hintanzusetzen. Dieser Gedanke hat allgemeine Zustimmung erfahren (Hohloch, Jus 1990, 937, 938; Otte, JZ 1990, 1027, 1028; Schubert, JR 1991, 106, 107; Krampe, AcP 191, 526, 559; Pieroth, NJW 1993, 173).
Mit der Anordnung der Nacherbfolge in den der Behinderten hinterlassenen Erbteil wird aber bezweckt, daß das elterliche Vermögen beim Tod der Behinderten nicht in deren Nachlaß fällt und infolgedessen auch nicht gemäß § 92c BSHG zum Ersatz von Kosten der Sozialhilfe herangezogen werden kann. Das Berufungsgericht weist insoweit jedoch mit Recht darauf hin, daß dem Sozialhilferecht weder ein gesetzliches Verbot einer solchen Gestaltung der Erbfolge noch auch nur ein Schutzzweck des Inhalts entnommen werden kann, dem Träger der Sozialhilfe müsse der Zugriff auf das Vermögen der Eltern eines Hilfeempfängers spätestens bei dessen Tod gesichert werden (zustimmend Kuchinke, FamRZ 1992, 362).
a) Mit der durch das 2. Änderungsgesetz vom 14. August 1969 (BGBl. I S. 1153) eingeführten Bestimmung des § 92c BSHG wollte der Gesetzgeber lediglich vermeiden, daß § 88 Abs. 2 und 3 BSHG, die bestimmte Teile des Vermögens des Hilfeempfängers und seiner in §§ 11 und 28 BSHG genannten Angehörigen (insbesondere ein angemessenes Hausgrundstück) vom Einsatz für die Lebenshaltungskosten des Hilfsbedürftigen verschonen, über dessen Tod hinaus zugunsten seiner Erben wirken (BT Drucks. V/3495 vom 12. November 1968, S. 16; BVerwG, FEVS 37 Nr. 1 S. 5). Gemäß §§ 11, 28 BSHG kommt es auf das Einkommen und Vermögen der Eltern nur an, wenn Sozialhilfe (abgesehen von weiteren Voraussetzungen) für ein minderjähriges, unverheiratetes Kind in Frage steht. Zu der durch §§ 11, 28 BSHG geschaffenen Bedarfsgemeinschaft gehörte die Erblasserin im vorliegenden Fall also bei Abschluß des Erbvertrages schon lange nicht mehr. Anders als für Erben eines Ehegatten des Hilfeempfängers statuiert § 92c BSHG eine Kostenersatzpflicht für Erben der Eltern des Hilfeempfängers auch dann nicht, wenn sie unter §§ 11, 28 BSHG fallen. Mithin hat der Gesetzgeber die Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern schon bei Volljährigkeit des bedürftigen Kindes gelockert (vgl. jedoch § 91 BSHG) und nicht über den Tod der Eltern hinaus aufrechterhalten (van de Loo, NJW 1990, 2852, 2857).
b) § 92c BSHG trifft eine Sonderregelung, die nur eine begrenzte Inanspruchnahme von durch Erbgang übergegangenem Vermögen eröffnet (BVerwG, a.a.O. S. 6). Gemäß § 92 Abs. 1 BSHG besteht eine Verpflichtung zum Kostenersatz nur in den Fällen der §§ 92a und c BSHG. Damit liegt eine abschließende Regelung vor (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG 14. Aufl. § 92 Rdn. 11 m.w.N.; Knopp/Fichtner, BSHG 7. Aufl. § 92 Rdn. 3; § 92c Rdn. 2).
Eine Erstreckung von § 92c BSHG auf Umgehungsversuche kommt demnach nur im Rahmen seines engen Anwendungsbereichs in Betracht, etwa wenn der Hilfeempfänger sein Schonvermögen angesichts seines bevorstehenden Todes seinen Erben zur Vermeidung des Kostenersatzes gemäß § 92c BSHG schenkt (VG Freiburg, Zeitschr. für das Fürsorgewesen 1980, 15 ff.; Bundessozialhilfegesetz, Lehr- und Praxiskommentar [LPK-BSHG], § 92c Rdn. 8). Von einer rechtswidrigen Umgehung des § 92c BSHG durch letztwillige Verfügungen der Eltern des Hilfeempfängers kann jedoch nicht die Rede sein, weil das von ihnen hinterlassene Vermögen, soweit es nicht um eine Haftung für sozialhilferechtliche Verbindlichkeiten der Eltern selbst geht, ohnehin nicht der in § 92c BSHG vorgesehenen Kostenersatzpflicht der Erben des Hilfeempfängers und seines Ehegatten unterliegt. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die Eltern ihr behindertes Kind zum Vorerben einsetzen. Dadurch wird der Nacherbe nicht zum Erben des Vorerben. Der Begriff „Erbe” in § 92c BSHG entspricht dem des Bürgerlichen Gesetzbuchs und verweist auf die dort getroffenen Regelungen (BVerwGE 66, 161, 163).
Da § 92c BSHG den Nachlaß der Eltern nicht mit einer Kostenerstattungspflicht für nach deren Tod dem behinderten Kind erbrachte Sozialleistungen belastet, können Eltern ihren Nachlaß an dem bedürftigen Kind vorbeileiten, ohne sich mit Wortlaut und Zweck des § 92c BSHG in Widerspruch zu setzen. Sie machen insoweit vielmehr von einer ihnen offenstehenden Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch.
2. Die Nichtigkeit der Nacherbfolge läßt sich auch nicht auf den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe stützen (Subsidiaritätsprinzip, §§ 2 BSHG, 9 SGB I).
a) Dieser Grundsatz ist im Bundessozialhilfegesetz in erheblichem Maße durchbrochen (BGHZ 111, 36, 42). Der Gesetzgeber respektiert nicht nur das Schonvermögen des Hilfsbedürftigen, seines Ehegatten und seiner Eltern (§§ 11, 28, 88 Abs. 2 BSHG), sondern verlangt für die Hilfe in besonderen Lebenslagen auch den Einsatz des Einkommens nur innerhalb der Zumutbarkeitsgrenzen der §§ 79ff. BSHG. Auch ohne weiteres durchsetzbare Unterhaltsansprüche nach bürgerlichem Recht werden nur in begrenztem Umfang gemäß § 91 Abs. 1 und 3 BSHG übergeleitet. Der Gesetzgeber hat den Nachrang der Sozialhilfe je nach Art der Hilfeleistung differenziert und nicht überall beibehalten. Damit hat er dem Subsidiaritätsprinzip als Grundsatz die Prägekraft weithin genommenen (van de Loo, MittRhNotK 1989, 233, 235; Schulte, NJW 1989, 1241, 1246; Schubert, JR 1991, 106; Kuchinke, FamRZ 1992, 362).
Darüber hinaus berücksichtigt das Gesetz jedenfalls im Blick auf Behinderte ein dem Subsidiaritätsgrundsatz gegenläufiges Prinzip, nämlich das des Familienlastenausgleichs (van de Loo, MittRhNotK 1989, 233, 251; Schulin, Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages 1992, Bd. I, Gutachten E S. 85f., 117). Deutlich wird dies insbesondere, wenn § 43 Abs. 2 BSHG die in § 28 BSHG genannten Personen bei bestimmten Eingliederungsmaßnahmen zugunsten jüngerer Behinderter unter 21 Jahren nur für die Kosten des Lebensunterhalts aufkommen läßt und sie im übrigen vom Einsatz des Einkommens und des Vermögens freistellt. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist es, die Eltern behinderter Kinder mit den Eltern nicht behinderter Kinder wirtschaftlich gleichzustellen; Eltern behinderter Kinder sollen nicht durch wirtschaftliche Belastungen in ihrer unentbehrlichen aktiven Mitwirkung an der Eingliederung ihrer Kinder in die Gesellschaft erlahmen (BVerwG 48, 228, 234).
b) Danach bietet das Bundessozialhilfegesetz keine Grundlage für die Auffassung, ein Erblasser müsse aus Rücksicht auf die Belange der Allgemeinheit seinem unterhaltsberechtigten, behinderten Kind jedenfalls bei größerem Vermögen entweder über den Pflichtteil hinaus einen Erbteil hinterlassen, um dem Träger der Sozialhilfe einen gewissen Kostenersatz zu ermöglichen, oder zumindest eine staatlich anerkannte und geförderte Behindertenorganisation als Nacherben einsetzen, damit der Nachlaß auf diesem Weg zur Entlastung der öffentlichen Hand beitrage (wie im Fall, der der Senatsentscheidung BGHZ 111, 36ff., zugrunde lag; für eine derartige Verpflichtung des Erblassers aber Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449, 465; Schubert, JR 1991, 107). Im Gegenteil trägt der Gesetzgeber jedenfalls mit § 43 Abs. 2 BSHG selbst dem Gedanken Rechnung, daß neben der Familie die Gesellschaft insgesamt unmittelbar für die mit der Versorgung, Erziehung und Betreuung von Kindern verbundenen wirtschaftlichen Lasten aufzukommen hat. Grund hierfür ist, daß Kinder die Existenz der Gesellschaft sichern. Die öffentliche Verantwortung ist in besonderem Maße gefordert, wenn es um eine gerechte Verteilung der schwerwiegenden Belastungen durch behinderte Kinder auch im Verhältnis zu Eltern mit nicht behinderten Kindern geht. Wieweit Eltern selbst für ihr behindertes Kind aufkommen müssen und wieweit ihnen wirtschaftliche Lasten von der Allgemeinheit abgenommen werden, liegt zwar im Ermessen des Gesetzgebers (so zum Familienlastenausgleich allgemein BVerfGE 82, 60 = NJW 1990, 2869 unter C II 2 b; BVerfGE 87, 1, 35f. = NJW 1992, 2213 unter C II 1). Die Sittenwidrigkeit einer letztwilligen Verfügung kann aber nicht danach beurteilt werden, wie Verantwortungsbewußte Eltern testieren würden, wenn der Gesetzgeber die ihm obliegende öffentliche Verantwortung nicht wahrgenommen hätte und es die bestehenden Ansprüche nach dem Bundessozialhilfegesetz nicht gäbe.
c) Darüber hinaus wäre eine Einschränkung der Testierfreiheit ein Eingriff in die grundrechtlich gewährleistete Privatautonomie im Erbrecht (BGHZ 111, 36, 39). Zwar können Inhalt und Schranken dieses Grundrechts durch die Gesetze bestimmt werden (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Dabei ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, auf unbestimmte, der Ausfüllung bedürftige Rechtsbegriffe und Generalklauseln zurückzugreifen. Die Vorschriften müssen aber im Hinblick auf das Grundrecht, das sie einschränken, so genau gefaßt sein, wie es nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (Bestimmtheitsgrundsatz, BVerfGE 49, 168 = NJW 1978, 2446 unter B I 1 a; BVerfGE 56, 1, 12 = NJW 1981, 1311 unter C I 1 a). Ferner muß der Eingriff in das Grundrecht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein (BVerfGE 67, 329 = NJW 1985, 1455 unter B II 1 a).
Im Lichte dieses Verständnisses wäre eine Einschränkung der Testierfreiheit durch Anwendung der Generalklausel des § 138 Abs. 1 BGB nur in Betracht zu ziehen, wenn sich das Verdikt der Sittenwidrigkeit auf eine klare, deutlich umrissene Wertung des Gesetzgebers oder allgemeine Rechtsauffassung stützen könnte. Weder das eine noch das andere liegt hier jedoch vor. Dem Bundessozialhilfegesetz läßt sich gerade für Behinderte keine in diesem Sinne konsequente Durchführung des Nachrangs der öffentlichen Hilfe entnehmen. Es fehlt auch an einer allgemeinen Rechtsüberzeugung, daß Eltern ihrem behinderten Kind jedenfalls von einer gewissen Größe ihres Vermögens an einen über den Pflichtteil hinausgehenden Erbteil hinterlassen müßten, damit es nicht ausschließlich der Allgemeinheit zur Last fällt (dagegen außer dem Berufungsgericht auch van de Loo, NJW 1990, 2852, 2857; Otte, JZ 1990, 1027, 1028; Krampe, AcP 191, 526, 560; Kuchinke, FamRZ 1992, 362f.; Pieroth, NJW 1993, 173, 178). Der Gesetzgeber hat in § 2338 BGB dem Erblasser sogar Wege gewiesen, wie er das Familienvermögen vor dem Zugriff der Gläubiger eines überschuldeten Pflichtteilsberechtigten retten kann.
d) Anders kann es sein, wenn ein nicht erwerbstätiger, nicht vermögender Ehegatte in einer Scheidungsvereinbarung auf nachehelichen Unterhalt verzichtet mit der Folge, daß er der Sozialhilfe anheimfällt; eine solche Vereinbarung kann sittenwidrig und daher nichtig sein (BGHZ 86, 82, 86; BGHZ 111, 36, 41; vgl. aber Urteil vom 9. Juli 1992 – XII ZR 57/91 – FamRZ 1992, 1403 unter 3.). In Fällen der vorliegenden Art stehen dem behinderten Kind über den möglichen Pflichtteilsanspruch hinaus jedoch keine Rechte auf den Nachlaß seiner Eltern zu. Deshalb kann auch nicht davon die Rede sein, daß der Erblasser die Bedürftigkeit des behinderten Kindes herbeiführe, wenn er es nicht mit einer Zuwendung von Todes wegen bedenkt, und zwar unabhängig von der Größe seines Vermögens (so zutreffend van de Loo, NJW 1990, 2852, 2857; Krampe, AcP 191, 526, 560).
Entgegen der Revision vereitelt die hier zu beurteilende letztwillige Verfügung auch keine Rechte Dritter. Das Bundessozialhilfegesetz gibt dem Träger der Sozialhilfe für Leistungen, die er nach dem Tod der Eltern des Hilfeempfängers erbracht hat, keinen Kostenersatzanspruch gegenüber dem Nachlaß der Eltern. Nur soweit dem Hilfeempfänger ein Pflichtteil nach seinen Eltern zusteht, kommt dessen Überleitung auf den Träger der Sozialhilfe in Betracht. Ob dies nach geltendem Recht auch gegen den Willen eines behinderten Hilfeempfängers möglich ist, der eine ihm unter Beschwerungen hinterlassene Erbschaft nicht gemäß § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB ausschlägt (dafür van de Loo, NJW 1990, 2852, 2856; dagegen insbesondere Krampe, AcP 191, 526, 532f.), ist hier nicht zu entscheiden. Offenbleiben kann auch, ob und in welchem Umfang der Träger der Sozialhilfe einen etwaigen Anspruch eines behinderten Vorerben auf die Früchte des Nachlasses heranziehen kann (dafür Otte, JZ 1990, 1027, 1028f.; Krampe, AcP 191, 526, 546ff.). Die Wirksamkeit der Nacherbeinsetzung im vorliegenden Fall hängt davon nicht ab. Selbst wenn der Träger der Sozialhilfe sein Interesse dem Behinderten gegenüber nicht durchsetzen kann, ändert dies an der Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung seiner Eltern nichts. Im übrigen könnte die Sozialhilfe allerdings gemäß §§ 25 Abs. 2 Nr. 1, 29a BSHG bis auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche eingeschränkt werden, wenn der Behinderte eine durch Nacherbfolge beschränkte Erbschaft allein in der Absicht nicht ausschlägt, den Nachlaß seiner Eltern der Familie zu erhalten und die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe herbeizuführen, obwohl der Pflichtteil zu einer lebenslangen, umfassenden Versorgung des Behinderten ausreicht. Bei einer Heimpflege dürften Einschränkungen aber allenfalls in geringem Umfang in Betracht kommen (Karpen, MittRhNotK 1988, 131, 149; Köbl, ZfSH/SGB 1990, 449, 464).
Unterschriften
Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Zopfs, Dr. Ritter, Römer, Dr. Schlichting
Fundstellen
Haufe-Index 1130994 |
BGHZ |
BGHZ, 368 |
NJW 1994, 248 |
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 1994, 380 |